EIN
FOTO MIT DER
GUCCI
»Sag mal, wird das jetzt zur Regel, dass du ein Gesicht machst wie sieben Tage Regenwetter, wenn ich von der Arbeit komme?«
Marie hockte im gemeinsamen Wohnzimmer auf der Couch und starrte teilnahmslos in den Fernseher.
»Hallo, Heidi.«
»War wohl eine anstrengende Nacht, hm? Hattet ihr einen Einsatz?«
Marie schüttelte den Kopf. »Nee, die Nacht war ruhig.«
»Migräne?«
Marie schaute zu Heidi und runzelte die Stirn. »Wann hatte ich denn schon mal eine Migräne?«
»Irgendwann ist immer das erste Mal.«
Heidi setzte sich Marie gegenüber in den kleinen Sessel, den sie ein Jahr zuvor auf dem Nachtflohmarkt im Olympiapark für kleines Geld erstanden hatten. Sie streifte ihre Pumps ab und legte die Füße auf den Couchtisch hoch. Dann musterte sie Marie erneut mit ihrem Detektivblick.
»Bist du schwanger?«
»Was!?« Marie verschluckte sich fast an ihrem Tee.
»Das ist, wenn deine Tage ausbleiben und …«
»Ich weiß, was schwanger bedeutet!« Marie warf Heidi ein Kissen ins Gesicht.
Heidi lachte lauthals, und auch Marie konnte sich nun ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen, schwenkte jedoch umgehend wieder in den Selbstmitleidsmodus um.
»Nun erzähl schon«, bohrte Heidi weiter nach.
Marie zog ihre Beine auf die Couch und setzte sich in den Schneidersitz. Dann schnappte sie sich ein weiteres Kissen, legte es sich auf den Schoß und begann daran herumzuzupfen.
»Die haben mich heute bei der Arbeit lächerlich gemacht«, erklärte sie mit einem Schmollmund, ohne ihre Augen vom Kissen zu nehmen.
»Wer ist ›die‹?«
»Meine Kollegen.«
Heidi atmete erleichtert aus. »Ach du gute Güte«, lachte sie. »Und ich dachte schon, es sei etwas Ernstes!«
Marie sah Heidi mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Das war es auch.«
Heidi gestikulierte, dass ihre Freundin endlich zum Punkt kommen sollte.
»Wir hatten heute eine Übung im Standesamt und einer meiner Kollegen hat mir einen Dildo in die Hand gedrückt, mit dem ich nach draußen gerannt bin, und dann haben alle gelacht«, erzählte Marie.
Plötzlich fühlte sie sich wie ein kleines Mädchen, das sich darüber beschwerte, dass ihre Banknachbarin sie in der Schule an den Zöpfen gezogen hatte.
Stille in der Mädels-WG.
Dann eine kleine Regung in Heidis Gesicht. Sie presste ihre Lippen aufeinander und hielt sich die Hand vor den Mund, konnte jedoch das Unvermeidliche nicht aufhalten. Sie prustete ungehemmt los und fiel fast vom Sessel.
»Das ist nicht witzig!«, beschwerte sich Marie.
»Entschuldige«, Heidi kämpfte mit den Tränen, »aber …, doch, das ist es!« Zum Glück fing sie sich schnell wieder und rieb sich die Tränen aus den Augen. »Und was ist dann passiert?«
»Dann hat die Presse ein Foto gemacht.«
Nun gab sich Heidi gar keine Mühe mehr, ihr Lachen zu unterdrücken. Es überkam sie so stark, dass sie vom Sessel rutschte und auf dem Boden landete.
»Du bist echt doof!«
»Ahh! Ach, Süße, du musst doch zugeben, dass das der Knaller des Jahres ist! Ich … ich meine, stell dir das mal bildlich vor!«
»Das brauche ich nicht. Ich war ja dabei …«
Heidi stand auf, setzte sich neben Marie auf die Couch und nahm ihre Freundin in den Arm. »Sorry, aber das ist sooo lustig …«
»Ist es nicht!«
»Doch, das ist es.« Erneut rieb sich Heidi die Augen und grinste Marie so lange an, bis sich auch bei ihr die Mundwinkel Richtung Zimmerdecke bewegten.
»Und?«, ließ Heidi nicht locker. »Lustig, oder?«
»Na ja, vielleicht ein bisschen.«
»Siehst du? Hab ich doch gesagt. Mensch, Marie, das sind Jungs. Ist doch klar, wenn die auf einem Haufen sind, dass nur Blödsinn dabei herauskommt. Das war in der Schule so, ist am Arbeitsplatz nicht anders und wird auch später im Seniorenheim noch so sein. Jungs bleiben ihr Leben lang – Jungs.«
Marie pflichtete ihr bei.
»Und? Wo ist das Ding?«
Marie sah verwundert zu Heidi. »Wie, wo ist das Ding? Ich habe es Silas wieder in die Hand gedrückt. Glaubst du, ich nehm’ das Teil mit nach Hause? Wer weiß, wo der schon überall war.«
»Scheißegal!« Heidi klang fast empört. »Es geht doch nur um die Sache. Du hättest den Jungs ihr Spielzeug wegnehmen sollen. Was meinst du, wie die geguckt hätten.« Heidis Augen leuchteten. »Und dann hätten wir das Ding in einem nächtlichen Ritual vor der Wache einfach abgefackelt!« Bei »abgefackelt
«
klatschte sie in die Hände.
»Heidi, ich bin bei der Feuerwehr. Da kann ich nicht mitten in der Nacht auf offener Straße etwas verbrennen.«
»Jaa! Uns wär schon was eingefallen. Trotzdem hättest du das Ding einstecken sollen.«
»Stimmt. Du hast recht.«
»War er mit Batterie?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Du hattest das Teil doch in der Hand!«
»Ja, und ich stand im Nebel damit. Außerdem war ich viel zu aufgeregt.«
Heidi blickte enttäuscht drein.
»Aber weißt du, was das Gemeinste ist?«
»Nö.«
»Silas hat die Anweisung von Schiller bekommen, dass er ihn mir unterjubeln soll.«
Heidi wechselte in den Beschützermodus. »Was?! Das Schwein! Jetzt geht er mir schon fast zu weit. Noch ein Grund mehr, dass du den Dildo hättest mitnehmen sollen. Ich hätte schon gewusst, wo wir ihm das Teil hinschieben.«
Marie lachte, dann wurde sie wieder ernst. »Simon hat auch gelacht.«
»Ach, Schätzchen.« Heidi zog Marie zu sich an die Schulter. Sicher hatte sie längst gemerkt, dass dies der eigentliche Grund für Maries Kummer war. »Nimm das nicht so ernst. Manchmal, da setzt bei denen einfach das Hirn aus. Ist doch bei uns auch nicht anders. Nur sind unsere auslösenden Reize unterschiedlich.« Sie fuhr Marie tröstend durch die Haare. »Weißt du noch,
als ich vor ein paar Wochen die Gucci-Tasche im Schaufenster gesehen habe? Als ich fast ausgeflippt bin und ganz aufgeregt gequietscht habe?«
Marie nickte. »Du meinst, als sämtliche Passanten stehengeblieben sind und das japanische Pärchen dich dabei fotografiert hat?«
»Siehst du, du erinnerst dich. Da war ich auch nicht mehr ich selbst, und glaube mir: Ich hätte in dem Moment alles für diese Gucci getan.«
»Das ist aber nicht das Gleiche.«
»Stimmt, ja. Vielleicht ist dieser Simon doch nicht der, für den du ihn gehalten hast. Was, wenn es einfach nur ein dreifacher One-Night-Stand war?«
»Meinst du?«
»Möglich wär’s.«
Marie wurde still, dann lief ihr eine Träne die Wange hinunter.
Heidi bemerkte, dass es an der Zeit war, einfühlsam zu werden. Sie verkniff sich jegliche Spinnereien und tat das, was Freundinnen in solchen Situationen taten. Sie war einfach nur da.
»Du magst ihn schon sehr gern – deinen Simon, oder?«, bohrte Heidi vorsichtig nach.
Marie nickte.
»Dann hilft leider nur eins. Du musst um ihn kämpfen.«
Marie setzte sich gerade hin und blickte Heidi an. »Und wenn ich mich lächerlich mache?«
»Meinst du, es könnte schlimmer kommen, als mit einem Dildo in der Hand umringt von Menschen und Journalisten bei helllichtem Tag vor einem Standesamt zu stehen?«
Marie musste kurz lachen, schniefte jedoch sofort wieder.
»Na siehst du«, beruhigte Heidi sie. »Und wenn er sich dir gegenüber doof benimmt, dann komm ich auf die Wache und boxe ihm eins auf die Nase.«
Marie sah ihre Freundin mit einem Rehblick an. »Versprochen?«
»Ja, ganz fest versprochen.«