Der wochenlange Regen hatte die Nährstoffe aus dem Boden gewaschen, und statt Salaten, Petersilie und Zucchini eroberten wilde Kräuter die Gemüsebeete.
Thies trieb den Spaten in den Grund, hob Erde aus, immer im Zickzackmuster. Schweiß sammelte sich zwischen seinen Schulterblättern, aber die anstrengende, monotone Arbeit half ihm, die Anspannung im Zaum zu halten.
Sophie tauchte in der Ferne auf, sie kam vom Fluss zurück. Thies sah schon an ihrer Körperhaltung, dass sie nichts erreicht hatte. Sie lief zu langsam, hatte ihre Schultern hochgezogen, die Hände in den Taschen. Sie schien in Gedanken versunken. Er rief sie nicht, und so entdeckte sie ihn erst, als sie den Schuppen passiert hatte. Sie schüttelte nur den Kopf, ging dann an ihm vorbei ins Haus.
Thies hatte nicht wirklich geglaubt, dass Edith ihnen helfen konnte. Sie war eine verbitterte Frau, die so sehr damit beschäftigt war, sich selbst zu bemitleiden, dass sie kaum etwas um sich herum wahrnahm. Und falls doch, es aus Bosheit verschwieg. So sah er das.
Trotzdem hatten sie es versuchen müssen.
Er trieb den Spaten wieder in den Boden, trat mit seinem Stiefel auf die Kante. Modriger Geruch stieg aus der feuchten Erde auf. Zwischen den Schollen reckten Regenwürmer orientierungslos ihre Köpfchen ins Licht, krümmten sich auf der Suche nach Schutz. Thies achtete darauf, keines der filigranen Tierchen zu verletzen.
Inga kam ins Freie und entdeckte ihn. »Du Held! Ich bringe dir Dünger vom Kompost. Ich habe auch Kaffeesatz gesammelt.«
Sie holte die Schubkarre aus dem Schuppen und verschwand hinter dem Haus. Gleichzeitig bog Bodo mit seinem Wagen um die Ecke. Er parkte und kam auf Thies zu.
»Was machst du denn hier, mitten am Tag?«, fragte Thies.
Bodo zögerte. »Ich war in der Nähe unterwegs.«
Thies stützte sich auf den Spaten, forschte in Bodos Gesicht. Irgendetwas kam jetzt, das spürte er.
Aber zunächst kam nur Inga, sie rumpelte mit der Schubkarre, gefüllt mit Kompost, über die Pflastersteine, stellte sie neben dem Beet ab. Auch sie blickte Bodo überrascht an. »Wolltest du was essen? Ich hatte so früh nicht mit dir gerechnet.«
»Es gibt keine Mara Seland. Die Kollegen haben das überprüft.«
Thies sah einem Wurm zu, der die Steilkante eines Erdbrockens erklomm und kurz vor dem Ziel abrutschte. Er selbst suchte Halt am Griff des Spatens. Er wollte nicht, dass ihn jemand ansah oder ihn etwas fragte.
»Na ja. Sie lebt in Christiania«, meinte Inga, »da sind bestimmt so einige Leute nicht behördlich gemeldet.«
Thies’ Gedanken überschlugen sich. Er hatte sich in eine Frau verliebt, die unter einem falschen Namen unterwegs war. Er hatte Halt bei ihr gefunden. Bei einer Frau, die ihn, die sie alle offensichtlich täuschte. Bodo hatte das nicht erfunden.
Oder?
War es nicht erstaunlich, dass er andauernd mit neuen Enthüllungen über Mara auftauchte? Warum beschäftigte er sich ständig mit ihr?
Weil Bodo etwas gegen sie hatte. Weil er sie als Gefahr für den Frieden hier betrachtete.
Bodo war seit bald fünfundzwanzig Jahren sein engster Freund. Er war der geradlinigste Mensch, den Thies kannte. Sie hatten zusammengewohnt. Sich gegenseitig die Brötchen bezahlt, wenn einer pleite war. Hatten an Bahnschienen gekettet nebeneinander gekauert, bis die Bullen mit den Wasserwerfern abgezogen waren. Bei dem Gedanken, ihm nicht mehr vertrauen zu können, spürte Thies einen schmerzhaften Druck auf der Brust.
»Thies. Ist alles in Ordnung?« Inga fasste ihn am Arm. »Thies?« Er hörte ihre Stimme wie aus der Ferne. »Komm mit rein. Ich mach uns einen Kaffee.«
Wenig später saßen sie alle vier um den großen Tisch in Ingas Küche. Sophie war sehr still, seit sie die Neuigkeit gehört hatte. Wer war Mara? Eine Betrügerin?
Wo war sie jetzt? Thies dachte an den Moment im Garten an der Laube. Als er gegangen war. Voller Enttäuschung und Wut.
»Eine Weile habe ich wirklich gehofft, dass sie bei uns bleibt«, sagte Inga. »Sie hat uns so gutgetan. Uns allen.« Sie unterbrach sich, als die Haustür ging. Jella steckte den Kopf in die Küche.
»Hallo Schatz.«
»Erdkunde ist ausgefallen.« Sie grüßte nicht und verschwand ohne ein Lächeln.
Inga lächelte entschuldigend und seufzte. »Ist gerade nicht so einfach mit ihr.«
Niemand entgegnete etwas.
»Ich verstehe nicht, was los ist.« Inga verzog verärgert das Gesicht. »Was hat Mara für ein Problem? Warum ist sie auf einmal nicht mehr hergekommen? Was haben wir ihr getan?«
»Vielleicht hat sie es nicht ausgehalten. Das ganze Verheimlichen.« Es war das Erste, was Sophie sagte, seit sie hereingekommen war.
»Im Ernst?« Bodos Stimme war ruhig, doch darunter lag ein gefährlicher Ton. »Sie selbst verheimlicht am meisten.«
»Trotzdem. Ich meine uns. Wie wir miteinander umgehen.«
»Hör bloß auf. Ich muss mir keinen Vorwurf machen.« Bodo schüttelte den Kopf. »Mara ist aus dem Nichts hier aufgetaucht. Sie hat uns aufgemischt. Und als es kompliziert wurde, hat sie die Biege gemacht. Für sie ist es ein Spiel gewesen. Ein Unterhaltungsprogramm. Die Spießerseifenoper. Das ist ihr nun langweilig geworden. Weil sie meint, dass sie uns durchschaut hat. Dass sie alles über uns weiß.«
Thies fühlte Wut in sich aufsteigen. »Du kennst sie doch gar nicht.«
»Nicht so gut wie du, das stimmt allerdings.« Bodo verschränkte die Arme. »Ich war von Anfang an misstrauisch, das gebe ich zu. Und wie sich zeigt: zu Recht. Jedenfalls knöpfe ich sie mir jetzt vor. Sie ist hier ein und aus gegangen. Sie hat meine Tochter um den Finger gewickelt. Ich werde rauskriegen, wer sie ist und was sie wirklich will.«
Thies hörte ein Geräusch aus dem Flur. Ein unterdrücktes Husten? Inga hatte es auch gehört. Sie ging zur Küchentür und öffnete sie. »Jella!«
Lauschte sie schon länger hinter der Tür? Ihre Wangen waren gerötet, auf ihren Augen lag ein glasiger Schimmer, als habe sie Fieber. »Was ist los?«
»Lasst Mara in Ruhe!« Sie verbarg das Gesicht in den Händen. »Ich will, dass sie wiederkommt!«
Bodo trat zu ihr. Umfasste ihre Schultern. »Jella, du …« Weiter kam er nicht. Sie riss sich los und polterte die Treppe hoch in ihr Zimmer.
Ein Handy auf dem Tisch klingelte, es war Ingas. Sie blickte auf das Display. »Das Heim.« Sie meldete sich, hörte für einige Sekunden zu. »Danke, dass Sie mir Bescheid sagen. Ich komme sofort.«
Sie sah Bodo an. »Die wollen Papa vielleicht ins Krankenhaus verlegen. Sein Zustand hat sich verschlechtert. Seit heute Morgen schon.« Sie stand auf.
Bodo sah auf die Uhr. »Ich muss zurück ins Büro. Aber ich fahre dich hin.«
»Das kann ich auch machen«, bot Sophie an.
Inga sammelte die benutzten Kaffeetassen ein und stellte sie in die Spülmaschine. Anschließend fuhr sie mit einem feuchten Tuch über die Tischplatte und wischte Kekskrümel auf.
Sie kann nicht aus ihrer Haut, dachte Thies, sie muss immer perfekt sein. Doch dann sah er Ingas hilflosen Blick. Sie stand an der Spüle, wirkte wie neben sich, den giftgrünen Lappen noch in den Fingern. »Lasse«, sagte sie. »Er kommt gleich. Er braucht etwas zu essen vor dem Training.«
Thies legte Inga eine Hand auf die Schulter. »Ich mache ihm was, ein Spiegelei oder so.«
»Und Jella?«
»Mach dir keine Sorgen.« Thies sah Ingas Blick und seufzte. »Wir essen nur zusammen. Ich stelle ihr keine Fragen. Versprochen.«