»Wir haben gestern von unserem Auftraggeber aus Berlin ein Paket mit Dessous bekommen.« Groesbeek ließ den Blick schweifen. »Ah, da steht es ja … unter meinem Schreibtisch. Sabrina, bist du so nett und suchst etwas Hübsches für die Mädchen aus? Ich hatte noch keine Zeit, mir die Sachen anzusehen.«
Sabrina ging zum Schreibtisch. »Ist es das?« Sie deutete auf ein Paket. »Ah, ich seh schon, es steht Berlin drauf.« Sie nahm den Karton und löste das Klebeband. »Ich nehme einfach zwei Sets heraus: das rosafarbene hier und dann noch ein gelbes.« Sie reichte den Mädchen die Sets. »Probiert das doch mal an.«
Langsam folgte Floor Marcia, die bereits Richtung Toilette verschwunden war. Ihr war alles andere als wohl bei der Sache. Sie hatte ohnehin kaum Busen und nun sollte sie sich auch noch in Unterwäsche und womöglich oben ohne fotografieren lassen …
»Sei jetzt bloß keine Spielverderberin!«, zischte Marcia, als sie Floors betretene Miene sah. »Davon träume ich schon seit Jahren.«
»Ich aber nicht. Und ich lasse mich schon gar nicht ohne BH fotografieren!«, erwiderte Floor mit hochrotem Kopf. »Stell dir doch mal vor, alle können deine Brüste sehen und mit ›alle‹ meine ich auch die Jungs in unserer Schule. Wesley zum Beispiel.«
»Stell dich nicht so an. Als ob Wesley sich irgendwelche Kataloge mit Dessous ansehen würde! Außerdem leben wir im 21. Jahrhundert, falls du es noch nicht gemerkt hast! Da regt sich keiner mehr über nackte Busen auf.«
»Meine Mutter bestimmt!«, gab Floor zurück. »Ich rufe sie besser an und frage, was sie …«
»Spinnst du? Wenn er uns beim Telefonieren erwischt, können wir gleich unseren Kram packen und die Chance ist vertan.«
»Mir ist dieser Groesbeek nicht geheuer.« Floor sah Marcia an, die gerade dabei war, den gelben BH zuzuhaken.
»Wieso das? Der Mann hat dir nichts getan. Du glaubst doch nicht etwa, der will sich an dir vergreifen? Lieber Himmel! Er ist Geschäftsführer einer Modelagentur und hat ständig mit bildschönen Frauen zu tun. Hast du eine Ahnung, wie viel nackte Haut der jeden Tag zu sehen bekommt?! Er wird schon an sich halten können, wenn er dich in Dessous sieht. Werd jetzt bitte nicht hysterisch, Floor!« Sie warf ihr einen ärgerlichen Blick zu, bevor sie die Tür öffnete.
Floor zog rasch den rosa Slip an und versuchte mit zittrigen Fingern, den BH zu schließen, der ihr gut eine Nummer zu groß war.
Groesbeek nahm kaum Notiz von den Mädchen, als sie in Dessous vor ihm standen. Er war dabei, die Studiolampen neu zu platzieren und die Strandkulisse noch einmal kritisch zu inspizieren. Zufrieden nickte er, packte seine Digitalkamera weg und nahm eine Nikon zur Hand. Aus der Fototasche holte er ein Blitzlicht, befestigte es an der Kamera und nahm diverse Einstellungen vor. Dann wandte er sich an die Mädchen: »Sabrina und ich halten es für das Beste, erst einmal ein paar Fotos von euch gemeinsam zu machen. Floor, du wirkst ausgesprochen nervös, vielleicht hilft es dir ja, wenn Marcia dabei ist. Ob aus dem Projekt etwas wird, hängt ganz von dir ab. Versuch, dich zu entspannen, wirf deine Hemmungen über Bord und zeig, was in dir steckt. Du kannst das, da bin ich mir sicher. Also, wollen wir?«
Floor und Marcia nickten und stellten sich auf Sabrinas Wink hin in den Sand. »Nun umarmt euch und haltet eure Gesichter Wange an Wange«, sagte Sabrina.
Groesbeek schoss mehrere Fotos.
»Lachen, bitte! Floor, das rechte Bein ein wenig nach vorn … mehr … ja, sehr gut … Und jetzt ein kleiner Ringkampf. Tut so, als wärt ihr auf die Dessous der anderen neidisch. Floor, zieh an Marcias BH, den willst du haben! … Los, fester …«
Die Mädchen bekamen Spaß an der Sache. Laut kreischend begannen sie, miteinander zu raufen. Groesbeek zoomte auf ihre lachenden Gesichter, auf die Finger, die sich im Stoff verkrallten, auf die Brüste in den tief ausgeschnittenen BHs. Plötzlich hörten sie Stoff reißen. Floor guckte betreten auf den BH in ihrer Hand und dann auf Marcias nackten Busen.
»Macht nichts. Ein bisschen Haut ist erlaubt. Los, weiter!«, rief Sabrina. »Es läuft gerade richtig gut. Lass dir nichts gefallen, Marcia! Gib’s ihr zurück. Zieh ihr den Slip runter!«
Marcia machte einen Satz nach vorn und bückte sich, doch Floor wich aus. Sie wollte sich unter gar keinen Umständen ausziehen und staunte, dass Marcia kein Problem damit hatte, nackt vor der Kamera zu stehen. Jetzt griff sie nach dem Gummiband von Floors Slip und zog ihn ein Stück weit nach unten.
»Nein!«, schrie Floor mit sich überschlagender Stimme und stieß Marcia weg, die jedoch gleich wieder zum Angriff überging. In Panik schlug sie nach ihrer Freundin, worauf sich Marcia mit einem Boxhieb zur Wehr setzte.
Plötzlich packte sie Sabrina von hinten. »Was ist denn los mit euch?«, rügte sie die beiden. »Wie soll Hans gute Werbefotos machen, wenn ihr euch so aufführt?« In ihrer Stimme klang Ärger. »Ihr solltet euch necken und keine Schlägerei veranstalten! Wir können das Ganze auch lassen. Es gibt genug Mädchen, die nur zu gern Model werden möchten. Wenn ich euch Anweisungen gebe, erwarte ich, dass ihr euch danach richtet und nicht solch ein Theater macht, verstanden? Also sagt, was ihr wollt: aufhören oder weitermachen?«
»Entschuldigung«, sagte Marcia kleinlaut. »Ich möchte auf jeden Fall weitermachen.«
Floor starrte mit verbissenem Gesichtsausdruck vor sich hin.
»Und du?«, fragte Sabrina. »Was ist mir dir, Floor?«
»Weitermachen …«, flüsterte sie kaum hörbar.
»Gut! Dann erwarte ich ab jetzt Disziplin von euch. Marcia, knie dich in den Sand. Und du, Floor, setzt dich hinter sie und legst ihr die Hände auf die Brüste.«
Floor erschrak. »Was soll ich tun?«
»Deine Hände auf ihre Brüste legen. Los, mach schon!«
Nach kurzem Zögern tat Floor, wie ihr geheißen. Marcias Brüste fühlten sich warm und weich an und Floor begann, nervös zu kichern.
Groesbeek machte mehrere Großaufnahmen von ihren Händen.
»Jetzt steh langsam auf, lass aber deine Hände auf Marcias Brüsten«, befahl Sabrina. »Lach mal frech in die Kamera. Gut! Marcia, zieh mit dem Daumen deinen Slip etwas runter. Halt! Nicht weiter.«
Sabrina schien zufrieden, nun, da die Mädchen ohne Murren ihre Anweisungen befolgten. Um Groesbeeks Lippen spielte ein ironisches Lächeln, während er ein Foto nach dem anderen schoss.
»So, jetzt sollte Floor mal im Vordergrund stehen«, sagte er nach einer Viertelstunde. »Ich wüsste gern, wie ihr beiden damit zurechtkommt, wenn wir die Rollen tauschen.«
»Gute Idee«, stimmte Sabrina zu. »Marcia, stell dich hinter Floor und leg ihr die Hände auf die Brüste. Und du, Floor, ziehst am besten den BH aus. Er ist dir ohnehin zu groß.«
Floor wollte sich erst weigern, doch als sie Marcias genervten Seufzer hörte, fügte sie sich. Sie fühlte sich mehr als unwohl, als Marcia ihre Brüste umfasste.
»Floor, zieh jetzt bitte den Slip ein Stück nach unten«, ordnete Groesbeek an und Floor gehorchte. »Sehr schön. Und schau einmal herausfordernd in die Kamera. Ja, das machst du super! Ist doch gar nicht so schlimm, oder? Du musst einfach mit der Kamera flirten, alles andere ergibt sich von selbst. Kannst du den Slip noch weiter runterziehen? Ja, noch ein Stück …«
»Nein, ich will das nicht!«, rief Floor plötzlich und spürte, wie sie rot wurde. Mit einem Ruck zog sie den Slip wieder hoch.
»Nun ja, wenn du dich nicht traust.« Groesbeek lächelte zwar, aber sein Blick verriet, dass er ziemlich verärgert war.
Floor hatte die Kritik nicht überhört und fühlte sich in die Enge getrieben. Doch sie konnte die warnende Stimme in ihrem Kopf nicht überhören: Was um alles in der Welt tat sie hier eigentlich?
»Mal sehen, ob Marcia sich mehr traut als du«, setzte Groesbeek grinsend hinzu.
Das ließ sich Marcia nicht zweimal sagen. Sie zog ihren Slip aus und stand splitternackt vor der Kamera, ohne eine Miene zu verziehen.
»Komm, Floor! Mach mit!«
Floor starrte Marcia mit offenem Mund an. War sie völlig verrückt geworden?
»Genau, überlass nicht alles deiner Freundin!«, half Sabrina nach.
»Nein!« Floor schüttelte entschieden den Kopf und ging ein paar Schritte auf den Wandschirm zu. »Ich versteh überhaupt nicht, was das soll! Warum müssen wir uns nackt ausziehen? Hier geht’s doch um Dessous, oder? Ich mach nicht mehr mit, ich will nach Hause.«
In ihren Augen brannten Tränen. Sie zog den BH wieder an und schloss mit zitternden Fingern die Häkchen. Ihre Panik übertrug sich auf Marcia, die hastig wieder den Slip anzog.
»Floor, warte!« rief sie und rannte ihr nach.
Eine Minute später trat Sabrina, verständnisvoll lächelnd, zu den Mädchen hinter dem Wandschirm. »Lasst uns eine Pause machen. Ich weiß, die Situation eben war nicht leicht für euch, aber ich möchte euch gern erklären, was der Sinn der Sache ist. Zieht eure T-Shirts an, dann trinken wir was. Ihr hört uns an, und wenn ihr danach immer noch nach Hause wollt, bringen wir euch sofort zum Bahnhof. Versprochen!«
Marcia und Floor tauschten einen schnellen Blick und folgten Sabrina dann zögerlich zur Sitzecke.
In dem Moment kam Groesbeek mit vier gefüllten Gläsern aus der Küche und stellte sie auf den niedrigen Tisch.
»Ich kann deine Unsicherheit gut verstehen, Floor«, sagte er in väterlichem Tonfall. »Die meisten Anfängerinnen reagieren erst einmal verschreckt. Was wir mit euch gemacht haben, war quasi eine Art Test. Als erfolgreiche Modelagentur müssen wir unsere Mädchen sehr gut kennen, um sie gezielt einsetzen zu können. Das heißt, ich muss wissen, wie meine Models mit Stress umgehen, wie flexibel sie sind und wo ihre Grenzen liegen. Jeder Auftraggeber hat andere Wünsche und Vorstellungen. Wenn wir nicht genau wissen, wozu unsere Models bereit sind und wozu nicht, gibt es bei den Fotoshootings nur Ärger und der Kunde springt womöglich ab. Wenn also künftig Nacktfotos gefordert sind, weiß ich nun, dass Floor dafür nicht infrage kommt. Marcia hat damit weniger Probleme, das heißt, sie kann künftig öfter bei solchen Aufträgen eingesetzt werden. Ich habe euch ganz bewusst nichts von dem Test gesagt, denn so bekomme ich einen unverfälschten Eindruck von dem, was ihr wollt und was nicht. Auf keinen Fall war es meine Absicht, euch Angst zu machen. Ihr werdet hier zu nichts gezwungen, darauf könnt ihr euch verlassen.«
»Du bist übrigens nicht das einzige Model, Floor, das nicht nackt posieren will«, mischte Sabrina sich ein. »Mach dir deshalb keine Sorgen, denn es gibt genügend andere Aufträge, bei denen wir dich einsetzen können. Bei mir hat es, ehrlich gesagt, über ein Jahr gedauert, bis ich mich oben ohne vor die Kamera getraut habe.«
»Haben Sie oft für Nacktfotos Modell gestanden?«, fragte Marcia interessiert.
»Oh ja. Aber nur bei seriösen Aufträgen. Zum Beispiel in Werbespots für Shampoo und Bodylotion.«
»So was würde ich auch gern machen.« Marcia nahm einen Schluck Saft. »Mir macht es absolut nichts aus, mich nackt zu zeigen.« Mit einem Mal kam sie sich sehr erwachsen vor.
Floor hatte den Blick gesenkt und schämte sich, weil sie so überreagiert hatte. Doch die Alarmglocken in ihrem Hinterkopf schrillten nach wie vor. Um ihre Unsicherheit zu überspielen, nahm sie ihr Glas und trank es in einem Zug leer.
»Hast du dich inzwischen von dem Schrecken erholt?« Sabrina legte ihr die Hand aufs Knie. »Willst du jetzt nach Hause? Sag’s ruhig, wir nehmen dir das nicht übel und bringen euch beide umgehend zum Bahnhof.«
»Kein Problem«, bestätigte Groesbeek. »Wir könnten aber auch noch eine Fotoserie machen, bei der du deine eigenen Kleider trägst. Wäre das okay?«
»Ja«, sagte Floor. Sie wollte zwar nichts lieber als schnellstmöglich nach Hause, doch dann würde sie Marcia alles verderben und das schien ihr nicht fair, zumal Marcia in letzter Zeit so viel Pech gehabt hatte.
»Schön, das wäre geklärt«, sagte Groesbeek. »Dann machen wir also weiter.« Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Wir trinken erst noch was«, bremste ihn Sabrina und stand auf. »Bei Fotoshootings ist es wichtig, genug zu trinken, denn die Wärme der Studiolampen trocknet einen regelrecht aus.«
Marcia trank hastig ihr Glas leer und hielt es Sabrina hin.
»Willst du auch noch Saft, Hans?«
Er nickte. »Ja, bitte.«
Bevor Sabrina in der Küche verschwand, warf sie noch schnell einen Blick über die Schulter: Groesbeek zeigte den Mädchen auf dem Display der Kamera die bisherigen Fotos. Es sah ganz so aus, als hätten die beiden bisher keinen Verdacht geschöpft. Mit fliegenden Fingern nahm sie das Plastikröhrchen aus der Zuckerdose und öffnete es. Was sie jetzt tun musste, ging ihr gegen den Strich, aber sie hatte keine andere Wahl. Ihr Mann hatte das Mittel GHB im Internet bestellt und ohne Probleme bekommen. Es wirkte sexuell enthemmend, sodass ihnen selbst Floor nach der Einnahme keine Schwierigkeiten mehr machen würde. Angeblich schmeckte die farblose Flüssigkeit bitter, aber die Mädchen würden nichts merken, wenn sie die Droge mit einem süßen Fruchtsaft mischte. Er hatte ihr versichert, das Mittel sei absolut unschädlich, doch sie hatte im Internet recherchiert und herausgefunden, dass es alles andere als harmlos war. GHB, so hatte sie gelesen, war früher in Kliniken als Narkosemittel verwendet worden und musste peinlich genau dosiert werden. Schon ein paar Tropfen zu viel konnten eine Art Koma hervorrufen.
Wie viel hatte er in das erste Getränk getan? Sie wusste es nicht …
Ihre Hand zitterte, als sie ein paar Tropfen der Flüssigkeit in den Saft träufelte.