EIN
EMOJI IN DER
TESTOSTERONBUDE
»Marie! Warte mal!«
Bitte nicht so schreien
, dachte sich Marie und kniff die Augen zusammen. Der gestrige Abend mit Heidi forderte seinen Tribut. Sie blieb auf der vorletzten Treppenstufe stehen und drehte sich um.
»Ah, Leo. Guten Morgen.«
»Schade, dass du so schnell von der Blaulichtparty verschwunden bist. Wir hätten ruhig noch ein paar Runden auf der Tanzfläche drehen können.«
Leo ging neben Marie her, die auf dem Weg in die Fahrzeughalle war.
»Ach, mir war nicht so gut an dem Abend. Außerdem … na, du weißt schon.«
»Schiller?«, fragte Leo.
Marie nickte. »Ich bin sicher, dass sich das wie ein Lauffeuer herumgesprochen hat, oder?«
»Na ja, zumindest lässt er sich nichts anmerken.« Leo blieb stehen und streckte seinen Kopf in den offenen Lagerraum. »Hey, Simon! Du warst auch plötzlich weg! Hast du unsere Marie auch gut nach Hause gebracht?«
Simon tat, als hätte er die Spitze seines Kollegen überhört, und sortierte Material in die Regale.
Leo machte drei schnelle Schritte und holte Marie, die weitergegangen war, wieder ein.
»Simon hat mich zum nächsten Taxi gebracht«, sagte Marie beiläufig. »Nur, falls dich deine Neugierde sonst umbringt.«
»Okay, okay. Ich frage ja schon nicht weiter. Und? Was hast du in deiner Freischicht getrieben?«
Simon verließ das Lager und blickte kurz zu Marie, die sich schnell wieder Leo zuwandte.
»Ich habe Verstecken gespielt!« Marie lachte Leo an.
Simon zuckte und blieb regungslos stehen. Marie konnte es sich nicht verkneifen, ihm nun doch noch einen coolen Blick zuzuwerfen, bevor sie weiter mit Leo sprach.
»Du hast was?«, fragte Leo nach.
»Verstecken!« Marie kniff ihre Augen zusammen und sah Leo ganz böse an. Dabei kam sie ihm immer näher. »Damit meine ich, ich war in den Bergen, ein wenig Abstand von der großen Stadt mit seinen Brandstiftern, Kollegen und anderen bösen, bösen Menschen!«
Leo brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Marie einen Scherz gemacht hatte.
»Ha! Ich verstehe! Na, du bist mir ja eine«, lachte er und wirkte erleichtert.
Simon wirkte ebenfalls erleichtert.
Innerlich triumphierend ging Marie zum HLF 1 und schob den seitlichen Rollladen nach oben, um die Ausrüstung zu kontrollieren. Plötzlich hörte sie ein Fluchen.
»Zefix!«
Auf diese Stimme hätte sie, wie an jedem anderen Morgen auch, gern verzichtet. Schiller.
Marie drehte sich um und bekam gerade noch mit, wie der Wachleiter sich rettend mit einer Hand auf dem Boden abstützte, um nicht hinzufallen.
»Hier sieht es ja aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte! Fräulein Bach! Waren Sie das?«
Marie suchte den Stein des Anstoßes und konnte nicht mehr als einen kleinen Karton entdecken, der vor dem Lager etwa zehn Zentimeter von der Wand entfernt auf dem Boden stand. Wütend kickte Schiller ihn etwa zwei Meter weiter und sah Marie giftig an.
»Äh, nein«, sagte Marie schlicht.
»Natürlich. Immer die anderen. Sehen Sie zu, dass das Ding verschwindet. Wenn der Alarmgong losgeht, möchte ich nicht, dass sich wegen Ihnen hier irgendjemand die Haxen bricht!«
Marie war es zu dumm, sich zur Wehr zu setzen. Die Chance auf einen Sieg war ohnehin nicht vorhanden. »Ich räume ihn gleich weg!«, lenkte sie ein, um weitere Diskussionen im Keim zu ersticken.
»Schon besser. Was Sie zu Hause machen, ist mir egal. Aber auf meiner Wache herrscht Ordnung. Wir sind doch hier nicht auf einer Tupperparty!« Schnaubend stapfte er weiter.
Marie stellte überrascht fest, dass sie Schillers Ausbrüche immer lockerer wegsteckte. Sie wollte sich gerade nach dem Karton bücken, als ihr Leo zuvorkam.
»Warte, ich mach das schon. Da hat wohl einer eine bestimmte Sache von der Party doch nicht so ganz vergessen, was?«, lachte Leo und griff sich den Karton. »Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man täglich einen Einlauf bekommt?«
»Warte, Leo. Ich schließe schnell das C-Rohr an, dann zeige ich es dir!«
Schallendes Gelächter in der Fahrzeughalle. Wie es schien, hatten Marie und Leo etliche Zuhörer. Allen voran Silas.
»Uiuiui, Leo. Jetzt hat sie es dir aber gegeben! Marie? Wenn du Hilfe mit dem Schlauch brauchst … du weißt, wo du mich findest!«
Leo ließ den Kommentar seines Kollegen an sich abprallen und trug den Karton ins Lager.
Simon stand etwas abseits und warf Marie ein Lächeln zu, das zu sagen schien:
Chapeau! Gut gekontert
!
Doch Marie zeigte sich unbeeindruckt und begann, sich endlich der Ausrüstung im Löschfahrzeug zu widmen.
Die Ruhe nach dem ersten Sturm des Tages hielt jedoch nicht lange an. Der Alarmgong ertönte und zwang Marie, die bereits ausgeräumten Utensilien schnell wieder im Fahrzeug zu verstauen.
»
Erstes HLF – Unfall Hohenzollernstraße Ecke Belgradstraße. Austretende Betriebsmittel
.«
Es war bereits nach neunzehn Uhr, als Simon allein im Fitnessraum auf der Hantelbank lag und die mit Gewichten gut bestückte Hantelstange Richtung Decke stemmte.
»Neun – zehn!«, pustete er schwer und legte die Stange auf der Ablage ab. Dann setzte er sich auf und nahm einen Schluck aus seiner Trinkflasche.
»Warum hier? Warum konnte ich eine Frau wie Marie nicht irgendwo in einem Club treffen?«, murmelte er leise vor sich hin. Blöde Frage, dachte er. Weil er, außer einmal im Jahr auf die Blaulichtparty, nicht in Clubs ging. Egal, beim Einkaufen, an der Tankstelle, auf einem Biketrail … einfach irgendwo!
Dann wäre alles viel einfacher.
Erneut legte er sich auf die Bank und umgriff fest die Hantelstange, um einen weiteren Satz zu stemmen.
Mit jeder Wiederholung drückten sich die Adern an seinem Hals und seinen Armen gegen die Haut, als wollten sie platzen. Er wusste, dass er zu viel Gewicht aufgelegt hatte. Und es war auch ein absolutes No-Go, diese Übung allein durchzuziehen. Aber genau das tat er immer, wenn er sich Luft machen musste.
Normalerweise war Simon eher der ruhigere Typ, der besonnen und sorgfältig das Für und Wider einer Sache gegeneinander abwägte. Doch in diesem Fall war er ratlos. Und das zerfraß ihn beinahe.
Mit letzter Kraft wuchtete er die Hantelstange zurück auf die Ablage und setzte sich wieder auf. Dann griff er sich sein Handtuch und drückte es sich gegen das Gesicht. Nach einem weiteren Schluck aus der Wasserflasche blickte er auf sein Handy. Keine Nachricht, kein Anruf … Er sah auf die Uhr. Nur zu gern hätte er in diesem Augenblick Marie in seiner Nähe gehabt. Er wollte ihr erklären, wie schwer es ihm fiel, einfach wie ein Mann zu ihr zu stehen.
Simon blickte zur Tür des Fitnessraumes, die, seit er ihn betreten hatte, geschlossen geblieben war. Heute Abend würde sich sicher niemand mehr blicken lassen. Er wischte durch die Bilder, die er von sich und Marie bei ihrem Ausflug gemacht hatte. Sehnsucht überkam ihn. Am liebsten hätte er sich mit Marie zusammen irgendwo in den Bergen verkrochen, wo sie niemand finden konnte. Doch das gemeinsame Glück würde sicherlich nur von kurzer Dauer sein. Was war schon eine Welt, in der man seine Gefühle nicht einfach hinausschreien durfte? Was war schon das größte Glück wert, wenn einem versagt war, es mit allen Menschen in seiner Nähe zu teilen? Und wie sollte er herausfinden, ob Marie wirklich seine große Liebe war, wenn die gemeinsame Zeit mit ihr vielleicht schon vorbei war?
Simon begann, Marie eine Nachricht zu tippen. Als er bei der Hälfte angelangt war, hielt er inne. Sollte er warten, bis sie wieder in der Vier-Tage-Freischicht waren? Nein. So lange
durfte es nicht mehr dauern. Doch was sollte er zu ihr sagen?
Marie, tut mir leid, wie ich mich dir gegenüber verhalten habe, und … es kommt nie wieder vor?
Das konnte er ihr nicht guten Gewissens versprechen.
Er legte das Handy wieder beiseite und stand auf. Nervös ging er im Fitnessraum auf und ab, bis er vor dem Boxsack stehenblieb. Er ballte seine rechte Faust, holte aus und schlug mit aller Wucht, die er aufbringen konnte, gegen das Leder. Die Kette, die oberhalb mit einem Karabiner verbunden war, quietschte. Er legte eine gezielte Links-Rechts-Kombination nach und ließ das Leder gegen seinen Oberkörper prallen.
»Verdammt!«
Marie lag auf dem Bett im Frauenzimmer der Wache 21 und blätterte sich durch eine Zeitschrift mit den Kleidertrends des bevorstehenden Herbstes, die ihr Heidi eingesteckt hatte.
Bis auf den Unfall in der Hohenzollernstraße und einem fehlerhaften Rauchmelder im nahe gelegenen Seniorenheim war es ruhig gewesen an diesem Tag. Von Schiller einmal abgesehen. Sie schmunzelte, als sie weiterblätterte und auf eine Doppelseite blickte. Heidi hatte ihr alle Kleidungsstücke, die sie sich an ihr vorstellen konnte, mit einem Textmarker eingekreist. So auch das Horoskop für Maries Sternzeichen. Marie zog den Abschnitt etwas näher an sich heran.
»Skorpion – Eine große Überraschung wartet auf Sie. Im Freundeskreis verlässt man sich auf Sie. Schalten Sie einen Gang zurück, Ihr Herz wird es Ihnen danken. In der Liebe könnte es nicht besser laufen. Halten Sie daran fest, es wird sich lohnen. Ihre Glückszahl der Woche: 1.«
Marie sah zur gegenüberliegenden Wand und überlegte.
Eins – wahrscheinlich bekomme ich täglich nur einen Anschiss von Schiller
. Dann schmunzelte sie über sich selbst. Sie glaubte nicht
an Horoskope. Einzige Ausnahme: Wenn sich im Nachhinein herausstellte, dass die Vorhersage eingetroffen war.
Ihr Handy vibrierte. Marie schnappte es sich von ihrem Nachttisch.
SI: Kommst du in den Fitnessraum?
Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Sie sah auf die Uhr. Kurz vor acht. Noch zu früh, um so zu tun, als würde sie bereits schlafen.
Ma: Besser nicht. Bärli könnte sehen, wie ich mit dir spreche.
Si: :-)
»Ein Smiley?«, kam es laut aus Maries Mund. »Der Typ schickt mir ein Smiley!«
Ma: Das war eigentlich nicht als Witz gemeint!
Si: Und? Kommst du?
Marie legte ihr Handy zurück auf den Nachttisch. Sie ärgerte sich über Simon. Seine WhatsApp hatte sie aus dem Konzept gebracht. Fand er die Sache wirklich so einfach, dass er dachte, er könnte sie mit einem Smiley vom Tisch wischen?
Marie hatte in diesem Moment ebenfalls ein paar Emojis im Sinn, jedoch andere, als Simon gefallen würden. Einen Hammer, Blitze, Messer und einen Wirbelsturm. Ein Smiley kam in ihren Gedanken absolut nicht vor.
Sie fasste den festen Entschluss, sich an diesem Abend nicht mehr zu melden. Sollte er doch in seiner Testosteronbude schmoren, bis am anderen Tag die Sonne aufging.
Leider hielt dieser in Stein gemeißelte Vorsatz nicht länger als eine Minute an, und Marie stand kurz darauf vor ihrem geöffneten Schrank, um ihre Sportklamotten hervorzuholen. Neugier und Sehnsucht siegten über ihren Ärger. Sie hatte keinen einzigen Moment der leidenschaftlichen Nacht mit Simon vergessen und nicht die geringste Ahnung, ob es Spielchen waren, die Simon mit ihr trieb. Sie konnte nur herausfinden, was lief, wenn sie sich ihm stellte. Außerdem konnte sie auf diese Weise mit ihren neuen Klamotten endlich das Leggins- und Sockendebakel vom letzten Mal ausbügeln.
Schnell band sie sich ihre Sneakers und warf einen prüfenden Blick in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Dann knipste sie das Licht aus, verließ ihr Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
In den Gängen zum Fitnessraum war niemand zu sehen. Die Tür zur Turnhalle, die an den Fitnessraum angrenzte, stand offen. Silas warf mit Tobias ein paar Körbe. Marie unterließ es, auf sich aufmerksam zu machen, huschte vorbei und öffnete die Tür zur Muckibude.
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du noch kommst«, begrüßte Simon sie.
»Ehrlich gesagt, ich auch nicht.«
Simon druckste ein wenig herum. »Wie geht es dir?«
»Gut«, sagte Marie gleichgültig. »Mir ist zwar die Nagelhaut hier am Daumen ein wenig eingerissen und ich glaube, ich bekomme ein Gerstenkorn, aber sonst …«
Simon merkte hoffentlich, dass Marie es ihm nicht leicht machen würde. Sie setzte den Crosstrainer in Gang, und Simon lehnte sich an das Laufband daneben.
»Ich meinte, wie geht es dir wegen uns?«, hakte er weiter nach.
Marie stoppte ihre Bewegung und sah Simon fordernd an. »Was willst du von mir hören? Dass ich unsagbar traurig bin?
Oder dass es mir egal ist, ob das mit uns weitergeht? Vielleicht aber auch, dass ich mir nichts Schöneres vorstellen kann, als mich bis an mein Lebensende heimlich mit einem Mann zu treffen?« Sie setzte das Gerät wieder in Gang.
»Okay, die Frage war blöd.«
»Ganz genau«, pflichtete ihm Marie bei und erhöhte die Geschwindigkeit.
»Ich weiß einfach nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen soll.«
»Das hättest du dir vielleicht überlegen sollen, bevor du mit mir ins Bett gesprungen bist. Oder wusstest du da noch nicht, ob es was Ernstes werden könnte?« Marie schlug einen härteren Ton an. Sollte er nur wissen, dass er sie verletzt hatte. Zwar machte sie das noch verletzbarer, doch das Risiko ging sie ein.
»Marie, was ich dir in dieser Nacht alles gesagt habe, stimmt. Ich hatte mich schon im ersten Augenblick in dich verliebt.«
»Dumm nur, dass das außer uns niemand wissen darf.«
Simon nickte verständnisvoll. »Glaube mir, ich denke an nichts anderes. Doch wie ich es auch drehe, ich komme einfach auf keinen grünen Zweig. Was, wenn die Kollegen, allen voran Schiller, von uns erfahren? Es gäbe doch nur tagein, tagaus dumme Sprüche. Vorausgesetzt, sie lassen uns überhaupt gemeinsam in einer Schicht.«
»Und, wann genau wolltest du dir darüber Gedanken machen? Oder wurde dir erst vor zwei Tagen klar, dass wir zwei auf derselben Wache arbeiten?«
»Natürlich nicht. Es fühlte sich einfach alles so leicht an in deiner Nähe. Und dann, wenn uns der Alltag wieder einholt … wird alles wieder schwer.«
Marie stoppte erneut den Crosstrainer. »Schwer macht es nur einer: nämlich du, Simon. Nicht Schiller, nicht Bernhard oder Leo – ganz allein du. Wie soll das denn in Zukunft laufen? Wo wollen wir uns denn verabreden? Dubai? Südpool?« Marie
stellte den Widerstand höher ein, sah stur geradeaus und trampelte weiter. »Vielleicht ist es besser, wenn wir es sein lassen.«
Marie hörte, wie Simon der Atem stockte. Marie riskierte einen schnellen Blick. Wie paralysiert stand er da und blickte sie an.
Plötzlich öffnete sich die Tür.
»Hey, Lust ein paar Körbe zu werfen? Oder, wie sieht es mit einem Spielchen aus? Zwei gegen zwei! Ihr bekommt auch zwei Körbe Vorsprung!«, feixte Silas, der Tobias im Schlepptau hatte.
Marie reagierte als Erste. »Lasst mal gut sein, Jungs. Ich bin hier gleich fertig. Ich geh wieder nach oben.«
»Simon? Du? Vielleicht können wir Leo noch dazuholen? Wo steckt der überhaupt?«
Simon drehte sich um. »Ne, ich mach hier noch ein paar Sätze.«
»Das sehe ich«, witzelte Silas und sah zu Marie. »Schwafelt er dir die Ohren voll?«
Tobias lachte und gab Silas High Five für diesen Seitenhieb.
»Deppen!«, schnaubte Simon und zeigte den beiden einen Vogel.
»Du wirst doch wohl noch ein bisschen Spaß verstehen, oder?« Silas klopfte Simon auf die Schulter. Doch dafür war Simon in dem Moment offenbar überhaupt nicht zu haben. Er wehrte die Hand seines Kollegen ab.
»Schon gut, Alter. War doch nur Spaß.«
Marie mischte sich nicht ein. Sie stieg vom Crosstrainer.
»Willst du wirklich schon gehen?«, fragte Silas. »Wir wollten dich nicht vertreiben.«
»Ach was«, lachte Marie gequält. »Ich bin fertig. Außerdem ist mir hier drin ein bisschen zu viel Testosteron.« Sie blickte in die Runde, dann verließ sie den Fitnessraum.
Sie beschleunigte ihre Schritte, in der Hoffnung, auf dem Weg in ihr Zimmer niemandem zu begegnen. Ihr Hals fühlte
sich an, als ob er von unsichtbarer Hand immer weiter zugeschnürt würde. Sie nahm zwei Stufen gleichzeitig in den ersten Stock. Vorbei am Kästchenraum, den Ruheräumen eins, zwei, drei, vier …, bis sie endlich am Ende des Ganges angelangt war und in ihr Zimmer verschwinden konnte.
Dort angekommen, warf sie sich aufs Bett und drückte ihr Gesicht in die Kissen, um die Laute, die sich ihr in diesem Augenblick unvermeidbar entrangen, zu unterdrücken. Hatte sie einen Fehler gemacht? War sie nun die, die alles zerstört hatte, bevor es richtig anfing? Vielleicht wäre ihnen zusammen eine Lösung eingefallen. Sie hatte sich ja nicht einmal die Mühe gemacht, sich in Simons Lage zu versetzen. Was, wenn er ihren Vorschlag in die Tat umsetzte? Dann würde sie nie herausfinden, ob es eine Zukunft für sie beide gegeben hätte.
Marie hoffte, dass die Nacht ruhig verlief. Obwohl Männer im Allgemeinen nicht die feinfühligsten Wesen auf Erden waren, wäre ihnen dennoch sicher aufgefallen, dass sie geweint hatte. Die roten Augen plötzlichem Pollenflug zuzuschreiben, wäre allerdings auch eine Möglichkeit gewesen. Marie lag noch lange wach, immer in Bereitschaft, sofort aufzuspringen und loszulaufen, sollte der Gong ertönen. Glücklicherweise kam es in dieser Nacht nicht mehr dazu, dass sie sich erklären musste.
Gleich nach Dienstende am frühen Morgen machte Marie sich auf den Weg in ihre Wohnung. Von dem Zusammentreffen mit Simon im Fitnessraum würde sie Heidi vorerst nichts erzählen. Sie wollte sich erst einmal selbst über ihre Gefühle klar werden, statt neue Pläne mit ihrer Mitbewohnerin zu schmieden.
Marie machte einen Umweg über den Supermarkt, der um diese Uhrzeit bereits geöffnet hatte. Denn es gab eine Beschäftigung, bei der Marie besonders gut nachdenken konnte: beim Kochen. Vielleicht war es auch an der Zeit, sich nochmals Gedanken über eine Festanstellung in Steingaden zu machen.