Kapitel 3
Jeden Mittwoch etwas trinken zu gehen war schon zu lange zur Gewohnheit geworden.
Wahrscheinlich hätten sie damit nach der Uni aufhören sollen, aber die ganze Gruppe landete trotzdem jede Woche wieder hier. Getränke und Klatsch Hand in Hand.
Die Bar, in der sie sich trafen, versuchte trendig zu wirken. Die Deko war eine Mischung aus Schwarz und Chrom und das gedämpfte Lampenlicht war eine willkommene Abwechslung zu den grellen Neonröhren im Krankenhaus. Die Bar war so neu, dass der Geruch von frischer Farbe noch in der Luft hing. Trotzdem war sie voll und auf den Tischen verteilten sich halb leere Gläser.
»Auf Frazer! Zu stur, um sich vom Boss aufhalten zu lassen.« Andy grinste und hob ihren Gin Tonic, um auf Frazer anzustoßen.
»Prost.« Frazer stieß ihr Glas gegen Andys, wobei sie das Strahlen in ihrem Gesicht nicht verbergen konnte. Ihre Wangen schmerzten langsam. Sie versuchte, auch mit Rob anzustoßen, aber er scrollte mit einer Hand durch die Nachrichten auf seinem Handy, während er das Glas mit der anderen nur vage vor sich ausstreckte.
»Rob.« Andy verdrehte die Augen, als er nicht einmal aufsah. »Rob!«
Endlich ließ er das Handy in seinen Schoß fallen. »Tut mir leid! Tut mir leid. Der neue Vertrag steht kurz vor dem Abschluss und ich will sofort wissen, wenn alles in trockenen Tüchern ist.«
»Ja.« Frazer setzte ein ernstes Gesicht auf und nickte. »Du musst wirklich dafür sorgen, dass die Verträge abgeschlossen werden. Sie werden sich nicht, ähm … von selbst abschließen.«
Rob hob seine perfekten Augenbrauen. Aber zumindest hatte er aufgehört, auf sein Handy zu starren. »Was mache ich nochmal beruflich, Frazer?«
Frazer sah Andy Hilfe suchend an, doch die grinste nur. Frazer verzog das Gesicht, wedelte mit einer Hand in der Luft umher und sagte: »Du bist ein Verträge … abschließender … Aktien … verkaufender, ähm, wundervoll angezogener bester Freund?«
»Ja. Das. Ganz genau das.« Er schüttelte seinen Kopf. »Daniel hat vielleicht zwei Jahre dafür gebraucht, aber zumindest hat er es gelernt.«
»Er ist dein Freund. Er muss das wissen.«
Andy lachte. »Netter Versuch, Frazer.«
»Was?«, fragte Rob. »Und eine jahrzehntelange Freundin muss es nicht wissen?«
»Rob.« Frazer hatte definitiv ihr Alkohol-Limit für diesen Abend erreicht. »Du weißt, dass ich bei sowas völlig untauglich bin.«
»Du hast Glück, dass du hübsch bist.«
Andy grinste. »Apropos untauglich, wann wirst du wieder mal ein Date haben, Frazer?«
»O Gott!« Auf diese Unterhaltung konnte Frazer gut und gern verzichten. »Niemals, wenn du mich weiter damit nervst.«
Andys Augen funkelten, als sie sich vorbeugte. »Was, wenn ich dir sage, dass ich deine Schwester getroffen habe und sie mir erzählt hat, dass du jede Nacht allein mit deinen Fischen zu Hause hockst, wenn du nicht gerade mit uns unterwegs bist? Sie meinte, wenn du deinen Arsch nicht langsam hochkriegst, richtet sie dir ein Profil bei einer Dating-Seite ein.«
Frazer wurde ganz blass. »Scheiße, verschwört ihr euch jetzt gegen mich?« Als Andy nur stumpf nickte, seufzte Frazer. »Es hat mir besser gefallen, als Jemma noch meine doofe Schwester war, die dich genervt hat.« Sie schmollte einen Moment, bis sie Andys Worte erst richtig begriff. »Eine Online-Dating-Seite? Ernsthaft?«
Robs Lachen und die Art, wie seine Augen aufleuchteten, verdoppelten ihre Angst. Alle drei hatten sich verschworen? Eine Online-Dating-Seite? Die Vorstellung ließ sie erschaudern.
Sie sah zwischen den beiden hin und her und entdeckte auf keinem Gesicht auch nur einen Hauch Mitleid. »Warum hasst ihr mich?«
Andy tätschelte ihr Bein. »Wir machen das, weil wir dich lieben. Und wenn du noch mehr Fische kaufst, beginne ich mich zu fragen, ob du Sex durch Fische ersetzt – und das ist einfach nur seltsam.«
»Ich mag meine Fische.«
Rob lachte. »Lesbe.«
Sowohl Andy als auch Frazer warfen ihm einen Blick zu und er verstummte. »Entschuldigung. Aber kommt schon, das war lustig.« Sie sahen ihn einfach weiter finster an. Sein Blick huschte nervös zwischen ihnen hin und her. Er räusperte sich. »Also«, fuhr er fort, »Frazer hatte seit einer Ewigkeit kein Date mehr …«
Andy rümpfte ihre Nase und wandte sich wieder an Frazer. »Komm dieses Wochenende mit uns mit, sonst erstellen wir für dich ein Online-Dating-Profil.«
Frazer konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen. Normalerweise liebte sie es, mit ihnen auszugehen, aber nicht, wenn ihre Freunde sie verkuppeln wollten. »Ich habe schon ein Date.«
Hatte sie?
»Hast du?«
Die Überraschung in Andys Stimme schmerzte mehr als sie sollte.
»Ja. Mit, ähm …«, Frazer machte große Augen, als sie den Namen aussprach: »Lauren. Von der Arbeit.«
Robs Hand, in der er sein Glas hielt, stoppte auf halbem Weg zu seinem Mund. »Du gehst mit jemandem von der Arbeit aus?«
»Na ja.« Frazer versuchte so großspurig wie möglich zu klingen. »Es lief letztes Mal so gut.«
Andy machte sich fast in die Hose vor Lachen.
~ ~ ~
»Sie ist unausstehlich.«
»Ich weiß.«
Ihr Seufzen war laut genug, damit ihre beste Freundin es durch das Telefon hören konnte. Coras Griff um ihr Handy wurde fester, als sie durch einen von Patienten und Pflegenden überfüllten Krankenhausflur ging.
»Lisa, sie ist wirklich unausstehlich.«
»Das habe ich begriffen. Aber das Programm hört sich gut an und du kannst dafür sorgen, dass sie auf dem Boden bleibt.«
Mit einem Schritt zur Seite wich sie einem Putzwagen aus. »Wohl kaum«, sagte sie.
»Gefällt dir ihr Vorschlag?«
Cora ließ die Schultern sinken und nickte. »Ja.«
»Glaubst du, dass es vielen Menschen zugutekommen wird?«
Ein weiteres Seufzen. »Ja.«
»Dann hilf ihr.«
Vor Frazers Bürotür blieb Cora stehen. »Na schön, du warst schon immer die Vernünftigere von uns beiden. Ich muss jetzt los. Grüß deine Mum ganz lieb von mir.«
»Mach ich. Genieß die nächste Stunde.«
»Haha.« Cora drückte etwas fester als nötig auf das Display, um das Gespräch zu beenden, richtete sich gerade auf und klopfte an die Tür. Manchmal war ihre beste Freundin wirklich keine Hilfe.
Ein gedämpftes Herein ertönte und Cora atmete tief durch.
Das hier war für einen guten Zweck.
Frazer begrüßte sie von ihrem Schreibtisch aus. »Hey Cora. Danke, dass du hergekommen bist. Ich habe alles auf meinem Computer, deshalb schien es mir das Einfachste zu sein.«
»Kein Problem.« Cora sank auf einen Stuhl vor Frazers Schreibtisch. »Du warst leicht zu finden. Keine gebärenden Mütter heute?«
Frazer deutete auf den Pager neben ihrer Tastatur. »Es werden immer Babys geboren. Es ist fast so, als würden sie sich an keinen Plan halten.«
»Verstehen das die Mütter auch?«
»O mein Gott, Cora.« Frazer lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und warf frustriert die Hände in die Luft. »Du hast ja keine Ahnung. Du solltest ein paar der Geburtspläne lesen, die die Eltern mir geben. Eine Mutter wollte drei Zimmer reservieren, für den Fall, dass eines oder zwei eine schlechte Energie haben.«
»Als wäre das Krankenhaus ein Hotel?«
»Ganz genau.« Frazer schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts gegen Geburtspläne, vor allem weil sie vielen Eltern helfen, weniger nervös zu sein. Aber die Hebamme darum zu bitten, während der Wehen stimuliert zu werden?«
Cora blinzelte. »Stimuliert
»Stimuliert.«
»Wie beim …«
»Wie bei genau dem, woran du jetzt denkst.« Frazer lachte leise. »Sowas kann man sich nicht ausdenken.«
»Wow.«
»Ja. Also!« Sie klatschte in die Hände und richtete sich auf. »Konntest du schon einen Blick auf die Sachen werfen, die ich dir gemailt habe?«
»Ja. Es ist ziemlich überzeugend.«
Für einen Moment verfinsterte sich Frazers unbekümmertes Gesicht. »Anscheinend nicht überzeugend genug. Aber das wird es sein. Irgendwelche neuen Ideen? Ich bin für alles offen – bislang habe ich alles alleine gemacht.«
Cora nickte erleichtert. Manchmal waren Leute eigen, was ihre Projekte anging. »Gut, beginnen wir mit dem Mentorenprogramm. Das ist dein Alleinstellungsmerkmal. Das macht dein Projekt so einzigartig. Eltern werden nach der Geburt mit sehr wenig weiterer Unterstützung nach Hause geschickt. Und diese Unterstützung geht überhaupt nicht auf die Bedürfnisse einiger besonders gefährdeter Elternteile ein – diejenigen, die kein eigenes Unterstützungsnetzwerk haben oder die Möglichkeit, eine Hebamme aufzusuchen.«
»Ganz genau!« Frazers Augen leuchteten. Sie nickte begeistert.
»Also, lass uns unsere Ressourcen zusammenlegen, wie wir schon geplant hatten. Und warum sollten wir nur Hebammen als freiwillige Mentoren einsetzen? Lass uns ein paar meiner Sozialarbeiterinnen oder sogar Notfallkrankenschwestern fragen – ich habe mit ein paar Frauen aus der Notaufnahme und aus meiner Abteilung gesprochen und bereits eine vorläufige Liste von Interessentinnen zusammengestellt.«
»Toll! Mehr Leute können wir immer gebrauchen.«
»Und …« Cora war nicht sicher, ob Frazer von ihrer nächsten Idee begeistert wäre.
»Und?«
Cora atmete tief durch und sagte es frei heraus. »Was, wenn wir andere Eltern als Mentoren nutzen? Menschen, die bereits Kinder haben und daran interessiert sind, anderen zu helfen? Mir ist bewusst, dass viele zu beschäftigt sein werden. Aber wir könnten eine Schulungswoche abhalten und die gegenseitigen Erwartungen und Bedürfnisse besprechen. Wir könnten sie bei Menschen mit geringem Risiko einsetzen und diese von Anfang an begleiten lassen.«
Frazer runzelte die Stirn. Dann lehnte sie sich wieder auf ihrem Stuhl zurück und sah Cora an.
Cora spielte nervös mit ihren Fingern in ihrem Schoß und schüttelte dann den Kopf. »Es ist wahrscheinlich eine blöde Idee.«
»Nein, sie ist gut.«
Coras Hände hielten inne. »Wirklich?«
»Ja. Wir brauchen mehr Leute. Wenn wir nach geeigneten Personen mit den richtigen Voraussetzungen und vielleicht sogar einem bestimmten Abschluss Ausschau halten – warum nicht? Und ein Schulungsprogramm … das wird zusätzlich Geld kosten, aber wenn ich es selbst leite, würden die Kosten auch im überschaubaren Rahmen bleiben.« Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Wie die Mentoren bei den Anonymen Alkoholikern – Experten aus Erfahrung.«
»Ja.«
»Für den Anfang kann jeder Mentor ein oder zwei Klienten betreuen.« Frazer testete gedanklich Coras Idee aus und vibrierte förmlich vor Energie. »So werden Leute mit Vollzeitjobs nicht überfordert und wir können sehen, was funktioniert und was nicht.«
Wärme breitete sich in Coras Brust aus. Vielleicht würde ihre Zusammenarbeit nicht so schrecklich werden wie befürchtet.
Frazer faltete die Hände vor sich auf dem Tisch: »Was für Ideen hast du noch? Wenn wir so weitermachen, können wir Alec den neuen Antrag in einer Stunde einreichen.«