DER
MANN VOM
SK
B-TEAM
Während der meisten Fahrten von einem Einsatz zurück zur Wache gab es einen regen Austausch im Fahrzeug. Doch nach dem Einsatz am See in dieser Nacht war es still gewesen. Simon lenkte die Mannschaft sicher durch die leeren Straßen Schwabings zurück zur Wache 21. Marie sah aus dem Fenster. Häuser zogen an ihr vorbei. Menschen, die mit ihren Hunden eine letzte Runde drehten. Verliebte Paare, die durch die Innenstadt schlenderten, bevor sie in ihr schützendes Heim zurückkehrten.
»Daran gewöhnt man sich nie, was?«, meinte Erik und stupste Marie sanft an.
Marie nickte. »Ich frage mich, was der Verunglückte noch alles vor sich gehabt hätte.«
»Am besten, du lässt solche Dinge nicht zu nah an dich heran«, riet ihr Leo über die Schulter.
»Wir trinken jetzt was zusammen, dann reden wir darüber«, sagte Jonah und schnallte sich ab, nachdem sie in die Fahrzeughalle eingefahren waren.
»Bärli ist krank«, sagte Silas, als er das Fahrzeug verließ.
»Ja, ich weiß«, bestätigte Jonah.
Marie sah ihn fragend an.
»Bärli ist unser Mann für Stressbearbeitung und kollegiale Betreuung«, klärte er seine Kollegin auf.
»Ah! Das wusste ich nicht, dass Bärli zum SkB-Team gehört.«
»Na, kommt. Wir setzen uns ein bisschen in den Gemeinschaftsraum«, forderte Jonah seine Truppe auf und ging vor. Die anderen folgten ihm.
»Ich komme gleich nach!« Marie verschwand im Kästchenraum und holte ihr Handy aus ihrem Fach. Sie wischte durch die Kontakte und wählte eine Nummer. Freizeichen.
»Gerd? Hallo, ich bin es, Marie. Ja, es geht mir gut. Du …, was machst du gerade?«
Etwa zwanzig Minuten nach dem Telefonat trat Marie zusammen mit ihrem früheren Kollegen aus der Hauptwache in den Gemeinschaftsraum. Simon, Jonah und Erik saßen miteinander am Tisch und tranken ihre Einsatzhalbe. Leo und Silas lehnten an der Fensterfront und erzählten Günther, der ebenfalls zugegen war, von den Ereignissen der Nacht.
»Hört mal«, unterbrach Marie die Unterhaltung, »das ist Gerd aus der Hauptwache. Er ist dort der SkB-Mann.«
»Servus, Gerd! Lange nicht gesehen.« Jonah kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen.
»Jonah. Hab schon gehört, dass du hier Karriere machst«, freute sich Gerd und schüttelte ihm die Hand. Er sah zum Tisch. »Erik! Altes Haus! Ist Vincent auch hier?«
»Der hat frei«, meinte Erik und schüttelte ihm ebenfalls die Hand. »Was treibt dich denn hierher? Willst du bei uns lernen, wie richtige Feuerwehrarbeit aussieht?«, frotzelte er.
»Wenn, dann können wir von der Hauptwache euch noch was beibringen«, schoss Gerd zurück. »Deshalb heißt es ja auch Hauptwache, verstehst du?« Er setzte sich. »Spaß beiseite. Marie
hat mir erzählt, was mit dem Studenten passiert ist. Wir haben es auch über Funk gehört.«
»Ich lass euch dann mal alleine«, verabschiedete sich Günther und verließ den Raum.
»Ja, ist immer schlimm, wenn sowas passiert. Erst recht, wenn ein Mensch noch so jung ist. Willst du auch ein Bier?«, fragte Jonah und stand auf.
»Alkoholfrei?«
»Klar.« Jonah öffnete den Kühlschrank.
Marie nahm bei den Männern am Tisch Platz. Dann setzte ein, was in diesen Situationen das Beste war: Sie begannen gemeinsam, das Erlebte zu verarbeiten.
Simon spielte den stillen Zuhörer und nippte ab und zu an seiner Flasche. Zwischendurch sah er aus dem Fenster und wirkte dabei, als wäre er abwesend. Gäbe es doch nur ein SkB-Team für Männer von seinem Schlag. Dann wäre vieles einfacher gewesen.
Gut eine halbe Stunde später, Leo hatten sich bereits verzogen, um sich eine Mütze Schlaf zu holen, schwang die Tür zum Gruppenraum auf.
»Herr Schiller!«, begrüßte Jonah den späten Gast. »Es ist nach Mitternacht! Was verschafft uns die Ehre?«
Schiller trat ein und ging auf den Gast von der Hauptwache zu. Gerd erhob sich und streckte dem Wachleiter die Hand entgegen.
»Guten Abend. Oder sollte ich wohl besser ›Guten Morgen‹ sagen?«, begrüßte er den Wachleiter freundlich.
Doch damit biss er sich bei Schiller die Zähne aus. Der machte keine Anstalten, ihm ebenfalls die Hand zu reichen.
»Ich bevorzuge ›Auf Wiedersehen‹! Sie werden hier nicht länger benötigt. Haben Sie vielen Dank, wir kommen hier auf der Einundzwanzig alleine klar.«
Gerd sah in die Runde, dann wieder zu Schiller. »Na, wenn das so ist …« Dann ging er.
Schiller bedachte Marie mit einem eisigen Blick. »Mitkommen!«
Maries Blick huschte zu Simon, der gerade seine leere Flasche in den Bierkasten gestellt hatte. Eine solche Verachtung für den Wachleiter hatte sie bei ihm bis dato nicht gesehen. Er atmete schneller, sein T-Shirt hob und senkte sich über seiner Brust, und er ballte die Fäuste, als wolle er Schiller am liebsten anspringen. Doch er tat nichts. Und Jonah sah vor allem ratlos drein.
Super!
, dachte Marie.
Hauptsache, man kann sich auf seine Kollegen verlassen.
»Machen Sie die Tür hinter sich zu«, wies Schiller an, nachdem ihm Marie in sein Büro gefolgt war.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und sah sie lange an. Marie tat einen Teufel, den Blick zu senken. Die Genugtuung, das Wer-zuerst-wegsieht-Spielchen zu gewinnen, gönnte sie ihm nicht.
»Fräulein Bach – haben Sie das Gefühl, dass Sie sich unter unfähigen Feuerwehrmännern befinden? Etwa dass Sie von lauter Anfängern umgeben sind?«
»Nein.«
»Haben Sie das Gefühl, dass wir auf Ihre Hilfe angewiesen sind?«
»Da ich Teil des Teams bin, helfe ich natürlich, wo ich …«
»Merken Sie sich eins: Wer meine Wache zum Gespött Münchens macht, der fliegt!«
Marie hielt es für die bessere Wahl, dem nichts mehr hinzuzufügen. Ihr war klar, dass sie in diesem Augenblick nur noch eines konnte: verlieren. Sie nickte – jedoch alles andere als eingeschüchtert. Mit kühlem Blick stand sie aufrecht vor seinem Schreibtisch und sah ihm in die Augen.
»Sie können gehen!«
Nichts lieber als das
, erwiderte Marie schweigend und verließ das Büro, ohne sich zu verabschieden.
In Gedanken schritt sie den Gang entlang zu ihrem Zimmer. Schiller nach Mitternacht auf der Wache. Was tat er um diese Zeit dort? Noch bevor sie um die nächste Ecke bog, hörte sie Simons Stimme. Marie verlangsamte ihre Schritte und blieb stehen.
»Ein feiner Kollege bist du!«, zischte Simon gerade.
»Jetzt mach aus einer Mücke keinen Elefanten. Es ist sein Recht zu erfahren, was hier vor sich geht.«
War der andere etwa Günther?
»Seine Kollegen verpfeift man nicht. Schon gar nicht, wenn sie es gut meinen. Bist du jetzt zufrieden?«, nahm Simon sein Gegenüber weiter ins Verhör.
Marie setzte ihren Weg fort und bog um die Ecke. Simon stand mit Günther vor dessen Zimmer. Beide verstummten, als sie Marie erblickten.
Sie stellte sich neben Simon und sah Günther einfach nur an. Diese Konfrontation war ihm sichtlich peinlich. Im Gegensatz zu Schiller suchte er alles andere als Maries Blickkontakt.
»Keine Sorge«, brach Marie das kollektive Schweigen. »Ich funktioniere künftig so, wie es von euch Männern verlangt wird. Möglichst, ohne selbst zu denken.«
Simon sah zu Marie und presste die Lippen zusammen. Allem Anschein nach war er von der Bereitschaft seiner Kollegin, einer Konfrontation nicht aus dem Weg zu gehen, beeindruckt. Er schielte zu Günther hinüber.
»Bernhard ist unser Mann für solche Sachen. Und wenn der nicht da ist, machen wir das unter uns aus. Das war schon immer so«, versuchte Günther, seine Tat zu verteidigen. Es klang allerdings recht kleinlaut.
»Schon verstanden«, sagte sie und blickte zwischen ihren Kollegen ein paarmal hin und her.
Dann ging sie weiter den Flur hinunter zu ihrem Zimmer.
Sie öffnete, trat ein und hatte die Tür noch nicht ganz verschlossen, als sie Simons Stimme hörte.
»Die Kleine hat mehr Eier als wir alle zusammen.«
»Wenn du das so siehst«, kam es von Günther, bevor eine Tür ins Schloss fiel.
Marie blieb im Zimmer an ihrer Tür stehen und vernahm Simons Schritte, die näherkamen. Kurz darauf war auch er in seinem Zimmer verschwunden.
Sie rutschte mit dem Rücken an der Tür nach unten, setzte sich auf den Boden und dachte an den Spruch:
Was uns nicht umbringt, macht uns stärker!
»Was für ein Scheißspruch!«, murmelte sie. Lieber acht Einsätze an einem Tag, als noch mal um diese Uhrzeit von Schiller einen Anschiss zu kassieren.
Als Marie sich damals für die Feuerwehr entschieden hatte, war ihr klar gewesen, dass sie sich in einer Männerdomäne beweisen musste. Jedoch hatte sie dabei an körperliche Anforderungen gedacht, die sie zu meistern hätte. Dass es sich auch um Psychospielchen einiger Machos handelte, damit hatte sie nicht gerechnet. Aber man lernte schließlich nicht aus, und sie hatte nicht vor, sich dieser neuen Herausforderung zu entziehen.
Einziger Lichtblick in dieser Nacht war, dass Simon seinen Kollegen zur Rede gestellt hatte. Nun war nur noch zu klären, ob er dies für sie getan hatte, oder ob es ihm einzig darum ging, dass Kollegen nun einmal zusammenhalten. Sei’s drum. Für Marie fühlte es sich wie ein Etappensieg an.
Eine Sache ärgerte sie allerdings. Er hatte sie »Kleine« genannt. Und das mochte die erste und einzige Feuerwehrfrau der Wache 21 überhaupt nicht.