Inga schlug es vor, und Sophie sagte spontan zu: Sie wollten gemeinsam essen. Es war nicht geplant gewesen, erschien genauso zufällig wie ihr bisheriges Zusammensein an diesem Feiertag mit seiner perfekten, harmonischen Stimmung. Ein Tag, der sich so leicht anfühlte wie die weißen Blüten des Apfelbaums, die der Wind in den Hof wirbelte. Eine Illusion von Schneeflocken, genau wie die gemeinsame Idylle eine Illusion war, aber das schien gerade niemanden zu stören.
Sie trugen zusammen, was die Kühlschränke hergaben, und saßen eine Stunde später vor zwei Blechen mit Pizza und einer Schüssel mit buntem Salat. Nur Mara und Jella fehlten noch.
Thies saß mit Blick in die Richtung, aus der sie kommen mussten. Er wirkte aufgekratzt. Seine Bewegungen hatten sich verändert, er schien zehn Zentimeter größer und zehn Jahre jünger zu sein. Er war glücklich. Sophie entdeckte den Thies aus früheren Zeiten wieder. Sie liebte ihn.
Gleichzeitig wusste sie, dass nicht sie es war, die diese Verwandlung bewirkt hatte.
Mara war einige Jahre älter als sie. Sie war die Freundin, die Sophie dringend gebraucht hatte: aufmerksam, warmherzig, lebenserfahren. Da war der Moment vor Aarons Zimmer gewesen, als Mara sie festgehalten hatte. Sophie hatte sich geborgen und verstanden gefühlt. Doch jetzt versuchte Sophie, Mara mit Thies’ Augen zu sehen. Wie sie Tischtennis gespielt hatte, mit eleganten, fließenden Bewegungen. Ihr langes Haar wehte umher, sie musste es immer wieder aus der Stirn streifen. Bis auf ein paar sympathische Lachfältchen war ihr Gesicht glatt, ihre Arme kräftig, aber trotzdem schlank, ihre Beine endeten in schmalen Fesseln, langgliedrigen Füßen und Zehen mit malvenfarbenem Nagellack. Mara war attraktiv. Und sie wusste es. Eine Frau, die selbst barfuß oder in Wanderstiefeln ging wie auf hohen Absätzen.
Dass sie heute zusammen am Tisch saßen, das hatten sie ihr zu verdanken. Aber die Harmonie war fragil, und das feine Gleichgewicht konnte durch kleinste Erschütterungen zerstört werden.
»Da sind sie, na endlich!«, rief Inga.
Jella ging leicht gebeugt, die Augen auf den Boden gerichtet, und Mara hatte den Arm um ihre Schultern gelegt. Als sie näher kamen, sah Sophie, dass das Mädchen geweint hatte.
»Was ist los?« Inga stand mit alarmiertem Blick auf.
»Sie ist umgeknickt«, sagte Mara. »Aber es ist nicht schlimm. Wir haben den Fuß im Fluss gekühlt.«
Sophie konnte nichts Ungewöhnliches an Jellas Bein entdecken. Sie humpelte nicht einmal.
Inga betastete die Stelle eingehend. »Tut das weh?«
Jella schüttelte den Kopf und rieb sich die letzten Tränen aus den Augen.
»Scheint noch mal gut gegangen zu sein. Na, dann setzt euch.« Inga verteilte Salat, schnitt Stücke von der Pizza für die beiden ab. Jella stocherte unter den aufmerksamen Blicken ihrer Mutter in ihrem Essen herum. Mara streichelte über Jellas Rücken. Sie und das Mädchen wirkten wie eingesponnen in einen gemeinsamen unsichtbaren Kokon. Wie zwei Menschen, die ein Geheimnis teilten.