Gerade legt die Fähre ab, Hummel sieht von seinem Notizbuch auf.
»Das war die letzte«, sagt Karla.
»Und wie kommen wir jetzt wieder weg?«
»Schwimmen.«
»Na servus.«
»Willst du noch mal weg?«
Na ja, ich bin Polizist, da weiß man nie, will Hummel schon sagen. Aber das verkneift er sich. Man muss den Teufel ja nicht an die Wand malen. Er wird nachher sein Handy einfach ausschalten. Irgendwann ist es ja auch mal gut. Ungewöhnlich für ihn, an einem Freitagnachmittag schon das Wochenende einzuläuten. Aber er ist Günthers Ratschlag gefolgt und um 15 Uhr nach Hause gegangen, um zu Karla und Paul rauszufahren, zu ihrem ›Zweitwohnsitz‹, einem Festcampingplatz auf der Buchau. Die kleine Insel im Staffelsee bei Murnau ist nur mit einer kleinen Motorfähre zu erreichen. Nur ein paar Minuten mit dem Boot, aber meilenweit weg vom Münchner Polizeialltag. Das erste Bad im See hat die ganze hektische Woche aus seinem Kopf gespült. Dann hat er es sich auf der Campingliege im Schatten bequem gemacht und durchs Gebüsch das Glitzern des Wassers betrachtet. Ein bisschen gedöst, nachgedacht. Und ein bisschen geschrieben.
Er starrt auf seine Notizen. Gerade hatte er einen tollen Gedanken. Nur welchen? Das passiert ihm andauernd. Dass seine Gedanken abschweifen und wertvolle Gedanken unwiderruflich verloren gehen. Er blättert in seinem Notizbuch eine Seite zurück. Peng! Das Notizbuch fliegt samt Ball ins Gebüsch.
»Hey, Paul, spinnst du?«
»Kommst du jetzt endlich!?«, ruft Paul.
»Was schreibst du da eigentlich?«, fragt Karla, die sich bereits am Grill zu schaffen macht.
»Ich muss endlich mal mit meinem Krimi weiterkommen. Meine Agentin hat sich bei mir gemeldet. Warum das alles so lange dauert.«
»Ja, warum?«
»Weil ich nie Zeit habe. Und die nötige Ruhe.«
»Dann bist du hier goldrichtig. Hier lenkt dich keiner ab.«
»Außer Paul.«
Karla sieht ihn ernst an.
»Hey, nur Spaß. Ich spiel gleich Fußball mit ihm. Weißt du, das mit dem Schreiben, das mein ich ernst. Ich bräuchte nur ein bisschen mehr Zeit. Aber wenn es klappt, also wenn es richtig gut läuft, dann könnt ich mir sogar vorstellen, nur das zu machen.«
»Wieso denn? Du bist doch Beamter!«
Jetzt sieht Hummel sie irritiert an.
»Ich mein ja bloß«, sagt Karla und schüttet Holzkohle auf den Grill.
»Stell dir vor, wie viel Zeit ich dann hätte«, versucht es Hummel.
Sie lächelt. »Ja, das wäre schön.«
»Dann wär ich den ganzen Tag daheim und könnte für Paul Mittagessen kochen, wenn er von der Schule kommt.« Hummel stockt. Was redet er denn da?
Sie gibt ihm einen Kuss.
»Kommst du jetzt endlich?!«, ruft Paul wieder.
Hummel legt das Notizbuch beiseite und erhebt sich von der Liege. Er sieht das goldene Glitzern des Wassers in der Abendsonne, er sieht zwei Kinder in grellen Schutzwesten in einem Kanadier vorbeipaddeln, riecht die scharfen Grillanzünder. Camping! Er! Ein Hauszelt auf einer hölzernen Plattform. Camping ist das eigentlich nicht. Eher Schrebergarten oder Reihenhaus. Nachbarn, die rechts und links das Gleiche tun. Den Grill vorbereiten, den Tisch fürs Abendessen decken. Alles ganz nah. Außen und innen trennen nur dünne Stoffwände. Man hört jedes Wort. So ganz geheuer ist ihm das nicht. Nun ja.
Er geht durch die dichte Schutzhecke hinaus auf die Wiese. Zwei, drei Kuppelzelte, ein paar Mädchen, die Gummitwist spielen, und Paul, der ein Champions-League-Finale mit sich selbst austrägt. Hummel blickt zum Ende der Insel, zur Anlegestelle der Fähre. Er sieht über das Schilf und die Bäume in die Berge. Die Kette der Ammergauer Alpen glüht vor tiefrotem Horizont. Wahnsinn, ist das schön!, denkt er. Dann trifft ihn der Ball in die Eier. Ihm wird schwarz vor Augen.