Kapitel 28

15:00 Uhr

„Ich bin’s, Wolfgang. Es ist zwar ungewöhnlich, dass ich mich bei euch melde, Ulf, aber in diesem Fall scheint es mir eilig zu sein. Ich habe euer Opfer identifiziert.“

Auer war sprachlos und ließ sich, den Telefonhörer noch immer am Ohr, in seinen Bürostuhl fallen.

„Das gibt’s doch gar nicht. Mensch, Wolfgang, wie hast du das denn geschafft? Ich hatte mir ja einiges von der Obduktion versprochen, aber eine so schnelle Identifizierung nicht.“

„Das Wichtigste zuerst. Euer Opfer heißt Lothar Wasmuth, geboren am 21.04.1992 in Koblenz, wohnhaft in Mülheim-Kärlich, Eduard-von-Pauken Str. 12.“

Auer hatte die Daten mitgeschrieben und winkte Duben zu sich heran, der bei dem Wort „Identifizierung“ schon aufgehorcht hatte.

„Moment, Wolfgang, bleib dran.“ Er reichte den Zettel mit den Daten an Duben weiter. „Überprüf mal, ob das die aktuelle Anschrift des Opfers ist.“

Duben rannte mit dem Zettel an seinen Arbeitsplatz und begann eilig, an seinem Computer die erforderlichen Eingaben zu machen.

„So, Wolfgang, ich bin wieder da. Jetzt aber, wie ist es dir gelungen, den Mann so schnell zu identifizieren?“

Auer konnte das zufriedene Lächeln von Professor Wolfgang Mangel deutlich hören, und es schwang auch ein gewisser Stolz mit.

„Nun, der Täter hat einen entscheidenden Fehler gemacht, als er nur den Kopf und die Hände amputiert hat. Die Füße wären vermutlich wichtiger gewesen. Da wir alle Opfer bereits vor der eigentlichen Obduktion röntgen, ist mir sofort das künstliche Gelenk aufgefallen.“

Auer dämmerte, worauf das hinauslief. „Hüfte oder Knie?“

Mangel lachte laut auf. „Da hast du offenbar nicht richtig zugehört. Aber ich kann es dir nicht verdenken, die wenigsten kennen diese Art der künstlichen Gelenke. Euer Opfer litt trotz seines geringen Alters an einer schweren Form des ,Hallux rigidus‘, auf Deutsch ,Großzehenarthrose‘, die zu einer Versteifung des Großzehengelenkes führte. Das ist äußerst schmerzhaft und erlaubt kein wirklich normales Gehen. Deshalb hat der junge Mann bereits mit 18 Jahren ein künstliches Gelenk in den großen Zeh des rechten Fußes eingesetzt bekommen. Und bevor du fragst, ja, auch künstliche Großzehengelenke sind nummeriert und in der Datenbank des Deutschen Gelenkprothesen­registers erfasst. Es war also keine große Kunst, sehr schnell die Daten des jungen Mannes zu erhalten, wobei ich eben nicht sagen kann, ob sie noch aktuell sind. Aber ihr dürft ja schließlich auch noch etwas tun.“

„Danke, Wolfgang. Aber du hast auf jeden Fall recht, unsere Arbeit fängt jetzt gerade erst an. Ich bin jetzt guter Hoffnung, dass wir schnell herausfinden werden, wo das Opfer wohnt, wo er gearbeitet hat und ob sich vielleicht die Wege mit den anderen Opfern kreuzen. Also, es gibt genug zu tun.“

„Dann lass ich euch mal eure Arbeit tun, und wenn sich etwas Neues aus der weiteren Obduktion ergibt, melde ich mich natürlich sofort.“

„Danke.“

Auer legte auf und schüttelte noch mal verwundert den Kopf. Manchmal gab es eben auch positive Überraschungen, und oft gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartete.

„Die Adresse stimmt noch“, erscholl es von Dubens Schreibtisch.

Auer riss sich zusammen und sprang auf. „Na dann, nichts wie los, lass uns sehen, was wir dort über den jungen Mann herausfinden können.“ Er warf sich die leichte Sommerjacke über die Schulter, schnappte sich den Autoschlüssel und eilte voraus zur Tür.

15:40 Uhr

Das Sechs-Parteien-Mietshaus stand relativ alleine in dem großen Gewerbepark der kleinen Stadt, nur zehn Kilometer außerhalb von Koblenz. Bereits beim ersten Klingeln öffnete die Bewohnerin der Erdgeschosswohnung rechts und empfing sie überraschend: „Das wurd aber och emal Zeit, dass sich die Polizei um den Kerl kümmert. Was der immer laut Musik hört, da muss mer sich net wunnere, dass sich jemand beschwert. Also, die Herrn, was kann ich dann de Polizei helfe?“

„Frau ...“, Duben sah auf das Klingelschild, „Engel, was können Sie uns denn über die Familie von Herrn Wasmuth sagen? War er verheiratet oder ist Ihnen bekannt, wo wir die Eltern oder andere Familienangehörige erreichen?“

„Was hat dann die Famillich mit de laute Musik zu donn?“

Duben blickte verlegen zu Auer, der aber lediglich nickte und ihn dadurch aufforderte, es der älteren Dame zu erzählen.

„Frau Engel, bitte regen Sie sich nicht auf, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Nachbar das Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Herr Wasmuth ist tot.“

„Was? Wie? Warum?“ Die alte Dame war leichenblass geworden. Sie drehte sich um und ging in die Wohnung, wobei sie keine Anstalten machte, die Wohnungstür zu schließen. Auer und Duben folgten ihr in die Wohnung.

Fünfzehn Minuten später saßen sie zu dritt an einem uralten kleinen Couchtisch bei Kaffee und selbst gebackenen Plätzchen. Die alte Dame hatte sich inzwischen beruhigt und erwies sich als überaus redselig. Deshalb wussten sie inzwischen, dass Lothar Wasmuth keine Verwandten mehr hatte, seit seine Eltern vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.

Auer hatte die Erleichterung von Duben wahrnehmen können, und er musste zugeben, dass auch er selbst nicht unglücklich darüber war, nicht schon wieder Eltern die Nachricht bringen zu müssen, dass ihr einziges Kind einen viel zu frühen Tod gestorben war. Außerdem hatte sie zu berichten gewusst, dass er wohl selten bis nie Damenbesuch gehabt hatte, weshalb die alte Dame schon öfter vermutet hatte, er könnte „vom anderen Ufer sein“, wie sie es ausgedrückt hatte. Auf die Frage, ob sie denn einen Schlüssel zu seiner Wohnung hätte, hatte sie entrüstet abgewehrt, dass sie so eng mit ihm nicht gewesen sei. Zu seiner Arbeitsstelle befragt, konnte sie lediglich sagen, dass er wohl für die Stadt gearbeitet hätte, sie aber nicht genau wisse, was und wo genau.

Auer warf Duben einen vielsagenden Blick zu, als sie erwähnte, er könne für die Stadt gearbeitet haben.

War da eventuell eine Verbindung zum Sozialamt? Waren der Täter und das neuerliche Opfer vielleicht Kollegen dort?

Sie würden es herausfinden, aber dazu mussten sie auf jeden Fall so schnell wie möglich in die Wohnung.

Weitere fünfzehn Minuten später klingelte der Mitarbeiter des Schlüssel-Notdienstes bei Frau Engel, und gemeinsam mit ihm begaben sich Auer und Duben zur Wohnung von Wasmuth. Zuerst klingelte Duben mehrmals ausdauernd, und als trotz zusätzlichen Klopfens kein Geräusch aus der Wohnung zu vernehmen war, nickte er dem Schlüsseldienstmann zu. Innerhalb weniger Minuten war das Schloss aufgebohrt, und Auer zeichnete dem Handwerker den Auftrag ab, damit er ihn mit dem PP abrechnen konnte.

Vorsichtig drangen die beiden in die Wohnung ein, und da nicht auszuschließen war, dass das Opfer vielleicht in seiner eigenen Wohnung überwältigt, betäubt oder gar getötet worden war, trugen sie die obligatorischen Handschuhe, um keine Spuren zu legen und die gesamte Spurenlage zu verfälschen. Aber es waren weder Kampfspuren noch irgendwelche Ungewöhnlichkeiten festzustellen. Es handelte sich anscheinend um eine normale und in aller Ruhe verlassene Wohnung eines jungen Mannes. Sie trennten sich auf, und Auer übernahm freiwillig den Schreibtischbereich im Wohnzimmer, wo einige Aktenordner und der obligatorische Computer standen. Es schien sich um einen recht ordentlichen jungen Mann gehandelt zu haben, denn die Ordner waren alle penibel beschriftet, weshalb Auer mit einem Griff denjenigen mit der Beschriftung „Gehalt“ herauszog und ihn aufschlug. Er brauchte nicht lange suchen, um zu finden, was er hatte wissen wollen.

„Ich weiß jetzt, wo unser Opfer gearbeitet hat“, rief er hinter sich.

„Und wo war das?“, erklang es wenige Sekunden später hinter seinem Rücken.

Auer drehte sich um und sah Duben im Türrahmen des Wohnzimmers stehen.

„Du hast wahrscheinlich ähnlich falsch gedacht wie ich, aber Wasmuth hat nicht wie vermutet beim Sozialamt gearbeitet, sondern in der Stadtbibliothek. Und was hast du im Schlafzimmer finden können?“

„Nichts, was man nicht in einer Junggesellenwohnung vermutet hätte.“ Duben zuckte mit den Schultern. „Halt das Übliche. Diverse Pornohefte und so was halt. Du weißt schon.“

Auer zog eine Augenbraue hoch. Selbstverständlich wusste er, was man üblicherweise in den Schlafzimmern lediger Männer fand, aber ... kam es ihm nur so vor oder war das wieder einmal eine Anspielung auf seinen Singlestatus? Er schüttelte den Gedanken ab.

Aber Duben war noch nicht fertig. „Ist die Stadtbibliothek nicht genau dort, wo wir das Opfer gefunden haben? Also wurde der quasi am Arbeitsplatz hingerichtet?“

„So könnte man sagen.“

„Was bedeutet das für unsere Ermittlungen?“

Auer überlegte einen Moment. „Nun, auf den ersten Blick deute ich es so, dass sich alles so ziemlich im Zentrum von Koblenz abspielt. Also erhöht das meines Erachtens die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Täter auch in diesem Bereich finden werden. Umso wichtiger wird es werden, wo sich die Überschneidungen der Lebenswege aller Opfer befinden.“

Er sah noch einmal auf die Ordner. „Sei so gut und hilf mir hier mal mit den Ordnern. Das Opfer war wohl recht ordentlich, weshalb ich vermute, dass wir hier auch die Rechnungsunterlagen für sein Handy und damit auch die Handynummer finden. Wenn wir die haben, melden wir sie sofort an Fisch, damit er auch für dieses Handy die Bewegungsdaten der letzten Wochen anfragen kann. Und dann sollten wir auch so schnell wie möglich den Computer des Opfers zu Fisch bringen, weil ...“, er zuckte bedauernd mit den Schultern, „... dieser Computer nun dann doch passwortgeschützt ist. Bevor Fisch den nicht geknackt hat, erfahren wir sicherlich nicht viel mehr.“

Seine Prognose hatte sich eine halbe Stunde später dahingehend bestätigt, dass sie zwar die Handyunterlagen fanden, aber keine weiteren Hinweise, die sie im Fall weiterbrachten. Also warteten sie noch ein paar Minuten, bis das von Auer zur Wohnung beorderte Team der Spurensicherung angekommen war, das die genaue Untersuchung sämtlicher Räume durchführen würde.

18:00 Uhr

„Also, was haben wir?“

Sie saßen gemeinsam in großer Runde um den Tisch im Büro der MK. Die Wand mit den Packpapierbögen reichte nun um eine Ecke des Raumes und war um zahlreiche Bilder angewachsen. Die Runde war um Oberstaatsanwältin Sandra Hartung, Kriminaloberrat Wasgau und Kriminaldirektor Müller erweitert worden.

Müller hatte darauf gedrängt, aktuell vor Ort informiert zu werden, da die Pressestelle des Präsidiums noch an diesem Abend eine Stellungnahme an die Presse herausgeben wollte, was es mit den Meldungen über einen Serientäter auf sich hatte. Gemeinsam mit der Oberstaatsanwältin hatte er dem Polizeipräsidenten vorgeschlagen, so ehrlich wie möglich zu berichten, ohne die Ermittlungen zu gefährden, aber auch, um dem Täter die von ihm gewünschte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Coco konnte die Anspannung aller Anwesenden förmlich spüren und war gespannt auf die Ergebnisse der anderen. Sie selbst hatte sich eher profanen Tätigkeiten widmen müssen, deren Ergebnisse sie im Anschluss auch noch darstellen sollte.

Fisch war der Erste, der von seinen Ergebnissen berichtete. Er hatte sich direkt vom Fundort der Leiche in die Sicherheitszentrale begeben. Es hatte zwar eine Weile gedauert, bis der aus der Freizeit alarmierte Mitarbeiter der Security des Hauses eintraf, aber dann waren es nur wenige Minuten gewesen, bis er Fisch die Aufzeichnungen der Nacht zeigen konnte. Die Aufzeichnungen liefen zwar auch während der nicht geöffneten Zeiten, aber es gab niemanden, der sie live ansah. Lediglich im Bedarfsfall, zum Beispiel nach einem Einbruch. Allerdings war es in den fünf Jahren nach der Eröffnung noch nie vorgekommen, dass die Aufnahmen der Nacht benötigt worden wären.

Fisch hatte neben dem Security-Mann auf einem rollbaren Drehstuhl Platz genommen und schaute auf die zahlreichen Monitore, die verschiedene Bereiche des Gebäudes zeigten. Gleichzeitig war im unteren Bereich der Timecode zu sehen gewesen, von wann die jeweiligen Aufnahmen stammten.

„Von welchem Zeitraum wollen Sie denn die Aufnahmen sehen?“, hatte der Security-Mann Fisch gefragt.

Schon vorher waren sie sich in der MK einig gewesen, dass man zur Sicherheit den gesamten Zeitraum von der Schließung für die Öffentlichkeit bis zum Auffinden der Leiche kontrollieren müsste. Entsprechend hatte Fisch den Security-Mann instruiert, und dann waren die Aufnahmen im „schnellen Vorlauf“ durchgelaufen. Da es keinen herumlaufenden Nachtwächter gab, war es einfach gewesen, die unterschiedlichen Monitore und Blickwinkel auch mit nur zwei Personen im Auge zu behalten, denn es musste nur darauf geachtet werden, ob sich irgendwo etwas bewegte.

Es hatte einen Moment gedauert, bis es Fisch aufgefallen war, als er auf den Timecode sah, um festzustellen, wie weit sie schon bei der Betrachtung vorgedrungen waren. Eben hatte noch „-08-07 20:58:22“ am unteren Bildschirmrand gestanden. Auf einmal stand nun dort „-08-07 20:04:43“.

Fisch war einen Moment lang verwundert und entschloss sich dann, die Aufnahme nicht weiter zu beobachten, sondern stattdessen nur noch den Timecode. Als sich die Zeitanzeige immer mehr 21:00 Uhr näherte, ließ er sie keine Sekunde mehr aus den Augen. Was er dann sah, ließ ihn vor Wut aufheulen.

20:59:57

20:59:58

20:59:59

20:00:00

20:00:01

20:00:02

20:00:03

„Verdammte Scheiße, dieses Arschloch. Das ist eine Zeitschleife!“

Nur wenige Minuten später war offensichtlich geworden, dass in der Zeit von 21:00 bis 03:00 Uhr eine einstündige Schleife ins System eingespeist worden war und somit nichts an Erkenntnissen durch die Videoüber­wachung zu erwarten war.

Der Security-Mitarbeiter war kein Techniker, und ihm war völlig unklar, wie diese Zeitschleife in die Anlage hineingekommen sein könnte. Fisch war sofort klar gewesen, dass auch er diesbezüglich überfordert sein würde und dass sich echte Computerspezialisten damit würden befassen müssen.

Direkt nach dieser frustrierenden Erkenntnis hatte er sich auf den Weg in die Redaktion der Onlinezeitung „SchäKob-live“, was für Schängel-Koblenz, also das Wahrzeichen von Koblenz, stand. Der Name „Schängel“ bezeichnete einen in Koblenz geborenen Jungen und stammte aus der Zeit von 1794–1814, als Koblenz für 20 Jahre zu Frankreich gehörte. Der gängigste Name war damals Hans oder Johann, was dem französischen Jean entspricht. Die Koblenzer hatten aber Schwierigkeiten, Jean französisch auszusprechen, und in ihrer Mundart wurde daraus Schang und später Schängel. So entstand aus einem „Koblenzer Jean“ das „Kowelenzer Schängelche“.

Die Redaktion befand sich nicht weit vom Tatort im sogenannten Schängel-Center, einer kleinen Einkaufspassage direkt gegenüber dem Forum Confluentes, mit zusätzlichen Büroräumen und einem Fitnesscenter im dritten Stock des Gebäudes. Wie es sich für eine Onlineredaktion gehörte, die rund um die Uhr aktuelle Themen berichtete, war auch dieses Büro am Sonntag besetzt. Vor dem Gebäude hatte Fisch auf Duben gewartet, denn dorthin hatte er nicht alleine gehen wollen. Es wäre riskant gewesen, in einer Presseredaktion alleine zu erscheinen. Zum einen rechnete er mit Widerstand bezüglich der Hilfe bei den Ermittlungen, zum anderen war es immer besser, bei der Presse einen Zeugen dabeizuhaben. Zu schnell wurden einem Aussagen in den Mund gelegt und dann publiziert, die man nie getroffen hatte. Da Duben zu dieser Zeit gerade nichts Dringliches zu tun hatte, war er auf dem schnellsten Weg erschienen, und gemeinsam begaben sie sich zu dem Büro.

Die Eingangstür öffnete sich in dem Moment, als Fisch die Hand ausgestreckt hatte, um die Klingel zu betätigen.

„Ah, die Schmier ... die san owa spät dran; mia ham’s scho vua a paar Stund dawoat.“

Duben und Fisch hatten den jungen Mann, der sie in einem breiten Wiener Dialekt begrüßt hatte, mit offenem Mund angesehen und waren einen Moment lang sprachlos.

„Kumman’s eina, kumman’s nur eina, i beiß ned.“

Er wirkte eher wie ein Hippie als wie ein Zeitungs­redakteur. Der lange Pferdeschwanz, zu dem die leicht ungepflegt wirkenden blonden Haare zusammengebunden waren, das quietschbunte T-Shirt und die zerschlissenen Jeans machten den Eindruck nicht besser.

„Jo, stengans ned so umanand ... sagn’s wos.“

„Äh ... woher wissen Sie, dass wir von der Polizei kommen?“, hatte Fisch, der seine Überraschung noch immer nicht ganz überwunden hatte, sich mühsam zusammengestottert.

Der junge Mann lachte. „An Kiebara dakenn i immer no glei, wann i an siach, hahaha.“

„Einschlägige Erfahrung mit der Polizei, nicht wahr?“, hatte Duben trocken bemerkt, und erstmals war für kurze Zeit das Grinsen aus dem Gesicht verschwunden. Dann hatte er mit den Achseln gezuckt und war voran in die Redaktionsräume getreten. Duben und Fisch waren ihm gefolgt, wobei sie sich aufmerksam umsahen. Die Räumlichkeit hätte genauso gut zu einer Werbeagentur oder Börsenmaklerzentrale gepasst. Alles stand voller Computer und riesiger Monitore, an den Wänden hingen Fern­seher, auf denen die Programme von NTV, CNN und anderen Nachrichtensendern liefen.

Fisch hatte sich langsam wieder gefasst. „Darf ich fragen, mit wem wir das Vergnügen haben?“

„Hallatschek ... Bogomir Hallatschek, wenn’s genehm is. I hab mir nix zuschulden kumma lassen, des wissen’s scho, oder?“

„Jaja, schon gut, wir sind ja auch nicht wegen Ihnen hier.“ Duben hatte ihn abschätzend angesehen, weil er noch nicht hatte erkennen können, worauf das Ganze hier hinauslief. „Wenn Sie uns schon erwartet haben, dann können Sie sich sicher denken, warum wir hier sind und was wir hier wollen.“

Inzwischen wieder sein Grinsen im Gesicht, hatte Hallatschek Duben einen Zettel gereicht.

„Is eh kloar. Wissen’s, des is scho a Mördergschicht, des mit dem Killer, owa mia wissen a, dass die Schmier ... äh ... die Bolizei ... da mit an Beschluss antanzt, wann mia ned kooperativ san. I hab eahna des glei amoi aufgschrieben.“

Zusätzlich zu dem Zettel hielt er einen USB-Stick hoch.

„Da san olle Daten drauf, die wos mia per E-Mail zuagschickt kriagt hom. Bittschön.“

Er hatte Fisch den Stick überreicht, während Duben versucht hatte, das auf den Zettel Geschriebene zu verstehen. Frustriert hatte er den Zettel an Fisch weitergegeben, der mit einem Blick erkannt hatte, was die Information darauf bedeutete.

Absender = Fake

Rechner IPv4-Adresse: 192.165.23

Subnetmaske: 255.255.255.0

Standardgateway: 192.165.174.1

Standort: Internetcafé Bendorf

„Aha, das sieht aber gut aus. Sehr vorausschauend von Ihnen, das muss ich schon sagen“, bemerkte Fisch anerkennend.

Duben war nicht gleichermaßen begeistert. Seine Augenbrauen hatten sich nachdenklich zusammengezogen.

„Ich frage mich“, begann er langsam und bedächtig, „warum Sie und Ihre Redaktion so vorausschauend und kooperativ handeln? Kann es sein, dass Sie unter allen Umständen verhindern wollen, dass wir mit einem Durchsuchungsbeschluss bei Ihnen aufschlagen und bei der Suche nach genau den Daten, die meinen Kollegen so begeistern, vielleicht auf ganz andere Dinge gestoßen wären?“

Hallatschek grinste noch immer und zuckte mit den Schultern. „Das mog scho sei, oba wos sois. Sie hom doch, wos wollten?“

Dem hatten weder Fisch noch Duben widersprechen können, und so waren sie mit den gesuchten Erkenntnissen, aber nicht wirklich zufrieden, abgedampft.

„Das war’s eigentlich“, schloss Fisch seine Schilderung ab. „Ich habe die Daten überprüft, und es stimmt, die IP-Adresse gehört zu einem Rechner im Internetcafé in Bendorf. Ich habe vor, nachher noch dorthinzufahren und nach den Überwachungsaufnahmen zu fragen.“

Er blickte in die Runde und wartete vergeblich auf einen Kommentar. Als dieser nicht kam, schlich sich ein leises Grinsen auf seine Lippen.

„Ach ja, eine Information hätt ich da noch. Der Rechner unseres letzten Opfers war nicht wirklich gut geschützt, weshalb ich ihn innerhalb von fünf Minuten geknackt habe. Und stellt euch vor, ich weiß jetzt, wer es war, der das Opfer per Mail in sein Büro im Forum Confluentes bestellt hat. Ihr werdet nie darauf kommen, wer das war.“

Auer und Duben hatten die Augen nach oben gedreht, während die anderen sich interessiert nach vorne gebeugt hatten.

„Also bitte, Herr Saibling“, forderte Kriminaldirektor Müller ihn ungeduldig auf, „jetzt lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen. Ich will sofort wissen, wer die Mail geschickt hat.“

Das Grinsen auf Fischs Gesicht wurde immer breiter.

„Nun ja, wenn man der Signatur und den Absenderdaten der Mail glauben darf, dann kam sie aus dem Polizeipräsidium, und geschrieben hat sie ein gewisser Hauptkommissar ... Auer!“

Die Information schlug ein wie eine Bombe. Während Auer sich halb aus seinem Sitz erhoben hatte, waren alle Köpfe in seine Richtung gewandert.

„Okay, okay“, beeilte Fisch sich lachend hinzuzufügen, „selbstverständlich ist die Absenderangabe ein Fake, aber es zeigt zumindest, dass sich unser Mörder ziemlich gut über die Mordkommission informiert hat. Zumindest kennt er unseren Chef so gut, dass er den korrekten Dienstgrad angefügt hat. Die anderen Daten sind natürlich alle falsch.“

Coco sah, dass Auer sich wieder in seinen Stuhl fallen ließ, allerdings fiel ihr auch der prüfende Blick des Kriminaldirektors auf. Und die entsprechende Frage ließ auch nicht lange auf sich warten.

„Müssen wir uns Gedanken um ein Alibi machen, Kollege Auer?“

Es sprach für Auers Souveränität, dass er nicht an die Decke ging, sondern ganz nüchtern nach der genauen Uhrzeit fragte, zu der die Mail aus dem Internetcafé verschickt worden sei. Als Fisch ihm mitteilte, dass die Mail genau um 19:21 Uhr abgeschickt worden sei, stahl sich ein kurzes Lächeln auf seine Lippen.

„Na, dann ist es ja gut“, meinte er mit einem Schulterzucken, „für diese Zeit habe ich ein ganz gutes Alibi.“ Er blickte Müller herausfordernd an. „Aber Sie wollen es nicht wirklich wissen, oder?“

Coco war nicht entgangen, dass die Oberstaatsanwältin die Lippen fest aufeinandergepresst hatte und unruhig auf ihrem Stuhl herumrutschte. Sie blickte hektisch zwischen Müller und Auer hin und her, bis sie sich schließlich einen Ruck gab.

„Zu diesem Zeitpunkt war Herr Auer bei mir und hat mir persönlich Bericht über den Ermittlungsstand erstattet, Herr Kriminaldirektor. Ich hatte ihn um aktuelle Berichterstattung morgens, mittags und abends gebeten. Wir haben dann noch recht lange über mögliche nächste Schritte diskutiert.“

Dem Vorgesetzten schien eine schwere Last von den Schultern zu fallen. Coco war sich bewusst, dass er in einer schweren Zwickmühle gesteckt hatte: Die Frage nach dem Alibi hätte ein mangelndes Vertrauen in Auer offenbart, nicht zu fragen, hätte eine große Unsicherheit für ihn hinterlassen.

„Nachdem das nun geklärt ist“, ergriff Auer erneut das Wort, „können wir uns ja den weiteren Erkenntnissen widmen. Wie sieht es mit den Bewegungsprofilen aller Opfer aus?“

Duben und Fisch sahen sich kurz an, dann berichtete Duben: „Wir werden die Daten erst morgen früh bekommen, und ich habe der Anfrage inzwischen auch die Handynummer unseres bisher einzigen Verdächtigen, Frederic Franzen, hinzugefügt. Aber so lange müssen wir uns leider noch gedulden.“

„Coco, was hast du zu bieten?“

Sie lächelte Auer kurz zu und begann zu berichten.

„Ich habe mir einen großen Ausdruck des Innenstadtbereichs genommen und einen zweiten Ausdruck, der alle Orte in der näheren Umgebung umfasst, die in unseren Fällen eine Rolle spielen. Dann habe ich kleine Fähnchen in die entsprechenden Stellen gepinnt, farblich unterschiedlich nach den Kategorien ,Wohnort‘, ,Fundort/Tatort‘, ,Arbeitsstellen‘ und ,bekannte Aufenthaltsorte der Opfer‘. Im Moment gibt das noch nicht viel her, aber wenn wir die Bewegungsdaten aufgrund der Handyeinwahlen haben, kann sich das sehr schnell ändern.“

„Gut. Danke. Ich schlage deshalb vor, dass wir uns sofort auf den Weg machen und unseren selbstbewussten und so von sich überzeugten Herrn Franzen mal zu Hause aufsuchen.“