Kapitel 48
BROOKLYN
»Er will dir also all deine Wünsche erfüllen?«, fragt Reagan und hebt die Hand, damit uns Nate die nächste Runde bringt.
»So ungefähr«, murmle ich.
»Und du hast Nein gesagt?«, fragt Savannah.
»Ich habe ihm gesagt, dass ich darüber nachdenken muss.«
»Ich fasse nicht, dass sie das Hotel schließen.« Juno nimmt einen Schluck von ihrem Bier. Wahrscheinlich freut sie sich, dass Wyatt doch nicht mein Prinz ist.
»Da sagst du was. Das Hotel in Sunrise Bay wird was ganz Schniekes mit Spa. Da passe ich überhaupt nicht rein.«
Ich lege die Hand auf Reagans. »Du würdest super reinpassen.«
»Danke. Aber wir werden sehen. Und jetzt zurück zu dir … Ich glaube, Wyatt will einfach, dass du alles bekommst. Ihr zwei steht euch inzwischen sehr nahe.« Reagan verteilt die Schnapsgläser.
»Wir sind doch gerade mal seit ungefähr einer Minute zusammen.«
Savannah hebt die Augenbrauen und sieht dann Juno an. »Ihr seid seit Monaten zusammen.«
»Nein, sind wir nicht.« Ich leere meinen Kurzen. »Ich musste die letzten Monate über Jeff hinwegkommen.«
»Ihr wart so gut wie zusammen. Nur ohne Sex. Aber ihr habt euch
schon die ganze Zeit benommen, als wärt ihr in einer Beziehung. Gemeinsam essen, Filmabende, dass er dir mit deinem Business geholfen hat. Nicht viele Männer würden mit dir in den Garten gehen, um Kräuter zu pflanzen und zu pflücken.« Juno überrascht mich. In letzter Zeit war sie eher die Kapitänin des Ich-hasse-Wyatt
-Teams.
»Du kannst dich auch nicht entscheiden, was Wyatt und mich angeht.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Ich wusste, dieser Tag würde kommen. Er ist egoistisch. Nimmt sich, was er will und verlässt die Stadt, ohne zurückzublicken. Aber eins muss man ihm lassen. Er will es dir recht machen. Ich kann ihn also nicht allzu sehr hassen.«
Mein Kopf landet auf dem Tisch. »Was mache ich denn jetzt?«, murmle ich.
»Geh«, erwidert Reagan, und ich sehe sie an.
Sie meint es ernst. Obwohl sie direkt von Mr Whitmores Entscheidung betroffen ist. Und sie sagt mir, dass ich meinen Traum leben soll? Ich greife zu ihr hinüber und drücke ihre Hand. Sie ist eine tolle Freundin. Und genau aus diesem Grund werde ich nicht einfach gehen.
»Savannah, könnte Bailey Timber nicht helfen …« Sie weiß, was ich damit sagen will. Sie sieht Reagan an und dann wieder mich.
»Ich weiß nicht. Ich werde mit Dori darüber sprechen müssen. Aber ich glaube nicht.«
Ich nicke.
»Darf ich dich was fragen?«, fährt Juno dazwischen. »Liebst du ihn?«
Liebe ich ihn?
»Ähm …«
»Ja, tut sie«, bestätigt Reagan. »Mehr als Jeff.«
Ich sehe meine Freundin an. So leicht bin ich also zu durchschauen, denn ich habe schon lange Gefühle für Wyatt. Es hat zwischen uns
einfach Klick gemacht. Wenn ich darüber nachdenke, was mich glücklich macht, kommt er mir sofort in den Sinn.
Savannah und Juno sehen mich an.
Nickend greife ich nach Savannahs Schnaps und leere ihn in einem Zug. Diesmal breche ich mir selbst das Herz.
Ich gehe am See entlang nach Hause – sehr zum Missfallen meiner Schwester. Aber ich muss nachdenken. Wie ich Wyatt einschätze, wartet er bereits auf mich.
Unsere gemeinsame Zeit geht mir durch den Kopf. Ab dem Augenblick, als ich ihm das Buch an den Kopf geworfen habe, bis zu dem Moment, als wir zusammen am See saßen, über das Leben geredet haben und er mir erzählt hat, wie es für ihn war, in seiner Familie aufzuwachsen.
Ist Wyatt Grund genug, um nach New York zu ziehen? Natürlich. Als er mich gefragt hat, wurde mir ganz warm ums Herz. Aber der Gedanke, meine Familie verlassen zu müssen, nimmt mir jegliche Freude. Nicht da zu sein, wenn Austin und Holly oder meine anderen Geschwister Kinder bekommen? Die Tante zu sein, die nur ab und zu zu Besuch kommt, statt all ihre Spiele, Auftritte, Geburtstage und Ferien mitzuerleben? Der Tod meiner Eltern hat mir gezeigt, dass Zeit nicht garantiert ist. Man weiß nie, ob man den nächsten Tag oder gar das nächste Jahr erleben wird. Egal, wie stark meine Gefühle für Wyatt auch sind – ich weiß nicht, ob es genug ist, um für ihn meine Familie zu verlassen. Ich weiß nicht, ob jemals jemand genug sein wird, damit ich für ihn meine Familie verlasse.
Ich setze mich ans Seeufer, sammle ein paar Kieselsteine auf und werfe sie ins Wasser. In meinem Kopf herrscht Chaos.
»Hey«, sagt Wyatt hinter mir. »Ich wollte dich nicht erschrecken,
aber Juno hat mir geschrieben, dass du zu Fuß nach Hause gehst.« Er setzt sich neben mich und Gizmo platziert sich zwischen seinen Beinen.
Tränen brennen mir in den Augen. »Ich wollte nur nachdenken.« Ich streichle Gizmos Kopf.
»Über mein Angebot?«
Ich schüttle den Kopf und richte mich gerader auf. »Klingt wie ein geschäftlicher Deal.«
»Willst du deshalb nicht mit mir nach New York kommen?«
Ich drehe den Kopf und lege die Wange auf meinen Unterarm. »Ich würde gern mit deinem Dad darüber sprechen, das Hotel nicht zu schließen.«
Er lacht leise, bis er merkt, dass ich es ernst meine. »Nichts und niemand wird seine Meinung ändern. Ich habe es versucht. Glaub mir. Ich glaube, es war die ganze Zeit sein Plan, Glacier Point zu schließen. Damit er sich voll und ganz um sein neues Baby in Sunrise Bay kümmern kann. Ich weiß, es ist scheiße. Aber so ist nun mal das Business.«
»Ich hasse es, dass du so was sagst. Es geht nicht nur ums Business, Wyatt. Es geht um Menschen. Menschen, die ich schon mein ganzes Leben lang kenne. Menschen, die ihre ganze Berufslaufbahn in diesem Hotel verbracht haben. Was wird Molly dann machen? Oder Reagan? Oder Mac? Wie kannst du jeden Tag mit diesen Menschen arbeiten und dich nicht um ihre Zukunft sorgen?«
Er dreht den Kopf weg und starrt hinaus auf den See. »Ich werde mich dafür einsetzen, dass sie alle in dem neuen Hotel einen Job bekommen. Aber mehr kann ich nicht machen. Ist es scheiße? Ja. Aber das hier ist unsere Chance. Und ich wünsche mir so sehr, dass du mitkommst.«
»Ich glaube nicht, dass ich das kann«, flüstere ich.
»Darf ich dich was fragen? Würdest du mitkommen, wenn das Hotel geöffnet bliebe? Bin ich genug?«
Eine Träne rollt über meine Wange. »Darum geht es nicht, Wyatt. Ja, ich habe Gefühle für dich. Starke Gefühle sogar. Stärker, als ich sie jemals für Jeff, den Mann, den ich heiraten wollte, empfunden habe, auch wenn das jetzt vielleicht gemein klingt. Allein beim Gedanken, dass wir uns trennen müssen, bricht mir das Herz. Aber wenn ich nach New York gehe, gebe ich meine Familie auf.«
»Wir könnten jederzeit herkommen. Es wird funktionieren«, versichert er mir.
Ich lächle ihn an. »Aber es gäbe keine spontanen Grillabende mehr. Grandma Dori wird immer älter. Ich weiß nicht, wie viele Jahre ihr noch bleiben. Und ich würde die sonntäglichen Dinner vermissen.«
»Dafür bekommst du Sonntagmorgen mit mir und Nächte voller schmutzigem Sex.« Er hebt die Augenbrauen.
Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen.
»Aber es ist nicht genug, was?«
Ich schnaube. »Darum geht es nicht. Ich will mich nicht zwischen dir und meiner Familie entscheiden. Wie lange kennen wir uns jetzt? Fünf Monate? Was, wenn du in New York feststellst, dass du mich nicht willst? Ich weiß es zu schätzen, dass du mein Retter in der Not sein willst, aber ich muss nicht gerettet werden. Du hast dein Wissen mit mir geteilt und mir dabei geholfen, Fuß zu fassen. Du hast mir das Beste überhaupt gegeben. Du hast mir mein Selbstvertrauen zurückgegeben. Das werde ich dir niemals zurückzahlen können.«
»Ist das deine nette Art, mir einen Korb zu geben?«
Eine Weile lasse ich meinen Blick über den See schweifen, bevor ich unserer Beziehung den Todesstoß versetze. »Ich kann nicht mit dir nach New York gehen.«
»Und ich kann nicht bleiben«, erwidert er und klingt zerrissen.
Am liebsten würde ich fragen, warum. Warum bin ich diejenige, die alles zurücklassen soll? Ich könnte den Spieß umdrehen und ihn fragen, ob ich denn nicht genug für ihn bin, um zu bleiben. Aber ich will nicht,
dass er jemals das Gefühl bekommt, meinetwegen geblieben zu sein. In New York warten so viele Chancen auf ihn, selbst wenn er seinen Dad nicht mag.
»Dann heißt das wohl, dass wir getrennte Wege gehen werden.« Mein Kopf sinkt auf die Brust, und ich muss gegen die Tränen ankämpfen.
Er steht auf, nimmt Gizmo hoch und klemmt ihn sich unter den Arm. »Komm, ich bringe dich nach Hause. Vielleicht sieht die Welt morgen früh wieder besser aus. Vielleicht tut sich eine Alternative auf, die wir jetzt noch nicht kennen.«
Er legt den Arm um meine Schultern. Schweigend gehen wir nach Hause. Wir wissen beide, dass morgen nichts anders sein wird. Im Gegenteil. Im Tageslicht wird es noch klarer werden, dass wir nicht zusammenbleiben können.