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Aus dem Krankenhaus gab es noch nichts Neues, als wir den Fuß wenig später über die Schwelle des Produktionsbüros in Lower Manhattan setzten.

»Sie wünschen?«, fragte das graue Geschöpf hinter dem modern gestylten Arbeitstisch, auf dem neben dem obligatorischen PC auch Kopierer, Faxgerät und eine dekorative Blumenpracht untergebracht waren.

Ich musste zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass das Graue-Maus-Image dieser Sekretärin auf absoluter Untertreibung beruhte. Es grenzte schon an Selbstverstümmelung, was sich die Hübsche antat, indem sie sich in solch triste Fummel packte, die Haare Oma-mäßig zusammensteckte und eine so brutal unästhetische Hornbrille trug, dass sie das perfekte Verkaufsargument für die Haftschalen-Industrie abgegeben hätte.

Milo zückte seine Dienstmarke, ich meine ID-Card.

Beides wurde eingehend in Augenschein genommen, ehe sie die Technik in ihrer Reichweite aktivierte.

»Besuch für Sie, Mister Tycon.«

Mister Tycon.

In Gedanken ging ich noch einmal die Worte des Anrufers durch, dessen Zusatzforderungen sich in mein Gehirn gebrannt hatten.

»Nehmen Sie Kontakt zu Angus Tycon auf – dem Regisseur. Er soll den Überfall auf die Morgan Bank professionell auf Zelluloid bannen. Für mich ganz privat. Sie erhalten später auf Wunsch eine Kopie und können das Ganze meinetwegen als Lehrfilm in Quantico ausschlachten!«

Wer so locker daher plauderte, hielt immer noch vier Kinder in der Hinterhand.

Selten hatte ich Mr. McKee so zerknirscht erlebt. Seine Beherrschung, als er die Entscheidung über die indiskutablen Forderungen bis zum Ablauf der 6-Stunden-Frist vertagt hatte, nötigte mir Bewunderung ab.

Ich wusste nicht, wie ich mich an seiner Stelle verhalten hätte.

Die Sicherheit der verschwundenen Kinder hatte absolute Priorität.

Aber was wir in Tagen nicht geschafft hatten, würde in den verbleibenden knappen drei Stunden erst recht nicht funktionieren. So sah es offenbar auch unser Chef, denn er hatte uns im Blitztempo zu diesem Angus Tycon geschickt, damit wir den Vogel aus der Nähe betrachteten. Wenn der Kidnapper ausgerechnet diesen Mann verlangte, gab es vielleicht eine Querverbindung, die uns doch noch entscheidend weiterhalf.

Auf der Fahrt hierher hatten Milo und ich über den Fall gesprochen. Weder er noch ich konnten uns vorstellen, dass Mr. McKee auf die Irrsinnsforderung des Unbekannten einging – und dass die Washingtoner Zentrale dies auch noch absegnete.

»Womit kann ich dienen?«, fragte der unscheinbare Mann, der uns nun jovial lächelnd begrüßte und uns dann Plätze in seiner Besucherecke anbot.

»Das hat uns Ihre außergewöhnliche Sekretärin auch schon gefragt«, antwortete ich höflich. Das Wort »außergewöhnlich« in Zusammenhang mit seiner Vorzimmerdame schien ihn zu irritieren. Aber das lag durchaus in meiner Absicht.

»Edna ... ja. Also, womit kann ich ...« Milo zog ein handliches kleines Diktiergerät aus der Jackentasche und setzte es in Gang. Sofort erklang die Stimme des anonymen Anrufers in Mr. Tycons Büro.

»Wer war das?«, fragte Angus Tycon nach Ablauf der Aufzeichnung. »Der Mann kennt mich. Aber ich ihn nicht. Ich weiß nicht, was ...«

»Sie haben diese Stimme nie zuvor gehört?«

Tycon schüttelte entschieden den Kopf. »Dieser blecherne Klang ... Ich mag mich irren, aber es hörte sich an, als hätte jemand seine Stimme absichtlich verfremdet.«

»Auf technischem Wege?«, fragte ich.

Er zuckte die Achseln. »Ich wollte mir gerade einen Drink eingießen. Möchten Sie auch?«

Wir schüttelten die Köpfe.

»Worum geht es eigentlich?«

Da wir nur eine unverfängliche Stelle der insgesamt vierteiligen Botschaft preisgegeben hatten, wusste er nicht, was unser Besuch wirklich zu bedeuten hatte. Verständlich deshalb seine Neugierde.

»Das können wir Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen«, wiegelte Milo diplomatisch ab. »Sie drehen Filme?«

Tycon nickte und nippte an seinem Scotch. »Seit ein paar Jahren in Personalunion – als Regisseur und Produzent.«

»Auf eigene Rechnung also«, warf ich ein.

Er nickte. »Aber auftragsgebunden. Für diverse Fernsehstationen. Das finanzielle Risiko hält sich dabei in Grenzen. Im Prinzip kann man, indem man die Hand über alles hält, nur gewinnen.«

»Wir kennen leider keinen Ihrer Filme«, sagte ich, »aber dann müssten Sie ja ein gemachter Mann sein.«

Er seufzte den Seufzer aller Wohlhabenden dieser Erde. »Wenn die Steuern nicht wären ...«

»Falls es Ihnen hilft, könnten wir unsere Jahresbilanz ja mal tauschen«, bot ihm Milo mit ernster Miene an.

Tycon lachte freundlich, aber ohne jede Bereitschaft, dieses Opfer anzunehmen.

»Nehmen Sie auch staatliche Aufträge an?«, fragte ich, ohne nähere Erklärung.

»Wer zahlt, bestimmt«, nickte Tycon. »Von wo das Geld fließt, ist mir letztlich egal.«

Ich nickte. Jede andere Prinzipientreue hätte mich bei ihm überrascht.

Als wir ihn verließen, waren wir so schlau wie vorher. Dafür hatte uns Angus Tycon mit einem Packen seiner »besten Filme« auf Video versorgt. Ohne spezielle Aufforderung. Offenbar wollte er uns als Fans gewinnen.

Vorerst kamen wir aber nicht dazu, in die Flimmerkiste zu schauen.

Im FBI-Gebäude an der Federal Plaza herrschte helle Aufregung, als wir dorthin zurückkehrten. Einige sonst problemlos zugängliche Teile waren hermetisch abgeriegelt und nur noch für speziell autorisierte Personen zugänglich. Zu denen wir glücklicherweise, wie wir nach Überprüfung erfuhren, auch gehörten. Wir konnten Mr. McKee jedoch nur telefonisch über unseren nicht sehr zufriedenstellenden Besuch bei Angus Tycon informieren. Danach herrschte erst einmal Funkstille. Mark Johnson, der FBI-Direktor, war mit dem Hubschrauber aus Washington angereist, um in einer Geheimsitzung mit unserem Chef darüber zu beraten, wie man dem in Kürze ablaufenden Ultimatum des Entführers begegnen sollte.

Schon diese Vorgehensweise war spektakulär.

Das Ergebnis, über das wir Minuten vor Ablauf der 6-Stunden-Frist in Kenntnis gesetzt wurden, stand dem in nichts nach.