GÜTEZEICHEN

Günther fühlt sich pudelwohl unter den in- und ausländischen Würdenträgern. Es gibt italienische Köstlichkeiten, und die gereichten Alkoholika führen zu einem hohen Geräuschpegel. Die militärischen Würdenträger geben der Veranstaltung den Charakter eines Staatsakts. Brustabzeichen blitzen mit Champagnergläsern um die Wette in dem altehrwürdigen Saal der Münchner Residenz.

»Sehr festlich, tolle Atmosphäre!«, schwärmt Schimmel.

»Ja, in München gibt’s Dinge, die nicht mal Berlin bieten kann.«

»Sag das nicht, mein Lieber, du wirst es bald selbst sehen.«

Günther lächelt verlegen. Er sieht sich schon auf der großen Politikbühne stehen, umringt von Fernsehkameras und Reportern, die ihm die Mikrofone entgegenstrecken: Sehr geehrte Damen und Herren von der Presse, zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir Ihnen leider aus sicherheitsrelevanten Gründen noch nichts zum Stand der Ermittlungen in dem Entführungsfall sagen, aber seien Sie gewiss, dass wir alles Notwendige in die Wege leiten, um das Leben von Kanzler Schimmel nicht zu gefährden. Jetzt brummt sein Handy. Unauffällig zieht er es heraus. Dienstlich. Er nimmt das Gespräch an und lauscht. Macht ein besorgtes Gesicht. Er legt auf, geht die zwei Schritte zu Schimmel. »Herrmann, die Kollegen haben angerufen – eine Schießerei in der Innenstadt.«

Schimmel zieht sein Handy aus der Tasche. »Oh. Lautlos.« Er checkt seine Nachrichten. Dann nimmt er Günther am Arm. »Komm, Gisbert, wir fahren ins Einsatzzentrum.«

»Glaubst du, es hat mit der Konferenz zu tun?«

»Egal. Wenn die Fahndung erfolgreich verläuft, verkaufen wir das als Beweis für die Durchschlagskraft unseres Sicherheitskonzepts. Eine Spitzengelegenheit!«

Schimmel führt im Fond seiner Limousine einige Telefonate, und als sie am Einsatzzentrum eintreffen, verfolgt Günther die Aktionen Schimmels nur noch als Zaungast. Schimmel lässt sich vom Einsatzleiter informieren und betrachtet mit großem Interesse die Überwachungsvideos aus U- und S-Bahn. Günther hat erwartet, dass sein Freund jetzt den großen Max machen würde, aber das Gegenteil ist der Fall. Er ist beeindruckt, wie sehr sich Herrmann zurücknehmen kann. Er arbeitet leise und effektiv.

Nach einer Stunde hat Schimmel genug gesehen. »Ha, Gisbert, das ist aufregend«, sagt Schimmel, als sie vor die Polizeistation treten.

»Nun ja, ich weiß nicht, ob ›aufregend‹ der richtige Begriff ist, ich würde eher sagen: Das ist beunruhigend.«

»Ach komm, Gisbert. Darum geht’s doch in unserem Job. Dass die bösen Jungs böse Dinge tun und dass die guten Jungs sie jagen. Und dass die Guten natürlich gewinnen.«

»Meinst du?«

»Aber natürlich! Über kurz oder lang. Du hast es doch gesehen: Gegen die gut geschmierte Maschinerie des Rechtsstaats und unsere lückenlose Videoüberwachung haben die Desperados keine Chance.«

»Na ja, noch haben wir die Typen nicht.«

»Alles nur eine Frage der Zeit, bis wir die zur Strecke bringen.«

»Der eine der beiden Typen sah osteuropäisch aus.«

»Keine Vorurteile!«

»Ja, ich weiß, die Konferenz.«

»Ja, die Konferenz. Die Osteuropäer sind unsere Handelspartner. Politik und Wirtschaft dulden keine Vorurteile. Gisbert, jetzt schau halt nicht so betroffen!«

»Tu ich das?«

Schimmel klopft ihm auf die Schulter. »Nur Spaß. Gefällt mir alles sehr gut, was ich bei euch sehe. Haltet bitte pressemäßig den Ball flach wegen der Schießerei. Das macht keinen guten Eindruck auf unsere Gäste, also auf ihr subjektives Sicherheitsempfinden. Außer wir erwischen die Typen schnell, dann sehr gerne. Hach, ich hab jetzt richtig Lust auf ein Bier!«