Kapitel 1
Womit hatte Frazer es verdient, kurz vor Sonnenaufgang geweckt zu werden? Für einen kurzen Moment war sie versucht, die Krankenschwester, die gekommen war, um sie zu holen, zu ignorieren und weiterzuschlafen. Dann meldete sich allerdings ihr Verantwortungsgefühl.
Vorsichtig glitt sie aus dem obersten Stockbett im Bereitschaftszimmer und betrat, mit dröhnendem Kopf und immer noch hundemüde, den Krankenhausflur.
Vor einer geschlossenen Tür, durch die die Schreie klangen, kauerte ein Mann. Sie unterdrückte ihr Gähnen und ging auf ihn zu. Er hatte beide Hände fest auf seine Ohren gepresst und kniff die Augen zu, als könne er so den unerträglichen Krach ausblenden. Der Flur lag im Halbdunkel, da die Tagesbeleuchtung noch nicht eingeschaltet worden war.
Frazer wartete, ob er von selbst aufsehen würde. Er tat es nicht, aber als ein lautes Stöhnen aus dem Zimmer drang, krümmte er sich noch mehr zusammen. Frazer versuchte jegliche Amüsiertheit aus ihren Gesichtszügen zu verbannen. »Sean?«
Keine Reaktion.
»Sean?« Sie sprach ein wenig lauter. Immer noch nichts.
Frazer berührte Seans Arm und er zuckte erschrocken zusammen. Mit geröteten Augen starrte er sie an. Sein Mund öffnete sich, aber er brachte keinen Ton heraus.
»Hey.« Sie grinste ihn an.
Erleichtert ließ er seine Schultern nach unten sinken. »Frazer! Ich bin so froh, dass Sie hier sind. Wir wussten ja, dass es nicht sicher ist, ob Sie im entscheidenden Moment bei uns sein können, auch wenn Sie von Anfang an dabei waren.«
»Euer Glück, dass ich heute Nacht Bereitschaftsdienst habe.«
Für Frazer war das weniger glücklich. Denn nach ihrer Nachtschicht
hatte sie noch einen ganzen gewöhnlichen Arbeitsmontag vor sich. Das hieß ein Team-Meeting in fünf Stunden und dann ihren üblichen Arbeitstag. Dankenswerterweise war die Nacht bis jetzt sehr ruhig verlaufen und sie hatte im Bereitschaftszimmer auf dem oberen Stockbett über einem ihr unbekannten schnarchenden Assistenzarzt wenigstens ein paar Stunden schlafen können.
»Was machen Sie auf dem Flur, Sean?«
Selbst bei diesen Lichtverhältnissen konnte Frazer die Röte sehen, die sich bei der Frage über seinem Hals und auf seinen Wangen ausbreitete.
»Sie hat mich rausgeworfen.«
Frazer konnte ihre Belustigung nicht länger verbergen. »Hat sie etwas nach Ihnen geworfen?«
Nach einer kurzen Pause nickte er. »Eine Schachtel mit Papiertaschentüchern.«
Frazer lachte und Sean lächelte schwach, während er sich mit einer Hand über den Nacken rieb.
»Sehen wir nach, wie es Tanya geht.«
Einen Moment lang dachte Frazer, er würde sich weigern, doch dann stand er auf, straffte die Schultern und nickte. Er sah aus, als würde er in den Krieg ziehen. Frazer hatte beinahe Mitleid mit ihm.
Beinahe.
Trotz ihrer Müdigkeit spürte sie die freudige Aufregung. Manchmal vermisste sie den Bereitschaftsdienst. Aber wahrscheinlich konnte sie sich glücklich schätzen, als leitende Hebamme überhaupt ein paar Tage in der Woche auf der Station sein zu können. Wenn sie sich nur mit Etats, Dienstplänen und Personalproblemen herumschlagen müsste, würde sie verrückt werden. Außerdem war es schön, immer wieder mal zu den eigenen Wurzeln zurückzukehren.
Frazer betrat das Zimmer und wurde sofort von den Neonleuchten an der Decke geblendet. Die Frau auf dem Bett sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Oder anfangen zu schreien. Oder beides. Ihr dicker schwangerer Bauch spannte ihre Haut und Frazer fiel ein, dass die Krankenschwester, die sie geweckt hatte, gesagt hatte, dass Tanyas Muttermund neun Zentimeter geöffnet und sie fast bereit sei.
»Frazer«, stöhnte die Frau auf dem Bett und die Adern an ihrem Hals traten hervor. »Gott sei Dank sind Sie hier. Sean ist so verdammt nutzlos
.«
Sean, der Frazer ins Zimmer gefolgt war, wich ein Stück zurück und ließ die Schultern hängen.
Frazer unterdrückte ein Lachen. Tanya hatte noch nie zuvor vor Frazer geflucht. Im Gegenteil. Sie hatte immer leise, sanft und schüchtern gewirkt.
»Na ja«, sagte Frazer und warf, während sie sich die Hände wusch, einen Blick über die Schulter auf ihre Patientin, »heute ist Ihr Glückstag.«
Tanyas bereits gerötete Wangen wurden noch eine Spur dunkler und der Schweißfilm auf ihrer Stirn glänzte im Licht.
Frazer warf das Papierhandtuch in den Mülleimer und zog ein Paar Einweghandschuhe an. Als Tanya schwer zu atmen begann und die Augen zusammenkniff, setzte Frazer sich auf den Hocker am Waschbecken und rollte damit zum Bett. Tanja war ihr bereits ein Stück entgegengerutscht.
»Soll ich Sean bitten zu gehen?« Frazer zwinkerte ihm zu, als er sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, als hätte sie ihn gerade ans Messer geliefert.
»Nein! Nein.« Tanya riss die Augen auf und sie packte Seans Arm so fest, dass sie ihn halb zu sich auf das Bett zog. Ihre Knöchel traten weiß hervor. »Nein. Ich will ihn hier haben.«
Genau wie Frazer es sich gedacht hatte.
Sean warf Frazer einen fast dankbaren Blick zu und reichte Tanya seine Hand. Er verzog auch nur ganz leicht das Gesicht, als sie sie fest drückte.
»Toll! Da das nun geklärt ist, können Sie mir vielleicht erklären, warum Sie so lange gebraucht haben, um herzukommen?«
~ ~ ~
Es war noch immer Montagmorgen.
Acht Uhr.
Immerhin war die Sonne mittlerweile aufgegangen.
Team-Meeting im Krankenhaus. Das Ticken der Uhr und ein gelegentliches Gähnen waren die einzigen Geräusche im Raum.
Offenbar war dies das einzige Krankenhaus in Perth, das Meetings dieser Art abhielt. Ihre Freundin Robin musste sie nicht über sich
ergehen lassen. Vielleicht könnte Frazer das Krankenhaus wechseln und mit einer Freundin zusammenarbeiten und vor allem wie ein zivilisierter Mensch an einem Montag länger als bis acht Uhr schlafen?
Im Moment war das hier auf jeden Fall irgendwie die Hölle. Soviel stand fest. Frazer schaute auf ihre halb schlafenden Kollegen und drückte den Kaffeebecher schützend an ihre Brust. Womit hatte sie das verdient? Nicht einmal die Stühle waren bequem. Sie rutschte von einer Seite auf die andere, das harte Plastik drückte gegen ihr Steißbein. Sicher könnte Alec diese Meetings auch an einem anderen Tag abhalten, wenn er wollte. Oder zumindest zu einer anderen Uhrzeit. Acht Uhr morgens an einem Montag? Warum?
Plötzlich spürte sie Tias Blick vom anderen Ende des Raums. Alecs Sekretärin war eine füllige, freundlich wirkende Frau, doch ihr Äußeres täuschte. Ihre bissigen Kommentare schockierten die meisten Menschen, aber Frazer fand sie einfach wunderbar. Sie beleidigte Frazer beinahe täglich. Gerade verdrehte Tia die Augen und warf einen flehenden Blick auf den Kaffee in Frazers Hand. Frazer umklammerte ihren Becher noch fester. Auf keinen Fall würde sie dieses flüssige Gold hergeben. Nachdem Tanya ein vollkommen gesundes Baby zur Welt gebracht hatte, war Frazer zu ihrem Lieblingscafé gerannt, um dieses Meeting zu überstehen, ohne jemanden umzubringen.
Tia kniff ihre Augen zu Schlitzen zusammen, als Frazer schwach, aber unmissverständlich den Kopf schüttelte. Frazer grinste boshaft zurück.
Die Tür am anderen Ende des Raumes wurde geöffnet. Alle richteten sich ruckartig auf und sackten dann wieder in sich zusammen, als sie sahen, dass es nur ein paar Kollegen waren. Eine der Frauen, die Leiterin des Teams Soziale Arbeit, setzte sich auf den freien Platz neben Frazer, die ihr ein lauwarmes Lächeln schenkte.
Alecs Frau, Cora. Ohne es genauer begründen zu können, gab Frazer Cora eine Teilschuld an ihrer Misere. Es war zwar zu bezweifeln, dass diese etwas mit der Planung der schrecklichen Morgen-Meetings ihres Mannes zu tun hatte, aber wenn Frazer so müde war wie jetzt, spielte Logik keine große Rolle.
Musste Cora sich unbedingt neben Frazer setzen? Sie gerieten immer schnell aneinander und dafür hatte Frazer im Moment einfach keine
Energie. Außerdem war es nicht gut für Frazers Selbstwertgefühl,
neben jemandem zu sitzen, der so früh am Morgen schon perfekt aussah. Wie schaffte sie es, so makellos aufzutreten, während Frazer selbst daherkam, als hätte man sie mit einem Spachtel aus dem Bett gekratzt? Wieso tanzte bei ihr kein Haar aus der Reihe, während Frazers Kopf aussah wie ein Vogelnest?
Außerdem bekam sie immer die größeren Budgets, nur weil sie mit dem Typen verheiratet war, der das ganze Geld verwaltete und verteilte. Eine Tatsache, die Frazer verrückt machte.
Coras Lächeln war eher unterkühlt und Frazer war dankbar für die Wärme ihres To-go-Bechers. »Morgen, Cora.«
Cora nickte und ihre bernsteinfarbenen Augen waren irgendwie strahlend, während alle anderen darum kämpften, ihre Augen überhaupt offen zu halten. »Guten Morgen.«
»Freust du dich auf ein weiteres Meeting?«
Der Sarkasmus in ihrer Stimme war deutlich. Cora schob ganz leicht das Kinn vor. »Ich würde nicht sagen, dass ich mich freue, aber mir ist bewusst, dass es notwendig ist.«
Notwendig? Frazer konnte sich nur mit Mühe zurückhalten. Jeden Montag gingen sie dieselben Informationen durch und besprachen bestimmte Fälle. Als leitende Hebamme und Koordinatorin ihres Teams war Frazer verpflichtet teilzunehmen. Aber nach ihrem Bereitschaftsdienst heute Nacht war sie noch weniger geneigt als sonst, sich damit abzufinden. Trotzdem ließ sie sich nicht hinreißen. Ganz offensichtlich würde sie diese Diskussion nicht gewinnen können.
»Kommt Alec noch? Er ist spät dran.«
Wieder war da dieser harte Ausdruck in Coras Augen. »Er wird auf dem Weg sein.«
Eine seltsam indirekte Information. Sollte sie nicht gemeinsam mit ihrem Mann zum Krankenhaus kommen? Vielleicht war sogar Alec von Cora gelangweilt.
Schuldgefühle wallten in Frazer auf, als sie ihren Kaffee trank. Das war ein unfairer Gedanke. Zugegeben, Frazer viel es schwer, so früh am Morgen vernünftig zu denken. Vielleicht hasste Cora diese Treffen insgeheim auch, und wenn sie und Alec im selben Auto kämen, würde sie aus reinem Widerwillen die Scheidung verlangen. Frazer grinste in ihren Kaffeebecher.
Endlich öffnete sich die Tür und alle richteten sich erneut auf, als
Alec in aufrechter Haltung hereinstürmte, den Rücken so gerade, wie es die Autorität seiner Position als ihr Vorgesetzter verlangte. Obwohl er ziemlich weit unten am Ende der undurchsichtigen Krankenhausleitungshierarchie stand, schien ihm sein kleines bisschen Macht über ihre Budgets und Personalkürzungen und das Privileg, sich nie mit jemandem unterhalb der Stationsleitungen abgeben zu müssen, ziemlich zu Kopf gestiegen zu sein. Normalerweise war Frazer gegenüber ihrem Chef eher neutral eingestellt. Aber im Moment war sie gezwungen, ein weiteres dieser unsäglichen Montagsmeetings zu erleiden, und saß dabei neben seiner langweiligen Frau mit den umwerfenden Beinen. Es war nur fair, ihm dafür die Schuld zu geben.
Coras getönte Beine stellten allerdings eine willkommene Ablenkung dar, vor allem wenn sie wie heute einen Bleistiftrock trug.
Alec stand vor ihnen, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen einen Laserpointer. Er sah so gestylt aus wie seine Frau, mit dem Unterschied, dass er offensichtlich nordeuropäischer Herkunft war, denn seine Haut war deutlich blasser. Vielleicht war er auch ein Vampir. Frazer nippte an ihrem Kaffee, um ihr Lächeln zu verbergen. Um fair zu bleiben: So
blass war er auch wieder nicht. Seine hohen Wangenknochen ließen sein Gesicht markant wirken. Die blonden Haare, die nach seiner morgendlichen Dusche noch etwas feucht waren, trug er kurz.
Das alles änderte nichts daran, dass sein Vortrag langweilig war. Schon bei der ersten Folie musste Frazer sich Mühe geben, nicht zu gähnen.
Sie verbrachten viel Zeit damit, einige Fälle und Neuigkeiten zu besprechen, die aus den unterschiedlichen Fachabteilungen vorgetragen wurden. Nach einem langen Bericht von jemandem aus der Inneren schlief Frazer beinahe auf ihrem Stuhl ein. Als sie Tias hochgezogene Augenbraue bemerkte, setzte sie sich schnell wieder aufrecht hin und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass sie sich durch diesen Blick eher wie ein Teenager und nicht wie eine erwachsene Frau Mitte Dreißig fühlte.
Eine Folie, über und über mit Zahlen bedeckt, erschien und Frazer wollte schreien. Neben ihr saß Cora kerzengerade, die Beine übergeschlagen und den Blick auf die Leinwand gerichtet, während sie alles aufzusaugen schien, was Alec von sich gab.
Gott, wahrscheinlich besprachen sie diese Art von Statistiken auch beim Abendessen. Wie romantisch.
Es dauerte nicht lange, und die Abteilungsleitungen fingen an, Fragen über ihre Etats und die Fördermittelverteilung zu stellen. Frazers Magen zog sich zusammen. Das war der Moment, in dem auch sie etwas sagen musste, selbst wenn sie wirklich nicht wollte.
»Geburtshilfe?«
Am anderen Ende des Raumes ergriff Lee das Wort und ihre Brille glänzte im Schein der Halogenleuchte. »Von meiner Seite aus gibt es nichts, aber ich weiß, dass die Hebammen etwas haben.«
Innerlich stöhnte Frazer, als alle Personen im Raum sie ansahen.
Alec hob die Augenbrauen und ein beschwichtigendes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. »Okay, Ms Jindal?«
Frazer richtete sich beim Klang ihres Namens auf und hätte Lee am liebsten den Kaffee über den Kopf geschüttet. Leitung der Geburtshilfe hin oder her. Wenn Lee das nächste Mal wollte, dass Frazer den Dienstplan der Hebammen änderte, damit sie nicht mit jemandem arbeiten musste, den sie nicht leiden konnte, könnte sie zusehen, wo sie blieb. Selbst wenn Lee immer Kaffee und Muffins für die gesamte Station im Gepäck hatte. »Ähm, wie ich schon beim letzten Meeting erwähnt habe, bin ich in der letzten Phase der Planung eines Betreuungsprogramms für Schwangerschaften unter schwierigen Umständen. Das betrifft vor allem Teenagerschwangerschaften. Thematisiert werden sollen zum Beispiel natürliche Geburt im Vergleich zum Kaiserschnitt, Muttermilchersatz versus Stillen, die Gefahren von Drogen und Alkohol – die üblichen Themen also, aber mit niedrigschwelligem Zugang und extra Anreizen, um das Programm zu beenden. Es soll jedoch hauptsächlich um Unterstützung gehen, nicht um reine Informationsvermittlung. Der Schlüssel dazu sind natürlich die Mentorinnen und Mentoren.«
Alec nickte.
Frazer war schon froh darüber, dass er ihren Antrag auf Fördermittel anscheinend gelesen hatte. Sie hatte ja auch nur fünf davon eingereicht.
»Wann sollte das Projekt nochmal beginnen?«, fragte er.
»In drei Monaten, wenn alles nach Plan läuft.«
Das hatte so in allen fünf Anträgen gestanden.
»Super. Mir ist das kalkulierte Budget ins Auge gefallen – du musst die Kosten halbieren.«
Frazers Augenbrauen schossen hoch. Halbieren? Sie hatte die Kosten schon so weit wie möglich gesenkt. »Alec, ich habe die Kosten schon dreimal revidiert. Wenn wir noch weiter kürzen können wir uns genauso gut in einem Karton an die Straße setzen und Leute mit Kondomen bewerfen.«
Am anderen Ende des Raumes rutschte Tia ein Lachen heraus und Alec warf ihr einen finsteren Blick zu. Frazer zuckte innerlich zusammen. Sie ermahnte sich zur Professionalität.
Alec richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sie und Frazer widerstand dem Drang, ihm die Zunge rauszustrecken. »Revidiere das Budget und reiche es mir nochmal ein. Dann können wir darüber reden.« Er wandte sich ab und widmete sich dem nächsten Thema.
Frazer biss die Zähne aufeinander, nickte, und Lee zuckte mit den Schultern.
Verräterin.
Zehn Minuten später informierte Alec sie alle darüber, dass das Budget für die Soziale Arbeit in der Geriatrie gestiegen war. Frazer drehte ihren Kopf so schnell, um Cora einen finsteren Blick zuzuwerfen, dass sie fast ein Schleudertrauma erlitt.
Die Frau hielt ihren Blick stur auf Alec gerichtet.
Wie interessant.
Als das Meeting endlich vorbei war, rannte Frazer praktisch in ihr Büro.
~ ~ ~
»Brauchst du etwas Eis für die Brandwunde?«
Frazer sah von ihrem Schreibtisch auf und warf Tia im Türrahmen einen finsteren Blick zu. »Sehr witzig.«
Tia verschränkte ihre Arme und machte einen Schritt nach vorne, als jemand, ein Krankenhausbett schiebend, vorbeirannte. Dann lehnte sie sich wieder in den Türrahmen. »Oh, das dachte ich mir. Wenn wir auf Tumblr
wären, würde ich das Meme mit dem verbrannten Arm schicken, auf den Wasser geträufelt wird.«
»Du
bist auf Tumblr
?«
»Oh, mein naiver Sonnenschein, ich bin eine der Besten bei Tumblr
.«
Frazer lachte leise und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Ich glaube nicht, dass man mit fünfunddreißig noch als süßer Sonnenschein bezeichnet werden kann, Tia.«
»Papperlapapp.« Sie wedelte mit einer Hand durch die Luft. »Warte erstmal ab, bis du sechzig bist und in mein Alter kommst. Aber bei dir können wir das süß weglassen.«
»Brauchst du etwas, du böses Weib?«
Der verspielte Tonfall verschwand aus Tias Stimme und sie rollte mit den Augen. »Alec will den überarbeiteten Antrag.«
»Mein Gott, das Meeting ist erst sechs Stunden her. Ich ertrinke in Dienstplänen und hatte zwischendurch zwei Geburten. Glaubt er etwa, ich könnte hexen?«
Tia sah sich um, bevor sie antwortete, biss sich auf die Lippe und trat zwei Schritte auf Frazers Tisch zu. »Ich glaube, er hofft, dass du aufgibst.«
Natürlich tat er das. Im Gesundheitswesen gab es nie genügend Geld. Ein Zustand, der sie alle konstant wahnsinnig machte.
Sie hielten beide inne, als ein Code Blue über das Lautsprechersystem im Flur ausgerufen wurde. Frazers Muskeln spannten sich automatisch an.
Sie entspannte sich wieder, als die Orthopädie genannt wurde.
»Tja«, setzte Frazer das Gespräch fort, »das wird in naher Zukunft nicht passieren.«
Das Lächeln auf Tias Gesicht wirkte sanfter als das neckende, das sie sonst immer zeigte. »Gut. Dein Programm wird Leben verändern. Mein Mädchen hat mit sechzehn ein Baby von einem wirklich üblen Typen bekommen. Ich wünschte, dass es damals so etwas wie dein Programm gegeben hätte.«
»Wirklich?« Frazer war immer wieder überrascht, was man manchmal über Menschen erfahren konnte, mit denen man täglich zusammenarbeitete. Die Leute liefen herum und hatten keine Ahnung, was bei ihren Mitmenschen los war. »Was ist passiert?«
Seufzend zuckte Tia mit den Schultern. »Sie hat ihn nach sechs Wochen zur Adoption freigegeben. Selbst wenn das Ergebnis dasselbe gewesen wäre, hätte es ihr sicher geholfen, an so einem Programm teilzunehmen.«
Frazer brauchte einen Moment, um Antworten zu können. »Danke, Tia«, sagte sie schließlich.
Tia richtete sich kerzengerade auf. »Lass dich von den großen Fischen nicht unterkriegen. Und vielleicht habe ich dir gerade ein paar Links zu einigen staatlichen Förderungsprogrammen geschickt, von denen ich munkeln gehört habe.«
Sie schlenderte zurück zur Tür und Frazer unterdrückte ein Lachen.
»Weißt du«, rief sie ihr nach, »du bist überhaupt nicht großartig.«
Ohne sich umzudrehen hob Tia die Hand und wackelte zum Abschied mit den Fingern.
Zeit, ihr E-Mail-Postfach zu überprüfen. Frazer öffnete alle Links und speicherte sie als Lesezeichen, bevor sie anfing, den ersten zu lesen. Sie überflog die Informationen so schnell sie konnte.
»Oh – und Frazer«, Tias Kopf lugte um den Türrahmen herum. »Anstatt zu schmollen, weil andere immer die Fördermittel bekommen, die du brauchst, könntest du diese anderen doch einfach mit ins Boot holen.«
Frazer starrte noch einen Moment auf die Tür, nachdem Tia schon wieder verschwunden war. Vielleicht hatte sie recht?
Wem machte sie etwas vor? Tia hatte immer recht.
Aber in dieser Sache vielleicht nicht. Mit Cora zusammen
an Frazers Baby arbeiten? Eine schlechtere Idee hatte sie noch nie gehört.