HUNDERT PUNKTE

Hummel und Zankl sitzen in einer Kneipe in Schwabing. Dosi hat schon den Heimweg angetreten. Sie will Fränki nicht zu lange warten lassen nach ihrem Abendtermin.

Zankl sieht sich um. »Hey, im Nordpol war ich ewig nicht mehr. Warum wolltest du nicht in die Black Box? Ist doch dein Stammlokal.«

»Na, dreimal darfst du raten.«

»Du hast Streit mit Beate.«

»Nicht wirklich.«

»Dieser Heini hat sie wieder angebaggert. Ihr Ex.«

»Hundert Punkte.«

»Na, und? Den steckst du doch lässig in den Sack.«

»Täusch dich nicht. Sie ist wieder mit ihm zusammen.«

»Aber dafür bist du noch ganz gut drauf.«

»Tja.«

»Sag bloß, du hast ’ne Neue?«

»Noch mal hundert Punkte.«

»Echt? Mensch, Hummel! Erzähl!«

»Karla, alleinerziehend. Mit Paul, zwölf Jahre.«

»Und, hübsch?«

»Paul?«

»Nein, sie.«

»Oh ja, sehr. Dunkler Typ. Ganz anders als Beate.«

»Was Festes?«

»Ja, bei der Stadt. Baureferat.«

»Nein, ihr, also du?«

»Ich glaub schon.«

»Wie? Du glaubst schon? Hey, Hummel, du musst langsam mal unter die Haube. Du bist kein Student mehr. Auch wenn deine Bude immer noch so aussieht. Die ganzen Bücher und Platten. Das reinste Chaos.«

»Sag nix gegen meine Platten!«

»Hast du ein Foto von ihr?«

Hummel zeigt ihm sein Smartphone. Ein Schnappschuss aus dem Biergarten. Karla strahlt im Abendlicht. Haselnussgold.

»Wow! Hummel, ich fass es nicht. Die musst du heiraten, ehe sie es sich zu genau überlegt.«

»Was überlegt?«

»Ob das Sinn macht mit ’nem Bullen. Also von der Mordkommission. Jasmin hat mir gesagt, wenn sie vorher gewusst hätte, was das bedeutet, hätte sie mich nie im Leben geheiratet.«

Hummel denkt an Karlas Enttäuschung vorhin, als er den romantischen Abend abbrechen musste, weil Zankl angerufen hat. Tja, das ist einer der Nachteile seines Jobs. Dass der keinen Anfang und kein Ende hat. So ist das nun mal. Aber von neun bis fünf im Büro, das wäre auch nichts für ihn, überhaupt nicht. Noch weiß Karla nicht im Detail, wie der Arbeitsalltag eines Polizisten aussieht. Soll er das mit ihr fix machen? Heiraten? Familie? Nach so kurzer Zeit? Will er das? Zusammenziehen, alles teilen? Was wäre dann mit seinen Platten? Bestimmt dürfte er dann auch nicht mehr spätnachts am Küchentisch sitzen, rauchen und Bier trinken. Vielleicht würde Karla ihn fragen, was er da ständig in sein Tagebuch schreibt? Da stehen seine höchsteigenen Gedanken drin, die niemanden außer ihm etwas angehen. Vielleicht wäre es aber auch ganz schön, so intime Gedanken mit jemandem zu teilen? Nein, das kann er sich nicht vorstellen. Im Moment zumindest nicht.

Tagebuch würde er auch weiterhin nur für sich ganz allein schreiben. Schreiben – kein besonders gutes Stichwort. Er war sich mit seiner Agentin ja endlich einig geworden, wie das mit seinem Krimi weitergehen soll – so ein bisschen derb und brutal –, und hatte schon ein bisschen was ins Unreine geschrieben, aber dann ging wieder so viel Zeit ins Land. Ja, der Split mit Beate hat ihm einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht. Und jetzt mit Karla und Paul bleibt zum Schreiben wieder keine Zeit. Er hat seit Wochen keine Zeile geschrieben! Gerlinde von Kalterns letzte mahnende Mail hat er nicht beantwortet …

»Hey, Hummel«, unterbricht Zankl seine Gedankenflut, »magst du noch ein Bier?«

Hummel sieht erst Zankl an, dann die Bedienung, nickt gedankenverloren.

»Wie findest du eigentlich den Neuen«, fragt Zankl, »den Schimanski?«

»Marlon – ach, der ist ganz okay. Anders als wir. Dosi kann gut mit ihm.«

»Ist der auch aus Niederbayern?«

»Nein, ein Schwabe.«

Zankl nimmt einen großen Schluck Bier. »Na, dann klappt das ja mit der Völkerverständigung. Ich hab mal seinen Vater gegoogelt. Ganz hohes Tier. War sogar mal als Innenminister im Gespräch.«

»In Bayern?«

»Im Bund.«

»Sauber. Aber?«

»Der werte Professor Schimmel ist ein glühender Verfechter von Trojanern. Bekam deswegen Stress mit den Datenschützern. Da haben sie ihn aus der Schusslinie genommen, also die Parteioberen von der CSU. Zieht jetzt im Hintergrund die Fäden.«

»Staatssekretär ist nicht gerade Hintergrund.«

»Aber zweite Reihe. Ich frag mich, warum er uns seinen Sohn aufhalst?«

»Ich hab nicht den Eindruck, dass Marlon Papas Beistand braucht. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht.«

»Kann ja nicht jeder so ein Komplexbündel sein wie du.«

»Danke, Superman. Deine Sensibilität rührt mich.«

Die Bedienung bringt das Bier.

Zankl sieht zur Eingangstür. »Hey, Hummel, schau mal. Ist das nicht Beate?«

»Trink dein Bier und verarsch dich selber.«

»Nein, im Ernst.«

Hummel lugt aus ihrer Nische. Tatsache, Beate mit ihrem neuen Lover, der auch ihr alter Lover ist. Sie stehen jetzt eng umschlungen am Tresen.

»Was macht der jobmäßig noch mal?«, fragt Zankl.

»Testfahrer bei BMW

»Echt? Cool!«

»Du Arsch. Lokalwechsel. Jetzt können wir ja noch gefahrlos auf einen Absacker in die Blackbox