»Wer bist du?«, fragte die Stimme an ihrem Ohr.
Sie blinzelte stärker und versuchte, die Augen offenzuhalten. Ihr war schwindelig. Ein Brausen war in ihren Ohren, und sie ahnte nicht, dass ihr eigenes Blut dieses Geräusch verursachte. Vor ihr stand ein schmutziger Junge. Sein nach allen Seiten abstehendes schwarzes Haar sah aus wie das zerzauste Gefieder eines Raben. Auf seiner Nase tanzten bei jedem Wort Pünktchen. Es waren mehr Sommersprossen, als India je auf einem Haufen gesehen hatte. Ihre Mutter sagte immer, Sommersprossen seien etwas Schreckliches – zumindest bei Mädchen. So wie India ihre Mum kannte, hätte sie sich wahrscheinlich alle braunen Flecke beim ersten Anzeichen aus dem Gesicht wegoperieren lassen. Das tat sie ständig mit Dingen, die ihr an ihr missfielen. India besuchte sie dann häufig in einem großen Haus mit Park, und alles in Allem war es nicht schlecht, wenn ihre Mutter an sich herumdoktern ließ.
»Indy! Und du?«
»Luke.« Der Junge schniefte. »Das hier sind Tawny und Demi. Vielleicht ist es euch noch nicht aufgefallen – aber damit seid ihr Weibsbilder endgültig in der Überzahl. Verflucht! Aber ich bin trotzdem stärker.«
»Wo sind wir denn hier?«
»Gefangen.« Die Stimme von Luke sank um mindestens drei Oktaven und jagte allen Zuhörern, einschließlich ihm selbst, Angst ein.
»Und wo?«
»Bin ich Hellseher?« Luke trat heftig mit dem Fuß auf. Dann deutete er hinter sich. »Wenn du Hunger hast ...«
Auf einem kleinen Tisch standen Tüten mit unverwechselbarem Inhalt: Hamburger, Cheeseburger, Fritten ...
»Kalt, aber essbar.«
»Hat euch auch der Schwarze Mann geholt?«, fragte India ehrfürchtig in die Runde. Der Raum sah wie ein Keller aus – ein Keller ohne Fenster. Von der Decke brannte eine kalte Neonröhre.
»Der Schwarze Mann«, höhnte Luke, während Demi und das andere Mädchen stumm nickten. Sie sahen genauso verängstigt aus, wie sich India fühlte.
»Er hat meine Nanny geschlagen«, flüsterte sie scheinbar unzusammenhängend. »Und unseren Fahrer. Und dann ...«
Sie überlegte kurz, ob sie überhaupt weitererzählen sollte. Die Blicke der anderen hingen erwartungsvollen ihren Lippen. Aber dann entschloss sie sich, lieber zu weinen.