Kapitel 39
Präsidium – 15:25 Uhr
„Ich habe die Aufzeichnungen. Wem soll ich sie geben?“
Der Kollege war hereingestürmt und hatte einen Packen DVDs in der Hand hochgehalten. Dabei blickte er sich um und schien auf Anweisungen zu warten.
„Gerd“, rief Auer in Richtung von Dubens Schreibtisch, „kümmerst du dich mit Harry um die Auswertung, bitte? Ich möchte Fisch bei der Sichtung der Asservate aus der Wohnung unterstützen.“
Suchend blickte sich der Kollege mit den DVDs um, bis Duben hinter seinem Schreibtisch die Hand hob und ihn zu sich winkte. Auer war sich sicher, dass die Durchsicht der Aufnahmen der Überwachungskameras von den Parkdecks des Shoppingcenters bei den beiden in guten Händen war. Er selbst zog es vor, Fisch bei der Auswertung der fortlaufend in großer Zahl eingehenden Fotografien aus der Wohnung über die Schulter zu schauen. Getreu dem Motto „vier Augen sehen mehr als zwei!“ hegte er die Hoffnung, dass sie gemeinsam nichts übersehen würden. Was der eine nicht bemerkte, würde dem anderen auffallen.
Einen ersten Erfolg hatten sie zu verbuchen, als Auer den Vorschlag machte, auf einem von zwei nebeneinanderstehenden Bildschirmen die Fotos der Plastikabfälle und auf dem zweiten Monitor jeweils einen Supermarktbeleg zu zeigen. Sehr schnell entdeckten sie einen Kaufbeleg, auf dem sie sowohl einen Joghurt als auch eine Packung Wurst fanden, zu denen die entsprechenden Verpackungen im Plastikmüll vorhanden waren. Ebenfalls auf diesem Beleg stand eine Flasche Whisky. Sofort erinnerte Auer sich an das, was Professor Mangel am ... wie lange war das eigentlich her? ... gesagt hatte. Er versuchte sich zu erinnern. Es war Mittwochnachmittag gewesen, genau. Am Mittwochnachmittag war er mit Coco nach Mainz zu Mangel gefahren. Mit einem Seufzer schüttelte er die wehmütigen Gedanken an die Fahrt mit Coco ab und griff stattdessen zu seinem Handy.
Zehn Sekunden später meldete sich der Angerufene.
„Hallo, Ulf. Wie kann ich dir helfen?“
Wie immer kam Professor Wolfgang Mangel sofort zur Sache, was Auer so an ihm schätzte. Mit ein Grund, sich nicht in Belanglosigkeiten zu verlieren, dafür war später irgendwann mal wieder Zeit.
„Wolfgang, ich muss noch einmal auf etwas zurückkommen, was du uns anlässlich der Obduktion von Arne Beisicht, dem Obdachlosen, erzählt hast. Es geht um die Whiskysorte, und ich glaube mich zu erinnern, dass du gesagt hast, es sei ein Scotch gewesen und die Analyse könnte ergeben, welcher. Steht diese Aussage noch?“
„Allerdings.“
„Dann wäre es jetzt wichtig, dass du diese Analyse veranlasst. Wir haben bei einem Verdächtigen einen Einkaufsbeleg gefunden, und da steht ein Whisky namens ...“
„Stopp, stopp, rede nicht weiter. Ich habe eine Überraschung für dich. Wie es der Zufall so will, habe ich vor einer Stunde das Ergebnis der Analyse bekommen. Einen Moment bitte.“
Auer hörte Geraschel und ein halblaut gemurmeltes „Verdammt noch mal, wo hab ich’s denn?“ Schließlich kehrte Mangel wieder ans Telefon zurück.
„Na also, in einem ordentlichen Haushalt findet sich alles früher oder später mal wieder an. Ich hätte euch das Ergebnis spätestens morgen gemailt, aber wo du jetzt schon mal dran bist ...“
„Wolfgang, sei mir nicht böse, aber Coco, meine junge Kollegin, ist sehr wahrscheinlich von diesem wahnsinnigen Killer entführt worden, und wir sind mit hoher Wahrscheinlichkeit einem Tatverdächtigen auf der Spur. Also ... es eilt etwas.“
Mangels Tonfall änderte sich sofort von seiner üblichen Amüsiertheit zu echter Betroffenheit.
„Um Himmels willen, warum hast du das nicht gleich gesagt? Wie geht es ihr? Ich meine ... Blödsinn, das könnt ihr ja nicht wissen. Mein Gott, ich hoffe, ihr findet sie rechtzeitig, bevor ... ach, was rede ich denn ...“
„Wolfgang! Bitte, das Ergebnis.“ Er bemerkte, dass seine Stimme einen fast flehentlichen Klang hatte, aber es war ihm egal. Seine einzige Sorge galt im Moment Coco.
„Natürlich, entschuldige. Also ... laut der Analyse handelt es sich um einen schottischen Single Malt Whisky der Marke ,Glen Broch‘, keine besonders teure Sorte, er müsste in Supermärkten für unter 15 Euro pro Flasche erhältlich sein.“
Auer warf noch mal einen Blick auf den Kassenbon. „Genauer gesagt 13,99 Euro in dem Supermarkt, von dem ich den Kassenzettel in Händen halte. Volltreffer. Danke, Wolfgang.“
Bevor der noch etwas sagen konnte, hatte Auer aufgelegt.
„Leute, aufgepasst“, rief er in den Raum hinein, „wir haben einen kleinen Durchbruch. Laut Analyse der Rechtsmedizin handelt es sich bei dem Whisky, mit dessen Hilfe Opfer Nummer zwei, Arne Beisicht, betäubt wurde, um genau die Marke, die hier auf einem Kassenbon steht. Den Zettel können wir aufgrund von Abfällen ziemlich sicher Ferdinand Hofbauer zuordnen. Also ... wir sind auf dem richtigen Weg. Das bedeutet: volle Power weiter in dieser Richtung. Wir müssen einen Hinweis darauf finden, wo das Arschloch Coco gefangen halten könnte. Wir müssen einfach! Also legt euch ins Zeug.“
Beruhigt registrierte er, dass alle Anwesenden zustimmend nickten und sich sofort wieder an ihre Arbeit machten.
Er hatte sich inzwischen seinen Bürostuhl herangezogen und saß leicht schräg hinter Fisch, sodass er die beiden Bildschirme beobachten konnte. Auf jedem Monitor wurden in einer Bildergalerie die einzelnen Fotos immer in einer Aufteilung von drei Reihen à sechs Bilder dargestellt. Fisch öffnete sie nacheinander formatfüllend, klickte sie an und schrieb dann einen Text dazu.
„Was machst du da?“, erkundigte sich Auer, der nicht ganz verstand, was die Texteingabe für einen Sinn haben sollte.
Fisch unterbrach seine Arbeit und sah ihn vorwurfsvoll an. „Mein lieber Ulf, wir haben inzwischen insgesamt 849 Bilder ... oh, entschuldige, ich sehe gerade, es sind schon 874 geworden ... wenn du nicht gerade ein fotografisches Gedächtnis hast, nützt es uns gar nichts, die Bilder nacheinander anzusehen. Vielleicht wenn du Weltmeister in diesem Kindermerkspiel MEMORY wärst, aber selbst das bezweifle ich. Also habe ich alle Bilder in einer Bilddatenbank abgelegt und versehe sie dann einzeln mit Tags, damit ...“
„Mit was?“
„Mit Tags, so nennt man Wörter oder Begriffe, die an ein Bild drangehängt werden und nach denen man dann mit Suchparametern suchen kann. Schau her.“
Fisch öffnete ein Suchfenster und gab die Begriffe „Strom“ und „Rechnung“ ein. Unmittelbar danach erschienen drei Bilder. Er doppelklickte das erste Bild, und die dazugehörigen Tags erschienen: Strom, Rechnung, Mahnung, 2014. Dann klickte er das zweite Bild an, und es erschien: Zahlkarte, Überweisung, Konto, Rechnung, Strom, 2015.
„Na, verstanden, worum es mir geht?“
Selbstverständlich hatte Auer es verstanden, und trotz des hohen Aufwandes, jedes Bild mit einer ausreichenden Anzahl von Begriffen zu versehen, hielt er es für eine geniale und hoffentlich zielführende Idee.
„Ja, hab ich. Super Idee, mach weiter so.“
Er sah Fisch noch eine Weile zu, wie er immer wieder Bilder aufrief und sie mit Tags versorgte. Dabei stellte er fest, dass es ein zeitraubendes Verfahren war und sicherlich noch lange dauern würde, bis die Flut an Bildern entsprechend mit möglichen Suchbegriffen versehen war.
„Hör mal, ich hab da so eine Idee.“
Fisch unterbrach dankbar die Tipparbeit und drehte sich auf seinem Stuhl zu Auer.
„Wie wäre es, wenn du dir die Arbeit der Erfassung mit noch zwei Kollegen teilst? Das ginge schneller, und wir hätten früher die Möglichkeit, Zusammenhänge herzustellen, oder?“
Fisch schien nicht begeistert zu sein, überlegte einen Moment lang und nickte dann zögerlich.
„Okay, aber ich muss die Kollegen einweisen. Es ist unabdingbar, dass man die Tags nach gewissen Regeln eingibt, sonst hast du hinterher keine Treffer. Also ... um bei unserem Beispiel von eben zu bleiben: Du darfst keine unterschiedlichen Worte für das Gleiche nehmen.“
Er rang nach Worten, bis ihm ein griffiges Beispiel einfiel: „Der eine Kollege schreibt -Überweisungsträger-, der nächste schreibt -Zahlkarte-, und der Dritte schreibt -Bankbeleg-. Je mehr Kollegen du beschäftigst, um so mehr verschiedene Begriffe bekommst du. Allerdings ...“, er schien zu überlegen und horchte in sich hinein. Dann runzelte er die Stirn. „Wenn ich’s recht überlege, ist das gar nicht so tragisch, ich müsste dann nur mit ,oder‘ suchen und bekäme bei entsprechender Verbindung der Abfrageparameter mit den richtigen Booleschen ...“
Auer hörte ihm schon nicht mehr richtig zu, zumal er nur die Hälfte verstand. Er stand auf und ging zu dem Kollegen, der die DVDs mit den Überwachungsaufnahmen gebracht hatte. Im Weggehen bemerkte er noch, dass Fisch weiterhin vor sich hin brabbelte und sich offenbar selbst erklärte, wie er am besten bei der Auswertung vorgehen könnte.
Der Kollege stand hinter den Stühlen von Duben und Harry. Er blickte ihnen über die Schulter und beobachtete mit ihnen die Aufnahmen aus der Tiefgarage.
Fünf Minuten später saß er an einem PC, und Fisch wies ihn in die Bedienung der Bildersoftware und die Tücken der Eingabe von Bilder-Tags ein.
Auer war zufrieden, ihn einer sinnvollen Tätigkeit zugeführt zu haben. Trotzdem wollte er sich auch die Bilder ansehen und ließ sich von Fisch noch einen Zugriff auf die Bilderdatenbank einrichten, damit er das an seinem Arbeitsplatz tun konnte. Dann besorgte er sich von der auf Hochtouren laufenden Kaffeemaschine erst mal einen neuen Pott Kaffee. Wieder am Tisch, überlegte er, ob er sich alle Bilder noch mal von vorne ansehen sollte, und entschied sich dagegen. Die zuletzt übermittelten Bilder zuerst. Gerade als er sie öffnen wollte, rief Duben ihm quer durch den Raum zu: „Ulf, kannst du mal zu uns kommen? Das solltest du dir ansehen!“
Die Überwachungsvideos! Er sprang auf und stand nach wenigen Schritten hinter Duben und Harry.
„Was habt ihr?“, fragte er aufgeregt und bemerkte, dass seine Handflächen feucht wurden. Geistesabwesend wischte er sich die Hände an seiner Hose ab.
Duben übernahm es, ihm das Video zu erklären: „Pass auf, das hat die Überwachungskamera im Parkdeck 3 ab genau 11:59 Uhr aufgenommen.“
Auf dem etwas grobkörnigen Schwarz-Weiß-Bild war die Sicht auf eine Reihe von Parkbuchten, teilweise verdeckt durch Säulen, zu sehen. Von links kam eine Person ins Bild, die Auer sofort als Coco erkannte. Sie blickte sich suchend um und blieb dann vor einer leeren Parkbucht stehen. Dort stand sie dann und blickte die nächsten drei Minuten abwechselnd in verschiedene Richtungen.
„Sie wartet auf jemanden“, stellte Harry das fest, was jeder Beobachter selbst deutlich erkennen konnte. Auf einmal zuckte die Gestalt zusammen und fasste sich mit der rechten Hand an den Nacken.
„Halt, noch mal zurück und dann bitte langsamer ablaufen lassen“, rief Auer aufgeregt.
Duben steuerte mit der Computermaus einige Punkte an, und das Video begann erneut, diesmal aber wesentlich langsamer und etwas ruckelnd, zu laufen. Laut Timecode zeigte die jetzige Darstellung eine Sekunde Echtzeit in vier Sekunden. Wieder war zu sehen, wie die Person zusammenzuckte und sich dann mit der Hand in den Nacken fasste. Nur zwei Echtzeitsekunden später ging sie ganz langsam in die Knie und kippte schließlich zur Seite. Danach lag sie reglos auf dem Boden.
Auer war entsetzt. „Um Gottes willen, was ist da passiert? Wurde sie angeschossen oder was?“
„Ich denke eher, dass sie von einem Betäubungspfeil getroffen wurde oder etwas Ähnlichem. Da, siehst du, wie sie nach dem Zusammenzucken noch nach rechts und links schaut? Wenn das ein Schuss gewesen wäre, hätte das anders ausgesehen.“
Auer war froh, dass er Dubens Meinung teilen konnte. Ja, es sah so aus, als wäre Coco mit irgendetwas betäubt worden. Das gab zumindest Hoffnung, dass sie noch lebte.
Seine Gedanken wurden durch die folgenden Geschehnisse abgelenkt. Eine Gestalt in dunkler Kleidung und einer Kapuze über dem Kopf näherte sich aus Richtung der Kamera der am Boden liegenden Coco, bückte sich, hob sie auf und trug sie dann von der Kamera weg. Die gesamte Zeit war lediglich sein Rücken zu sehen, und es war unmöglich zu sagen, ob das Hofbauer gewesen war.
„Scheiße, das hilft uns kein bisschen weiter. Wo ist er hingegangen? Ist er noch auf anderen Videos zu sehen? Was habt ihr noch gefunden?“
Auer hatte seine Emotionen kaum noch im Griff. Zu sehr bedrückte es ihn, mit ansehen zu müssen, wie seine Kollegin betäubt und fortgebracht wurde.
„Er muss ein Fahrzeug in einem toten Winkel geparkt haben, denn auf keinem der anderen Videos ist der Kapuzenmann noch einmal zu sehen“, erläuterte Harry.
„Aber“, fuhr Duben fort, „wir haben extra gewartet, bis wir auch noch etwas Positives vermelden können, bevor wir dir dieses frustrierende Video gezeigt haben.“
Überrascht sah Auer ihn an, hielt aber den Mund, worauf Duben schnell fortfuhr: „Wir haben einfach mal vermutet, dass der Täter so schnell wie möglich mit Coco von dort verschwinden will, und uns deshalb ab genau dieser Uhrzeit alle aus dem Parkhaus fahrenden Fahrzeuge angesehen. Das ist insofern leichter, weil es nur eine einzige Ausfahrt gibt, allerdings dort die Fahrzeuge von allen Parkdecks rausfahren.“
Er startete ein weiteres Video, auf dem eine etwas größere Aufnahme der zwei Ausfahrtspuren vor den rot-weißen Balken zu sehen war. Man konnte aus einer Sicht von schräg hinten deutlich erkennen, wie Scheiben auf der Fahrerseite nach unten gingen und Hände die kleine Papierkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz steckten. Unmittelbar darauf ging die Schranke nach oben, und die Fahrzeuge fuhren durch. Bei dieser Gelegenheit war dann immer auch noch das Kennzeichen gut zu erkennen.
Auer war verzweifelt. „Was sollen uns diese Aufnahmen helfen? Wir müssten ja alle ...“
In diesem Moment fiel ihm auf, dass die beiden Kollegen vermutlich genau das, was er eben hatte sagen wollen, bereits gemacht hatten, sonst hätten sie keine gute Nachricht für ihn gehabt.
„Ihr habt die Kennzeichen überprüft, oder? Was ist dabei rausgekommen?“
„Keines der Kennzeichen der Fahrzeuge, die in den folgenden 20 Minuten nach Cocos Verschleppung rausgefahren sind, ist als gestohlen gemeldet. Also haben wir uns die Halter und Zulassungsdaten für jedes Kennzeichen aus dem System des Kraftfahrtbundesamtes geholt ... und siehe da, Treffer!“
Auer sah Harry verwundert an. „Wieso Treffer, wenn doch keine Diebstahlsmeldung vorlag?“
Nun grinste auch Duben ihn frech an. „Das ist zwar richtig, aber beim Abgleich der Zulassungsdaten ist uns aufgefallen, dass eines der Kennzeichen zu einem Mini-Cooper Innocenti aus dem Jahr 1998 gehört.“
Auer ahnte, worauf das hinauslief. „Und auf was für einem Fahrzeug war es montiert?“
„Auf einem Transporter“, berichtete Harry triumphierend.
„Diese Ratte. Er hat einfach ein Kennzeichen von einem geparkten Fahrzeug abmontiert und nur für die Ausfahrt montiert. Der Diebstahl ist zu dieser Zeit noch gar nicht bemerkt worden.“ Er überlegte einen Augenblick und kam schließlich auf den folgerichtigen Gedanken. „Aber mit welchem Kennzeichen ist er ins Parkhaus eingefahren?“
Duben verzog säuerlich das Gesicht.
„So weit haben wir auch schon gedacht. Aber um das beantworten zu können, müssten wir die Aufzeichnungen rückwärts betrachten, die wir uns erst mal besorgen müssten. Und dann kann es sein, dass der Wagen vielleicht mehrere Tage im Parkhaus stand oder vielleicht auch mit einem falschen Kennzeichen reingefahren ist, das dann entsorgt wurde, weil es vermutlich inzwischen als gestohlen gemeldet wurde. Alles ziemlich aufwendig ohne wirkliche Aussicht auf durchschlagenden Erfolg.“
Er sah Auers enttäuschten und verzweifelten Blick und fuhr eilig fort: „Aber wir ...“, er erntete einen Schlag auf den Oberarm von Harry, „oh, entschuldige, HARRY hatte eine Idee, die uns wesentlich weiter gebracht hat. Nachdem wir jetzt wussten, nach welchem Fahrzeug wir Ausschau halten sollten, haben wir die anderen Aufzeichnungen aus dem Parkhaus noch mal angesehen. Sie liegen zeitlich zwischen der Entführung und der Ausfahrt. Und tatsächlich ist der Wagen auf mehreren Aufnahmen zu sehen, wie er auf dem Weg zur Ausfahrt ist. Ganz besonders interessant ist diese Aufnahme.“
Er drückte wieder einige Knöpfe, und es war eine Abfahrt zum nächsttieferen Deck zu sehen. Von rechts kommend kam der Lieferwagen seitlich ins Bild, um dann in die Abfahrt einzubiegen.
„Verdammt“, fluchte Auer, „wegen der starken Reflexion kann man den Fahrer nicht erkennen. Das hilft uns auch nicht wirklich weiter. Mist.“
Duben sah ihn erstaunt an. „Ich führe es mal auf deine Aufregung zurück, dass du das Offensichtliche übersehen zu haben scheinst. Pass auf, ich spiele es dir noch mal vor.“
Die Aufnahme spulte zurück, und beim zweiten Durchlauf konzentrierte Auer sich nicht wieder auf das Fenster der Fahrertür. Diesmal sah er es.
„Natürlich. Der Aufdruck auf der Seite des Lieferwagens.“
Dort stand in großen Lettern:
Catering HOLLEN
Partyservice / Veranstaltungen
„Vielleicht kommen wir ja damit etwas weiter. Diesbezüglich haben wir noch nichts unternommen, Wir waren der Meinung, dass es nun mal an der Zeit wäre, dich zu informieren.“
„Danke. Kümmert euch bitte weiter drum, ob ihr etwas zu diesem Caterer herausfinden könnt. Ich will mir derweil noch mal die Bilder aus der Wohnung ansehen.“
Er ging wieder an seinen Arbeitsplatz und rief die Bilderdatenbank erneut auf. Inzwischen war die Zahl der Bilder auf über 950 angewachsen, also hatte er einiges in der Zwischenzeit verpasst. Da die Bilder durchnummeriert waren, begann er, sich die Fotos ab der Nummer 850 anzusehen. Er blätterte sie einzeln auf, sah sie sich in Vergrößerung an, versuchte etwas in dem Wust an Informationen zu erkennen ... und scheiterte kläglich. Ihm wollte einfach nichts auffallen, was für die Fahndung nach Hofbauer irgendwie hätte nützlich sein können.
Gerade als er Bild 914 vergrößern wollte, meldete sich ein Gefühl, das ihm signalisierte, dass er irgendetwas gesehen hätte, was vielleicht wichtig war. Er wusste nicht, was das gewesen sein sollte, aber es war auf einem der letzten Bilder zuvor gewesen.
Also ging er noch einmal ganz langsam rückwärts durch die bisher angesehenen Fotos. 913 ... nichts. 912 ... nichts. 911 ... ni... halt! Irgendwas auf diesem Foto war seltsam. Er konnte es nicht greifen, nicht wirklich bestimmen, aber sein Gefühl sagte ihm, dass auf diesem Bild etwas zu sehen war, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Aber was?
Das Bild zeigte eine Wand des Zimmers, in dem auch der Schreibtisch stand, an der vier Urkunden befestigt waren.
Es war nichts Ungewöhnliches daran, dass ein Verwaltungsbeamter in den Diensten der Stadt Koblenz sich die Ernennungsurkunde an die Wand hängte. Er vergrößerte den Bereich und sah sich die Urkunden genauer an. Fein säuberlich in Glasrahmen gefasst hingen dort: die Urkunde über den Abschluss des Bachelor-Studiums im Bibliothekswesen, im gehobenen Verwaltungsdienst, die Ernennungsurkunde zum nichttechnischen Beamten im gehobenen Verwaltungsdienst (Bibliothekswesen) und die Ernennungsurkunde zum Verwaltungsinspektor auf Probe.
Es war die vierte Urkunde, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte und die nicht in die Reihe der anderen passte. Er vergrößerte das Foto so, dass die Urkunde den gesamten Bildschirm ausfüllte und er alles lesen konnte.
Es handelte sich um eine Siegerurkunde über der groß und breit „1. Platz“ stand. Aber das war es nicht gewesen, was ihn hatte stutzen lassen, auch nicht die Disziplin, in der Hofbauer gewonnen hatte ... es war der Ort, der ihn an etwas erinnerte.
„Fisch!“, brüllte er hinter sich. „Sofort zu mir!“