Kapitel 15 – Freitag, 05.08.

00:30 Uhr

Die Auswahl dieser speziellen Frau war leicht gewesen. Ihr Pech ist einfach, dass sie die Angewohnheit hat, noch nach Mitternacht ihren Hund auszuführen. Vermutlich wird kaum jemand nachvollziehen können, warum sie sich mitten in der Nacht und noch dazu in einer Gegend, die alles andere als sicher ist, mit ihrer Töle in den dunklen Park wagt.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie man anfangen wird zu spekulieren: War sie senil? Hat sie die Gefahr nicht erkannt oder gemeint, in ihrem Alter könne sie kein Opfer mehr sein? Warum hat der Täter ausgerechnet sie ausgesucht? Hat sie sehr leiden müssen? Was ist das für ein Perverser, der einer alten Frau so etwas antut?

Bei genauer Betrachtung ist sie nicht wirklich die „arme alte Frau“, als die sie sich sicherlich gerne hinstellt. Eine typische Sozialschmarotzerin, die jeden zweiten Tag zur Sozialbehörde geht, immer neue Anträge auf Dinge stellt, die sie sich aufgrund ihrer Rente nicht leisten kann, die aber gleichzeitig ihren Hund mehr verwöhnt, als es viele Kinder werden.

Zumindest auf dem Sozialamt wird sicherlich helle Freude aufkommen, wenn die Alte nicht mehr ständig mit abstrusen Forderungen dort auftaucht und die Mitarbeiter nervt.

Alte Leute haben schon teilweise seltsame Marotten, die ich nicht alle wirklich nachvollziehen kann.

Die Wahl speziell dieses Opfers hat noch mehrere andere positive Nebeneffekte. Sie wohnt in einer üblen Gegend, dem Großwohnprojekt Koblenz-Neuendorf, im Volksmund auch „et Kreuzje“ genannt. Hierhin wagen sich Streifenwagen der Polizei nur in Gruppen, weil einzelne Fahrzeuge des Öfteren schon mal von Jugendlichen angegriffen werden. Durch die umherstreifenden beschäftigungs- und perspektivlosen Jugendlichen sind schon vor Langem alle Straßenlaternen am Rand des Neuendorfer Friedhofs an einer Seite des Wallersheimer Wegs zerstört worden. Inzwischen hat die Stadtverwaltung es aufgegeben, sie zu ersetzen, da sie erfahrungsgemäß weniger als eine Nacht brennen, bevor sie entweder mit Steinen ausgeworfen oder sogar mit Schusswaffen zum Erlöschen gebracht werden.

In der deutschen Amtssprache bezeichnet man diese Gegend mit der prozentual höchsten Arbeitslosenquote in weitem Umkreis als „sozialen Brennpunkt“. Die Umgangssprache kennt weit direktere und unverblümtere Worte für diese Ansammlung überproportional vieler gescheiterter Existenzen. Die Polizei würde ihren Spaß haben, wenn die Alte hier gefunden wird.

Ich muss in mich hineinlachen, wenn ich mir vorstelle, wie hier eine Polizeiabsperrung aussehen wird, belagert von johlenden und buhenden Jugendlichen, in Begleitung von Bierflaschen schwenkenden und qualmenden Erwachsenen, die über mehr Freizeit verfügen als gut für sie sein kann. Das Aufgebot an Polizei wird riesig sein, weil sogar die Polizeifahrzeuge bewacht werden müssen, weil man anders nicht sicherstellen kann, dass hinterher nicht die kompletten Räder und das Blaulicht demontiert sind.

Konzentrier dich auf die bevorstehende Aufgabe! Die Alte muss jeden Moment den Weg entlangkommen.

Das allgegenwärtige Streulicht der Stadt erhellt den Weg gerade ausreichend, dass man ihn gerade noch erkennen kann. Bereits wenige Meter abseits erzeugen die Bäume des Neuendorfer Friedhofes eine fast absolute Dunkelheit, die für mein Vorhaben ideal ist. Diese Dunkelheit stellt für mich dank der Nachtsichtbrille, die eigentlich ein Restlichtverstärker ist, kein Problem dar. Ein letztes Mal überprüfe ich meine übrige Ausrüstung: ein hölzerner Schlagstock, wie er teilweise bei der Polizei benutzt wurde, etwa 60 Zentimeter lang und mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern. In meiner linken Hosentasche kann ich trotz der dünnen Chirurgenhandschuhe die Kondomverpackung und das scharfe Springmesser spüren. Außer einem ganz besonderen Extra-Spielzeug brauche ich sonst nicht viel mehr, um meinen Plan für diese Nacht in die Tat umzusetzen.

Erstmals bin ich ein wenig aufgeregt wegen der Unwägbarkeiten, die diesmal bei der Ausführung auftreten und meinen Plan vereiteln oder zumindest die Umsetzung erschweren könnten.

Hinter einem Baum versteckt, sehe ich die Alte mit ihrem Köter näherkommen. Ein langsamer Rundumblick zeigt mir, dass weit und breit niemand zu sehen ist.

Es wird klappen, jetzt bin ich mir absolut sicher.

Hechelnd zieht der gefleckte Köter die Alte hinter sich her. Natürlich habe ich mich diesbezüglich schlaugemacht und weiß inzwischen, dass es sich bei der Töle um einen King-George-Spaniel handelt. Ich muss grinsen, als ich sehe, dass die Leine des Hundes wie jeden Tag einmal um die Hüfte der Frau geschlungen ist. Damit will sie wohl verhindern, dass die Leine ihr aus der Hand gleitet und der Köter sich verselbstständigen kann. Sehr praktisch ... vor allem für meinen Plan. Ich habe keine Lust, einem davonlaufenden Hund nachhechten zu müssen, und ich kann es mir schon gar nicht leisten, dass er davonrennt und irgendwo alleine auftaucht, wo man sich vielleicht Gedanken macht, was mit seinem Frauchen passiert ist.

Sie kommt langsam an dem Baum vorbei, hinter dem ich mich verstecke, und ich höre sie undeutlich vor sich hinbrabbeln: „Zieh doch nicht schon wieder so, Brummele. Mensch, mach doch langsam.“

Wie bescheuert muss man sein, seinen Hund „Brummele“ zu nennen? Ich kann aus diesem blöden Namen nicht mal ableiten, ob es sich um einen Rüden oder ein Weibchen handelt.

Als die Alte sich genau neben dem Baum befindet, springe ich lautlos dahinter hervor und ziehe ihr mit aller Kraft den Holzknüppel über den Schädel. Außer einem Geräusch, das klingt, als würde ich mit einem Holzstock auf einen Sandsack schlagen, ist nichts zu hören. Lautlos sackt die Alte auf der Stelle in sich zusammen. Lediglich der Köter macht einen erschreckten Satz und lässt ein kurzes Fiepen hören. Er hat Glück, dass er nicht anfängt zu bellen, sonst würde ich ihn ruhigstellen müssen. Wenn er so schlau ist, ruhig zu bleiben, kann er noch eine Weile weiterleben.

Ich packe sie an einem Fuß und ziehe sie hinter mir her in die absolute Dunkelheit der Büsche. Als Nächstes muss ich die Leine um ihre Körpermitte lösen und den Köter in einiger Entfernung an einen Baum anbinden. Erstens kann ich nicht zulassen, dass er mich beobachtet, und zweitens würde er mich behindern. Obwohl die Alte höchstens 50 Kilo wiegt, stellt sich das Entkleiden als schwieriger heraus, als ich es mir vorgestellt habe. Auf der einen Seite bin ich froh, dass mein Schlag auf den Kopf sie offensichtlich auf der Stelle getötet hat, andererseits wiegt ein totes Gewicht gefühlt das Doppelte. Nach fünf Minuten liegt sie nackt vor mir, und ich bin schweißgebadet. Mein Hemd klebt mir am Rücken, und ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine erfrischende Dusche.

Nein, das ist nicht wahr. Jetzt, als ich die nackte tote Frau vor mir liegen sehe, ist die Erfüllung meines Plans mein sehnlichster Wunsch.

Plötzlich gibt sie ein leises, kaum hörbares Stöhnen von sich. Sie lebt noch! Um so besser, das macht das Ganze noch interessanter, passt wesentlich besser zu meiner bisher gezeigten Vorgehensweise und erleichtert es auch etwas.

Langsam ziehe ich die Kondomverpackung aus der Hosentasche.

Die Nacht ist noch jung, und ich habe noch viel mit der Frau vor.