ZWEIMAL ZWEI ZYLINDER

Zartes Rosa. Feiertagswetter. Mariä Himmelfahrt. Eine einsame Bergstraße. Ein heiseres Röhren zerschneidet die Morgenstille. Die Ducati liegt hart in der Kurve. Fußrasten auf Asphalt, Funkenregen. Am Scheitelpunkt der Kurve brüllt der Zweizylinder auf und schießt davon. Sonorer Kontrapunkt zur giftigen Ducati: Bollern im tiefen Drehzahlbereich. Nicht ganz so rasant, dafür in lässiger Eleganz fädelt die Triumph in die S-Kombination. Auf der Geraden ebenfalls Vollgas. Nächste Kurve. Der Blitzer flammt zweimal rot auf. Dosi flucht. Und grinst. Nummernschild hinten. Trotzdem drosselt sie das Tempo etwas. Nicht dass die Kollegen persönlich vor Ort sind. Scheiß drauf, sie reißt das Gas wieder auf, sonst holt sie ihn nie ein. Einen Kilometer weiter sieht sie endlich das rote Bremslicht vor einer Kurve aufflammen. Haarnadel, sie geht tief rein, Reifen kurz vorm Wegschmieren, sie bleibt am Gas und donnert aus der Kurve heraus. Adrenalin flutet ihren Körper. Lederkombi schweißnass. Jetzt geht sie vom Gas, lässt die Triumph ausrollen, schert in den Parkplatz auf der Passhöhe ein. Marlon lehnt an der Ducati und raucht. Dosi stellt die Triumph ab und zieht den Helm runter. Die Haare kleben ihr an der Stirn.

»Sauber«, sagt Marlon. »Du hast deine Maschine gut im Griff.«

»Geht schon«, schnauft sie, »aber gegen deine Rennsemmel hab ich keine Chance.« Sie holt aus ihrem Tankrucksack eine Plastikflasche Mineralwasser und bietet Marlon davon an.

»Nein danke.« Marlon zieht an seiner Zigarette.

Dosi trinkt in großen Schlucken.

»Ist dir die Kiste nicht zu schwer?«, fragt Marlon und deutet auf die Triumph.

»In der Ruhe liegt die Kraft. Und ich mag überschaubare Technik.«

»Willst du mal probieren?«, fragt er und tippt mit dem Zeigefinger an den Tank der Ducati.

»Du spinnst.«

»Nein, im Ernst.«

Dosi betrachtet das knallrote Motorrad. »Schon ein geiles Teil.«

»Na, komm!«, fordert Marlon sie auf.

»Okay, wenn du meinst. Vollkasko?«

»Eh klar. Pass auf die Kupplung auf, die kommt sehr früh. Der Motor mag am liebsten um die siebentausend. Kannst bis neuntausend hochdrehen. Ab zehntausend riegelt er automatisch ab. Vorsicht bei den ersten drei Gängen. Da steigt das Vorderrad schnell mal, wenn du zu viel Stoff gibst. Bremsen mit Gefühl, die sind giftig.«

»Okay, dann check ich das mal aus«, sagt Dosi und setzt ihren Helm wieder auf. Sie steigt auf die Ducati und startet den Motor. Sie staunt, wie perfekt sie auf das Motorrad passt, oder besser: in das Motorrad. Die liegende Position ist ungewohnt, aber sie fühlt sich eins mit der Maschine. Der Motor wummert zwischen ihren Oberschenkeln. Krachend rastet der erste Gang ein. »Einmal drüben runter und wieder hoch«, meldet sie sich bei Marlon ab und rollt los. Zuerst gibt sie nur vorsichtig Gas, aber nach der dritten Kurve hört Marlon den Motor fauchen. Er grinst und zündet sich noch eine Zigarette an.