Kapitel 9
A ls wir auf der Wache ankamen, konfiszierten sie mein Handy, da es „ein Beweismittel“ sei. Ich musste meine Handfläche auf einen schwarzen Bildschirm legen, der wie ein iPad aussah. Das Gerät zeichnete angeblich Daten auf, die – wie ein Fingerabdruck – meinem magischen Abdruck entsprachen. Dann steckten sie mich in eine Zelle, die wie ein Männerpissoir roch. Igitt. Ich verzog angewidert das Gesicht. Bevor er die Tür verschloss und ging, erklärte der Wächter mir, dass alle Zellen gegen den Gebrauch von Magie gesichert seien. So ein Mist. Was passierte, wenn sich mein Gedankenschild auflöste? Ich würde sterben. Ich wusste, dass nicht jeder Gedanken lesen konnte, aber einige der Wachen oder Leute, die kamen und gingen, könnten über dieses angeborene Talent verfügen. Bedeutete das, dass sie dafür nicht wirklich Magie benutzten? Als ich die Fotos gemacht hatte, waren die Dinge einfach passiert, ohne dass ich es wirklich versucht hatte. Wenn sie die falschen Informationen aus meinem Kopf abzogen, war ich tot.
Sie hatten Millicent und mich getrennt, und ich hatte sie seit dem Park nicht mehr gesehen. Ich hoffte, dass es ihr besser ging als mir. Ich fühlte mich beschissen. Die ganze Situation war demütigend, frustrierend und schlichtweg falsch. Wenigstens war ich allein in der Zelle. Hexenverbrechen waren zurzeit offensichtlich dünn gesät.
Nach ungefähr einer Stunde tauchte eine junge Frau auf und brachte mich in einen Verhörraum. Ich verstand es einfach nicht. Wieso war ich verhaftet worden? Und selbst wenn man mich entlassen würde, würde das in irgendeiner Akte auftauchen? Hm, vielleicht nicht. Das hier war die PUB, und die war doch geheim, oder etwa nicht?
„Ich finde es toll, was Sie aus diesem Ort gemacht haben“, sagte ich, als ich mich setzte. Der kalte Verhörraum bestand aus einem weißen Boden und weißen Wänden, versehen mit einem Spritzer lebendiger Farbe der grauen Plastikstühle und des Stahltischs, und hatte etwas von einem Leichenschauhaus an sich. Wie schön.
„Schön, dass er ihnen gefällt, denn Sie werden noch eine Weile hier sein.“ Ah, Mr Griesgram persönlich. Zum Glück war Angelica bei ihm. Die junge Frau, die mich hergebracht hatte, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Angelica und Griesgram setzten sich mir gegenüber an den Tisch. Ich ignorierte ihn und schenkte Angelica ein trauriges Lächeln.
Ihr Ton war freundlich, als sie sprach. „Ich muss Ihnen einige Fragen stellen. Bitte regen Sie sich nicht auf.“ Das war ja ein toller Start. „Wissen Sie, was mit Ihrem Bruder passiert ist?“
„Nein. Ich habe erst davon erfahren, als Sie bei mir aufgetaucht sind.“ Ich überlegte, ob das vielleicht eine Fangfrage war, aber dem schien nicht so. Mein Bein wippte unter dem Tisch auf und ab.
„Glauben Sie, Millicent könnte etwas mit seiner Entführung zu tun haben?“
Oh, nein. Nicht sie auch noch. Was wusste Angelica? „Das glaube ich nicht. Ich weiß natürlich nichts mit Bestimmtheit, aber Millicent liebt James. Soweit ich weiß, hatten sie noch nie größere Probleme, und sie scheint eine nette Frau zu sein.“
Griesgram lehnte sich vor. „Ich spüre da ein ‚Aber'.“
Ich ließ meine Stimme so fröhlich und unschuldig wie möglich klingen. „Nö, kein Aber.“ Es gab keine Möglichkeit, mein Gespräch mit Snezana zu erwähnen. Das war definitiv das letzte Mal, dass ich einer Hexe etwas versprochen hatte.
„Ich glaube schon, dass es ein Aber gibt. Nein, ich weiß es sogar.“
Meine Augen weiteten sich. „Sie wissen von dem Gespräch!“
Er lehnte sich zurück, und in seinem Gesicht spiegelte sich etwas, das ich als Überraschung deutete. „Sie geben das Skype-Gespräch mit Millicent zu?“
Oh, verdammt. Ich machte ein langes Gesicht. „Welches Skype-Gespräch?“
„Welches Gespräch meinten Sie denn, Lily?“ Er verschränkte die Arme.
„Das kann ich nicht sagen.“
Angelica setzte sich aufrechter hin. „Was meinen Sie damit?“
„Mir droht der Tod, wenn ich darüber rede. Ich habe eine Abmachung mit einer Hexe getroffen – nicht mit Millicent, nebenbei bemerkt. Wenn ich etwas von dem Gespräch wiederhole oder sage, mit wem ich es geführt habe, ersticke ich. Und um ehrlich zu sein, es gibt schnellere und weniger schmerzhafte Arten, zu sterben. Ich würde eine von diesen bevorzugen. Aber jetzt noch nicht. Nur um das klarzustellen.“
Angelica und William tauschten einen besorgten Blick aus, und dann wandte sich William an mich. „Plappern Sie immer so viel wie ein Fischweib?“
„Sind Sie immer so ein voreingenommener, beleidigender Miesepeter?“ Ich hätte auch die Arme verschränkt, aber ich hatte Handschellen an, also starrte ich ihn stattdessen nur an. Glauben Sie nicht, dass ich nicht in Erwägung gezogen hätte, ihn unter dem Tisch zu treten. Aber auch dafür wollte ich nicht verhaftet werden, obwohl es gut gewesen wäre, für etwas verhaftet zu werden, das ich tatsächlich getan hatte.
Angelica schritt ein, denn das Ganze artete eindeutig in Kindergartenverhalten aus. „Lily, kennen Sie diesen Chat?“ Sie schob mein Handy über den Tisch. Auf dem Bildschirm war die Skype-App geöffnet, in der ein Chatverlauf mit Millicent zu sehen war. Laut Zeitstempel stammte er vom Tag nach James' Verschwinden.
MILLICENT: Hey, Lily. Ich habe etwas Schreckliches getan. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.
LILY: Wat hast du getan?
MILLICENT: Dreh jetzt bitte nicht durch, aber ich habe James verletzt. Vielleicht habe ich ihn sogar getötet. Ich bin mir nicht sicher.
LILY: WAT???
MILLICENT: Ich kann dir nicht mehr sagen, aber du musst mir glauben, dass ich ihm nicht wehtun wohlte. Er ist weggelaufen, und jetzt kann ich ihn nicht finden. Er ist ferschwunden.
LILY: Du blöde Kuh! Du solltest ihn besser finden und er sollte besser noch am Leben sein. Ruf mich nicht mehr an, bis er gefunden wurde.
Ich blinzelte. Ich hatte diese Unterhaltung nie mit Millicent geführt. Was zum Teufel bedeutete überhaupt „dusselig“? Und wer schrieb „was“ und „wollen“ so falsch, ganz zu schweigen von „ferschwunden“? Irgendetwas an dem Stil kam mir bekannt vor, aber mein Gedächtnis war wie immer nicht sehr leistungsfähig. „Ich weiß nicht, wie das auf mein Telefon gekommen ist, aber dieser Chat hat nie stattgefunden.“
„Und wie ist er dann dorthin gekommen?“ Ich glaubte nicht, dass William wirklich eine Antwort haben wollte. Er hatte mich bereits verurteilt.
„Das weiß ich nicht. Ist es möglich, dass er dorthin gezaubert wurde? Vielleicht wurde er aber auch von jemandem mit verrückten technischen Fähigkeiten und Zugang zu einem von Millicents Geräten geschickt? Warum haben Sie es eigentlich auf mich abgesehen? Was zum Teufel habe ich Ihnen getan?“
Er lief rot an. „Ich habe es nicht auf Sie abgesehen. Ich möchte der Sache auf den Grund gehen. James war ... ist einer meiner besten Freunde. Das ist etwas Persönliches.“
„Ich glaube nicht, dass es noch persönlicher sein kann, als es für mich oder Millicent ist, Kumpel. Wenigstens haben wir etwas Konstruktives getan, als Sie auftauchten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass jemand darauf aus ist, mich zu sabotieren. Vielleicht jemand, der einen Rachefeldzug gegen Millicent führt.“ Und da waren meine inneren Gedanken. Sie fühlten sich wie die richtige Antwort an. „Ist dusselig ein typisch britisches Wort?“
„Ja, auch wenn es heute nicht mehr so geläufig ist“, sagte Angelica.
„Nun, ich bin Australierin, und wir benutzen diesen Ausdruck nicht. Ich habe ihn noch nie in meinem Leben gehört. Schließen Sie mich an einen Lügendetektor an, wenn Sie mir nicht glauben.“
Agent Griesgram lächelte selbstgefällig. „Nehmen Sie Ihre Hirnschranke ab und lassen Sie uns darin herumwühlen, dann bin ich zufrieden.“
„Das kann ich nicht. Dann werde ich sterben.“
„Vermutlich bloß eine Ausrede.“
Angelica wandte sich an Agent Griesgram „Sie sagt die Wahrheit. Sie kann sich das nicht alles ausgedacht haben. Sie kennt unsere Methoden nicht.“
„Vielleicht spielt sie mit dir, Angelica. Vielleicht hat Millicent sie in den letzten paar Monaten ausgebildet. Woher sollen wir das wissen?“
Angelica sah ihn unverwandt an. „Du willst also sagen, dass Millicent das monatelang geplant und Lily in der Zwischenzeit ausgebildet hat, nur für den Fall, dass Millicent später in einem aufgezeichneten Gespräch auf die Idee kommt, alles zu gestehen? Ein bisschen weit hergeholt, findest du nicht?“
Das war wie in einem Film, in dem es für die Hauptfigur rasant bergab ging und man wusste, dass sie durch die Hölle gehen würde, bevor sie ihr Happy End erlebt. Ich schaltete dann immer weg und sah erst später wieder zu. Das war etwas, mit dem ich nicht gut umgehen konnte, und jetzt lebte ich den Alptraum. „Sie sind angeblich der beste Freund meines Bruders. Wie wirkten die beiden als Paar auf Sie?“
Er schien fast neidisch zu sein, als er antwortete. „Die beiden sind total verliebt und würden alles füreinander tun. Aber Menschen haben Geheimnisse. Jeder hat Geheimnisse. Was hinter verschlossenen Türen vor sich geht, ist nicht immer das, was man denkt.“
„Ich wette, dass es bei den beiden so ist. James hätte es mir gesagt, wenn sie Probleme gehabt hätten. Er klang jedes Mal glücklich, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Außer ...“ Und in dem Moment wusste ich es. Ich wusste, wer das getan hatte. Ich hätte es früher merken müssen, denn James hatte mir von seiner Assistentin erzählt, jedoch ohne ihren Namen zu erwähnen.
Und das war schon länger her, vor etwa zwei Monaten. Wie konnte ich das nur vergessen? Ach ja, mein mieses Gedächtnis. Und jetzt stand mein Wort gegen ihres, und wir hatten keine Anhaltspunkte. Nicht einen. Ich musste mich an das erinnern, was sie gesagt hatte, Wort für Wort mit diesem Spruch. Ich musste herausfinden, ob es irgendeinen Spielraum gab. Sonst konnte ich ihnen nicht sagen, dass Snezana diesen Satz benutzt hatte: Dreh jetzt bitte nicht durch. Ich schloss die Augen und dachte nach. Wir waren in der Cafeteria, und sie hatte meine Hände gehalten ... Das war's! Bla bla bla, ich werde keinen Teil dieses Gesprächs einer lebenden Seele gegenüber wiederholen. Ich stöhnte und öffnete die Augen. „Ich kann Ihnen nicht alles sagen.“
William schüttelte den Kopf. „Das entspricht ungefähr dem, was ich von Ihnen erwartet habe.“
Ich öffnete entrüstet meinen Mund. Wenn er so weitermachte, war ich bald wegen Mordes dran. „Nun, Sie können sich Ihre Erwartungen ...“ Angelica hob die Hand, um mich zu stoppen. Gut. Ich holte tief Luft. „Ich kann Ihnen sagen, was James mir vor etwa zwei Monaten erzählt hat. Er hatte ihren Namen nicht genannt, aber er war von seiner Assistentin genervt. Er sagte, sie flirte ständig mit ihm, und er habe angefangen, außerhalb des Büros zu arbeiten, um ihr aus dem Weg zu gehen.“
William zuckte mit den Schultern. „Das hat er auch ein paar Mal zu mir gesagt, aber wir haben darüber gelacht. Es schien alles harmlos. Wollen Sie damit andeuten, dass Snezana versucht, Millicent etwas anzuhängen, um sie aus dem Weg zu räumen?“ Bingo! Der Mann ist ein Genie.
Sie hatte sie eine Schlampe genannt, aber das durfte ich auch nicht sagen. Dieser verdammte Erstickungsfluch.
Angelica schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, das zu sagen, aber das ist nicht genug, um jemanden zu verurteilen. Und um ehrlich zu sein, es zieht unerwünschte Aufmerksamkeit auf die Behörde. So einen Skandal können wir nicht gebrauchen.“
„Wieso ist das ein Skandal? Es ist ja nicht so, dass er sie belästigt hat.“
Angelicas Stimme klang zumindest freundlich. „Es tut mir leid, Lily, aber das ist Hörensagen; James ist nicht hier, um es zu bestätigen. Es gibt keinen Beweis, dass es überhaupt passiert ist, geschweige denn, dass sie irgendwelche Beweise platziert hat.“
„Nun, dann findet welche. Das hätten wir vielleicht getan, wenn wir heute Morgen nicht verhaftet worden wären. Und wer hat die Verhaftung angeordnet? Sagen Sie mir nicht, dass Sie dieses Skype-Gespräch in letzter Minute entdeckt haben. Wissen Sie was? Ich habe keine Ahnung, ob sie uns ausspioniert hat, aber ich möchte, dass mein Handy auf einen Peilsender oder ein Spionagegerät untersucht wird, ob sie nun dahin gehext wurden oder auf anderem Weg dorthin gekommen sind.“ Ich wusste nicht, ob es so etwas überhaupt gab, aber was soll's. Ich hatte nichts zu verlieren. „Wie konnten Sie sonst an diesem Morgen genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein? Wer hat Sie geschickt, um uns zu holen?“
Angelica sah William streng an. „Ich habe mich auch schon gewundert, wie schnell ihr heute Morgen aufgetaucht seid. Wer hat den Befehl gegeben, uns zu beschatten?“ Sie reckte das Kinn und starrte ihn mit erhobener Nase an.
„Michael von der Zentrale rief gestern Abend gegen zweiundzwanzig Uhr an. Er sagte, es seien neue Beweise eingegangen und wir sollten Lily im Auge behalten. Als ihr heute Morgen hinten rausgehuscht seid, saßen wir auf der Straße. Michael rief noch einmal durch und warnte uns vor.“
Ich schob mein Handy zurück über den Tisch zu Angelica. „Können Sie das überprüfen?“
„Es wäre mir ein Vergnügen, Lily. Es tut mir leid, aber Sie müssen zurück in Ihre Zelle, bis wir dieses Chaos geklärt haben.“
Und der ewig optimistische William meinte: „Falls wir es klären.“
Mir drehte sich der Magen um. Die Person, die Millicent aus dem Weg räumen wollte, hatte bei dieser Untersuchung eine Machtposition inne, und wer wusste, wen sie noch in der Tasche hatte. Und bei all dem, wo war James? Lebte er überhaupt noch? Wir waren der Ergreifung des Entführers nicht näher gekommen. Oder etwa doch? Warum sollte Snezana Millicent eine Falle stellen, wenn sie dadurch die Ermittlungen davon ablenkte, den Mann zu finden, den sie haben wollte? Es sei denn, sie wusste, wo mein Bruder war. Oh, verdammt.
„Was passiert, wenn Sie die Sache nicht aufklären können? Werde ich dann für immer hier drinnen bleiben?“
William stand auf und richtete seine schwarze Krawatte. „Nicht für immer, aber wenn es zum Prozess kommt und Sie verurteilt werden, könnten Sie zehn bis zwanzig Jahre bekommen.“
Mir fiel die Kinnlade runter. Zehn bis zwanzig Jahre für nichts? In meinem Kopf drehte sich alles und ich legte ihn auf die gefesselten Hände auf dem Tisch. Das konnte doch nicht wahr sein. Es musste eine Möglichkeit geben, das zu verhindern. Ich musste nachdenken, und Gott wusste, dass ich jetzt viel Zeit dafür hatte.
Angelica klopfte mir auf den Rücken. „Verlieren Sie nicht die Hoffnung, Lily. Wir werden Ihr Handy überprüfen lassen und sehen, was wir herausfinden. Wenn eine Hexe ihre Kraft auf etwas anwendet, hinterlässt sie eine Signatur, wie einen Fingerabdruck, aber sie verblasst nach ein paar Tagen.“
Ich setzte mich auf. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass derjenige, der das getan hat, es gestern Nachmittag eingerichtet hat und es so aussehen ließ, als ob die Nachrichten letzte Woche gesendet worden wären. Überprüfen Sie auch Millicents Geräte auf Manipulationen.“
„Wie können Sie das wissen?“ William stand hinter seinem Stuhl und hielt die Lehne umgriffen.
Könnte ich erwähnen, dass sie nach meinem Telefon gefragt oder es angefasst hatte? Ja, das könnte ich! Das hatte sie getan, bevor sie mich durch das Versprechen geknebelt hatte. Ich lächelte, und Funken der Befriedigung sprühten in mir auf. „Weil in der ganzen Zeit, in der ich hier bin, außer mir nur eine Person mein Telefon angefasst hat, und das war zufällig gestern, so gegen halb zwei oder zwei.“
Angelicas Augen leuchteten. Ich fragte mich, ob sie einen Verdacht hatte. „Snezana, James' Assistentin, die Frau, über die er sich wohl vor ein paar Monaten beschwert hat.“ Mein Lächeln strotzte nur so vor Zufriedenheit. Nimm das, du verrückte Hexe.
Angelica lächelte. „Wir haben einen langen Weg vor uns, um das zu klären, aber danke, Lily. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald wir ein paar Antworten haben.“
„Danke. Oh, und da ich meinen Gedankentarnungszauber nicht wiederholen kann, könnten Sie mir versprechen, meine Gedanken nicht zu lesen. Ich will wirklich nicht sterben. Gibt es eine Möglichkeit, andere davon abzuhalten, meine Gedanken zu lesen?“
„Ich kann nachfragen, aber es gibt keine Garantien. Ich werde ihn jetzt für Sie erneuern. Hoffentlich reicht das bis morgen früh. Wir können uns dann etwas anderes überlegen, falls Sie dann noch hier drin sind.“
„Okay.“ Das war besser als nichts. Sie stellte den Schutz wieder her, bevor die beiden den Raum verließen. Dieselbe Frau von vorher kam herein, um mich zurück in meine Zelle zu bringen.
Ich legte mich aufs Bett und schloss die Augen: Ich brauchte nicht den zwei mal zwei Meter großen Raum mit einer offenen Toilette zu sehen, um daran erinnert zu werden, wo ich war. Dieser Ort hatte eine Videoüberwachung. Großartig. Sie konnten sehen, wie ich auf die Toilette ging. Wie lange konnte ich durchhalten, bis ich mich einnässte? Das war ein Alptraum. Es konnte nicht mehr schlimmer werden.
War Snezana irgendwo in diesem Gebäude und beobachtete Millicent und mich in unseren Zellen und lachte? Sie würde ziemlich sauer sein, wenn sie herausfand, dass ich mit dem Finger auf sie gezeigt hatte. Ich hoffte nur, dass sie Beweise dafür finden würden, dass sie mein Telefon manipuliert hat, bevor sie herausfand, wie sie mir das Leben noch schwerer machen konnte. Sie würde wahrscheinlich eine Ausrede haben, warum sie sich an der Elektronik zu schaffen gemacht hatte, aber zumindest würde sie sich Angelica zur Feindin machen. Ich stellte mir vor, dass es Angelica bestimmt nicht gefiel, ausspioniert zu werden. Und es würde diesem dämlichen Polizisten zeigen, dass er sich in mir getäuscht hatte. Ich würde es genießen, ihm das unter seine selbstgefällige Nase zu reiben.
Es war frustrierend, nicht zu wissen, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag, aber es musste noch irgendetwas im Park zu finden sein. Denn vorausgesetzt, dass Snezana mich von diesem Ort fernhalten wollte, was mir zu diesem Zeitpunkt offensichtlich erschien, musste es Beweise geben, die zu ihr führen konnten. Im schlimmsten Fall würde nichts gefunden werden, was die Nachrichten auf meinem Telefon mit Snezana in Verbindung bringt, und mein ohnehin schon zweifelhafter Ruf wäre nicht mehr zu retten. Ich könnte mich genauso gut daran gewöhnen, in der Öffentlichkeit zu pinkeln. Und die arme Tracy. Sie mochte eine furchtbare Braut gewesen sein, aber sie hatte ihren Vater verloren, und nun war ich nicht in der Lage, ihr in nächster Zeit die Fotos zukommen zu lassen.
Das lag alles daran, dass diese dämliche PUB ein mieses Mitarbeiter-Screening-Verfahren hatte. Wie konnte dort ein psychopathischer Buchstabenverdreher angestellt werden? Wer schrieb „wat“ statt „was“? Offensichtlich jemand, der unangemessene Gefühle für seinen Chef entwickelt, ihn entführt und dann seine Frau und seine Schwester reingelegt hatte.
Es war vielleicht eine Stunde vergangen, als ich beschloss, mir keine Sorgen mehr zu machen, sondern stattdessen auf Neuigkeiten zu warten und ein Nickerchen zu machen. Die Dinge sahen immer besser aus, wenn man aufwachte – es sei denn, man hatte gerade einen Albtraum gehabt. Seufz. Erspar uns das, Lily. Ich brauchte eine Auszeit, und Schlaf war der einzige Weg, wie ich sie bekommen konnte.
Also dachte ich an den letzten Sommerurlaub, den ich mit James und meinen Eltern verbracht hatte. Wir waren die Küste zum Crescent Head hinaufgefahren – einem fantastischen Ort für Surfer mit Hütten, die den Blick auf die Wellen freigaben. Wir hatten den ganzen Tag mit Surfen und Schwimmen verbracht, und abends hatten wir mit anderen Familien gegrillt.
Als ich einschlief, hätte ich schwören können, das Lachen meiner Mutter hören und die salzige Gischt riechen zu können. Wenn ich diese Erinnerungen oft genug wiederholte, würden sie für immer in meinem Herzen bleiben. Und egal, wie lange man mich hier einsperrte, niemand konnte sie mir jemals wegnehmen.