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Groesbeek legte die Formulare auf den Schreibtisch und gab Floor und Marcia das Geld für die Fahrkarten wieder.

»Reden wir nicht mehr über das Missverständnis«, meinte er versöhnlich. »Das würde nur auf die Stimmung drücken und ich will keine betretenen Gesichter fotografieren.«

Die Mädchen nickten dankbar.

»Wir gehen wie folgt vor: Sabrina wird euch schminken und dabei erklären, was zu beachten ist. Anschließend fotografiere ich euch einzeln, um herauszufinden, wo eure Stärken und Schwächen liegen. Dabei dulde ich keinerlei Störung. In der Pause solltet ihr nicht miteinander sprechen, denn wenn ihr euch gegenseitig beeinflusst, leidet die Spontaneität. Sabrina wird beim Fotografieren hin und wieder zusehen und euch notfalls Tipps geben. Diejenige, die gerade nicht dran ist, wartet hinter dem Wandschirm. Und Telefonieren ist die nächsten paar Stunden nicht drin, das stört den Ablauf. Stellt also bitte eure Handys ab. So …« Er klatschte in die Hände. »Dann mal los! Mit wem soll Sabrina anfangen?«

Floor sah Marcia an. »Geh du zuerst«, sagte sie leise.

»Kommt mit, ihr beiden.« Sabrina verschwand hinter dem Wandschirm.

Als Marcia sich in den Stuhl gesetzt hatte, pumpte Sabrina ihn mit dem Fußpedal ein Stück nach oben. Mit einem Vergrößerungsglas inspizierte sie Marcias Gesicht und nickte anerkennend. »Du hast schöne, reine Haut. Ich werde erst dein Make-up entfernen und dann ein Peeling machen; dadurch wird die Haut besser durchblutet.«

Wie eine professionelle Kosmetikerin hantierte Sabrina mit heißen Tüchern, Ölen und Cremes. Floor beobachtete sie und war tief beeindruckt von ihrem Können.

In der Zwischenzeit testete Groesbeek die Lampen und Reflektoren um die Strandkulisse und setzte einen neuen Speicherstick in seine Digitalkamera ein. Um eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, schaltete er das Radio an. Die begeisterten Stimmen der Mädchen übertönten die Musik.

Während Sabrina Floor schminkte, fotografierte er Marcia.

Sie saß im Schneidersitz auf dem Boden und ließ Sand durch ihre Finger rieseln. Dabei machte sie ein ernstes Gesicht, wie Groesbeek es gewünscht hatte. Er betätigte mehrmals den Auslöser und trug ihr dann auf, eine andere Haltung einzunehmen. Marcia hörte ihn anerkennend murmeln und unentwegt die Kamera klicken.

»Probier jetzt selber mal verschiedene Posen aus«, forderte er sie auf. »Du darfst dabei ruhig ein wenig übertreiben, das wirkt mitunter ganz gut. Sehr schön! Wirf die Haare zurück … ja, prima!« Er drückte auf den Auslöser – fünf, sechs, sieben Mal.

Dann ließ er die Kamera sinken und schüttelte den Kopf. »Irgendwas stimmt nicht. Mit dem Gesichtsausdruck und der Haltung ist alles in Ordnung, aber …« Seine Worte gingen in ein Murmeln über. Er drehte sich zum Wandschirm um. »Sabrina, kommst du bitte mal?«

Ihre Stöckelschuhe klackerten über den Boden. Sie warf einen schnellen Blick auf die Szene und meinte: »Die Jeans stört. Der Stoff ist viel zu dick und außerdem …« Sie verzog das Gesicht. »Das wirkt doch nicht glaubhaft: ein Mädchen in Jeans am Strand!«

»Du hast recht«, sagte Groesbeek. »Jetzt wo du es sagst, fällt es mir auch auf. Hm, was lässt sich da machen?«

»Hast du nicht einen Bikini für sie?«

»Letzten Monat haben wir Bademode fotografiert, vielleicht ist noch etwas davon hier. Schau mal in den Karton links im Regal.«

»Tut mir leid«, sagte er dann, zu Marcia gewandt. »Das war mein Fehler. Macht es dir etwas aus, im Bikini zu posieren? Für mich ist so etwas ganz alltäglich, aber ich könnte mir vorstellen, dass es dir unangenehm ist. Schließlich hast du noch keine Erfahrung als Model. Wenn du lieber nicht willst, lassen wir uns was anderes einfallen.«

»Nein«, sagte Marcia schnell. »Kein Problem.«

»Gut, du hast die richtige Einstellung. Ich schätze mal, du kannst es in der Branche weit bringen.«

»Ich hab nur das hier gefunden.« Sabrina hielt ein winziges Bikinihöschen hoch. »Leider gibt es dazu kein passendes Oberteil. Aber Marcia könnte ja ihr T-Shirt anbehalten.«

Sie hielt Marcia den String hin. »Meinst du, das passt?«

Marcia nahm ihn und meinte nach einem prüfenden Blick: »Ich glaube schon.«

»Du kannst dich in der Toilette umziehen.« Sabrina wies auf eine Tür neben der Küche und verschwand dann wieder hinter dem Wandschirm.

Binnen fünf Minuten war Marcia wieder da. Sie legte ihre Jeans auf das Sofa und zog etwas unbehaglich ihr T-Shirt nach unten.

»Na, das ist doch viel besser!« Groesbeek nickte zufrieden. Er griff nach der Kamera und deutete auf den Sand. »Setz dich und spiel mit dem Sand … ja, sehr gut!«

Wieder betätigte er mehrmals den Auslöser.

»Jetzt probieren wir mal etwas anderes. Kriech auf allen vieren auf die Kamera zu, wie eine Tigerin, die sich an ihre Beute heranschleicht.«

Marcia tat, wie ihr geheißen, und hatte sichtlich Spaß an der Sache. Sie knurrte, bewegte ihre Finger wie Krallen und gab vor, nach der Kamera zu schlagen.

»Toll machst du das!«, rief Groesbeek lachend und schoss ein Foto nach dem anderen.

Sabrina stöckelte hinter dem Wandschirm hervor. Die Arme vor der Brust verschränkt, sah sie aus einiger Entfernung zu. »Läuft’s gut?«, fragte sie.

»Marcia hat eindeutig Talent«, lobte Groesbeek. »Sie wirkt vollkommen natürlich, traut sich was und ergreift selber die Initiative. Solche Models brauchen wir. Ich zeige dir die Fotos.«

Sabrina schaute auf das Display und rief begeistert: »Ja, sie ist wirklich talentiert. Marcia, komm doch mal her und sieh dir die Bilder an.«

Marcia fühlte sich geschmeichelt. Sie stand auf und blickte Sabrina über die Schulter.

»Irgendwas stört an den Fotos», meinte Sabrina plötzlich. »Der Ausdruck ist zwar einwandfrei, aber das schlabbrige T-Shirt macht sich nicht gut. Am besten, wir stecken es hoch.« Ohne Groesbeeks Antwort abzuwarten, begann sie, Marcias T-Shirt unter das Band des BHs zu stopfen. »Du hast eine perfekte Figur, darauf kannst du stolz sein.« Mit sanftem Druck schob sie Marcia wieder zu der Strandkulisse: »Jetzt zeig uns, was du kannst!«

Marcia posierte erneut und erntete ein Kompliment nach dem anderen. Nach einer Viertelstunde legten sie eine Pause ein, damit Marcia sich ausruhen und etwas trinken konnte. Nun war Floor an der Reihe.

Floor runzelte irritiert die Stirn, als Marcia im Bikinihöschen und mit aufgerolltem T-Shirt hinter dem Wandschirm erschien, aber sie sagte nichts. Sie war schrecklich aufgeregt.

»Es macht total Spaß!«, sagte Marcia, um ihr die Angst zu nehmen. Floor nickte und ging dann unsicher auf Groesbeek zu.

Er versuchte, sie mit freundlichen Worten aufzumuntern: »Kein Grund, nervös zu sein, Floor. Du siehst super aus! Setz dich in den Sand und entspann dich, zauber ein Lächeln auf dein Gesicht … versuch’s einfach mal.« Er hob die Kamera und drückte auf den Auslöser: Die erste Aufnahme war im Kasten.

Groesbeek redete ohne Punkt und Komma, während er Floor umkreiste und Fotos schoss. Langsam verflog ihre Nervosität und sie wagte es, direkt in die Kamera zu blicken. Groesbeek lobte sie überschwänglich, als sie vorsichtig lächelte, und machte eine Großaufnahme von ihrem Gesicht.

Als er sie aufforderte, selbst ein paar Posen auszuprobieren, wurde sie schlagartig stocksteif. Improvisieren war nicht ihre Stärke.

Groesbeek winkte seine Mitarbeiterin heran.

»Sie muss sich erst an die Situation gewöhnen«, meinte Sabrina und zwinkerte Floor verständnisvoll zu. »Aller Anfang ist schwer. Ich setze mich mal zu dir und du machst einfach, was ich mache.«

Sabrina legte sich bäuchlings in den Sand, stützte die Ellbogen auf und lachte in die Kamera. Floor tat es ihr ein wenig unbeholfen nach. Sabrina begann, sich im Sand zu wälzen und Floor damit zu bewerfen. Floor ließ sich auf das Spiel ein und bald hatte sie die Kamera vergessen.

»Mir ist ungeheuer heiß«, sagte Sabrina nach einer Weile. »Komm, wir ziehen uns um, schließlich sind wir ja am Strand.«

Sie ging zu einem Kleiderständer und suchte nach einem passenden sommerlichen Outfit.

»Was hältst du davon?« Sie drückte Floor einen Minirock in die Hand. »Und dazu dieses Top. Du kannst dich in der Toilette umziehen. Ich ziehe mich inzwischen auch um.«

Als Floor wiederkam, saß Sabrina auf dem Sofa. Sie war nicht umgezogen. »Ich muss erst mal was trinken«, sagte sie. »Macht schon mal ohne mich weiter.«

Wieder stand Floor wie versteinert im Sand und starrte auf ihre Zehen. Sabrina verdrehte die Augen und zwang sich zu einem Lächeln. Sie stand auf und begann, sich umzuziehen.

Mit großen Augen sah Floor zu, wie sie sich einen viel zu engen Minirock über die Schenkel streifte. Die Kamera klickte, doch das schien sie nicht zu stören. »Warum guckst du so erschrocken?«, fragte sie Floor. »Umziehen vor der Kamera ist für ein Model etwas völlig Normales. Man gewöhnt sich rasch daran.« Mit einem Seufzer knöpfte sie ihre Bluse auf und zwängte ihren üppigen Busen in ein Top. »Es ist mir zu klein. Wenn ich einatme, platzt es.« Sie hielt die Luft an und Floor musste unwillkürlich lachen.

»Du hast gut lachen. Irgendwann wirst du dich auch mit solchen Problemen rumschlagen müssen«, meinte Sabrina.

»Meine Brüste werden bestimmt nicht so groß«, sagte Floor.

»Glaubst du?« Mit einem Ruck zog Sabrina den Reißverschluss von Floors Top auf. Neckisch streckte sie ihr die Zunge heraus. Floor bewarf sie mit einer Handvoll Sand und beide lachten.

In der Mittagspause begutachteten sie zu viert die bisherigen Ergebnisse. Groesbeek sagte, er sei höchst zufrieden, und Sabrina stimmte vorbehaltlos zu.

»Weißt du was …« Sabrina schien plötzlich etwas eingefallen zu sein. »Vielleicht können wir Marcia und Floor auch für die neue Werbekampagne mit den Mädchendessous einsetzen.«

Er sah sie überrascht an und kratzte sich am Kinn. »Du meinst den Auftrag aus Berlin?« Er musterte die Mädchen kritisch. »Ich weiß nicht recht. Dafür braucht es doch mehr Erfahrung. Und es ist ein großer Kunde, da will ich kein Risiko eingehen und ihn eventuell verlieren, nur weil die Mädchen Skrupel haben, in Unterwäsche zu posieren.«

»Mir macht das nichts aus«, sagte Marcia schnell. »Ob im Bikini oder in Unterwäsche, das macht doch keinen großen Unterschied.«

»Das sehe ich anders«, erwiderte Groesbeek. »Manchmal hat man nur einen Slip an. Traust du dich das? Und Floor? Ich glaube nicht, dass Floor dazu bereit wäre, und für den Auftrag brauche ich zwei Mädchen.«

Floor sah Groesbeek erschrocken an.

»Wir könnten es ja mal ausprobieren«, schlug Sabrina vor. »Wenn es nicht klappt, suchst du dir eben andere Models für den Auftrag. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass die beiden dich überraschen.«

»Einverstanden. Was meint ihr?« Groesbeek sah die Mädchen fragend an.

»Ich bin dabei!«, sagte Marcia sofort und warf Floor einen flehenden Blick zu.

Mit gezwungenem Lächeln nickte sie.

»Fein«, sagte Sabrina. »Jetzt kommt es darauf an, dass ihr zeigt, was in euch steckt. Ob aus dem Auftrag etwas wird, hängt von den Probefotos ab.«

»Dann schlage ich vor, wir fangen in fünf Minuten an«, sagte Groesbeek. Er stand auf. »Ich muss noch Einiges mit Sabrina besprechen. Wartet bitte hier.«