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Noch in der gleichen Nacht trafen wir uns mit Mr. McKee in seinem Büro an der Federal Plaza, Manhattan Süd. Unser Chef verfügte über das bemerkenswerte Talent, bei Bedarf die Nächte durchzumachen, ohne am folgenden Tag das an Schlaf Versäumte nachholen zu müssen. Manchmal hatte man fast den Eindruck, er erhole sich sogar beim Arbeiten.

Wir erstatteten Bericht, und er hörte uns gewohnt zurückhaltend zu. Doch das änderte sich.

»Wir bekommen Schwierigkeiten«, sagte er, als er alle Fakten gehört hatte. Er bot uns Platz auf den Besucherstühlen gegenüber seines Schreibtisches an. »Kaffee?«

Er hielt eine Thermoskanne hoch. Inhalt: Mandys allabendliche Hinterlassenschaft, wenn sie sich in den verdienten Feierabend stürzte. Der Kaffee des guten Geistes, den Mr. McKee tagsüber in seinem Vorzimmer sitzen hatte, war berühmt auf allen Etagen des FBI-Gebäudes. Und darüber hinaus.

Wir nickten einträchtig.

Der Kaffee war noch heiß und schmeckte, nach allem, was in dieser Nacht schon hinter uns lag, einfach herrlich.

»Die Öffentlichkeit?«, fragte ich.

Er nickte. »Der Druck wächst täglich. Und ist auch verständlich. Die vierte Entführung binnen zwei Wochen. Die Begleitumstände unterscheiden sich zwar mitunter drastisch voneinander. Aber es deutet doch vieles auf ein und dieselbe Handschrift hin.«

»Dürfen wir rauchen?«, fragte Milo.

Jonathan D. McKee nickte und schob uns einen Aschenbecher hin.

»Bei insgesamt vier Kindesentführungen«, sagte er, »ging bislang keine einzige Lösegeldforderung bei den Eltern ein. Kein Wunder, dass die nicht mehr wissen, wie sie sich verhalten sollen, und sich verstärkt selbst den Medien zum Fraß vorwerfen. Der heutige Fall ist das beste Beispiel dafür. Morgen wird der Blätterwald unter neuen reißerischen Artikeln erbeben. Mister Wyatt ist kein unbekannter Mann.«

»Das trifft bei den drei anderen Familien auch zu«, sagte Milo zwischen zwei Zügen.

»Eben.« Mr. McKee nippte an seinem Kaffee. Vor ihm auf dem Tisch lagen die Akten über die drei anderen Fälle verstreut. Zwischen den Papieren lagen die Hochglanzfotos der Kinder, die spurlos verschwunden waren, ohne dass sich bislang jemand mit Forderungen an die ausnahmslos sehr wohlhabenden Eltern gewandt hatte.

Mysteriös.

Die Befürchtungen, es mit einem Triebmörder zu tun zu haben, der es überhaupt nicht auf Geld abgesehen hatte, wuchs mit jeder verstreichenden Stunde. Halb erwartete die Öffentlichkeit bereits, dass bald irgendwo ein Leichenfund auftauchte und auf diese Weise Bewegung in eine erstarrte Sache bringen würde.

Die Belastung für die Eltern war ungeheuerlich. Nicht alle reagierten so kühl wie die Wyatts, und das Schlimme war: Wir konnten ihnen kaum helfen.

»Wir haben neue Spuren«, sagte ich gegen meine innere Überzeugung. »Der Tatort war voll davon. Wir warten auf Clymers Bericht. Möglicherweise bekommen wir wertvolle Hinweise von Chauffeur oder Kindermädchen der kleinen India Wyatt.«

»Wie ist ihr Zustand?«

Da musste ich passen.

»Kümmern Sie sich darum.«

»Ja, Sir.«