»Sag mal, Hummel«, meint Dosi nach Dienstschluss auf der Straße, »hab ich dich gestern auf der Heimfahrt mit Mader in Giesing auf der Tegernseer Landstraße gesehen, bei der Eisdiele, mit einem Jungen?«
»Kann sein. Ich war mit Paul unterwegs.«
»Wer ist Paul?«
»Der Sohn meiner Freundin.«
»Beate hat ein Kind?«
»Nein. Das mit Beate ist aus.«
»Wie, aus?«
»Aus, eben. Finito.«
»Warum das denn?«
»Lange Geschichte. Ach, gar nicht mal so lang. Der Testfahrer ist wieder am Start. Ihr Ex ist nicht mehr ihr Ex. Aber ich will jetzt nicht darüber reden.«
»Okay. Paul also. Und der hat eine Mama?«
»Karla.«
»Sauber. Du machst Sachen. Lässt nix anbrennen.« Sie würde gern mehr wissen, merkt aber, dass Hummel nicht mehr dazu sagen will, und verabschiedet sich.
Nein, über seinen neuen Beziehungsstatus will Hummel im Moment keine Details erzählen. Ist alles noch so frisch. Fragil. Hummel sperrt sein Fahrrad auf und schiebt es durch die Fußgängerzone. Gedankenverloren durchpflügt er die Menschenmassen in der Kaufingerstraße. Karla. Er hat sie im Kabarett kennengelernt, wo er sich von seinen trüben Gedanken ablenken wollte. Die ihn überrollten, nachdem ihm Beate zugunsten ihres Ex den Laufpass gegeben hatte. Wie immer der das hingekriegt hat, was immer er ihr versprochen hat, der Depp.
Marienplatz: Japaner, Italiener, Amis, Sonnenbrillen, Sonnenhüte, Fotoapparate, Eisbecher, Bier und Coca-Cola auf den Bistrotischen. Ein wilder Mix. Und doch so normal. Hummel sieht zu dem wimpelgeschmückten Kiosk, dem lustigen Flattern im Wind: Deutschland, Bayern, FC Bayern, Sechzig, Regenbogenfahne – alles da. Fototapete aus Postkarten mit Dackeln, König Ludwig oder Sisi, Karl Valentin. Jodelalarm!
Hummel geht das Gespräch mit Dosi durch den Kopf. Dass er nix anbrennen lässt. So ein Quatsch! Er ist eine treue Seele, er überstürzt nichts. Aber manchmal passieren Dinge einfach so. Gerade war er noch in Trauer und drohte in Selbstmitleid zu ertrinken, da war alles schon wieder ganz anders. Alles voller Sonnenschein. Karla war im Theater im Fraunhofer neben ihm gesessen. Weil sie beide erst knapp vor Vorstellungsbeginn kamen, saßen sie nebeneinander in der ersten Reihe. Er hatte sich gewundert, warum so gute Plätze noch frei waren, bis er es gleich kapierte: Logisch – Sigi Zimmerschied rekrutiert Nebenrollen oft aus der ersten Reihe des Publikums. Das muss man mögen. Fiel ihm aber erst ein, als es schon zu spät war. Sie mussten jedenfalls beide kleine Nebenrollen einnehmen. Erst war es ihnen schrecklich peinlich, doch dann lachten sie ebenfalls. In der Pause tranken sie zusammen ein Bier und kamen ins Gespräch. Und kurz darauf wusste er, dass er verliebt war. Bing! In die Frau, die im Zuschauerraum des kleinen Theaters neben ihm saß. Lange braune Haare, fein geschnittenes Gesicht, Grübchen, dunkle Augen. Komplett anders als Beate. Nach der Aufführung musste Karla zu seiner Enttäuschung gleich nach Hause, aber er überwand sich und fragte nach ihrer Handynummer. Und sie hat sie ihm gegeben.
Er hat das Tal erreicht. Aus dem großen Secondhand-Kleidermarkt quillt eine Wolke muffiger Luft. Die Uhr am Isartor läuft wie immer links herum. Rauschender Verkehr am Altstadtring.
Nach einem Tag zittrigen Abwartens hat er Karla angerufen. Und sich mit ihr verabredet. Ein unglaublicher Abend. So schön. Wie im Märchen. Und jetzt sind sie ein Paar. So wie Beate und ihr blöder Testfahrer wieder ein Paar sind. Der Typ hat sich einfach in Beates Leben zurückgeschlichen. Hummel schüttelt den Kopf. Die Zeiten, in denen er sich deswegen in seiner dunklen Erdgeschosswohnung vergraben hätte, sind definitiv vorbei. Er staunt immer noch. So schnell kann es gehen: Jetzt hat er nicht nur eine neue Freundin, sondern gleich eine kleine Familie. Denn Karla hat einen zwölfjährigen Sohn: Paul. Natürlich gibt es da im Hintergrund noch einen Papa. Aber der interessiert ihn im Moment nicht. Er konzentriert sich ganz auf sein Glück.
Hummel hat die Museumsbrücke erreicht. Sieht runter in die glitzernde Isar. Sonnenreflexe im Wasser. Unzählbar.