Kapitel 24

23:00 Uhr

„War es dir denn recht, dass ich persönlich Bericht erstattet habe?“

Sandra Hartung räkelte sich neben ihm auf dem Laken des Hotelbettes. Ihr Körper glänzte vor Schweiß, obwohl das Zimmer dank einer Klimaanlage auf eine erträgliche Temperatur heruntergekühlt war. Gleich würde es ihr zu kalt werden und sie würde sich wieder zudecken.

Eigentlich schade, dachte Auer und betrachtete ihren makellosen Körper. Als sie plötzlich die Augen öffnete und ihn anstarrte, wurde ihm ein wenig mulmig.

„Den Sachstand eurer Ermittlungen hättest du mir auch am Telefon berichten können. Alles andere hätte sich aber über den Äther nur sehr schwer bewerkstelligen lassen. Von daher bin ich ganz froh, dass du dich für die persönliche Variante entschieden hast.“

Er grinste sie an und wollte gerade nach ihr greifen, als sie sich behände zur Seite drehte und auf ihrer Seite des Bettes aufsprang.

„Nicht so hastig, alter Mann. Es gibt da noch ein paar Punkte zu klären. Nach dem Vergnügen kommt die Arbeit. Oder so ähnlich. Nachdem ich vorhin keine große Lust hatte, in allen Einzelheiten über diesen unappetitlichen Fall zu reden, bist du mir nun wohl noch ein paar Details schuldig. Also, ich höre. Wo steht ihr, was gibt es Neues, wie geht es weiter?“

Wie kann man nur so schnell von wilder Lust auf dienstliche Nüchternheit umschalten?

Widerstrebend ergab sich Auer in sein Schicksal und berichtete über die Ergebnisse der Befragungen beim Sozialamt. Er verheimlichte auch nicht die Verdachts­momente, die Coco zu Frederic Franzen geäußert hatte, und auch nicht, dass sie bezüglich dieses Franzen ermitteln würden.

„Die Kleine scheint es dir ja ganz schön angetan zu haben, wenn du schon Ermittlungen auf die Vermutungen einer Praktikantin stützt. Bist du sicher, dass du da der Logik und nicht den Hormonen folgst?“

Ihm gefiel ihr Ton nicht. Grundsätzlich war er immer der Meinung gewesen, dass eine gesunde Eifersucht auch ein Zeichen von Gefühlen war, Betonung auf „gesunde“. Die Art ihrer Anmerkung klang aber so verächtlich und böse, dass er entsprechend reagierte.

„Was willst du damit andeuten? Meinst du, ich bin scharf auf die Kollegin?“

„Ist doch so, oder etwa nicht? Gib es einfach zu. Mir kannst du nichts vormachen. Ich kenn dich gut genug.“

Sie war nun lauter geworden, und Auer fürchtete, dass es keine sachliche Diskussion mehr werden könnte, sondern sie sich in von Emotionen verursachten Vorwürfen verlieren würden. Also versuchte er, die Wogen zu glätten und auf die dienstlich-sachliche Ebene zurückzukehren.

„Lass uns darüber reden, welche Optionen wir sonst noch haben und welche Ermittlungsansätze uns überhaupt bleiben.“

Wenn er gehofft hatte, sie damit wieder in eine vernünftige Unterhaltung zurückholen zu können, hatte er sich schwerstens getäuscht.

„Du weichst mir aus, du Schwein. Gib’s doch zu, du bist scharf auf die Kleine. Ich hab dir das angesehen. Wahrscheinlich hast du sogar an sie gedacht, als du mich gefickt hast, stimmt’s?“

Wenn sie mit diesem vulgären Wortschatz mit ihm sprach, war sie entweder sehr scharf ... oder sehr erbost. Noch bevor er antworten konnte, setzte sie ihre Tirade fort.

„Du meinst wohl auch, weil ich immer dieses Hotelzimmer bezahle, du wärst mein Loverboy, den ich aushalte, was? Bilde dir nur nichts ein, einen wie dich krieg ich an jeder Straßenecke.“

Da sie als Oberstaatsanwältin wesentlich mehr verdiente als er, ja sogar mehr als die meisten seiner Vorgesetzten, hatte Auer nichts gegen das Arrangement gehabt, dass sie jeweils das Hotelzimmer buchte ... und bezahlte. Was sie ihm aber nun in sehr unfeiner Art vorwarf, war hochgradig ungerecht. Aber sie war noch nicht fertig.

„Ich verbiete dir hiermit als Oberstaatsanwältin, diesen Ermittlungsansatz weiterzuverfolgen. Und wehe dir, du folgst meinen Anweisungen nicht. Ich habe auch kein Problem damit, deinen Vorgesetzten meine Entscheidung mitzuteilen, dich von diesem Fall abzuziehen. Mit mir treibst du nicht diese Spielchen wie mit deinen unfähigen Vorgesetzten ... MIT MIR NICHT!“

Sie hatte sich so in Rage geredet, dass ihr nicht einmal auffiel, wie sie von dem sehr persönlichen Thema in eine Richtung abgedriftet war, die sie bisher immer aus dem Schlafzimmer hatten raushalten können. Auer war klar, dass sie in diesem Zustand vernünftigen Argumenten nicht mehr zugänglich war.

Soll ich einfach aufstehen, mich anziehen und gehen? Oder reize ich sie damit noch mehr? Soll ich ihr zustimmen oder widersprechen? Womit kann ich sie eher besänftigen?

Momentan machte sie ihrem Spitznamen im Kreise ihrer Kollegen bei der Staatsanwaltschaft Koblenz alle Ehre: Madame Gnadenlos!

Ein älterer Staatsanwalt hatte ihm einmal nach dem zehnten Bier, als er bei der Beförderung zu ihren Gunsten übergangen worden war, von ihrer Stellung in der Behörde erzählt. Man munkelte, sie ginge über Leichen, wenn es denn ihrer Karriere dienlich sei.

Auer hatte dies nie ganz glauben wollen, sah aber nun, als sie wie eine tödlich verletzte Frau gleich einem Berserker um sich schlug, ohne Rücksicht auf Verluste, dass an den Beschreibungen ihrer Kollegen bei der Staatsanwaltschaft doch etwas dran war.

Er sah keine Chance, sie momentan eines Besseren zu belehren oder auch nur vernünftig mit ihr zu argumentieren. Also tat er das Einzige, was ihm in dieser Situation noch sinnvoll erschien: Er stand auf, zog sich an und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.