Kapitel 29

20:00 Uhr

Es war immer noch hell, als die beiden zivilen Polizeifahrzeuge aus einer Seitenstraße kommend kurz vor der Mainzer Straße in Koblenz-Mitte anhielten.

Auer hatte sich vorher die Örtlichkeit in Google Street View im Internet angesehen, um die Wagen nicht dort abzustellen, wo man sie von der Wohnung des Verdächtigen aus sehen konnte. Zu oft schon waren Tatverdächtige vorzeitig gewarnt worden waren, weil sie zufällig gerade eine Zigarette auf dem Balkon geraucht und die nahenden Beamten bemerkt hatten. Zusätzlich hatte er zwei Streifenwagen dazu verdonnert, ein paar Seitenstraßen weiter auf einen Funkspruch zu warten, bis er sie herbeirief, damit sie die Außensicherung des Gebäudes übernehmen konnten.

Auer betrat mit Duben zusammen als Erster das Zweifamilienhaus mit der Zahnarztpraxis im Erdgeschoss, der es vermutlich zu verdanken war, dass die Hauseingangstür selbst zu dieser Stunde noch nicht verschlossen war, weil vielleicht ein Bewohner vergessen hatte, sie abzuschließen. Während sie die erste Ansprache an der Wohnungstür machen wollten, sollten Harry und Coco nachrücken und die Wohnungsdurchsuchung übernehmen.

Im zweiten Obergeschoss angekommen, übernahm Auer es, an der Wohnungstür zu klingeln.

Obwohl er damit gerechnet hatte, dass zu dieser Uhrzeit auch mal jemand unter der Dusche stehen konnte oder gerade das Abendessen zubereitete, dauerte es keine zwanzig Sekunden, bis die Tür geöffnet wurde und sie von einem lächelnden Frederic Franzen begrüßt wurden.

„Herr Hauptkommissar Auer, das ist aber eine Überraschung. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen? Kommen Sie rein, kommen Sie rein!“

Er war zur Seite getreten und wies den Weg in die Wohnung. Auer trat an ihm vorbei, während Duben verzögerte und dann Franzen bat, ihnen den Weg zu weisen. So verhinderte er, dass der Verdächtige sie in die Wohnung einließ, dann die Flucht antrat und ihnen die Wohnungstür vor der Nase zuschlug.

Im Wohnzimmer angekommen, zeigte Franzen sich von der jovialen Seite. „Was darf ich Ihnen anbieten, die Herren, Kaffee, Tee oder etwas Alkoholisches, vielleicht einen Wein oder einen kleinen Prosecco? Nehmen Sie doch Platz und machen Sie es sich gemütlich.“

„Herr Franzen, wir sind nicht zum Small Talk oder für ein geselliges Beisammensein bei Ihnen. Ich muss Sie darüber informieren, dass wir einen Durchsuchungsbeschluss für Ihre Wohnung haben und Sie gleich zum Präsidium mitnehmen werden, um Sie dort als Tatverdächtigen zu den Morden an Beate Furch, Arne Beisicht, Gerlinde Bräunig und Lothar Wasmuth zu vernehmen.“

Für einen Augenblick sah Franzen verwundert von Auer zu Duben, bevor er in ein lautes und herzhaftes Lachen ausbrach. Er warf den Kopf zurück und lachte, bis ihm die Luft wegblieb. Dann ließ er sich nach Luft schnappend auf die Couch fallen und sah die beiden Beamten kopfschüttelnd an.

„Das ist der beste Witz, den ich seit Langem gehört habe. Das glaube ich ja nicht, das hat echt Comedy-Qualität. Wenn ich nicht wüsste, dass Sie tatsächlich von der Polizei sind, würde ich jetzt die versteckte Kamera suchen. Aber ich befürchte, Sie meinen das ernst, nicht wahr?“

Kopfschüttelnd, aber immer noch grinsend stand er auf und streckte ihnen beide Arme entgegen.

„Bin ich jetzt verhaftet oder was?“

Auer sah ihn abschätzend an. „Ich bin wirklich froh, dass Sie als gescheiterter Möchtegernpolizist doch nicht so viel über unseren Beruf und das Rechtswesen wissen. Das gibt mir Hoffnung, dass Sie auch ansonsten den ein oder anderen Fehler gemacht haben. Verhaften können wir Sie nur mit einem richterlichen Haftbefehl. Sollten Sie uns nicht freiwillig zur Dienststelle begleiten wollen, kann ich Ihnen aber gerne die vorläufige Festnahme aussprechen.“ Er legte den Kopf leicht zur Seite und sah Franzen fragend an. „Und, wie hätten wir es denn gerne?“

Ihm war sehr wohl aufgefallen, wie sich bei der Erwähnung des „Möchtegernpolizisten“ das bisher überlegen lächelnde Gesicht des Mannes kurzzeitig zu einer hasserfüllten Fratze verzogen hatte. Aber er musste dem jungen Mann zugestehen, dass er sich erstaunlich schnell wieder im Griff hatte und zumindest ein Grinsen wiederkehrte.

„Da ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen, Herr Hauptkommissar, werde ich Sie natürlich gerne begleiten. Ich hatte eh heute Abend nichts Besseres vor, da kann ein bisschen Unterhaltung auf Kosten anderer nicht schaden.“

Inzwischen waren Coco und Harry sowie zwei Kollegen von der Spurensicherung eingetroffen und hatten die Wohnung durch die immer noch offen stehende Tür betreten.

Als Franzen Coco entdeckte, erhellte sich sein Gesicht wieder deutlich.

„Aaaah, die Frau Kommissaranwärterin, Fräulein Crott, nicht wahr? Das ist aber schön, dass Sie sich auch noch zu uns gesellen. Vielleicht haben Sie nach Aufklärung dieser ganzen Farce vielleicht doch noch Lust auf ein Date. Hab ich eine Chance?“

Die angesprochene Coco konnte ihm nicht ins Gesicht sehen und murmelte nur fast unhörbar vor sich hin: „Nicht in diesem Leben, du Verrückter.“

Franzen schien über ein sehr gutes Gehör zu verfügen, denn er entgegnete sofort: „Aber wer wird denn gleich beleidigend werden? Dafür gibt es doch gar keinen Grund. Aber ich bin nicht nachtragend. Bei einem Gläschen Wein nehme ich heute Abend Ihre Entschuldigung gerne an.“

Bevor die Situation eskalieren konnte, hielt Auer es für besser, den Tatverdächtigen von der Szene abzuziehen.

„So, genug herumgetändelt, Abmarsch ins Präsidium, da können wir uns viel besser unterhalten. Und machen Sie sich mal keine falschen Hoffnungen, Herr Franzen, so schnell werden Sie keine ungesiebte Luft mehr atmen.“

Hoffentlich habe ich jetzt den Mund nicht zu voll genommen und kann ihm das auch alles beweisen. Ich sollte etwas vorsichtiger in meinen Äußerungen sein und nicht so vorschnell Dinge sagen, die mir vielleicht hinterher leidtun.

Verärgert über sich selbst packte Auer den Verdächtigen am Oberarm und führte ihn aus der Wohnung.

Wohnung Franzen – 20:30 Uhr

Während Harry sich die Papierunterlagen in der Wohnung ansah, suchten die Kollegen der Spurensicherung nach Kleidung mit Blutanhaftungen oder Werkzeugen, die vielleicht zur Begehung der Taten benutzt worden waren. Coco hatte sich mit Harrys Einverständnis den elektronischen Hilfsmitteln zugewandt, wie zum Beispiel dem Tablet-Computer des Verdächtigen, einer billig wirkenden Digitalkamera, dem auf dem Schreibtisch stehenden Drucker und dem ebenfalls auf dem Schreibtisch liegenden Handy des Verdächtigen.

Das Handy war zwar eingeschaltet, aber mit einem Symbolcode gesichert, den man auf dem Neun-Punkte-Feld nach Aufheben des Ruhemodus zeichnen musste. Erst kürzlich hatte Coco gelesen, wie unsicher diese Zeichen­entsperrung sei, da die meisten Menschen ähnliche Zeichen benutzten. Am häufigsten wurde wohl ein stilisiertes -Z-, oben links beginnend, benutzt, und am zweithäufigsten war ein -L- oben in der Mitte beginnend. Alle restlichen Möglichkeiten, die neun Punkte irgendwie miteinander zu verbinden, machten angeblich nur noch 35 Prozent aller genutzten Möglichkeiten aus. Also stand die Chance fast zwei zu eins, dass auch Franzen einer derjenigen war, die mehr auf Bequemlichkeit setzten als auf Sicherheit.

Sie stieß ein verwundertes „Hoppla!“ aus, als bereits die erste Möglichkeit, das -Z-, zur Entsperrung des Gerätes führte.

Als Erstes ließ sie sich die Nummer des Handys anzeigen und telefonierte mit Fisch, um sicherzustellen, dass es sich auch um die Nummer handelte, die er herausgefunden hatte und für die er die Bewegungsdaten angefordert hatte. Sie stimmten überein, und sie machte sich auf die Suche, ob nicht irgendwo noch ein weiteres Handy lag.

Es war einer der Beamten der Spurensicherung, der unter der Matratze des Bettes das zweites Handy fand und es Coco brachte. Es handelte sich um ein uraltes Gerät, das lediglich eine Zifferntastatur besaß und ein kleines Anzeigefeld für die gewählte Nummer.

„Na, sieh einer an. Das bringt uns sicher weiter“, bemerkte sie zufrieden und dankte dem Kollegen. Da dieses Handy über kein Touchdisplay verfügte und zudem noch ausgeschaltet war, verlangte es nach dem Einschalten die Eingabe eines PIN-Codes. Coco sah das Teil mit gerunzelter Stirn an und überlegte. Dann hatte sie eine Eingebung.

Es ist zwar vielleicht weit hergeholt, aber einen Versuch ist es immerhin wert. Und bevor die PIN gesperrt wird, habe ich ja immerhin drei Versuche.

Also tippte sie auf dem Zahlenfeld die Kombination 1 - 3 - 7 - 9.

„Erwischt!“, musste sie sich selbst laut loben, als der PIN akzeptiert wurde und das Handy sich entsperrte.

„Woher hast du das denn gewusst?“, erklang es erstaunt hinter ihr, und sie fuhr erschrocken herum. In ihrer Konzentration hatte sie nicht mitbekommen, wie Harry an sie herangetreten war und ihr über die Schulter gesehen hatte.

Coco spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss.

Du blöde Kuh, warum wirst du denn jetzt schon wieder rot? Kein Grund, sich zu schämen. Sei stolz auf das, was du herausgefunden hast, verdammt.

„Ach, das war nur so ein Versuch. Er hat sein Smart­phone mit dem Muster -Z- entsperrt, und da hab ich gedacht, vielleicht hat er den PIN dieses anderen Handys genauso eingerichtet. Die neun Ziffern sind genauso angeordnet wie die neun Punkte auf dem Smartphonedisplay, also habe ich hier auch mal ein -Z- eingegeben, also 1-3-7-9. Hat tatsächlich geklappt. Ich war selbst überrascht.“

In Harrys Blick konnte sie etwas lesen, das tatsächlich Bewunderung hätte sein können. Seine folgende Bemerkung machte allerdings die aufkommende Freude sofort wieder zunichte: „Na ja, dann hat es ja wenigstens etwas Gutes, ein halbes Kind im Team zu haben. Ihr kennt euch einfach mit diesem modernen Firlefanz besser aus.“

Er drehte sich um und verließ das Zimmer wieder. Coco sah ihm kopfschüttelnd hinterher, kümmerte sich dann aber weiter um das Handy und fand auch dessen Rufnummer. Dann wählte sie von ihrem Smartphone erneut die Nummer, unter der Fisch die ganze Zeit erreichbar war.

„Hallo, hier ist Coco, wir haben noch ein Handy gefunden. Ein billiges Teil mit Prepaid-Karte, aber ich habe die Nummer. Kannst du die auch noch in die Bewegungsprofilsuche mit einschließen? Ich checke gleich mal, ob ein- oder ausgehende Telefonate drauf gespeichert sind, und bring das Teil auf jeden Fall nachher mit. Danke.“

Nachdem sie Fisch die Handynummer übermittelt hatte, widmete sie sich der Digitalkamera. Auf ihr waren lediglich fünf Bilder gespeichert, die Frederic Franzen zusammen mit einer älteren Frau zeigten – sonst nichts. Sie legte die Kamera beiseite und nahm sich als Nächstes den Tablet-Computer vor. Es handelte sich um ein einfaches Android-Gerät, das noch nicht mal irgendwie gesichert war. Es war mit dem WLAN-Anschluss der Wohnung verbunden und hatte somit Internetzugang. Bevor sie sich die Mails ansehen wollte, öffnete sie zuerst die Fotogalerie und entdeckte eine Vielzahl von Ordnern mit Hunderten von Fotos. Offensichtlich hatte Franzen stets die Bilder von der Digitalkamera oder seinem Handy sofort auf das Tablet überspielt. Dort waren die Ordner ordentlich mit Titeln und Datum beschriftet. Ein Blick in den Ordner „Mutti -08-01“ offenbarte ihr sofort, um wen es sich bei der älteren Frau auf der Digitalkamera handelte. In dem Ordner waren Bilder von Franzen zusammen mit der Frau in einer Parkanlage oder der Frau alleine vor einem Gebäude mit der riesigen Aufschrift „Senioren-Residenz St. Nikolaus“ abgelegt. Die Vermutung lag nahe, dass es sich um Aufnahmen seiner Mutter handelte.

Sie kehrte zu der Ordnerübersicht zurück, und ihre Aufmerksamkeit wurde auf einen Ordner gelenkt, der den Titel „drum kümmern“ trug. Als sie ihn öffnete, weiteten sich ihre Augen.

„Stinkstiefel“, „Arschloch“, „blöde Kuh“, „arrogantes Miststück“ und „mieses Schwein“ waren nur einige der Titel der Ordner. Hastig öffnete sie einen Ordner nach dem anderen, musste allerdings feststellen, dass es sich um ihr nicht bekannte Personen handelte. Lediglich die „blöde Kuh“ kam ihr irgendwie bekannt vor, aber sie konnte sich nicht erinnern, woher. Keiner der Ordner enthielt Bilder eines der Opfer. Im Ordner „Tyrann“ entdeckte sie erstmals eine Person, die sie kannte: Brams, der cholerische Mitarbeiter vom Sozialamt, den Franzen in Verdacht gebracht hatte.

Waren das Bilder zukünftiger Opfer? Das lag zumindest bei dem Titel „drum kümmern“ nahe. Warum war nirgends das Foto vom Tatort? Hatte er alle Bilder gelöscht, die ihn mit den Taten in Verbindung bringen würden, oder hatte er sie woanders sicher abgelegt?

Ein Experte würde sich eingehend mit dem Tablet beschäftigen müssen. Vielleicht lagen die Bilder ja irgendwo im Netz. Möglicherweise auf einem Online-Account versteckt und zur Sicherheit noch verschlüsselt.

Sie verließ den letzten Ordner wieder und auch den Ordner „drum kümmern“ und sah nun wieder den gesamten Inhalt der Fotogalerie.

Plötzlich fiel ihr Blick auf einen Ordner, und sie zog verwundert die Brauen zusammen.

Was hat das denn zu bedeuten? Hastig kontrollierte sie das, was ihr aufgefallen war, und nur 30 Sekunden später stand ihr Mund vor Erstaunen offen.

Ach du heilige Scheiße. Das darf doch nicht wahr sein, oder?

Mit zitternden Fingern holte sie ihr Smartphone aus der Tasche und wählte Auers Handynummer.

Im Polizeipräsidium – 21:00 Uhr

„JETZT REICHT’S MIR LANGSAM!“

Duben hatte mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen, sodass das Ständermikrofon hochsprang und dann umfiel.

Auer ließ ihn gewähren. Sollte Duben nur den aggressiveren, lauteren und unnachgiebigeren Polizisten darstellen, der er eigentlich ja auch war. Er selbst würde es gleich noch einmal mit der etwas einfühlsameren und verständigen Methode versuchen.

Franzen ließ sich allerdings von Dubens Gebrüll nicht beeindrucken.

Er lächelte wieder, als er entgegnete: „Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, Herr Oberkommissar. Ich habe mit diesen Morden nichts zu tun, und da ich unschuldig bin, können Sie mir auch nichts beweisen, und ich brauche noch nicht einmal einen Anwalt. Ach übrigens, wieso sind Sie denn in Ihrem Alter noch Oberkommissar? Oder sind Sie etwa irgendwann degradiert worden?“

Auer gelang es gerade noch, Duben zurückzuhalten, bevor er dem arroganten Schnösel über den Tisch hinweg an den Hals gehen konnte.

„Gerd, ganz ruhig, das will er doch nur. Lass dich nicht provozieren. Hol uns lieber mal zwei Kaffee, sei so gut, bitte.“

Widerstrebend und schwer atmend nahm Duben sich etwas zurück, warf Franzen einen bitterbösen Blick zu und stampfte dann wutschnaubend aus dem Vernehmungszimmer. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte Auer sich wieder dem zufrieden grinsend mit verschränkten Armen ihm gegenübersitzenden Verdächtigen zu.

„So, und weil wir jetzt so schön unter uns sind, lassen Sie uns mal Tacheles reden.“

Die Formulierung „unter uns“ war angesichts der Aufnahmegeräte in dem Raum, die sowohl die Unterhaltung als auch Videos aus zwei verschiedenen Blickwinkeln aufnahmen, zwar etwas unangebracht, aber Franzen schien sich nicht daran zu stören.

„Sie wollen mir nicht wirklich vormachen, Sie wüssten nicht, warum Sie unter dringendem Tatverdacht stehen, der von uns gesuchte Serienmörder zu sein, oder? Sie sind ganz offensichtlich ein Psychopath, Ihr ganzes Verhalten spricht Bände. Sie fühlen sich uns haushoch überlegen und glauben, wir könnten Ihnen gar nichts. Wenn Sie sich da mal nicht täuschen. Die Durchsuchung Ihrer Wohnung wird uns auf die richtige Spur bringen, da bin ich absolut sicher. Momentan haben wir zwar nur Indizien für Ihre Täterschaft, aber das wird für einen Haftbefehl sicher reichen. Schließlich liegt Ihr Büro im selben Gebäude wie das Fitnessstudio, in dem das Opfer Beate Furch trainiert hat, Sie kannten das Opfer Bräunig persönlich, das letzte Opfer hat nur einen Steinwurf von Ihnen entfernt gearbeitet, und Sie haben auch noch einen Blick aus Ihrem Büro auf die Dachterrasse des Forum Confluentes. Von Ihrer Wohnung aus ist es nur ein Katzensprung bis zu der Stelle unter der Mosel­brücke, wo der Obdachlose Arne Beisicht ermordet wurde, und ich bin sicher, wenn wir alle Videoaufzeichnungen ausgewertet haben, finden wir den Beweis, dass Sie im selben Supermarkt eingekauft haben, vor dem Beisicht mit seinen Kumpels immer herumgelungert hat. Machen Sie sich keine Hoffnungen, aber nun, da wir Sie in Gewahrsam haben und Ihre Wohnung durchsuchen, kann es nicht mehr lange dauern, bis wir die Beweise in der Hand haben.“

Befriedigt stellte Auer fest, dass trotz seiner sachlichen und ruhigen Darstellung der bisherigen Erkenntnisse Frederic Franzen ein wenig nervös geworden zu sein schien. Das Lächeln war verschwunden, und er blickte Auer nun aus zusammengekniffenen Augen an. Er lehnte sich nach vorne, stützte sich mit den Unterarmen auf dem Tisch ab und brachte sein Gesicht so nahe wie möglich an Auers heran. Dabei legte er den Kopf ein wenig schief und betrachtete Auer forschend.

Kriegt er es jetzt mit der Angst zu tun? Kommt jetzt sein Geständnis? Zumindest hat er seine überhebliche Art mal für einen Moment abgelegt.

„Sie wollen mir doch nicht etwa gefälschte Beweise unterschieben, nur weil Sie aufgrund des öffentlichen Drucks nun bald mal einen Täter präsentieren müssen?“

Er stierte in Auers Augen, als könne er in ihnen lesen, welche Intention sich hinter den Aussagen von Auer verbarg.

„Ich glaube“, ergänzte er nach einigen Sekunden langsam, „jetzt wird es doch langsam Zeit, dass ich mich um einen Anwalt kümmere. Bis dahin hören Sie von mir keinen Ton mehr.“

Er lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte düster vor sich auf den Tisch.

Na also, dachte Auer zufrieden, das ist der erste Schritt in Richtung Geständnis. Wir sind dem Richtigen auf der Spur, und ich will ...

Seine Gedanken wurden vom Klingeln seines Handys unterbrochen.

„Auer, was gibt’s, Coco? Habt ihr was gefunden?“

Gespannt lauschte er Cocos Ausführungen, und seine Augen wurden immer größer.

„Bist du dir sicher? Ich kann’s nicht fassen.“

Erregt war er aufgesprungen und scherte sich einen Dreck um Franzens verwunderten Gesichtsausdruck.

„Pack sofort alles ein und komm aufs Präsidium. Das muss ich mir selbst hier ansehen.“

Er beendete die Verbindung und eilte zur Tür ... die in genau diesem Moment aufgestoßen wurde. Beinahe wäre er mit Duben zusammengerasselt, der zwei Kaffeebecher balancierend im Rahmen stand.

„Vergiss den Kaffee, Gerd. Sorg bitte dafür, dass Franzen einer vollständigen erkennungsdienstlichen Behandlung zugeführt wird und anschließend unter Bewachung wieder hier im Vernehmungszimmer auf uns wartet. Coco kommt gleich mit ein paar Fundstücken aus Franzens Wohnung, die wir uns unbedingt sofort ansehen müssen.“

„Und das ist wichtiger als die Vernehmung?“, fragte Duben verwundert.

„Ich fürchte ja.“

Verwundert den Kopf schüttelnd, blickte Duben ihm hinterher, bevor er sich um die ED-Behandlung des Verdächtigen kümmerte.