OHNE ENDE

Und Hummel, was denkt der sich so? Ist es jetzt gut gelaufen für ihn in letzter Zeit? Beruflich durchaus. Aber privat?

Liebes Tagebuch,

ach, was soll ich sagen? Das Leben ist wunderbar! Jetzt dachte ich, der Sommer ist für dieses Jahr gelaufen, und dann scheint doch noch mal die Sonne für mich. Was für ein Supertag! Heute war ich mit Paul beim Fußball und anschließend beim Baden. Das Pokalspiel wurde endlich nachgeholt, und ich hatte am Freitag einen guten Grund, bei Karla anzurufen. Paul ist ans Telefon gegangen. Ich hab ihn gefragt, ob das okay ist, wenn wir ins Stadion gehen, auch für seine Mama, und er meinte nur: »Das entscheide ich ja wohl noch selbst. Wir sind doch befreundet!« Hat er gesagt. Respekt. Ja, logisch sind wir befreundet.

Also waren wir beim Fußball. Aichach war gar nicht schlecht und hat sich das 3:4 gegen 1860 tapfer erkämpft. Hat halt nicht ganz gereicht. Aber Riesenstimmung. Und auch schön für die Sechzger, denen gelingt ja sonst so wenig. Hinterher sind wir noch zum Baden gegangen, denn das Spiel war schon um 15 Uhr aus. Paul kennt einen neuen Badesee bei Dachau und wollte da unbedingt hin. Bisschen lange Anfahrt, aber hat sich echt gelohnt. Das war echt abgefahren da draußen. Nach einem Erdrutsch ist da kürzlich in einem Steinbruch ein großer See entstanden, und der ist jetzt der Hit bei den Kids. Da ist voll die Hölle los! Kein Wunder, die Szenerie schaut aus wie das Death Valley oder der Grand Canyon. Nur kleiner natürlich. Aber man kann von den Felsen runterspringen. So ein bisschen Schatz im Silbersee. Das kannte Paul natürlich nicht. Die Jugend von heute! Keine Ahnung von Winnetou. Ja, der Wilde Westen fängt gleich hinter Dachau an. Obwohl das ja eher der Norden ist. Da gehen wir bestimmt noch mal hin, wenn das Wetter noch ein bisschen hält. Dann nehm ich allerdings eine Brotzeit mit. Ich dachte, da gibt’s schon irgendwas zu kaufen. Von wegen. Sogar die Krähen haben uns ganz verhungert angeschaut. Ein Kiosk wäre dort jedenfalls eine echte Goldgrube. Vielleicht sollte ich umsatteln? Obwohl – was mach ich dann im Winter? Na ja – schreiben!

Jedenfalls war das wirklich ein Supersonntag. Als Paul und ich uns dann beim Mariahilfplatz getrennt haben, war das richtig dramatisch. Die Sonne ging gerade unter, auf dem Kirchplatz tanzte der Staub im orangen Licht, weil da drei Jungs mit ihren BMX-Rädern ihre Kreise drehten und Vollbremsungen machten. Und dann läuteten auch noch die Glocken. Es war schon 8 Uhr. Wir hatten noch ein richtig gutes Gespräch. So Cowboy-Dialog.

»Bestimmt ist deine Mama sauer, wenn du so spät kommst.«

»Nein, ich hab angerufen, und sie hat gesagt: kein Problem, wenn’s mit dir ist.«

»Echt? Das hat sie gesagt?«

»Ja, und dass man sich ja auf dich verlassen kann.«

»Das hat sie gesagt, echt?«

»Logo, Mann.«

Paul gab mir ein High five und sagte: »Klaus, altes Haus, ich bin raus, ciao, bis bald, sonst wird der Schweinebraten kalt!«

Ha, der Paul, so lustig. Und was Karla gesagt hat! Ja, auf mich kann man sich verlassen! Was bin ich heimgeschwebt! Nein, stimmt ja gar nicht. Ich hab am Regerplatz beigedreht und bin noch in den Nockherberg-Biergarten rüber. Dachte, ich guck mir den restlichen Sonnenuntergang bei einer Mass Bier und einer Breze an. Und stell dir vor, Tagebuch, wie ich reingehe, laufe ich direkt Beate in die Arme! Ausgerechnet! Ich hätte tot umfallen mögen. Sie war mit einer Freundin unterwegs und wollte gerade heimgehen. Aber dann fragte sie mich: »Trinken wir noch was?«

Was hätte ich darauf schon antworten sollen? Hätte ich mir die gekränkte Seele raushängen lassen sollen, ihr kundtun, wie viele Schmerzen sie mir zugefügt hat? Nein, nicht nach einem so wunderbaren Tag. Ich hab sie angestrahlt und zu Bier und Brezn eingeladen. Sie hat zwei halbe Hendl gekauft, und dann haben wir uns den Sonnenuntergang gemeinsam angesehen.

Wir haben kaum geredet, aber was hätten wir schon groß sagen sollen? Über unseren Sommer ohne einander. Hach, das klingt jetzt wie ein Romantitel. Melancholisch mit der zarten Hoffnung auf ein Happy End. Es war sehr nett und unkompliziert. Vielleicht war sie so entspannt, weil das nicht ihre erste Mass Bier war? Jedenfalls hat sie wunderschön ausgesehen im Abendlicht. Ihre blonden Haare glühten wie ein Heiligenschein. Als wir uns dann an der Tram verabschiedet haben, hat sie doch noch was Ernstes gesagt, was Wichtiges: »Ich hab jetzt erst gemerkt, wie sehr ich dich vermisst hab, Klaus.«

Ich war sprachlos, wollte unbedingt auch was sagen, aber da schlossen sich schon die Türen. Sie winkte mir durch die spiegelnde Scheibe. Ach, Beate!

Oh, mein Tagebuch! Das Leben ist so schön! Jeden Tag, jeden Moment kann etwas ganz Neues passieren. Gerade wenn man nicht damit rechnet. Ich bin so gespannt, wie das jetzt weitergeht. Was für ein wunderbarer Abend! Danach bin ich tatsächlich heimgeschwebt, all die Verwirrungen der letzten Wochen waren plötzlich so fern, ich fühlte mich ganz leicht. Das tu ich immer noch, hier in der Küche. Die laue Abendluft strömt durchs offene Fenster, die Tauben gurren im Hof. Ich mach mir jetzt noch eine gute Platte an. Ich weiß auch schon welche: die Isley Brothers mit This Old Heart of Mine. Das ist immer super. Und passt heute besonders gut. Was für ein schöner Tag, ein Gedicht!

Stehst du wieder vor der Tür

Gehört mein altes Herz nur dir

Deine Augen sprechen Bände

Love forever – ohne Ende

Alles glitzert, knistert wie beim ersten Kuss

Love forever – Story ohne Schluss

Du kannst es drehen, schrauben, wenden

Dieser Sommer wird nicht enden

Niemals ist mein Herz zu klein

Da passen tausend Tage Sonne rein

Stehst du wieder vor der Tür

Gehört mein altes Herz nur dir