GRUNDSTEIN

»Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin außerordentlich stolz darauf, diese internationale Konferenz zur Zusammenarbeit bei der Inneren Sicherheit zu eröffnen. Vor ein paar Jahren wäre ein solches Treffen noch völlig undenkbar gewesen. Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit galten als große Staatsgeheimnisse eines jeden Landes. Aber heute ist innere Sicherheit ein Exportschlager erfahrener Demokratien, ein Wachstumsmarkt. Hiervon können und sollen auch Sie profitieren. Ich spreche nicht von Nord-, Süd-, West- oder Osteuropa, sondern von dem einen Europa, einem großen, vielfältigen Staatenverbund mit gemeinsamen Zielen und Wertvorstellungen. Wahrscheinlich habe ich nur eine leise Ahnung davon, was staatliche Autonomie nach Jahrzehnten politischer Diktatur zentralistischer Systeme für manche dieser Länder bedeutet, aber ich gehe davon aus, dass der historische Stellenwert ähnlich hoch ist wie damals bei uns die Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland. Ich erinnere mich sehr gut an die massiven Umwälzungen, an die komplette Neuorganisation des bürgerlichen Lebens in unseren östlichen Landesteilen. Wissen Sie, was wir in den neuen Bundesländern getan haben? Wir haben nicht lange überlegt, was wir von den maroden DDR-Strukturen noch gebrauchen können, wie wir sie modifizieren können, nein, wir haben sie von Grund auf abgeschafft und unsere westdeutschen Systeme und Erfahrungen implementiert. Nicht anders war es nach dem Krieg, als uns die Amerikaner, Briten und Franzosen ihre demokratischen Wertvorstellungen vermittelt haben. Und wir sind gut gefahren damit.

Ein Staat, der im Inneren sicher ist und seine demokratische Grundordnung verteidigt und staatsfeindliche Elemente in Schach hält, bietet wirtschaftliche Sicherheit – die Grundlage für Investitionen, für Konsum und Wohlstand. Und somit für politische Stabilität. Diese Grundpfeiler müssen verteidigt werden, und diese Verteidigungsbereitschaft muss sichtbar und spürbar sein. Gefahren gehen heute nicht mehr zwingend von anderen Staaten aus, sondern von kleinen bestens ausgerüsteten Gruppierungen, die durch gezielte Aktionen einen Staat in Windeseile destabilisieren können. Waffen bedeuten Macht. Ebenso die Kontrolle darüber. Hierbei können wir Sie unterstützen. Es ist ein freier Markt, es gilt Angebot und Nachfrage, Qualität und Preis sind die maßgeblichen Koordinaten – wie in allen wirtschaftlichen Beziehungen. Und hier können wir sehr viel bieten. Inklusive eines detaillierten Wissenstransfers.

Ja, neue Zeiten sind angebrochen. Profitieren Sie von unserem geballten Fachwissen, von der Erfahrung unserer Exekutive bei Bedrohungen von innen, bei Großveranstaltungen, seien dies nun Sportereignisse oder Demonstrationen. Profitieren Sie von der hohen Qualität unserer Sicherheitsgüter und Sicherheitsdienstleistungen und von einem freien Markt in Europa. Als überzeugter Europäer spreche ich Sie als Europäer an: Lassen Sie uns gemeinsam einen wichtigen Beitrag leisten für ein starkes geeintes Europa. Wehrhaft gegen Bedrohungen von innen und außen, wehrhaft gegen Wirtschaftskriminalität, Drogenhandel und Prostitution, wehrhaft gegen terroristische Umtriebe von Extremisten, die unseren Wohlstand und Frieden bedrohen. Lassen Sie uns enger zusammenrücken, lassen Sie uns verlässliche Wirtschaftspartner sein.«

Tosender Applaus, Standing Ovations. Günther ist auch aufgestanden. Allerdings eher aus Reflex, wie in der Kirche. Was hat er da gerade gehört? Ein lupenreines Verkaufsgespräch für deutsche Waffen und Überwachungstechnik! Ist sein Freund und Doktorvater, der Staatssekretär Professor Dr. Herrmann Schimmel ein schnöder Waffenlobbyist? Darf man das überhaupt als hoher Staatsbeamter? So offensiv für Waffengeschäfte und den Verkauf sensibler Informationstechnologie werben? Na ja, wo hört Politik auf, wo fängt Wirtschaft an? Oder umgekehrt.

»Na, mein Lieber, wie schaust du denn aus der Wäsche?«, fragt ihn ein strahlender Schimmel. »Wie hat dir mein kleiner Vortrag gefallen?«

»Gut, sehr gut, äh, aber ich, ich weiß nicht. Was ist denn mit dem Waffenkontrollgesetz? Das regelt doch den Handel mit Rüstungsgütern streng, also sehr streng?«

»Mein Lieber, von Rüstungsgütern spricht heute keiner mehr. Es geht um ›Sicherheitsprodukte‹. Mit dieser Sprachregelung kommt deren defensiver Charakter zum Ausdruck. Und noch in dieser Legislaturperiode wird es eine Gesetzesvorlage geben, die speziell für die ehemaligen Ostblockstaaten den Handel mit sicherheitsrelevanten Produkten grundlegend reformiert und liberalisiert. Es geht ja um ein gemeinschaftliches europäisches Interesse. Und das ist erst der Anfang. Irgendwann wird auch die Türkei dazukommen. Wo demokratische Strukturen entstehen, muss der Staat die Kontrolle behalten, die politischen Prozesse begleiten und in die richtigen Bahnen lenken. Sonst herrscht Chaos. Ja, die Türkei ist ebenfalls Europa. Auch wenn das manchen Politikern nicht schmeckt. Die Türkei ist unser Brückenkopf zum Orient. Denk nur an diesen riesigen Markt! Das radikal Neue meines Konzepts ist die Zusammenführung von Innen- und Außenpolitik. Das Innere ist das neue Außen! Und umgekehrt.«

»Aber es geht doch vor allem um Wirtschaftspolitik?«

»Aber natürlich, Gisbert! Und um Entwicklungshilfe. Ich verfolge einen ganzheitlichen Politikansatz. Wenn die Gesetzesvorlage für die Novellierung des Handels mit sicherheitsrelevanten Gütern durch ist, beginnen völlig neue politische Zeiten!«

»Lass mich raten: Die Gesetzesvorlage ist von dir?«

»Aber natürlich, Gisbert! Das ist der Grundstein für meinen Ministerposten! Und hoffentlich auch die Basis für unsere Zusammenarbeit. Denn ich brauche in Berlin tüchtige Menschen und kluge Köpfe. Leute wie dich. Komm, darauf trinken wir!«