Zankl hat gehofft, er könnte endlich mal hinter den Vorhang der geheimnisvollen Welt des Profifußballs schauen. Von wegen. Die speisen ihn alle mit ein paar harmlosen, nichtssagenden Gesprächen ab. Aber klar. 1860 hat schon genug Probleme, da ist niemand heiß drauf, dass hier auch noch ein Kripobeamter rumschnüffelt. Ob jemand von Sechzig für die Überdosierung von Luckys Vitamincocktail gesorgt hat? Aha, was weiß er schon. Nein. Dass ein Verein zu solch extremen Mitteln greifen würde, um ein Pokalspiel zu gewinnen, ist äußerst unwahrscheinlich. Egal, sein Verein ist sowieso der FC Bayern. Sonst müsste er auch noch als Fan leiden. Das kann er sich nicht leisten, wo doch schon sein Familienalltag aktuell so ein Trauerspiel ist. Also als Mann. Als hätten sich die beiden Damen gegen ihn verbündet. Aber vielleicht wird das zweite Kind ein Junge, mit dem er dann am Samstag ins Stadion gehen kann. Notfalls auch zu 1860. Und vielleicht hat er ja sogar Talent und wird einmal Fußballer.
So viele Gedanken, als er am Maschenzaun des Trainingsgeländes entlangmarschiert zu den hinteren Plätzen, wo gerade die Profis zum Training auflaufen. Das will er sich nicht entgehen lassen. Am Zaun sind bereits alle guten Plätze vergeben. Er zwängt sich zwischen zwei Zaungäste und entschuldigt sich mit einem Lächeln. Beobachtet die Dribbling-Übungen der Spieler. Staunt über die Präzision. »Jorge, Tempo!«, brüllt der Mann neben ihm. Adressat ist ein dunkelhäutiger Jugendlicher mit dichten schwarzen Locken, der den Ball traumhaft tanzen lässt. »Den kenn ich gar nicht«, sagt Zankl zu seinem Nachbarn.
»Jorge Fernandez, mein Junge.«
»Sie sind der Vater?«
»Sein Berater.«
Zankl sieht seinen Nebenmann von oben bis unten an. Berater – von denen hat er schon so viel gehört. Kennengelernt hat er noch keinen. »Berater – das klingt interessant.«
»Na ja.«
»Man hört so vieles.«
»Aha. Und Sie, auch im Fußballgeschäft?«
»Nur peripher. Frank Zankl, Kripo München.«
»Glücksspiel?«
»Nein, Mordkommission.«
»Der Tote vom Pokalspiel?«
Zankl macht eine entschuldigende Geste und lächelt.
Der Berater gibt ihm die Hand. »Raffael Stöger.«
Zankls Miene erhellt sich. »Raffael Stöger? Bayer Leverkusen?«
»Das ist lang her.«
Zankl strahlt übers ganze Gesicht. »Ist mir eine große Ehre. Damals der Elfer gegen Schalke, ganz großes Kino, großartig! Angetäuscht und einfach reingechipt. Sehr lässig. Und Sie sind jetzt Berater?«
»Ich kümmere mich um junge Talente.«
»Für Sechzig?«
»Auch für Sechzig. Ich suche gute Jungs und schaue, zu welchem Verein sie passen, bring sie zum Probetraining. Wenn sie genommen werden, sorge ich dafür, dass sie pünktlich sind, ihre Klamotten dabeihaben, dass sie ein Dach über dem Kopf haben, ich klär das mit der Schule. Das können die Eltern der Jungs oft gar nicht leisten. Oft kommen die Jungs aus ganz einfachen Verhältnissen. Mein kleiner Brasilianer da konnte vor zwei Jahren noch nicht lesen und schreiben. Vom Rechnen reden wir gar nicht.«
»Wow, das klingt anstrengend.«
»Es ist sehr befriedigend, wenn dann aus den Jungs was wird. Aber dafür haben Sie keine Garantie. Alle wollen Profis werden. Ganz wenige haben das Zeug und die Ausdauer dazu. Sie ermitteln wegen Djuvic?«
»Wir überprüfen, ob wirklich kein Fremdverschulden vorliegt. Kannten Sie Djuvic?«
»Ein Spielerberater kennt alle guten Spieler.«
»Und war Djuvic gut?«
»Vor ein paar Jahren schon. Großes Talent. Lucky gehörte aber zu den Jungs, die immer ein Talent bleiben, die nicht den nötigen Ehrgeiz haben, auch mal hart gegen sich selbst zu sein. Bei ihm ging’s neben dem Fußball immer nur um Autos, Frauen, Alkohol – das volle Programm. Und der Lucky hat sich alles Mögliche reingepfiffen, um trotzdem auf dem Platz Leistung zu bringen.«
»Und das fiel nicht auf?«
»Wie denn? Aichach 05! Das Pokalspiel ist die größte Bühne, die dieser Verein je hatte und haben wird. Und gleich da hat er es vermasselt. Wissen Sie, hinterher schreiben die Zeitungen über Doping im Fußball. Totaler Quatsch. Doping kann Sie bei der Tour de France weiterbringen, da sitzen Sie allein auf dem Rad. Aber Fußball ist ein Mannschaftssport. Wenn da einer abgeht wie eine Rakete, dann haben die anderen auch nichts davon. Seinen Platz in der Mannschaft optimal ausfüllen, das ist das Geheimnis. – Jetzt, Jorge!«
Auch Zankl dreht sich zum Platz. Der Ball vollführt eine elliptische Flugbahn. Einschlag im Tor links oben. Unhaltbar. Zankl nickt beeindruckt. Vielleicht ist der kleine Jorge in ein paar Jahren ein Megastar, der für zehn Millionen zu Bayern und dann für fünfzig Millionen zu Chelsea wechselt. Oder zu Real, PSG.
Zankl gibt Stöger seine Karte. »Darf ich Sie anrufen, wenn ich noch eine Frage habe?«
»Dienstlich oder privat?«
»Dienstlich. Wie gesagt – wir ermitteln im Todesfall Djuvic. Da wäre es gut, möglichst viel über das Fußballgeschäft zu wissen. Auch in der Regionalliga.«
»Sie gehen also nicht von einer Überdosis aus?«
»Uns interessiert, ob er selbst dafür verantwortlich war.«
Stöger nickt nachdenklich, gibt Zankl ebenfalls seine Karte und dreht sich zum Spielfeld: »Jorge, nicht Blümchen pflücken! Setz deinen Arsch in Bewegung!«