Prolog – Montag, 01.08.
Koblenz-Moselweiß – 09:00 Uhr
„Ja, bitte?“
Die Stimme der jungen Frau klingt unsicher, aber nicht ängstlich, was ich selbst durch die Sprechanlage leicht erkennen kann. Sie hat nicht mit Besuch gerechnet. Also setze ich mein strahlendstes Lächeln auf und blicke in die Kamera.
„Hallo, ich habe hier eine Warenlieferung für Frau Beate Furch.“
Eine Uniform wirkt immer Wunder. In Verbindung mit einem wenigstens halbwegs adretten Äußeren und freundlichem Auftreten öffnet sie einem alle Türen ... und zwar ohne Probleme. Auch in einem Zweifamilienhaus in Koblenz-Moselweiß.
Nachdem die Gartentür mit vernehmlichem Summen aufgegangen ist, schlendere ich langsam in Richtung Haus, wo ich an der Haustür erneut warten muss, bis sie nach einem kurzen Summen aufgeht. Selbstverständlich weiß ich, dass Fräulein Furch zu dieser Uhrzeit alleine im Haus ist. Die Bewohner des Erdgeschosses sind beide auf der Arbeit, und Beate Furch ist alleinstehend. Ich weiß noch viel mehr von der hübschen jungen Dame. Sie ist 26 Jahre alt, hat einen sehr gut bezahlten Job ... und heute einen Tag frei, weil sie am späten Vormittag einen Termin beim Schönheitschirurgen hat. Da es gerade 09:00 Uhr ist, wird sie jetzt noch beim Frühstück sitzen.
Gemächlich gehe ich die Treppe zu der Wohnung im Obergeschoss hinauf, wobei mir der Gurt der schweren Umhängetasche ein wenig in die Schulter schneidet. Das schwere Paket vor mir hertragend, erklimme ich die Stufen und lasse es dann mit einem lauten Plumps vor der Wohnungstür auf den Boden knallen.
„Na, hören Sie mal, können Sie damit nicht ein wenig vorsichtiger umgehen? Es könnte doch zerbrechlich sein!“, schnauzt sie mich durch den bereits geöffneten Türspalt an.
Nein, kann es nicht! Ich weiß, dass in der Kiste nichts kaputtgehen kann. Aber das kann sie nicht wissen. Ich hingegen weiß, dass sie so viel bei den verschiedensten Online-Händlern bestellt, dass sie vermutlich den Überblick verloren hat.
Ich setze einen um Verzeihung bittenden Blick auf.
„Bitte entschuldigen Sie, der Karton ist ganz schön schwer. Was haben Sie denn da bestellt? Backsteine?“
„Keine Ahnung. Tragen Sie mir den Karton gefälligst bis ins Wohnzimmer, ja?“
Nur zu gerne. Was meinst du, warum ich erwähnt habe, dass das Teil sauschwer ist, du arrogante Kuh?
Gehorsam trage ich den Karton an ihr vorbei.
„Da vorne links bitte.“
Muss sie mir nicht sagen. Aber natürlich bin ich unschlüssig im Flur stehen geblieben, als würde ich mich nicht auskennen.
Ich war bereits zwei Mal in ihrer Abwesenheit in dieser Wohnung gewesen, weiß mehr über Fräulein Furch als ihre Arbeitskolleginnen und habe sie nicht ohne Grund ausgesucht, nachdem sie mir im Fittnessstudio aufgefallen ist.
Im Wohnzimmer angekommen, stelle ich den Karton mitten in den Raum und wische mir den Schweiß von der Stirn. Danach entnehme ich meiner Umhängetasche die Schreibkladde und halte sie ihr hin.
„Sie müssten mir noch den Empfang quittieren, bitte.“
Sie wundert sich nicht, dass ich grobe Handwerkerhandschuhe trage, immerhin habe ich gerade ein sehr schweres Paket in ihre Wohnung getragen. Als sie sich nach vorne beugt und die Augen zusammenkneift, weil das Schriftstück auf der Kladde so extrem klein gedruckt ist, geht meine rechte Hand mit dem getränkten Lappen von hinten um ihren Kopf herum, und ich drücke ihr das Stück Stoff fest über Mund und Nase.
Es dauert nur wenige Sekunden, bis sie schlaff in meinen Armen hängt. Dieser neue Äther-Ersatz, der praktischerweise geruchsneutral ist, wirkt wirklich gut und schnell. Ich bin beeindruckt. Langsam und vorsichtig lasse ich sie zu Boden gleiten und verschaffe mir dann noch mal einen letzten Überblick über die restliche Wohnung, um sicherzustellen, dass nicht vielleicht ein Übernachtungsgast noch im Schlafzimmer liegt, den ich nicht eingeplant habe.
Da das Haus im Hang liegt, genieße ich durch das Panoramafenster des Wohnzimmers für einen Augenblick den unverbaubaren Ausblick auf die Mosel, die gemächlich und träge in der strahlenden Sonne vorbeizieht.
Widerwillig reiße ich mich von dem Anblick los. Ich habe noch viel zu tun und möchte auch nicht in Zeitnot kommen.
Also öffne ich das schwere Paket und fange an, die erforderlichen Utensilien auszupacken. Eigentlich freue ich mich nicht wirklich auf die Sauerei, die ich nun gleich veranstalten muss, aber das erwartete Endergebnis lässt mich doch in freudiger Erwartung ein kleines Liedchen pfeifen, während ich die Plastikplane und die kleine akkubetriebene Kettensäge auspacke.
Die groben Arbeitshandschuhe tausche ich gegen chirurgische Einweghandschuhe aus, denn mein Vorhaben erfordert doch einiges an Fingerspitzengefühl. Dann mache ich mich an die unangenehme Metzgersarbeit. Ich bin noch nicht einmal halb fertig, als die Katze meines Opfers, eine wunderschöne Türkisch Angora, miauend ins Zimmer tritt, kurz an dem Blut auf der Plane schnuppert und mir dann schnurrend um die Beine streicht.
Was für ein schönes Tier. Zärtlich streichle ich seinen Nacken und überlege, was ich mit ihm machen soll. Aber das hat Zeit bis später, erst mal muss ich mit meiner eigentlichen Arbeit fertig werden. Es ist noch viel zu tun, bis alles so aussieht, wie ich es mir vorgestellt habe.