Kapitel 1
In der Wetterküche hatten sie die Nebelmaschine angeworfen, und die Bühne war New York. Die milchig graue Suppe lastete schwer über den Hafenanlagen. Auf den Straßen betrug die Sichtweite weniger als fünfzig Yards. Noch weniger schien es auf dem Wasser zu sein, rund um Piers und Anleger.
Milo und ich marschierten zügig durch das kühle Morgengrau, umgeben von Scharen eiliger Menschen, Berufspendlern. Es war zehn vor sieben, die Zeit der Frühaufsteher unter den Schreibtischtätern. Der Mann, mit dem wir uns treffen wollten, war einer von ihnen. Wir befanden uns auf der New-Jersey-Seite des Hudson River, hatten bereits einen Kurztrip von Manhattan nach Jersey City hinter uns. Jetzt ging es in die umgekehrte Richtung, auf dem Wasserweg. Auf dem Parkplatz am Rand des Liberty State Parks hatte ich mit Mühe noch eine freie Bucht für meinen Sportwagen gefunden. Die Marschformation der Eiligen strebte auf den Anleger zu. Wenn die erste Fähre des Tages ablegte, pünktlich um sieben Uhr, würden alle an Bord sein. Alle, die drüben in Manhattan kein Auto brauchten. Unser Mann gehörte zu diesen Privilegierten, und Milo und ich schlossen uns ihnen an.
Es war windstill, das Wasser des Hudson nur leicht gekräuselt. Die Fähre lag völlig ruhig vor der weiß grauen Nebelwand. Es war eine reine Personenfähre. Als einzige Fracht wurden Laptops, Aktenkoffer und Handtaschen mitgenommen. Das bullig aussehende Schiff war signalgelb gestrichen wie die kleineren Wassertaxis, es hatte zwei Decks für insgesamt fünfhundert Passagiere. In geordneter Zweierreihe nahm unser Pulk vor der Gangway Aufstellung. Zwei Kartenkontrolleure arbeiteten schnell und gewissenhaft, und entsprechend rasch gelangten wir an Bord. Mandy, die Sekretärin Mr McKees, unseres Vorgesetzten, hatte uns die Tickets schon vor zwei Tagen besorgt. Natürlich hätten auch unsere Dienstausweise den Zweck erfüllt, aber wir wollten unerkannt bleiben. Denn wir durften den Mann, mit dem wir verabredet waren, auf keinen Fall gefährden.
Wir hatten ihn im Gedränge noch nicht entdeckt. Er hieß Vernon C. Resnik. Wir kannten ihn nicht persönlich, aber dank der Website der städtischen Baubehörde wussten wir, wie er aussah. Als einer der stellvertretenden Abteilungsleiter war er auf der Homepage mit Foto und persönlichen Daten präsent. Das Foto zeigte ihn als freundlich lächelnden übergewichtigen Mann. Er war achtundvierzig Jahre alt, hatte dunkles Haar und gehörte zu denjenigen, die ihr Doppelkinn mithilfe eines Vollbarts zu verbergen suchten. Ebenso war er einer von denen, die nicht begriffen, dass der Bart nichts nützte, sondern das Doppelkinn eher noch betonte. Resnik wohnte in Jersey City und benutzte jeden Tag die Fähre, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Sein Schreibtisch stand in der City Hall, dem Rathaus, im südlichen Manhattan.
Resnik wollte mit dem FBI zusammenarbeiten. Er hatte es Mr McKee bei einem Empfang des Bürgermeisters zugeflüstert, in einem unbeobachteten Moment. Die Innenrevision der Stadtverwaltung hatte festgestellt, dass Resnik sich bestechen ließ. Er stand auf der Lohnliste der Mafia-Familie Lucca. Jetzt war er erledigt und wollte die Chance nutzen, ins Zeugenschutzprogramm abzutauchen. Er hatte angekündigt, ein umfassendes Geständnis abzulegen, natürlich als Gegenleistung dafür, dass das zuständige Gericht keine Anklage erhob und ihm das Verfahren wegen Korruption und Beteiligung am organisierten Verbrechen erspart blieb. Der Zeitpunkt sei günstig, hatte Resnik erklärt, weil die Mitglieder des Lucca-Clans zurzeit unter höchster Anspannung standen. Grund dafür war ein bevorstehendes Drogengeschäft in großem Stil, eines, das es den Luccas ermöglichen würde, ihre ohnehin schon enorme Macht beträchtlich zu erweitern. Deshalb, so kalkulierte Resnik, war der Zeitpunkt günstig. Die Familie hatte Wichtigeres zu tun, als sich um ihn zu kümmern.
Möglich, dass er recht hatte. Auch wir wussten von dem bevorstehenden Drogendeal, waren sogar maßgeblich daran beteiligt – im wahrsten Sinn des Wortes. Aber das würden wir Mr Resnik nicht auf die Nase binden. Schließlich wussten wir nicht, wie weit seine Verbindungen zum Lucca-Clan noch intakt waren.
Die Fähre legte ab, noch während wir uns auf dem unteren Passagierdeck umsahen. Einen Moment lang waren durch die Fenster noch die Dückdalben zu sehen, die die kurze Fahrrinne zum Anleger säumten. Dann blieben die dunklen, mit Muscheln und Algen besetzten Pfahlbündel zurück, und der Nebel nahm das Schiff auf. Der Kapitän ließ das Typhon erschallen. Die Radaranlage auf der Brücke sorgte für Sicherheit auf dem Kurs.
Wir erreichten das Achterdeck. Eine schwere Holzrahmentür mit Sichtfenster gab den Blick frei auf das Außendeck. Es war von den Unentwegten bevölkert, die eine Stunde lang Frischluft tanken wollten, sowohl auf der Fähre als auch während des anschließenden Fußmarschs vom Anleger Battery Park bis zum Arbeitsplatz in Manhattan South.
Wir traten ins Freie. Der Geruch des Brackwassers schlug uns entgegen, jener Mischung aus Süßwasser und Salzwasser, verstärkt durch den Tidenhub in der oberen New Yorker Bucht. Auf dem Achterdeck merkte man erst richtig, wie kühl es war an diesem frühen Morgen im August. Es war das Hauptthema unter den Passagieren, das hörten wir aus den Gesprächsfetzen, die wir mitbekamen, während wir auf der Suche waren und so taten, als würden auch wir nichts anderes im Sinn haben, als über das Wetter zu reden.
Resnik war da.
Wir erblickten ihn an der Heckreling. Er lehnte mit dem Rücken an dem gelb lackierten Gestänge, als würde es das von der Schraube aufgeschäumte Wasser hinter ihm nicht geben. Außer ihm standen nur noch zwei andere Männer an der Reling, weiter nach Steuerbord hin. Sie hatten die Aktenkoffer zwischen den Beinen abgestellt und lasen Zeitung. Eine Zwangshandlung für Heerscharen von New Yorkern auf dem Weg zur Arbeit.
Resnik stand mit einer Selbstverständlichkeit auf seiner Abschussposition, als hätte er sich den sichersten Platz der Welt ausgesucht. Statt einer Zeitung hielt er seinen Aktenkoffer in den Armen, schräg vor der Brust. Er trug einen hellblauen Windbreaker über dem dunkelgrauen Anzug. Er kannte uns nicht, doch er wurde auf uns aufmerksam, als wir auf ihn zusteuerten. Seine Miene erhellte sich über dem düsteren Vollbart. Offenbar ahnte er, wer wir waren. Falls ich dazu noch Gelegenheit hatte, wollte ich ihm sagen, dass er nicht zu vertrauensselig sein sollte. Kronzeugen wie er lebten gefährlich. Viele von ihnen verschwanden spurlos und wurden zehn oder zwanzig Jahre später als Skelett auf einer Industriebrache ausgegraben. In seinem Fall war es ein Leichtes, genau das zu erreichen. Jemand brauchte ihm nur einen Stoß vor den Koffer zu verpassen – jemand, der so unauffällig aussah wie Milo oder ich und irgendwo inmitten der Passagiere lauerte und nur den günstigsten Moment abwartete.
Doch wir kamen nicht einmal mehr dazu, ihm zu sagen, wer wir waren.
Etwas Weißes, Spitzes stach aus dem Nebel hervor – der Bug eines Sportboots, schnittig, aber ganz und gar nicht schnell. Geradezu gemächlich näherte es sich der Fähre und ging am Backbordheck längsseits. Vier Kerle standen in dem offenen Boot wie Terrakotta-Figuren in einer Erdmulde, die Hände auf dem Rücken, breitbeinig und sicher, als würde selbst der stärkste Wellengang sie nicht umkippen können. Sie trugen Jeans, Sportschuhe und dunkle Pullover und sahen so gelassen aus, als würde das, was sie vorhatten, eine ihrer leichtesten Übungen werden. Ein fünfter Mann kauerte hinter dem Steuerruder.
Milo und ich durchschauten sie schon, als sie ihre Hände noch nicht hinter dem Rücken hervorgebracht hatten. Wir wichen auseinander, auf Sicherheitsabstand. Der Sekundenbruchteil genügte den Männern im Boot, um ihre Hände vorzuzeigen – mit Maschinenpistolen darin.
Resnik sah sie, zuckte zusammen, duckte sich. Der Koffer fiel ihm weg, polterte vor seinen Füßen auf die Planken. Ich sprintete auf ihn zu, zog gleichzeitig die P226 und das Handy. Auch Milo hatte seine Dienstwaffe frei. Er brüllte die Passagiere an: »Runter! Deckung! Alle auf den Boden! Jetzt!«
Die Leute schienen zu gehorchen. Wir konnten uns nicht davon überzeugen, denn das Geschehen überschlug sich.
Ich überwand die letzten zwei Yards mit einem Sprung, hakte beide Hände über Resniks Schultern und riss ihn auf die Decksplanken. Dabei gab ich Waffe und Handy keinen Moment lang frei. Die nächste halbe Sekunde wäre tödlich geworden. Für Resnik, für uns alle. Ich lag halb über ihm, konnte ihn mit meinem Körper schützen, wenn es hart auf hart ging. Über seiner Hüfte drehte ich mich nach links, stieß die SIG in Anschlag und bediente gleichzeitig das Handy. Ich rief die Harbor Police, die ein Boot für uns in Bereitstellung gelegt hatte. Mehr als meinen Namen und die Position brauchte ich nicht durchzugeben. Noch bevor ich die Aus-Taste drückte, hörten die Hafen Cops am anderen Ende, was bei uns los war.
Maschinenpistolen hämmerten los.
Hart hackend hieben sie ihre Geschossgarben aus den Läufen.
Die Menschen auf dem Achterdeck schrien vor Angst. Gleich darauf schrien sie auch drinnen, als verirrte Kugeln die Fensterscheiben durchschlugen und einen Scherbenregen auslösten.
Die Angreifer taktierten simpel. Zwei Mann schossen, gaben Feuerschutz, während die beiden anderen die Fähre enterten. Dann, während sie die Reling überwanden, ließen auch sie ihre Waffen rattern. Ich feuerte in die Richtung, aus der die MPi-Garben kamen. Die Schüsse aus dem Boot stockten. Nur die Köpfe, die Schultern und die MPis im Schulteranschlag waren von den Kerlen dort zu erkennen. Unsere Kugeln zischten zu bedrohlich über sie hinweg. Deshalb tauchten sie ab. Mit Gegenwehr hatten sie nicht gerechnet, nur mit einem potentiellen Verräter, der sich so günstig aufgestellt hatte, dass es sie keine Mühe gekostet hätte, ihn zu den Fischen zu schicken.
Wenn wir nicht gewesen wären.
Rechts von mir sah ich Milo auf den Decksplanken. Seine Dienstwaffe krachte in kurzen Abständen, spie Feuer und Vollmantelblei. Er holte den ersten Kerl von den Beinen, der sich bereits über die Reling geschwungen hatte. Die Kugeln des Gangsters stanzten eine Lochreihe in das tropische Hartholz des Decks – vor seinen eigenen Füßen, nicht weit genug, um jemandem gefährlich zu werden. Die Einschüsse aus Milos SIG brachten ihn ins Wanken und schleuderten ihn rückwärts. Es war schon kein Leben mehr in dem Mann, als er gegen das Stahlrohrgestänge der Reling prallte. Es sah aus, als würde er sich hineinfalten wollen. Doch dann schien er den Versuch aufzugeben, und erschlafft wie eine fallen gelassene Gliederpuppe landete er auf den Planken.
Der andere war gerade erst dabei, herüberzusteigen. Er hockte oben auf dem Handlauf der Reling und verwendete die Dauer eines halben Atemzugs darauf, zu überlegen, ob er sich erst mit einem Feuerstoß Respekt verschaffen und dann auf das Deck springen sollte. Er entschied sich für die erste Variante, die MPi in seinen Händen begann zu rucken, die Mündungsblitze sprangen mich an, und die Stanzlöcher der Geschosse wanderten auf mich zu. Ich stoppte die Wanderschaft des heißen Bleis, indem ich den Kerl von der Reling schoss. Er warf die Arme hoch und kippte hintenüber. Die Maschinenpistole fiel ihm weg und landete wahrscheinlich bei seinen Komplizen in dem offenen Boot, bevor er selbst dort ankam. Im selben Augenblick brüllte der Innenborder des weißen Flitzers auf.
Der Grund wurde uns sofort darauf klar.
Sirenengeheul drang aus dem Nebel herüber, und dann schälten sich die Umrisse eines weiß-blauen Patrouillenboots aus dem Grau. Rotlicht kreiste geisterhaft über den Aufbauten. Das Sportboot wendete in einer engen Kurve, schickte dem Polizeikreuzer eine schäumend aufsteigende Heckwelle entgegen und rauschte mit hoch erhobenem Bug stromaufwärts davon.
An Land jagten Streifenwagen des Jersey City Police Department heran. Ihr Sirenen-Chor nahm das einsame Geheul des Polizeiboots auf, und ihre Rotlichter tunkten den gesamten Fähranleger des Liberty State Park in kreisende Glut.
Milo und ich luden unsere SIGs nach. Wir vergewisserten uns, dass Vernon C. Resnik unversehrt war, abgesehen von einem wahrscheinlich nur leichten Schock. Wir durften ihn weder an Bord der Fähre lassen, noch den Jersey Cops übergeben. Luccas Killer konnten überall sein. Wir mussten damit rechnen, dass sie ihr Pulver noch lange nicht verschossen hatten. Deshalb halfen wir Resnik hinüber auf das Boot der Harbor Police, kaum dass es längsseits gegangen war.
Der bullige Kreuzer legte sofort wieder ab und nahm die Verfolgung der Gangster auf. Die Maschinen im Heck schmetterten ihren Stahlgesang in den Morgen hinaus. Eine hoch gischtende Hecksee blieb zurück und ließ die Fähre nach Steuerbord krängen. Der Nebel hatte das weiße Sportboot längst verschluckt, doch vom Radarschirm konnte es so schnell nicht verschwinden. Die Fliehenden hatten uns im Nacken, das musste ihnen bewusst sein, denn das Sirenengeheul folgte ihnen hartnäckig. Von der Maschinenleistung her war das Patrouillenboot dem weißen Flitzer überlegen. Überdies hatte Letzterer kein Radar, konnte seine Leistung also nicht voll ausspielen.
Zwei Kollegen aus der fünfköpfigen Crew übernahmen Resnik und brachten ihn in die Kajüte. Wir trafen den Bootskommandanten, Sergeant Fra ncis Gaherty, auf der Brücke, einem erhöhten offenen Ruderstand. Als Rudergänger fungierte einer der Beamten aus der Crew. Er hielt den Radarschirm und die Nebelwand ständig im Auge, nickte uns lediglich zu, ohne den Kopf zu wenden.
Gaherty zeigte uns einen weißen Punkt auf dem kreisförmigen Schirm. Das Killerboot. Der Punkt bewegte sich parallel zum Westufer des Hudson.
»Augenblicklicher Vorsprung achthundert Yards«, informierte uns der Sergeant militärisch knapp. »Ich nehme an, in Weehawken haben wir ihn.«
Das war nur einen Steinwurf weit flussaufwärts. Abgesehen von der Berufsschifffahrt hatten wir freie Bahn. Das sonst vorherrschende Gewimmel von Freizeitbooten gab es nicht.
Sergeant Gaherty hatte bereits alles Erforderliche veranlasst. Ein Rettungswagen mit Notarzt war zum Liberty State Park unterwegs. Der Kapitän des Fährschiffe hatte Order erhalten, an den Anleger zurückzukehren. Dort wurde die Fähre bereits von den Jersey Cops erwartet. Die vierhundertsiebenundneunzig Passagiere durften erst dann von Bord, wenn ihre Personalien erfasst waren. Sie mussten ein Wassertaxi nehmen oder auf dem Landweg nach Manhattan fahren, durch den nahen Holland Tunnel, der allerdings chronisch verstopft war. Die Fähre würde vorerst am Anleger vertäut bleiben. Ein Team der Scientific Research Division war bereits auf dem Weg, um die Spurensicherung auf dem Achterdeck zu erledigen. Der Tote musste nach der Freigabe ins Leichenschauhaus gebracht werden.
Während Milo gemeinsam mit Sergeant Gaherty den Radarschirm beobachtete, zog ich mein Handy hervor, ging nach Backbord und rief Mr McKee an. In knappen Worten berichtete ich über das Geschehen und schilderte die Lage. Der Chef entschied, unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell mit der Bewachung Resniks zu beauftragen. Später, wenn ein richterlicher Beschluss über seine Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm vorlag, würde der US Marshals Service ihn übernehmen. Dass Resnik aufgenommen werden würde, stand inzwischen außer Frage. In welcher Gefahr er schwebte, hatten wir soeben erlebt.
»Heute Nachmittag«, fügte Mr McKee hinzu, »findet Ihr Einsatz am Newtown Creek statt. Ab vierzehn Uhr. Lieutenant Kellso hat angerufen. Die Vorbereitungen laufen bereits an.«
Wie es aussah, war dies unser Tag an der Waterfront New Yorks. Allerdings war der Hudson River ein kristallklar dahinrauschendes Gewässer, verglichen mit der Kloake Newtown Creek.
»All right«, meldete sich Sergeant Gaherty von seinem Platz vor dem Radarschirm. »Gleich haben wir Sichtkontakt.«
Er hatte es kaum ausgesprochen, als sich vor uns das weiße Bootsheck aus dem Milchgrau schälte. Mir kam es vor, als ob der Nebel heller wurde.
»Die Sonne kommt durch«, stellte Milo fest.
»Und Wind kommt auf«, ergänzte ich seinen Wetterbericht und zeigte auf den Wellengang, der eingesetzt hatte. Noch hatten die Wellen nur Waschbrettformat, doch es war bereits zu erkennen, dass sie den Sportflitzer in ein rasantes Rattern versetzten, während unser Polizeikreuzer völlig ruhig seine Bahn zog und unaufhaltsam aufholte.
Sergeant Gaherty reichte mir ein schnurloses Mikro. »Für den Lautsprecher«, erklärte er und wies meinen Partner und mich auf die Halterungen unter der Instrumententafel hin. Maschinenpistolen schimmerten ölig, fertig geladen, jeweils mit gefüllten Doppelmagazinen in Griffweite.
Die Kerle vor uns warteten nicht, bis die Sicht noch klarer wurde. Was sie jetzt schon sahen, reichte, um sie in Panik zu bringen. Der Mann vorn, hinter der Windschutzscheibe, kauerte über dem Steuerruder, als wollte er hineinkriechen. Die beiden anderen Überlebenden hockten auf der Sitzbank im Heck, die Maschinenpistolen über die Verkleidung des Innenborders geschoben. Hart pressten sie die Kolben der MPis an ihre Schultern, um einigermaßen ruhig feuern zu können.
Mut hatten sie, das musste man ihnen lassen. Den Mut ließen sie sich auch durch den Anblick ihres toten Komplizen nicht nehmen, der in unnatürlich verkrümmter Haltung über den Kunststoffpolstern der Sitze hing.
Und statt vor Verzweiflung über Bord zu springen, wollten sie es mit uns aufnehmen – ausgerechnet mit einem Patrouillenboot der Harbor Police, dessen Rumpf ebenso wie die Aufbauten aus solidem Schiffsstahl bestand. Sergeant Gaherty brauchte den Flitzer nur zu rammen, um dessen glasfaserverstärkten Kunststoff in spröde Splitter zu zerbröseln.
Je näher unser Kreuzer dem flachen weißen Heck kam, desto höher und drohender ragte der Bug über den Gangstern auf. Es schien sie nicht zu beeindrucken. Ihr Widerstandswille war verbissen und aus Panik geboren.
Milo klinkte zwei Maschinenpistolen aus, eine davon reichte er mir.
Ich nahm die Waffe in die Rechte, schaltete gleichzeitig das Mikro ein und hob es in Sprechhöhe.
»FBI!«, hörte ich meine Stimme donnern. »Dies ist ein FBI-Einsatz!«
Die Burschen im Boot duckten sich wie unter einem Hieb, so gewaltig donnerte der Lautsprecher. Unsere Kollegen von der Harbor Police wussten, welche Dezibel-Leistung man brauchte, um das Maschinendröhnen eines Patrouillenboots zu übertönen.
»Ergeben Sie sich!«, fuhr ich mit meiner Donnerstimme fort. »Drehen Sie bei! Lassen Sie die Waffen fallen und heben Sie die Hände! Dann geschieht Ihnen nichts. Andernfalls schießen wir gezielt!«
Damit erzählte ich ihnen nichts Neues. Eben deshalb beeindruckte es sie nicht – auch das eine Panikfolge. Sie eröffneten das Feuer, während sich der Bug des Polizeikreuzers noch weiter auf sie zuschob. Ihre ersten Schüsse lagen zu tief. Die Kugeln trafen den Bugstahl und verursachten Plink-Geräusche, die vor dem Maschinenlärm klein und unbedeutend klangen.
»FBI!«, setzte ich abermals meine Stimmgewalt per Lautsprecher ein, um sie zum Einlenken zu bewegen. »Stellen Sie das Feuer ein! Ergeben Sie sich! Sie haben keine Chance! Lassen Sie die Waffen fallen!«
Mehr konnte ich nicht fordern. Ein schmetternder Schlag traf den Rahmen der Sicherheitsverglasung knapp über unseren Köpfen. Wir duckten uns nachträglich, reflexartig. Die Kugel heulte als Querschläger davon.
Im nächsten Moment war die Gefahr vorüber, denn wir hatten uns dem Sportboot so weit genähert, dass wir uns im toten Winkel befanden. Die Gangster konnten nur noch den Bug treffen, uns sahen sie nicht mehr. Ihnen blieb nur eines: Sie hasteten nach vorn, über die Sitze in der Bootsmitte hinweg, vorbei an ihrem toten Komplizen.
Milo und ich fackelten nicht lange. Ich gab dem Sergeant das Mikro zurück. Wir flankten von der Brücke auf das Hauptdeck. Im Vorbeilaufen gaben wir den Harbor-Cops in der Kajüte Handzeichen, Resnik in sicherer Deckung zu halten. Mit langen Sätzen eilten wir auf das Vordeck und warfen uns hinter der Bugverschanzung in Deckung.
Ein Kugelhagel empfing uns. Die Geschosse sengten über uns hinweg, drei oder vier trafen die Oberkante der Verschanzung und stiegen mit schrillem Klang dem Himmel entgegen. Unsere Gegner hatten uns also gesehen, mussten vorn, in der Nähe ihres Komplizen am Steuerruder in Stellung gegangen sein. Ich wechselte einen Blick mit Milo. Wir brauchten weder Worte noch Handzeichen, um uns zu verständigen.
Hinter uns, aus seiner erhöhten Position, eröffnete Sergeant Gaherty das Feuer. Auch er hatte sich mit einer Maschinenpistole ausgerüstet. Während der Rudergänger das Patrouillenboot auf Kurs hielt und es gleichzeitig etwas zurückfallen ließ, deckte Gaherty die Gangster mit Geschossgarben ein. Damit gab er Milo und mir Zeit, die Stellung zu wechseln. Geduckt wichen wir an der Verschanzung zurück, Milo nach Steuerbord, ich nach Backbord. Gaherty schickte seine Feuerstöße in kurzen Abständen hinaus. Die Kerle im Sportboot hatten offenbar keine Chance, sich aus ihrer Deckung zu wagen, denn es kam keine Reaktion von ihnen. Die gepolsterten Sitze waren als Kugelfang ohnehin nicht erste Wahl. Sie mussten froh sein, wenn ihnen die Polsterfetzen, gespickt mit Blei, lediglich um die Ohren flogen, statt sie ernsthaft zu verletzen.
Ich hob die linke Hand als Zeichen für Gaherty, dass wir unsere Position erreicht hatten. Er reagierte sofort, steckte sein Doppelmagazin um und verstärkte das Feuer, bevor die Gangster eine Chance hatten, ihre Gegenwehr wieder aufzunehmen. Milo und ich kamen hoch, die MPis im Schulteranschlag. Wir hatten die Lage sofort im Blick.
Der Mann am Steuerruder zitterte, die Angst schüttelte ihn regelrecht durch. Doch er erledigte seinen Job so gut er konnte. Der weiße Flitzer zitterte mit ihm im Rhythmus des zunehmenden Wellengangs. Seine Komplizen hockten im Fußraum vor der vorderen Sitzbank. Offenbar restlos verzweifelt, versuchten sie immer wieder, hochzukommen und unser Feuer zu erwidern. Sie schafften es nicht. Unvermittelt hörten wir, wie sie den Mann am Ruder anschrien. Er zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb – und gehorchte. Wie der Befehl der Kerle gelautet hatte, sahen wir im nächsten Moment.
Der Mann riss das Ruder herum. Es hatte die Form eines Lenkrads, und es war viel zu empfindlich für die Brachialgewalt, die er anwendete. Das Boot krängte gefährlich nach Steuerbord, als er es fast rechtwinklig auf das Ufer zujagte, ohne auch nur einen Hauch von Fahrt wegzunehmen. Das Boot schaukelte sich auf, als der Steuerer es auf Geradeauskurs zwang. Es gelang ihm nicht, den Flitzer zu stabilisieren.
Sein Ziel war ein Jachthafen.
Wir hatten das Feuer eingestellt. Wenn ich die Uferlinie richtig identifizierte, befanden wir uns in der Höhe von Weehawken. Der Jachthafen hatte einen Anleger, parallel zum Ufer, mit einer offenen Wasserfläche davor. Weiter flussaufwärts befanden sich die Bootsstege, an denen Kajütkreuzer und Segelboote vertäut lagen. Der Anleger war frei, vermutlich für Gäste des Jachtclubs, die vorübergehend hier festmachten.
Die Entfernung zum Ufer betrug noch fünfhundert Yards. Sergeant Gaherty reduzierte bereits die Fahrt. Der Bug des Patrouillenboots senkte sich, und wir überblickten die ganze Bescherung.
Das weiße Sportboot tanzte jetzt wie verrückt. Sein Lenker kam nicht auf die Idee, Gas wegzunehmen. Zu sehr saß ihm die Angst im Nacken, zu sehr war er auf Flucht gepolt. Und die beiden Komplizen hörten nicht auf zu schreien. Dadurch brachten sie ihn offenbar vollends dem Wahnsinn nahe. Mir kam es vor, als würde er die Drehzahl des Innenborders noch erhöhen. Wie zum Hohn stabilisierte sich das Boot ein wenig als es auf den Anleger zujagte.
Jäh krachte der Bug auf die Balkenkante, der Kiel schob sich hinauf, und es hatte den Anschein, als wollte das Boot einen Raketenstart hinlegen. Doch es kam über den Anleger nicht hinaus. Einen Sekundenbruchteil lang, als sich die Schraube im Holz festsägte, schien es zu überlegen, ob es nach vorn oder hinten überkippen sollte. Es entschied sich für hintenüber. Die Insassen, einschließlich des Toten, wurden herausgeschleudert wie Brocken von einem altrömischen Katapult.
Wie schlaffe Sackpuppen, deren angenähte Glieder wild schlenkerten, flogen sie durch die Luft. Alle vier knallten gegen die Backbordseite des Patrouillenboots, das inzwischen beigedreht hatte. Die Schmettergeräusche gingen mir durch und durch. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, dass es Milo genauso ging – er zog den Kopf zwischen die Schultern, schloss die Augen. Klatschende Laute zeigten das Versinken der leblosen Körper an. Ich bemerkte, dass Sergeant Gaherty seinen Kollegen über Funk neue Kursanweisungen gab. Wahrscheinlich forderte er auch gleich die Taucher für die Bergung der Leichen an. Denn überlebt hatte keiner der Gangster. Wir folgerten es daraus, dass keiner von ihnen wieder auftauchte, nachdem wir an die Backbordreling geeilt waren.
*
Detective Robert Hurley und sein Partner verbrachten die Zeit mit Warten. Der Ort, an dem sie ausharrten und so ruhig blieben wie sie konnten, war nicht mal halb so gemütlich wie eine Bahnhofshalle. Ein gottverlassener alter Hafenschuppen, mitten in New York, und doch in einer anderen Welt, im Niemandsland zwischen Brooklyn und Queens. Der Newtown Creek bildete die Grenze, eine ehrenvolle Funktion für das am stärksten verschmutzte Gewässer in der Acht-Millionen-Stadt. Dreck, Rost und Unrat bestimmten das Bild, und wem das zum Unwohlsein noch nicht reichte, der brauchte sich nur den Gestank lange genug reinzuziehen, um das Würgen zu kriegen. Nur Ratten, so sagten die Menschen, lebten hier wie im Paradies. Giftmüll dünstete unter der Sommerhitze in dunklen Ecken, Schrotthaufen türmten sich an Land und giftige Chemikalien schimmerten im stillstehenden Wasser. Der Newtown Creek wies keine Strömung auf, denn er war weder ein Bach noch ein Fluss, sondern ein breiter, schiffbarer Nebenarm des East River – Umweltschützern ein Dom im Auge.
Detective Hurley und sein Partner hatten sich den Treffpunkt vorschreiben lassen. In ihrem Undercover-Einsatz spielten sie Großdealer, die den Kokainmarkt in New York neu für sich erschließen wollten. In einer solchen Situation musste man Zugeständnisse an die werte Kundschaft machen, zum Beispiel, was den Ort des Geschäftsabschlusses betraf. Nichtsdestoweniger war es für die beiden Kriminalbeamten ein Einsatz wie viele andere.
Filmregisseure hatten Scheingeschäfte dieser Art in tausend Variationen nachgespielt, immer nahe dran an der Wirklichkeit. Der Deal zwischen Undercover-Cops und Drogenhändlern, fast schon ein Klassiker unter den Standardszenen Hollywoods, lebte von den immer gleichen Zutaten: verlassenes Industriegelände, plötzlich aufbrüllende Achtzylindermotoren heranjagender schwarzer Luxusschlitten, herausspringende Kerle in schwarzen Anzügen und mit Maschinenpistolen an den Hüften, schnappende Schlösser und aufklappende Deckel schwarzer Lederkoffer, randvoll mit säuberlich gestapelten Dollarpäckchen.
Bob Hurley kannte sie alle, diese Szenen und die dazugehörigen Filme. Er fieberte jedem neuen Actionknaller entgegen, der das alte Thema frisch behandelte. Ja, das musste er zugeben, es ging ihm haargenau so wie man es den Mafiatypen nachsagte. Von ihnen hieß es, dass sie sich nicht sattsehen konnten an Mafiafilmen. Genauso konnte er, Bob Hurley, von Drogen-Action-Reißern einfach nicht genug kriegen. Er empfand es als das Schöne an seinem Beruf, dass die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Hollywood fließend waren. Man konnte sich jeden Tag als Mitwirkender fühlen, ja, als Hauptdarsteller.
Nur die Kugeln, die einem um die Ohren flogen, waren echt.
Detective Christopher Flynn gähnte leise in der Dunkelheit, die sie beide schützte, ganz hinten in dem hallenartigen Gebäude. Zwar wussten sie, was auf sie zukam, doch Standardszenen hatten ihre Tücken, konnten sich schlagartig in ungeahnte Richtungen entwickeln. Deshalb war es ratsam, erst einmal nicht aufzufallen und die Dinge auf sich zukommen zu lassen.
Das offene Tor, vorn, war ein scharf ausgeschnittenes Rechteck, mit gleißendem Sonnenlicht gefüllt. Flynn saß hinter dem Lenkrad des Einsatzwagens, Bob Hurley auf dem Beifahrersitz. Das Auto war tief schwarz und standesgemäß, passend zu einem erfolgreichen Dealer. Kenner sahen auf den ersten Blick, dass es sich um einen Cadillac CTSV handelte, das neueste Coupé Spitzenmodell der Luxusmarke. Ein Wolf im Schafspelz, wenn man so wollte. Unter der aggressiv geneigten, kantigen Motorhaube steckte ein aufgeladener 6,2LiterAchtzylinder mit 647 PS wie in der Corvette ZR1. Das Mindestmaß für einen Großhändler, der darauf Wert legte, sein Image zu pflegen.
Niemand konnte erkennen, dass der Wagen zum Fuhrpark des New York Police Department gehörte. Ebenso wenig hätte jemand Flynn und Hurley für Cops in Zivil gehalten, noch dazu im Undercover-Einsatz. Mit den üblichen getarnten Kriminalbeamten im Straßen-Outfit – ausgebleichten Jeans und speckigen Kapuzen-Sweatshirts – hatten sie nichts gemein.
Beide trugen elegante, anthrazitfarbene Anzüge aus leichtem, sommerlichem Stoff, maßgeschneidert natürlich. Dazu stahlgraue Seidenpullis mit Rollkragen und als Grundlage für das Edel-Outfit handgearbeitete italienische Maßschuhe. Echte Dealer erkannten solche feinen Einzelheiten sofort, denn sie waren Experten für teure Sachen und wussten, wie man damit herumprotzte.
Hurleys und Flynns Jacketts waren so perfekt geschnitten, dass die Pistolen in den Gürtelholstern nicht auffielen. Dabei trug die Glock, Kaliber neun Millimeter, ganz schön auf, richtig klobig war sie. Ihren Vorteil spielte sie beim Gewicht aus, denn nur die Teile, auf die es ankam, waren aus Stahl, der Rest aus federleichtem, aber ultrahartem Kunststoff. Und mit sechzehn Schuss im Magazin war man für jeden Ernstfall gerüstet.
Eindruck machen war verdammt wichtig, wenn man als vermeintlich erfolgreicher Dealer in Brooklyn auftauchte und glaubwürdig damit rüberkommen wollte, dass man vorhatte, seinen Kundenkreis zu erweitern. Vor allem aber brauchte man eine gute Legende, denn das organisierte Verbrechen war wie eine große Familie, nicht zuletzt im Drogengeschäft. Da kannte jeder jeden, über die Grenzen der Bundesstaaten hinweg.
»Heute bin ich in Aufräumlaune«, sagte Chris Flynn prahlerisch. »Mir sitzt der Colt locker. Wenn mir einer dumm kommt, ist er fertig.« Er hörte sich an wie ein Laienschauspieler auf einer Countrybühne in Nebraska.
Bob Hurley ging darauf ein und tat, als würde er seinen Partner ernst nehmen.
»Du hast keinen Colt«, belehrte er ihn. »Keinen Revolver.«
»Ist doch nur sprichwörtlich gemeint.« Flynns Zähne und das Weiße seiner Augen blitzten, als er grinste. »Mit sechs Kugeln in der Trommel würden wir verdammt alt aussehen, stimmt's? Ich weiß gar nicht, wie unsere Kollegen von anno dazumal das gemacht haben.«
»Die haben mit einer Kugel das erledigt, wofür wir sechs brauchen«, behauptete Hurley.
Chris Flynn spielte den Ahnungslosen und fragte: »Wie denn das?«
»Ganz einfach. Du wartest, bis sechs Gangster hintereinander stehen, und dann drückst du ab. Einmal. Du brauchst auch nur einmal zu treffen.«
»Den ersten von den Strolchen.«
»Richtig. Die Kugel durchschlägt fünf und bleibt im sechsten stecken.«
»Und das geht? Wirklich?« Chris tat, als würde er aus dem Staunen nicht herauskommen.
»Theoretisch schon.« Bob wurde ernst. »Wahrscheinlich auch in der Praxis. Aber ein echter, wirklichkeitsnaher Test wurde nie gemacht. Nur mit Schweinehälften haben sie es ausprobiert, bei Smith & Wesson. Natürlich brauchst du ein Revolverkaliber, .357 Magnum oder .44 Magnum. Wegen der Durchschlagskraft. Dann funktioniert es.«
Normalerweise konnten sie solche Gespräche endlos fortsetzen. Es war ein guter Zeitvertreib, wenn man auf einen Platz festgenagelt war.
»Mhm«, brummte Chris jedoch nur, unvermittelt geistesabwesend.
Bob sah ihn forschend von der Seite an. »Das Problem an der Sache ist, du wirst keine sechs Gangster finden, die sich freiwillig so aufstellen, dass ...«
Sein Partner unterbrach ihn. »Lass gut sein, Alter. Du musst mich nicht aufmuntern. Ich bin topfit wie immer, körperlich und seelisch. Und mach dir keine Sorgen. Wenn dich einer in Schwierigkeiten bringt, bin ich zur Stelle und lege den Kerl um. Wie es unter Partnern üblich ist.«
»Danke im Voraus«, sagte Bob, obwohl es ihm nicht gefiel, wie Chris redete. Fast alles, was er an diesem Tag von sich gab, wirkte aufgesetzt und übertrieben. Er war einfach nicht er selbst – aber das war letzten Endes kein Wunder.
Eigentlich hatte Bob antworten wollen: >Hast deinen schießwütigen Tag heute, was?< Aber er ließ es. Es war nicht angebracht. Er hätte auch sagen können: >Wenn wir die Sache hier hinter uns gebracht haben, lege ich ein gutes Wort für dich ein und übernehme den Aktenkram. Dann kannst du sofort zu Anne ins Hospital.< Doch auch das hätte Chris nur auf die Palme gebracht.
Denn er war gereizt wie ein angestochener Kampf stier. Er ließ es sich nur nicht anmerken. Was ihm auch recht gut gelang. Aber seinem Dienstpartner konnte er nichts vormachen. Innerlich kochte Chris Flynn, doch er trommelte nicht mal mit den Fingern auf dem Lenkrad, so gut hatte er sich unter Kontrolle.
Jeder andere in seiner Lage hätte an einem Tag wie diesem freigekriegt.
Gestern Nachmittag, nach Dienstschluss, war er gerade noch rechtzeitig nach Hause gekommen, um Anne ins Hospital zu bringen. Viel zu früh hatten die Wehen bei ihr eingesetzt. Er hatte sofort den Rettungswagen gerufen, denn was sie befürchtet hatten, war eingetreten. Die Ärzte hatten prophezeit, dass mit Komplikationen gerechnet werden müsse. Eine reibungslose Geburt sei jedenfalls nicht zu erwarten. Und heute, einundzwanzig Stunden nach Annes Einlieferung, gab es noch immer keine erlösende Nachricht. Seit zweiundzwanzig Monaten lebten sie ohne Trauschein zusammen. Ein Paar waren sie schon seit zweieinhalb Jahren, wie sie stets stolz betonten. Anne war sechsundzwanzig. Das Kind, das sie erwartete, war ihr erstes. Es würde verdammt schwer werden für sie.
In so einer Situation gehörte ein Mann an die Seite seiner Frau. Das wusste jeder. Nur keiner mochte es in Chris Flynns Gegenwart aussprechen. Weil man damit den Finger in eine offene Wunde gelegt hätte. Denn jeder andere Vorgesetzte hätte Chris Flynn an diesem Tag freigegeben.
Nicht so Lieutenant Merdless – Lieutenant Gnadenlos.
Irving Kellso, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, war Leiter der Abteilung Organisiertes Verbrechen im fünften Polizeirevier von Manhattan. Der Spitzname gefiel ihm. Er hörte es gerne, wenn sie ihn so nannten. Für ihn zeugte es von Respekt, den man ihm entgegenbrachte. So schonungslos wie er seine Untergebenen behandelte, war er jedoch auch gegen sich selbst. Das, immerhin, musste man ihm lassen. Nichtsdestoweniger war seine Entscheidung über Flynns Urlaubsantrag knallhart und gemein gewesen. Alle in der Abteilung sahen das so.
>Abgelehnt!<, hatte er den Detective angefahren. >Urlaub für einen Krankenhausbesuch kriegen nur Verheiratete. Ober haben Sie und Ihre Freundin heimlich geheiratet?<
>Nein, Sir<, hatte Flynn betreten geantwortet.
>Sehen Sie.< Lieutenant Gnadenlos hatte grimmig genickt, als hätte sein Gegenüber ein Verbrechen gestanden. >Außerdem sind Sie dienstlich nicht abkömmlich. Detective Hurley und Sie haben den Einsatz wochenlang vorbereitet. Die Mistkerle von der Gegenseite rechnen damit, Sie beide zu sehen, niemanden sonst. Kein anderer kann Ihren Job übernehmen. Klar?<
Noch immer hallten die Worte des Lieutenants in Flynns Kopf nach.
An allen Untergebenen hatte Gnadenlos ständig etwas auszusetzen. Aber ihn, den erfolgreichsten jungen New Yorker Cop, wie ihn die »Daily News« ein paar Mal genannt hatte, konnte der Mistkerl am allerwenigsten leiden. Es konnte doch nicht angehen, dass Kellso neidisch war, weil er, Chris Flynn, so eine rasante Karriere gemacht hatte – in null Komma nichts vom jungen Cop zum Detective. Kellso musste doch eigentlich stolz darauf sein, so einen erfolgreichen Mann in seiner Abteilung zu haben. Schon so oft hatten sie sich im Kollegenkreis gefragt, weshalb Kellso so ein verbitterter Hund war. Möglich, dass es an dem gespannten Verhältnis zu seinem Vorgesetzten, Captain James Murtaugh, lag. Murtaugh war Revierleiter und mehr der Schreibtischtäter, der große Organisator und Theoretiker. Erzählt wurde, dass er auf Kellso, den erfolgreichen Praktiker, neidisch war und ihm deshalb Knüppel zwischen die Beine warf, wo er nur konnte. Aber das merkte nach außen hin sowieso keiner, weil Murtaugh und Kellso beide nach dem Prinzip lebten, dass Unstimmigkeiten innerhalb der Führungsebene niemals bis zu den unteren Dienstgraden durchsickern durften. Was Kellso betraf, war aber ebenso gut denkbar, dass er wegen seiner zerrütteten Familienverhältnisse so ein krummer Hund geworden war. Seine Ehefrau war ihm weggelaufen, und er musste zusehen, dass er nicht auch noch seine Tochter verlor. Dass die Kleine sich von ihrem sauberen Dad abwenden würde, wenn sie älter wurde, war für Chris Flynn vollkommen klar. Wenn er sie auch so behandelte wie seine Cops im Revier, war es kein Wunder.
»Ich sag dir was«, erklärte Flynn nach einer Weile. »Bestimmt fällt kein einziger Schuss. Wenn man fest damit rechnet, passiert überhaupt nichts. So ist das doch immer. Es wird garantiert alles reibungslos ...«
Jäh unterbrach er sich. Er streckte den rechten Arm aus und stieß seinen Partner an.
Detective Flynn brauchte nicht zu erklären, was er meinte.
Es war nicht zu übersehen.
Gehört hatten sie beide nichts – kein Motorbrüllen, kein Reifenkreischen.
Die schwere schwarze Limousine stand auf einmal da, ohne auch nur das leiseste Geräusch verursacht zu haben. Auf den ersten Blick schien es, als wäre sie in das gleißende Rechteck des offenen Tors hineingezaubert worden.
*
»Na also, da sind sie«, sagte Lieutenant Irving Kellso erleichtert. Ohne den Blick von den Bildschirmen unseres Lagezentrums zu wenden, fuhr er fort: »Wenn Hurley und Flynn jetzt alles richtig machen, haben wir die ganze verdammte Bande in fünf Minuten eingesackt.« Kellsos Stimme begann vor Jagdfieber zu vibrieren. Er war ein blonder Schrank, groß und breitschultrig, und er saß wie auf dem Sprung, die Hände neben der Tastatur zu Fäusten geballt.
Milo und ich sahen uns an. Wir dachten das Gleiche, das wusste ich. Viele Kollegen sagten Kellso nach, dass er ein kaltschnäuziger Hund sei, ein Vorgesetzter, der sich bei seinen Untergebenen ständig unbeliebt mache. Es passte zu ihm, dass er nur an den Erfolg des Einsatzes dachte, aber keine Silbe darüber verlor, ob die beiden Undercover-Detectives den Job mit heiler Haut überstehen würden. Menschlichkeit schien nicht sein Ding zu sein. Wir wussten, in welcher Lage sich Detective Flynn befand. Ich hatte ihm angeboten, die Aktion zu verschieben, falls er und sein Kollege Hurley es arrangieren konnten. Doch Flynn hatte abgelehnt. Er wollte sich keine Schwäche nachsagen lassen, am allerwenigsten gegenüber Lieutenant Gnadenlos.
Natürlich kannten wir Kellsos Spitznamen.
Unser Einsatz war ein gemeinsames Unternehmen des FBI Field Office New York und des New York Police Department, kurz NYPD. Die Zusammenarbeit zwischen G-Men und Cops war als ständige Einrichtung mit dem Kürzel OCU festgeklopft worden, Organized Crime Unit – Einsatzgruppe Organisiertes Verbrechen.
Kellso und sein seltsamer Führungsstil waren nicht das einzige Problem, mit dem wir es im fünften Revier zu tun bekommen hatten. Die Undercover-Detectives Hurley und Flynn hatten hervorragende Arbeit geleistet. Es war ihnen gelungen, in Bereiche des organisierten Verbrechens vorzudringen, die den Zuständigkeitsrahmen ihres Reviers sprengten. Deshalb hatte Kellso die Idee gehabt, die OCU einzuschalten, der er angehörte. Sein Vorgesetzter und Revierleiter, Captain Murtaugh, war strikt dagegen gewesen. Er hatte alle möglichen Befürchtungen geäußert, unter anderem, dass dem 5th Precinct dadurch personelle Kapazitäten genommen wurden, die nicht zu verantworten waren. Selbst als Milo und ich schon den offiziellen Auftrag von Mr McKee erhalten hatten, mit der OCU in die Ermittlungen Kellsos und seiner Undercover-Detectives einzusteigen, hatte Murtaugh noch versucht, uns abzuweisen. Sein Revier, so hatte er argumentiert, sei kein Zweigbüro des FBI. Damit hatte er sich dann selbst ins Abseits gestellt. Ein Anruf Mr McKees bei Polizeichef Kelly hatte genügt, und dem widerspenstigen Captain im fünften Revier war klargemacht worden, dass die Entscheidungen bezüglich der OCU im Polizeihauptquartier und im Field Office des FBI getroffen wurden. Seither hatte Captain Murtaugh eine Kehrtwende gemacht und war unser freundlichster Förderer. Daher war unser heutiger Einsatz, bis auf Flynns Disput mit Kellso, reibungslos zustande gekommen.
Wir überwachten das Drogengeschäft, das Bob Hurley und Chris Flynn angeleiert hatten, von dem Gelände einer Kläranlage aus. Wie alle Einsatzbeteiligten trugen Kellso, Milo und ich schwarze Kampfanzüge, Springerstiefel und Fritzhelme. Letztere, mit den Headsets für den Sprechfunk ausgestattet, hatten ihren Namen erhalten, weil sie in ihrer Form den Stahlhelmen der deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg glichen. Und die Germans hatte man damals »Fritz« oder »Kraut« genannt, weil sie alle Fritz hießen und ständig Sauerkraut aßen. Angeblich.
Die Kläranlage war ein lärmendes Ding. Es rauschte und rumorte, dass die Erde vibrierte. Gleich nebenan, kaum weniger lautstark mit ihren tonnenschwer dröhnenden Rollen, befand sich eine Papierfabrik. Wir sahen nichts davon, hörten es aber trotz der Kopfhörer, über die wir uns verständigten. Das Klärwerk und die Papiermaschine überboten sich geradezu mit ihrem Getöse. Die Gebäude und die verschiedenen kreisförmigen Becken erstreckten sich über eine weite Fläche im südwestlichen Winkel zwischen Newtown Creek und Greenpoint Avenue Bridge.
Von Hightech umgeben, waren wir unsichtbar untergebracht. Milo und ich saßen gemeinsam mit Lieutenant Kellso und den beiden Piloten in einem Hubschrauber der Aviation Unit des New York Police Department. In der riesigen Halle, die uns vor Blicken schützte, parkte ein zweiter NYPD-Helikopter auf seiner Rollplattform, an Bord sechs Anti-Terror-Kämpfer der Emergency Service Unit, kurz ESU genannt. Die Turbinen beider Maschinen liefen bereits, desgleichen die Rotoren. Die Hallentore waren groß genug, um beide Hubschrauber gleichzeitig ins Freie zu entlassen. Zwei kleine Traktoren waren angekuppelt und warteten mit verhalten brabbelnden Motoren darauf, die Plattformen hinauszuziehen. Sobald unsere Maschinen starten mussten, würde uns die Geräuschkulisse des Industriegebiets als perfekte akustische Tarnung dienen.
Die kleine Schwester der Hubschrauber, eine Minidrohne, war bereits in der Luft. Hören konnte man sie nicht, weil sie elektrisch angetrieben wurde. Zu sehen war sie kaum, denn die Farbe ihres Bauchs entsprach der des Sommerhimmels. Die Objektive der vier eingebauten Hochleistungskameras waren in dreihundert Fuß Höhe weniger als stecknadelkopfgroße Punkte. Ein Spezialistenteam des FBI sorgte für die Fernsteuerung der Drohne und ihrer Kameras. Das Team hatte sich in der technischen Zentrale der Kläranlage einquartiert, einem Glaskasten, der entfernte Ähnlichkeit mit dem Tower eines Flughafens hatte. Sichtprobleme gab es nicht. Der Morgennebel hatte sich rasch und restlos aufgelöst.
Die Kabine unseres Hubschraubers war mit Bildschirmen, Rechnern und Tastaturen bestückt. In der Mitte der flirrenden Wand zwischen Cockpit und Passagierraum befand sich ein Sichtfenster, durch das wir Blickkontakt mit den Piloten aufnehmen konnten. Maschinenpistolen, in Halterungen unter dem Desk befestigt, erinnerten an den raueren Teil des bevorstehenden Jobs. Ebenso Munitionskisten, die unterhalb der Waffen auf dem Boden verankert waren.
Wir hatten den schwarzen Lexus auf Bildschirm eins.
Der Monitor zeigte uns die Heckansicht des Wagens – drüben, auf der anderen Seite des Newtown Creek.
Es handelte sich um das Modell LS 600h, die größte Hybrid-Limousine aus dem Programm der japanischen Hersteller. Ein 394 PS starker Benzin-Achtzylinder mit fünf Litern Hubraum und ein 224 PS leistender Elektromotor erzeugten in dem Superschlitten eine Gesamtleistung von 445 PS. Im reinen Elektrobetrieb glitt der LS 600h lautlos dahin.
Robert Hurley und Christopher Flynn hatten ihn nicht kommen gehört.
Detective Hurley hatte es uns mitgeteilt. Er und sein Kollege waren vollständig verdrahtet, was äußerlich natürlich nicht erkennbar war. Wir hatten vereinbart, den Funkverkehr mit den beiden Undercover-Cops auf das Notwendigste zu beschränken.
Noch rührte sich nichts. Niemand war ausgestiegen. Auch die Detectives harrten in ihrem Wagen aus.
Wir sahen sie schemenhaft auf Monitor zwei, hinter der Windschutzscheibe ihres Cadillac. Auch das schwarze Super-Coupé war nicht mehr als ein schwach umrissener Schatten im Halbdunkel. Das Bild stammte von einer stationären Kamera, die an der Innenseite des alten Hafenschuppens über dem Tor montiert war.
Den Außenbereich der früheren »Greenpoint Shipping Company, Incorporated« deckten zwei weitere stationäre Kameras ab. Eine davon, die den Lexus auf Monitor eins zauberte, lugte unter dem Giebel eines Fabrikgebäudes auf dem östlichen Nachbargrundstück hervor. Bei der Fabrik handelte es sich um das New Yorker Zweigwerk eines bedeutenden Herstellers von Synthesekautschuk. Eine weitere Kamera war unter dem Dachüberhang einer Lagerhalle befestigt, und zwar an der Nordseite der ehemaligen Greenpoint Shipping. Diese Kamera belieferte Monitor drei mit einer Seitenaufnahme des Lexus und des unkrautüberwucherten Geländes, das ihn umgab.
Die Bildschirme vier, fünf, sechs und sieben zeigten zurzeit noch die gleiche Luftaufnahme, eine Gesamt Übersicht unseres Einsatzorts, von den vier Kameras der Drohne aufgenommen. Später konnten die einzelnen Kameras auf unterschiedliche Objekte gerichtet werden. Dies zu steuern, war eine von Lieutenant Kellsos Aufgaben. Unser Hubschrauberversteck war das größte Gebäude in der Gegend. Die Halle, aus Wellblechplatten auf einem Stahlgerüst zusammengefügt, war durchaus mit einem Hangar zu vergleichen. Die kreisförmigen Klärbecken in unmittelbarer Nähe sahen aus wie von Zirkeln auf eine Architektenzeichnung gezogen. Das gereinigte Abwasser floss durch Rohrleitungen in den Creek, und der Klärschlamm wurde mit riesigen Kipp-Trucks über eine Betonfahrbahn zu dem Anleger transportiert, an dem offene Lastkähne bereitlagen, um den übel riechenden Morast aufzunehmen. Es herrschte also ständig Bewegung auf dem Gelände. Trucks, Frontlader und Schwenkschaufler, die nach Dienstschluss in der Halle untergebracht wurden, waren pausenlos im Einsatz.
Zusammen mit den Fahrzeugen, die auf anderen Firmengrundstücken herumkurvten, gab es folglich genügend Ablenkung für die Gegenseite – viel zu sehen, nur von uns nicht mal eine Nasenspitze.
Die Anti-Terror-Kämpfer von FBI und NYPD hatten ihre Positionen schon vor Stunden eingenommen. Wir waren in der Lage, Funkverbindung mit jedem Einzelnen von ihnen aufzunehmen. Überdies konnten sie uns mit ihren Helmkameras Videoaufnahmen aus ihren jeweiligen Blickwinkeln senden. Die Kollegen hatten vier Einsatzgruppen gebildet und sich auf strategisch wichtige Punkte rund um den alten Hafenschuppen verteilt. In dem Industriegebiet beiderseits des Newtown Creek gab es genügend Betriebsgebäude, ob leer stehend oder intakt, die sich für unsere Zwecke eigneten. Auch die Scharfschützen lagen bereits in sicherer Deckung auf den Dächern. Ein weiterer hatte sich eine Deckung auf der Kommandobrücke eines Küstenfrachters ausgesucht. Das Schiff lag am Kai der Papierfabrik.
Unvermittelt zog Lieutenant Kellso sein Handy aus der Jackentasche. Er meldete sich mit einem für uns unhörbaren »Hallo« und beugte sich von uns weg, zur Kabinentür hin. Es waren nur Bruchstücke von Sätzen, die wir ungewollt mitbekamen, doch das Wenige ließ sich nicht vermeiden.
»... beende ich dieses Gespräch«, knurrte Kellso gedämpft. »... dir verboten, mich anzurufen. ... weißt du ganz genau! ... nur noch über die Anwälte ... verstanden?« Wütend drückte er die Aus-Taste, als wollte er sie durch das Handy hindurchrammen. Er steckte es ein, nickte uns zu und quetschte ein »Sorry« hervor.
Wir wussten, dass er geschieden war und einen komplizierten privaten Hintergrund hatte. Aber er sprach nie darüber, mit Untergebenen wie Hurley und Flynn sowieso nicht.
Was unseren Einsatz betraf, kamen die Detectives keineswegs aus dem Nichts. Milo und ich hatten ihre Legenden gemeinsam mit den FBI-Kollegen in Los Angeles aufgebaut. Dort waren zwei große Nummern aus dem Kokain-Geschäft von der Bildfläche verschwunden, Gino Taravella und Martin Debuque. Kein Mensch wusste, wohin sie sich abgesetzt hatten. Das war in der Branche nichts Ungewöhnliches. Es waren nicht immer nur das FBI, die Drug Enforcement Agency DEA und die Police Departments, die den Großdealern Feuer unter dem Hintern machten. Auch blutige Konkurrenzkämpfe der Drogenringe untereinander erforderten von den Beteiligten oft schnelles Handeln, um am Leben zu bleiben.
Nur wenige Eingeweihte kannten die wahren Zusammenhänge um Taravella und Debuque. Das waren außer Milo und mir unser direkter Vorgesetzter Jonathan D. McKee, Assistant Director in Charge und Leiter des FBI Field Office New York sowie Edgar J. Homer, Leiter der FBI Field Operation East und Mr McKees Vorgesetzter.
Unsere Kollegen in L.A. hatten Taravella und Debuque aus dem Verkehr gezogen – blitzschnell und völlig unauffällig, auf ihren ausdrücklichen eigenen Wunsch. Die beiden Superdealer hatten erkannt, dass es für sie nur eine einzige Möglichkeit gab, sich vor den Killerkommandos der Konkurrenz zu retten, und das war die Zusammenarbeit mit dem Federal Attorney. Im Klartext bedeutete das, sie stellten sich dem Gesetz und erklärten sich gleichzeitig bereit, als Kronzeugen gegen die eigene Organisation und gegen konkurrierende Banden auszusagen. Die unter Gangstern begehrte Gegenleistung war das Zeugenschutzprogramm. Taravella und Debuque waren drin. Sofort nach ihrer Festnahme in Kalifornien waren sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden – unter neuer Identität, an einem unbekannten Ort. Nur während der kommenden Gerichtsverhandlungen würden sie kurz in den Zeugenstand treten, um dann unter der Obhut von US-Marshals sofort wieder abzutauchen.
Detective Robert Hurley war Gino Taravella.
Detective Christopher Flynn war Martin Debuque.
Ihre Legende galt nur für den Undercover-Einsatz, der in diesen Minuten mit dem Deal am Newtown Creek enden sollte. Die äußerlichen Voraussetzungen passten. Robert Hurley war schlank und dunkelhaarig und hatte durchaus Ähnlichkeit mit Gino Taravella. Entsprechendes galt für Christopher Flynn mit seinem kurzen rotblonden Haar und der mittelgroßen, stämmigen Statur. Martin Debuque stammte von Vorfahren aus Korsika ab und war ebenfalls mittelgroß und rotblond.
Nach den Festnahmen, auf die wir hofften, würden die geborgten Namen Taravella und Debuque wieder in der Versenkung verschwinden. Unterdessen standen unsere Kollegen in L.A. mit ihren Verbindungsleuten zum organisierten Verbrechen in ständigem Kontakt. Bislang hatten die V-Leute keinerlei Hinweise darauf erhalten, dass Taravellas und Debuques Feinde nach New York aufgebrochen wären, um die verhassten Konkurrenten hier bei uns umzubringen.
Dem Abschluss des Scheingeschäfts stand also nichts im Weg. Bob Hurley und Chris Flynn hatten ihre potentiellen Käufer erfolgreich geködert, und nun waren diese zur Stelle, um anzubeißen. Dass es sich bei den Käufern um Top-Leute aus dem New Yorker Big Business der Drogenbranche handelte, war durch Informationen unserer V-Leute gesichert, auch wenn wir bislang nur vermuten konnten, für wen die besagten Käufer arbeiteten.
Die Lucca-Familie.
Alles deutete darauf hin.
Salvatore »Sal« Lucca war das Oberhaupt dieses Clans, der bei uns unter der weniger schmeichelhaften Bezeichnung »Crime Family« rangierte. Sal Lucca hatte sich und seine Leute von der alteingesessenen Gambino-Familie abgespalten und ging eigene Wege. Fast überall mischte er inzwischen mit – in den klassischen Mafiabranchen illegales Glücksspiel, Wettbetrug, Prostitution, Kreditwucher und Drogenhandel ebenso wie im Unterwandern von Gewerkschaften und städtischen Behörden. Überall dort, wo Gangster wie Lucca und Konsorten Wege aufzeigten, wie man öffentliche Gelder in private Taschen abzweigte, nutzten die labileren Naturen unter Gewerkschaftsbossen und Abteilungsleitern ihre Chancen.
Und die Luccas spielten mittlerweile in der obersten Liga.
Ein Geschäft wie das heutige würden sie sich auf keinen Fall entgehen lassen. Es ging um Kokain im Wert von einer Million Dollar. Die Lucca-Leute mussten es als Auftakt einer vielversprechenden neuen Geschäftsmöglichkeit sehen, denn die vermeintlichen Anbieter Taravella und Debuque behaupteten, eine neue Lieferquelle erstklassiger Ware in Kolumbien erschlossen zu haben. Lieferanten, die bereit waren, sich vertraglich an einen festen Abnehmer zu binden.
Es war genau das, was Sal Lucca und seine feine Family suchten.
Es handelte sich tatsächlich um erstklassiges Kokain, das ihnen am Newtown Creek angeboten werden würde. Sie ahnten jedoch nicht, dass es in einem früheren schweren Schlag gegen die Drogenmafia beschlagnahmt worden war und aus der Asservatenkammer der DEA stammte.
Das Vierfach-Bild der Drohne änderte sich plötzlich.
Es war nur ein Detail auf den Monitoren.
Ein Impuls, der von einem blitzenden metallischen Reflex erzeugt wurde.
Ich sah es als Einziger. Ich bat Irving Kellso, das Detail aus der rechten oberen Ecke der Drohnen-Aufnahme heranzuzoomen und auf Bildschirm eins umzulegen. Kellso erledigte es schnell und routiniert, und dann sahen es alle, auch die Männer der Emergency Unit auf ihren Palmtops.
Eine Phalanx von schweren schwarzen Geländewagen.
Sechs Boliden, die selbst aus der Vogelperspektive ganz und gar nicht wie Spielzeuge aussahen. Die mächtigen Stoßfänger vor den Motorhauben bestanden aus poliertem Edelstahl. Die Sonne erzeugte blitzende Reflexe darauf.
In breiter Front waren sie in Position gegangen – hinter einem Komplex von Lagerschuppen am nördlichen Rand unserer Einsatzzone.
*
Chris Flynn steckte das Blackberry in die Innentasche seines Jacketts und ließ den Motor kommen. Der Achtzylinder des Cadillac wummerte und erzeugte ein Vibrieren, als würden sich Urgewalten aus dem Bauch der Erde freikämpfen. Flynn schaltete die Scheinwerfer ein. Es war das Zeichen, das sie mit den Käufern vereinbart hatten. Der Beginn eines Rituals, bei dem die kleinste Unstimmigkeit eine Katastrophe auslösen konnte.
Robert Hurley hatte sein Smartphone noch in der Hand. Er betrachtete die sechs bulligen schwarzen Spritfresser auf dem Bildschirm und kämpfte gegen die Bauchschmerzen an, die in ihm aufzusteigen begannen. Jesse Trevellian hatte ihm und seinem Partner den Hinweis durchgegeben. Während der Cadillac langsam anrollte, rief Robert Hurley im Kopf alle Szenen ab, die er kannte – die aus der Wirklichkeit und die aus den Actionfilmen. Sein Gefühl sagte ihm, was es immer sagte: Diesmal geht alles schief. Im Gegensatz zu seinem Partner glaubte er nie daran, dass keine Kugeln fliegen würden. Und fast immer hatte er recht behalten. Hurley schaltete Bauchschmerzen und Gedanken aus. Das hatte er als Undercover-Cop gelernt. Gleichzeitig konzentrierte er sich auf das Bild im gleißend hellen Rechteck des offenen Tors.
Der schwarze Lexus hockte auf seinen Breitreifen wie ein lauerndes Raubtier.
Nichts rührte sich. Bei den sechs Geländewagen hinter den Lagerhallen der ehemaligen Spedition war es das Gleiche. Keine Tür schwang auf, keine Fensterscheibe schnurrte abwärts. Hinter dem dunkel getönten Sicherheitsglas war nichts zu erkennen, nicht mal verschwommen helle Flecken, die auf menschliche Gesichter hätten schließen lassen. Okay, die Gegenseite hatte ihre Hausaufgaben gemacht. Aber die Burschen konnten den Drogendeal nicht neu erfinden. Dass sie es lange hinauszögerten, sich blicken zu lassen, war entweder eine reine Vorsichtsmaßnahme, die sie ergriffen hatten, oder eine unmissverständliche Drohgebärde. Zu Letzterem passten die Geländewagen, die sie hatten aufmarschieren lassen. Sie wussten letzten Endes, dass jeder durchschnittliche Kokain-Großhändler in der Umgebung einer Transaktion seinerseits Kameras und Kämpfer einsetzte, um auf Nummer sicher zu gehen.
Hurley warf einen letzten Blick auf den kleinen Bildschirm. Es waren echte klassische Offroader vom Typ Ford Expedition, sechs schwere Schlitten in Rahmenbauweise, mit einer 5,4 Liter Achtzylindermaschine, die 314 PS erzeugte. Sie mussten sich in Schleichfahrt über das nördlich angrenzende Betriebsgelände und den Schienenstrang der Long Island Rail Road angenähert haben. Dort gab es ein paar Durchfahrts- und Überquerungsmöglichkeiten, die nur Ortskundigen bekannt waren.
Hurley schaltete das Smartphone aus und steckte es ein. Ab sofort mussten Chris und er sich auf die Minimalausstattung verlassen. Das waren ein Knopfhörer im Ohr und ein aufgeklebtes, unsichtbares Kehlkopfmikro. Lieutenant Kellso meldete sich noch einmal, um die Verbindung zu checken. Seine Stimme klang wie aus dem Off einer Filmszene.
»Kamera zwei der Drohne hat den Lexus in Großaufnahme, außerdem haben wir unverändert klar die Aufnahme von der stationären Kamera gegenüber Ihrem Standort. Keine neuen Beobachtungen. Es geht los, Detectives. Hurley, ich verlasse mich auf Sie. Flynn, reißen Sie sich zusammen und machen Sie jetzt keinen Mist, verstanden?«
»Sir!«, antworteten die Undercover-Cops unisono.
»Over und Ende«, kam es von Kellso knarrend zurück. Ein Knacken zeigte an, dass die Sprechverbindung vorübergehend beendet war.
Christopher Flynn knurrte einen Fluch und zischte: »Dem Mistkerl verpasse ich eine Kugel, wenn er mir in die Quere kommt!«
Sein Partner sah ihn aus schmalen Augen an, warnte ihn: »Chris, ich blase die ganze Sache ab, wenn du so weitermachst. Du wirst zum Sicherheitsrisiko, ist dir das klar?«
Flynn ließ den Cadillac im Schritttempo weiterrollen und wandte den Kopf nur kurz. Er musterte Hurley erstaunt und runzelte dabei die Stirn. Dann, mit einem Schulterzucken, blickte er wieder nach vorn.
»Abblasen?«, wiederholte er. »Mach dich nicht lächerlich, Bob. Hier lässt sich nichts mehr rückgängig machen.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Lexus, dessen Türen sich in diesem Augenblick öffneten.
Drei Männer stiegen aus. Der Fahrer blieb sitzen, obwohl auch er seine Tür geöffnet hatte. Der Beifahrer verharrte im Winkel hinter der offenen Beifahrertür. Er war der Einzige, den die Undercover-Cops kannten. Jesus Vazquez, ein schlanker schwarzhaariger Lateinamerikaner, mit Goldkettchen behängt und mit Ringen bestückt. Vazquez stammte aus der Dominikanischen Republik. Seine Hautfarbe war ein mittleres Braun. Schon in seinem Heimatland hatte er dem organisierten Verbrechen angehört. Den stärksten Kontrast zu seinem schwarzen Anzug und dem schwarzen Seidenshirt bildete eine Halskette mit einem handtellergroßen goldenen Dollarsymbol. Mit ihm hatten Hurley und Flynn verhandelt.
Die beiden anderen, die aus dem Fond gestiegen waren, schienen Landsleute von Vazquez zu sein. Sie traten vom Wagen weg und verharrten breitbeinig, hauptsächlich wohl, um die Maschinenpistolen zu zeigen, die sie an Schulterriemen trugen und mit der rechten Hand lässig im Hüftanschlag hielten.
»Fahr etwas schneller, aber nicht zu schnell«, sagte Hurley. »Sie wollen es zügig über die Bühne bringen. Wir müssen zeigen, dass wir daran genauso interessiert sind.«
Flynn nickte wortlos und gab gefühlvoll Gas. Hurley zog seine Glock und überprüfte sie, obwohl es eigentlich nichts zu überprüfen gab. Die Glock funktionierte immer. Es war eine sogenannte Double-Action-Waffe, einfach entsichern und abdrücken, und die erste Kugel flog. Das Ratschen des Pistolenschlittens wurde nur noch von den Filmhelden zelebriert, weil es so cool aussah und sich so gefährlich anhörte. Hurley schob die Waffe zurück ins Schnellziehholster.
Vazquez hob die Hand und machte ein Abwärtszeichen.
Christopher Flynn gehorchte, indem er sacht auf die Bremse trat und den Cadillac entsprechend gemächlich zum Stehen brachte. Hektik war nicht angesagt, jede hastige Geste verpönt, weil sie falsch verstanden werden konnte. Draußen im Türwinkel des Lexus machte Vazquez das nächste Zeichen, auffordernd diesmal.
Flynn schaltete den Motor aus und zog die Handbremse an. Unterdessen aktivierte sein Partner die Sprechverbindung mit Lieutenant Kellso und den FBI-Agenten, indem er eine Taste am stationären Funkgerät drückte.
»Es ist so weit«, erklärte Hurley knapp. »Wir gehen raus.«
»Bestätigt«, kam die knappe Antwort von Jesse Trevellian.
Jeder weitere Schritt war geplant und mit Vazquez abgesprochen. Die beiden Undercover-Cops stiegen aus und schlossen die Türen. Während Hurley stehen blieb und sich umsah, öffnete Flynn die linke Fondtür und nahm den Aluminiumkoffer mit dem Kokain heraus. Über das Wagendach hinweg nickte er Hurley zu. Sie gingen los. Flynn trug den Koffer am langen Arm, links. Sie hatten etwa dreißig Schritte zurückzulegen.
Vazquez reagierte mit einem Okay-Zeichen und gab seinen MPi-Männern einen Wink. Gleichzeitig klopfte er auf das Wagendach. Der Fahrer löste die Kofferraumverriegelung, und der Deckel schwang auf. Vazquez' Männer hoben einen Camping-Klapptisch und zwei Koffer heraus und trugen die Sachen nach vorn. Zwischen den Motorhauben der Autos, knapp innerhalb der Halle, bauten sie den Tisch auf und legten den kleineren der beiden Koffer auf die Kunststoffplatte. Vazquez trat nach vorn und übernahm den größeren Koffer. Die beiden Latinos machten drei Schritte rückwärts, blieben breitbeinig stehen und hielten die Maschinenpistolen im Hüftanschlag.
Hurley und Flynn näherten sich dem Tisch und blieben an dessen zur Halle gerichteten Seite stehen. Ihnen war bewusst, dass sie bestenfalls von der stationären Kamera oben, an der Innenseite des Tors, erfasst wurden. Allerdings würde die Weitwinkeloptik sie nur am äußersten Rand des Aufnahmebereichs erfassen und sie entsprechend verzerrt abbilden, mit riesengroßen Köpfen, unnatürlich breiten Schultern und nach unten spitz zulaufenden Körpern. Vazquez und seine Komplizen waren vermutlich gar nicht zu sehen, weil sie knapp außerhalb der Torlinie standen. Die stationäre Kamera auf der anderen Seite des Hofes, im Giebel des Gebäudes der Kautschukfabrik, zeigte wahrscheinlich nur die Oberkörper der Männer. Der Blick auf das Wesentliche, den Tisch und die Koffer, war durch den Lexus verwehrt. Einzig die Drohne vermochte im Augenblick den Brennpunkt des Geschehens zu zeigen. Dass es sich so verhielt, konnten die Undercover-Cops allerdings auch nicht überprüfen, letzten Endes konnten sie im Beisein der Gangster nicht etwa ihre Smartphones einschalten. Sie wussten aber, dass sie sich auf Jesse Trevellian und Milo Tucker voll und ganz verlassen konnten. Bei Lieutenant Gnadenlos waren sie sich in dem Punkt nicht so sicher. Ihm trauten sie zu, dass er ihnen Informationen vorenthielt, nur, damit sie einen Fehler machten. Natürlich würde er nicht so weit gehen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, aber im Austeilen von Gehässigkeiten war er nun mal ein Meister. Das beste Beispiel hatte er gerade mit dem Urlaubsverbot für Chris Flynn gezeigt.
Flynn legte den Alukoffer auf die Tischplatte, neben den kleineren Koffer der Lateinamerikaner. Jesus Vazquez hob den größeren Koffer herauf und rückte ihn so zurecht, dass er im Winkel zwischen den beiden anderen Platz fand. Alle drei konnten so geöffnet werden, dass ihre Deckel in der Mitte des Tisches aneinander standen. Vazquez überzeugte sich mit einem abschließenden Blick davon, dass alles seine Richtigkeit hatte.
»In Ordnung, Se ñores«, sagte er, indem er die vermeintlichen Geschäftspartner namens Debuque und Taravella abwechselnd ansah. »Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir folgendermaßen verfahren: Ich öffne meinen Koffer, der das Geld für die Ware enthält – eine Million Dollar in bar. Einer von ihnen öffnet unmittelbar Ihren Koffer mit der Ware. Wer wird das sein?«
»Ich«, antwortete Bob Hurley. »Einverstanden?«
»Selbstverständlich, Se ñor Taravella«, erwiderte Vazquez salbungsvoll. »Ich selbst werde dann eine Probe ziehen und die Ware analysieren – mithilfe unseres tragbaren Labors.« Er zeigte auf den kleineren Koffer.
»Der kleine Chemiker«, konnte Chris Flynn sich nicht verkneifen zu ulken.
Vazquez reagierte mit einem herablassenden Schmunzeln. »So ähnlich«, stimmte er zu und fragte nach einer kurzen Pause: »Fangen wir an?«
Hurley und Flynn waren einverstanden. Die Haltung der MPi-Männer spannte sich an, als ihr Boss den Geldkoffer aufklappte. Eine glatte Fläche von säuberlich gestapelten Banknotenpäckchen kam zum Vorschein. Vazquez hob ein paar davon hoch und ließ die Schmalseiten der Scheine wie ein Daumenkino schnurren.
»Kein Zeitungspapier dazwischen«, erklärte er und grinste. »Wir sind ja nicht im Kino.«
»Sind wir nicht«, bestätigte Bob Hurley und erwiderte das Grinsen des Latinos. Er nahm eines der Kokainpäckchen aus dem Koffer, wog es in der Hand und legte es wieder hinein. »All right, Se ñor Vazquez, der Chemiker ist an der Reihe.«
Obwohl es spöttisch klang, reagierte Vazquez nicht darauf.
Christopher Flynn ließ den Geldkoffer und die beiden Männer mit den Maschinenpistolen nicht aus den Augen.