Kapitel 8
Es war kein angenehmes Gefühl, mit einem trockenen Mund aufzuwachen.
Anstelle einer Zunge Sandpapier im Mund zu haben, war genauso unangenehm.
Oder diese eine Sekunde, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, in der man keine Ahnung hatte, wo man eigentlich war.
Sie öffnete die Augen ein kleines Stück und der Raum, in dem sich Frazer befand, breitete sich vor ihr aus. Auf gar keinen Fall würde sie es wagen, die Augen vollständig zu öffnen. Das Licht war so schon kaum zu ertragen.
Frazer versuchte, eine Bestandsaufnahme zu machen. Es gab definitiv keine Kleidung an ihrem Körper. Gar keine. Null Komma nichts. Sie spürte kühle Laken auf ihrer Haut. Etwas Warmes und Weiches lag vor ihr. Und in ihrer Hand? Haut. Nicht ihre eigene. Die Ereignisse der letzten Nacht schlichen sich zurück in ihren verkaterten Kopf.
War das in ihrer Hand etwa Coras Brust?
Ja. Und ihr nackter Rücken drückte sich an Frazer. Ihr Arm bewegte sich mit Coras Atmung leicht auf und ab.
Es gab keine Zweifel mehr. Sie lag nackt mit Cora im Bett. Nach einer Nacht voller – ihre Gedanken schweiften kurz ab in die jüngste Vergangenheit und sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden. Nach einer Nacht voller sehr, sehr gutem Sex.
Hitze wallte bei diesem Gedanken in ihrem Unterleib auf. Sie verzog das Gesicht und widerstand dem Drang, es in Coras Haar zu verbergen und der Realität somit noch ein bisschen zu entfliehen.
Es fühlte sich an, als hätte sie einen Stein im Magen. Ihr war ein wenig übel. Frazer hätte es liebend gern auf den Kater geschoben, aber nachdem sie sich nur eine Sekunde mit dem Gefühl beschäftigt hatte, wusste sie, was es war.
In ihrem Magen fühlte sie Scham. Heiß und schwer.
Cora war verheiratet. Eheprobleme oder nicht, sie hatte einen Ehemann.
Der obendrein Frazers Boss war.
Und jetzt war Frazer statt der Frau, die ich einmal geküsst habe
, die Frau geworden, mit der ich einmal geschlafen und meinen Ehemann betrogen habe
.
Frazer hatte sich selbst versprochen, dass sie nur Coras Freundin wäre.
Mein Gott. Schlechteste. Freundin. Aller. Zeiten.
Oder beste Freundin aller Zeiten.
Sie war zu verkatert, um genauer darüber nachzudenken.
Dieses Mal gestattete sie sich ein leidendes Stöhnen. Sie rollte sich auf den Rücken und legte einen Arm über ihr Gesicht.
Cora war verheiratet.
Cora lachte leise und stöhnte dann auch.
Trotz ihrer Angst musste Frazer lachen. »Hast du gerade über mein offensichtlich verkatertes Stöhnen gelacht und dann deinen eigenen Kater bemerkt?«
Es folgte einen Augenblick Stille.
»Vielleicht.«
»Trottel.« Frazer hielt die Augen unter ihrem Arm geschlossen. Alles war zu hell. Warum war alles so hell?«
»Du hast zuerst gestöhnt.« Coras Stimme klang eher wie ein Krächzen.
Frazer spürte, wie sich Cora bewegte.
»Autsch, und ich verstehe jetzt auch wieso.«
»Hey! Ich sehe vielleicht beschissen aus, aber gib mir zehn Minuten und einen Kaffee und dann bin ich … ein klein bisschen weniger verkatert.«
Ein unglaublich peinliches Schweigen folgte.
Das hier war kaum auszuhalten. Wie sollten sie da wieder herauskommen? Sie mussten eine Situation schaffen, die nicht mehr so unangenehm war. Eine, die in Frazers Mund nicht mehr nach Scham und Kater schmeckte.
Frazer wappnete sich gegen das Licht, hob den Arm vom Gesicht und stellte fest, dass Cora es auch geschafft hatte, sich auf den Rücken
zu drehen. Ihre Augen waren geschlossen und ebenfalls von ihrem Arm bedeckt. Offensichtlich war Frazer nicht die einzige, die unter ihrem Kater litt. Das Laken schmiegte sich eng um Coras Kurven und bedeckte ihre Brüste gerade eben so.
Als Frazer sich aufrecht hinsetzte, drehte sich die Welt wie verrückt. Sie fasste an ihren Kopf und rutschte zur Bettkante – von Coras Ehebett. Auf dem Nachttisch lagen ein Krimi und eine dunkelblaue Krawatte neben der Lampe. Ihre Übelkeit verstärkte sich. Das war eine schreckliche, schreckliche Idee gewesen.
Sie musste dringend etwas anziehen. Ihre Prioritäten waren: Klamotten, Kaffee und Paracetamol.
Und Eier. Und Toast. Toast mit viel, viel Butter.
Irgendwo mussten ihr Rock, ihr BH und ihre Unterwäsche sein. Vage erinnerte sie sich, dass sie noch bekleidet war, als sie hier reingekommen waren.
Endlich entdeckte Frazer sie halb unter dem Bett. Sie zog ihren Slip an und schob sich in ihren Rock. Als sie ihren BH geschlossen hatte, fühlte sie sich beinahe anständig gekleidet. Hinter ihren Schläfen pochte der Schmerz und sie atmete tief ein. Das würde ein langer, widerlicher Tag werden. Sie drehte sich um und traute sich endlich, Cora anzusehen. Ihre Augen lugten ein wenig gerötet unter ihrer Hand hervor.
Vor langer Zeit hätte sie in einer solchen Situation Bis dann
gesagt und wäre aus dem Zimmer geschlendert. Aber das hier war was anderes. Sie waren irgendwie befreundet. Und Cora war sehr verheiratet. Und sie arbeiteten zusammen.
Gott, sie sollte nicht
mit ihren Kolleginnen schlafen.
Sie hatte gedacht, sie hätte ihre Lektion gelernt.
Vor allem mit verheirateten Kolleginnen.
Frazer war zwar noch nie in dieser Situation gewesen, hätte aber gedacht, dass ihre Moral stark genug gewesen wäre.
Anscheinend nicht.
Wie konnte sie eine schlechte Idee so eskalieren lassen?
»Ich, ähm … ich sollte gehen.« Ein Schritt zur Tür, dann ein weiterer. Der Blick aus Coras Augen, die noch immer größtenteils von ihrer Hand bedeckt wurden, war nur schwer zu lesen.
Noch ein Schritt.
Cora setzte sich auf und schlang die Arme um ihre Knie. »Okay.«
Wenn sie genügend Energie gehabt hätte, wäre Frazer schuldbewusst zusammengezuckt. Sie hatte die Situation gerade noch verschlimmert.
»Vielleicht solltest du dir dafür auch dein Oberteil anziehen. Es liegt noch unten, glaube ich.« Cora grinste.
Frazer sah an ihrem nur mit einem BH bekleideten Oberkörper hinab und musste lächeln. Das machte es etwas einfacher. »Vermutlich.«
Ihr Blick fiel immer wieder auf den Nachttisch. Die Krawatte ihres Bosses. Die Krawatte von Coras Ehemann.
Als sie wieder zu Cora schaute, sah diese ebenfalls in Richtung Nachttisch. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Gesicht verschlossen und angespannt. Ihre Haut war aschfahl, was unnatürlich an ihr aussah.
Cora blickte sie an. »Wir sehen uns bei der Arbeit?« Die Frage hätte ganz entspannt klingen sollen.
»Natürlich.« Frazer nickte und hatte plötzlich das Gefühl, ihren nackten Bauch bedecken zu müssen. Sie legte ihren Arm darüber. »Also, bis dann.«
Sie hatte es fast bis zur Tür geschafft.
»Frazer.«
Sie zögerte nur eine Sekunde und drehte sich dann wieder um. Cora sah in dem Bett etwas verloren aus.
»Ja?«
Cora blinzelte sie an und unter ihren Augen waren tiefe Augenringe zu sehen. »Sind wir befreundet?«, fragte sie.
»Natürlich«, antwortete Frazer, ohne lange nachzudenken.
Und dann ging sie.
Die Wände im Flur waren kahl, ohne Bilder, bis sie in die unglaubliche Küche kam. Dort hing ein Hochzeitsfoto, das Frazer nicht ansah, während sich in ihrem Magen ein Knoten bildete.
Ihre weiße Bluse lag wie ein Schandfleck neben dem Esstisch auf dem Boden. Sie zog sie über und knöpfte sie mit zitternden Fingern zu. Sie starrte auf den Tisch. An der Kante war eine kleine Kerbe von Coras Absatz. Es hätte genauso gut ein finsteres Mahnmal sein können. Es starrte sie an. Das konnte sie nicht verschwinden lassen.
Stattdessen nahm sie die Weingläser und stellte sie behutsam in die Spüle, bevor sie anschließend so schnell wie möglich aus dem Haus
verschwand.
Frazer erkannte sich selbst nicht wieder.
~ ~ ~
Das Geräusch der Haustür, die ins Schloss fiel, hallte laut von den Wänden wider. Der Schmerz in Coras Kopf fühlte sich verdient an. Zuviel schlechtes Karma.
Der Rausch des Alkohols war lange verflogen, geblieben waren nur der Kater, das Bedauern und die Erkenntnis, dass sie die Sache mit der Ablenkung maßlos übertrieben hatte. Das war keine gute Idee gewesen. Der Plan war gewesen, nur zu gucken, nicht anzufassen. Einen muskulösen, bärtigen Jüngling zu finden, um ihn aus der Ferne anzuschmachten und dann allein
nach Hause zu gehen. Wieso hatte sie Frazer geküsst?
Cora ließ sich aufs Bett fallen und zog sich die Decke über den Kopf. Der Geruch von Orange, Schweiß und Sex, der nicht zu ihrem Ehemann passte, hüllte sie ein, bis ihre Augen brannten.
Sie wollte aus ihrer Ehe raus und keine Affäre anfangen. Zumindest glaubte sie das. Das hatte sie jedenfalls ihrem Mann gesagt. Aber sie war noch nicht raus; überhaupt nicht.
Sie schien in einer Art Grauzone festzustecken. Wenn sie es schaffte, einen Teil von sich herauszubekommen, sank er nur in einer anderen noch graueren Zone wieder ein.
Im Grunde hatte sie gerade ihren Mann betrogen. Selbst, wenn sie vorhatte, sich von ihm scheiden zu lassen. Selbst, wenn es nur eine Ablenkung gewesen war.
Machte es das vielleicht noch schlimmer?
Und warum mit einer Frau?
Cora stöhnte, vergrub ihr Gesicht im Kissen und schrie laut auf. Der Schmerz in ihrer Kehle und das Pochen in ihrem Kopf waren wie eine Buße. Sie war hetero. Das war auch nicht das Problem. Mann oder Frau, sie war fremdgegangen. Sie hatte diesen einen Schritt gemacht, den sie schon bei so vielen Kollegen aus dem Krankenhaus gesehen hatte. Ein Schritt, der immer schmutzig, betrügerisch und fernab von ihrer Realität gewirkt hatte. Vielleicht hätte Cora nur ein paar hübsche Männer angeschmachtet und wäre dann allein nach Hause gegangen und nicht mit einer Frau, mit der sie gerade frisch befreundet war, im
Bett – oder auf dem Tisch – gelandet, wenn ihr Lisas Worte nicht zu Kopf gestiegen wären?
Aber sie wollte diese neue Freundschaft nicht aufgeben.
Sie hatte gerade erst wieder das Gefühl bekommen, frei atmen zu können. War es egoistisch, nach dieser Sache eine Freundschaft zu wollen? Wollte Frazer überhaupt noch ihre Freundin sein?
Sollten sie Freundinnen sein?
Es war viel zu schwer, jetzt darüber nachzudenken. Ihr war übel und alles um sie herum drehte sich. Warum lag Alecs dämliche Krawatte hier rum?
Cora schaffte es gerade rechtzeitig ins Badezimmer, bevor sie ihren Mageninhalt los wurde. Eine Stunde später war sie noch immer dabei, sich zu übergeben. Zitternd umklammerte sie das kühle Porzellan.
Es lag nicht am Alkohol; es waren die Schuldgefühle, die in ihrer Kehle brannten.
~ ~ ~
»Komm mit, Frazer.«
»Nein.« Frazer wechselte das Handy ans andere Ohr und stopfte ihre Sporttasche in das Schließfach. Eine ältere Dame in der Ecke der Umkleide sah sie böse an, als die Hälfte ihrer Sachen polternd herauspurzelten und Frazer laut fluchte.
»Gott, kein Grund beleidigend zu werden. Ich versuche nur, dich aus dem Haus zu locken.«
Frazer kniff sich in den Nasenrücken, schloss die Augen und atmete kurz durch. Ihre Schwester versuchte nur, nett zu sein. Jemma glaubte gern, helfen zu können.
»Jem«, sagte Frazer. »Ich bin nicht zu Hause.«
Am Telefon herrschte einen Augenblick lang Schweigen. »Bist du beim Schwimmen?«
Frazer war kurz versucht zu lügen. Aber sie wollte nicht, dass der ganze Tag voller Missetaten war. »Ja.«
Das Stöhnen am anderen Ende hörte sich an, als hätte Jemma quälende Schmerzen. »Siehst du? Das Schwimmbecken ist in letzter Zeit dein zweites Zuhause geworden. Geh mit mir was trinken.«
Der Inhalt ihrer Tasche befand sich endlich komplett im Spind. Es kam auch auf die kleinen Erfolge an. Frazer drehte sich beim bloßen
Gedanken an Alkohol der Magen um. »Ich kann nicht. Ich bin … ich bin beschäftigt.«
Erneutes Schweigen, doch dieses Mal war es verurteilend. »Womit?«
Verdammt.
»Frazer, was machst du heute Abend?«
Deshalb sollte man nicht lügen. »Ich … ähm …«
»Super, ich bin um achtzehn Uhr bei dir. Bis dann!« Damit legte Jemma auf.
Frazer vermisste die Tage der Klapphandys, die man noch laut zuschnappen lassen konnte, um seiner Verärgerung Ausdruck zu verleihen. Sie begnügte sich damit, das Telefon auf ihre Sporttasche zu werfen. Dann knallte sie die Schließfachtür zu. Sie schob sich das Plastikarmband mit dem Schlüssel über das Handgelenk und drehte sich um. Die alte Dame sah sie noch finsterer an als vorher. Frazer winkte ihr zu, indem sie mit den Fingern wackelte. Der finstere Blick blieb und Frazer hoffte unbekümmert zu wirken, als sie an ihr vorbeiging.
Ihr Kopf schmerzte, als sie ins Becken sprang, und sie blieb so lange wie möglich unter Wasser. Erst als der Druck in ihren Lungen zu groß wurde, tauchte sie auf.
Heute fühlte sich nichts gut an.
Nach einer heißen Dusche, die nichts dazu beigetragen konnte, dass sie sich besser fühlte, und ein paar Stunden zu Hause, hatte Frazer aufgegeben. Natürlich war sie wieder ins Schwimmbad gefahren. Sie brauchte die Meditation. Die ständigen Wiederholungen. Schwimmzug, Schwimmzug, Atmen. Nochmal.
Der Rhythmus kam ganz natürlich. Als Frazer anderthalb Stunden später aus dem Wasser stieg, zitterten ihre Arme. Alles brannte und dieses Mal war ihr Schuldgefühl nicht der Grund dafür.
Mit dieser Art von Erschöpfung konnte sie gut leben.
Frazer wickelte sich in ein Handtuch und ging in den leeren Umkleideraum. Als sie ihren Spind öffnete und eine Nachricht von Cora auf ihrem Handy entdeckte, schmerzte alles aus einem anderen Grund. Frazer warf das Handy wieder in den Spind.
Dreißig Sekunden später sprang sie wieder ins kühle Wasser. Ihre Muskeln protestierten.
Eine weitere Stunde würde ihr guttun.
~ ~ ~
»Hattest du Sex?«
Cora starrte Lisa durch die Fliegengittertür an. Woher zum Teufel wusste sie das? Cora hatte nur an Lisas Tür geklopft – wahrscheinlich etwas verzweifelt, wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich war –, aber Lisa hatte die Tür geöffnet, und ohne ein Wort von Cora abzuwarten sofort diese Frage gestellt. Woher wusste Lisa das? Cora hatte eine Stunde lang geduscht und gehofft, dass das heiße Wasser auslöschen würde, was sie getan hatte.
»Was?« Weil das so unauffällig war und überhaupt nicht schuldbewusst klang.
Im trüben Licht der Lampe sah Lisa sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Hattest du Sex?«
Coras Herz donnerte in ihrer Brust. Die Tatsache, dass das wahrscheinlich nur eine grundlose Frage war, drang langsam in ihren Verstand ein. »Äh, nein. Alec ist nicht da.«
»Das weiß ich doch. Ich dachte, du würdest vielleicht meinem Rat folgen und dir einen jungen Toyboy suchen.«
»I-immer noch nein. Tut mir leid. Lässt du mich rein?«
Lisa öffnete die Tür. Als Cora eintrat, versuchte sie so zu tun, als hätte sie noch etwas Würde.
»Natürlich wusste ich, dass du das nicht machen würdest.« Lisa folgte ihr ins Wohnzimmer. »Ich dachte nur, du würdest jemanden lüstern anstarren. Dich daran erinnern, was du verpasst.«
Coras Blick fiel auf einen halb ausgefüllten Test in der Cosmo
, die offen auf dem Couchtisch lag.
»Schwer beschäftigt, Lisa?«
Lisas Wangen liefen rot an. »Wir alle tun bestimmte Dinge, wenn wir uns unbeobachtet fühlen. Bei mir sind es eben peinliche Psychotests in Frauenzeitschriften.«
Irgendetwas musste die Mir-geht’s-gut
-Maske rissig gemacht haben, die Cora sich geschickt mit Hilfe ihres knallroten Lippenstifts aufgetragen hatte, denn Lisas verspielter Tonfall verschwand plötzlich. »Hey. Alles in Ordnung?«
»Ja. Mir geht’s gut.« Cora atmete tief ein und versuchte, nicht den Eindruck zu erwecken, als würde sie gleich zusammenbrechen. Es war
unheimlich anstrengend. »Hast du Wein?«
»Natürlich.«
Als Lisa mit zwei Gläsern zurückkam, die bis zum Rand gefüllt waren, hatte Cora das Zittern ihrer Hände wieder unter Kontrolle. Sie war hergekommen, um der Macke in ihrer Tischplatte und den Weinflecken auf dem Teppich zu entkommen, und nicht, um bei ihrer Freundin ein Geständnis abzulegen. Die hatte im Moment weitaus wichtigere Dinge, um die sie sich kümmern musste, als Cora, die ihre Ehe zerstörte. Die vielleicht, oder vielleicht auch nicht, bereits zerstört gewesen war; aber aus irgendeinem Grund spielte das in ihrem Kopf keine Rolle mehr.
Cora setzte sich auf die Couch, nahm ihr Glas entgegen und freute sich, als Lisa neben ihr Platz nahm. »Können wir uns einfach einen Film ansehen?«
Lisa musterte sie, nickte dann aber nur. »Sicher. Welchen?«
»Irgendeinen.«
Es dauerte nur wenige Augenblicke, um einen passenden Film aus den Neunzigern auf einem Lokalsender zu finden. Cora ließ langsam ihren Kopf auf Lisas Schulter sinken, legte ihre Füße neben Lisas auf den Couchtisch und drückte das Weinglas an ihre Brust.
Lisa tat sogar so, als würde sie nach der Hälfte des Films die Tränen auf Coras Gesicht und die Art, wie ihre Schultern bebten, nicht bemerken. Sie legte einfach ihren Arm um Cora und zog sie näher an sich.
~ ~ ~
Es tut mir leid
war alles, was in Coras Nachricht gestanden hatte.
Und Frazer fiel nichts ein, was sie darauf antworten sollte, also schrieb sie nicht zurück.
Es tut mir leid konnte alles bedeuten. Es tut mir leid, dass es passiert ist. Es tut mir leid, dass ich danach um das Unmögliche gebeten habe. Es tut mir leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe. Es tut mir leid, dass ich verheiratet bin. Es tut mir leid, dass wir da reingeraten sind.
Es tut mir leid.
Jetzt musste sich Frazer wahrscheinlich dafür entschuldigen, dass sie auf Coras Entschuldigung nicht geantwortet hatte.
Es war alles ein wenig lächerlich.
»Also. Familienessen morgen. Du bist dabei, ja? Ja.«
Sie grub ihren Zeh in Jemmas Oberschenkel. »Muss ich?«
Jemma kniff ebenso gnadenlos in Frazers Fuß. Sie ignorierte den Schmerzensschrei und sagte: »Du hast echt so eine miese Laune. Du warst seit Wochen nicht da und ich habe es satt, dass sie darüber reden. Komm einfach mit. Iss etwas. Lächle. Danach können wir in eine Bar gehen und du erzählst mir, wer dir den Stock in den Arsch geschoben hat, damit wir uns damit beschäftigen können, wie wir ihn wieder rausziehen. Heute Abend ist aus dir ja anscheinend nichts mehr herauszubekommen.«
Frazer ließ den Kopf nach hinten gegen die Lehne sinken und seufzte. »Na schön. Aber ich werde nicht lächeln.«
»Doch, wirst du. Gran kommt und sie macht Krawall, wenn sie Wein getrunken hat.«
Frazer versuchte zu verbergen, wie sehr sie diese Vorstellung amüsierte, und setzte sich auf. »Gran kommt?«
»Ja.« Jemmas Augen funkelten.
»Na ja, das hättest du auch gleich sagen können.«
»Liebe Schwester, ich hatte gehofft, dass mein Charme und meine Anwesenheit ausreichen würden. Außerdem ist sie aufgeregt, weil Tony mit den Kindern kommt.«
Frazer seufzte erneut. Dieses Mal lauter.
Ja.« Jemma tätschelte Frazers Fuß. »Ich weiß.«
Es lag nicht an den Kindern. Frazer mochte ihre Neffen und ihre Nichte. Sie waren lustig, süß und laut. Ihr perfekter Bruder und seine perfekte Frau machten mit der Erziehung wirklich einen guten Job.
Es ging um die Kommentare, die sie Frazer an den Kopf werfen würden, wenn sie da waren. Familienideale. Kinder. Ehe. Ihre Mutter würde leise kommentieren, dass sie einen Ehemann finden sollte, wenn sie glaubte, dass Frazers Vater nicht zuhörte.
»Mach dir keine Sorgen. Vielleicht erzähle ich ihnen von meiner Affäre mit dem Dozenten. Dann richten sie ihre volle Aufmerksamkeit auf mich.« Jemma zwinkerte ihr zu.
»Du liebst mich, aber so sehr auch wieder nicht.«
»Das stimmt. Vielleicht übergibt sich eines der Kinder wieder in Mums Bett. Das sollte auch funktionieren.«
Frazer lachte leise. »Ja. Ich fülle Lyle mit Limonade voll und trage ihn dann wieder Huckepack.«
»Lyle
«, sagte Jemma und verzog das Gesicht. »Und Tabitha
. Und Laurent
.«
»Ich weiß.«
Sie sahen einander an und brachen in Gelächter aus.
~ ~ ~
Im Haus war es still und Cora konnte nicht aufhören, mit den Beinen zu wippen. Alles war makellos. Gestern hatte sie es mit dem Putzen wahrscheinlich etwas übertreiben – es hatte volle zwei Stunden gedauert, den Wein aus dem Teppich zu bekommen. Ihre Arme schmerzten vom Tupfen
, zu dem ihr das Internet geraten hatte.
Gegen die Kerbe auf dem Tisch konnte sie nichts tun.
Sie wurde rot, wann immer ihr Blick darauf fiel. Und er wurde ständig davon angezogen, bis sie schließlich eine Tischdecke darüberlegte.
Die sie eine Stunde später wieder herunterriss.
Die Decke auf dem Tisch sah nur noch verdächtiger aus. Sie bedeckten diesen Tisch nie – dafür war er viel zu schön mit seinem glänzenden Holz. Er war lächerlich schwer und neben der Couch das einzige, was Cora in diesem Haus wirklich liebte.
Sie hörte einen Schlüssel in der Tür. Cora setzte sich aufrecht hin. Ihre Finger umfassten ihre Knie, um ihr wippendes Bein endlich zur Ruhe zu bringen.
Der kleine Trolley rumpelte über den Flur. Das Geräusch eines Griffs, der eingefahren wurde. Die Schritte ertönten beinahe so laut wie der Herzschlag in ihren Ohren.
Alec betrat die Küche und bemerkte sie nicht einmal. Er öffnete die Kühlschranktür. Ein Bier wurde zischend geöffnet. Dann drehte er sich um, er setzte gerade die Flasche zum Trinken an, als er sie entdeckte. Dann stellte er die Flasche auf der Anrichte ab. »Hi.«
Cora schluckte. Ihr Mund fühlte sich unnatürlich trocken an und sie leckte sich über die Lippen. »Hi.«
Sie starrten einander an und die Schuldgefühle in Coras Brust breiteten sich immer weiter aus. Alec sah zerknittert aus. Offensichtlich hatte er seine Kleidung heute Morgen aus dem Koffer
gezogen und für flugzeugtauglich befunden. Er hatte sich nicht rasiert und seine Haare wirkten ungekämmt.
Er war angezogen, als würde er zu Hause einen Streit erwarten. Und nicht, als würde er erwarten, dass seine Frau mit jemand anderem geschlafen hatte.
Cora blinzelte heftig in der Hoffnung, dass es das Brennen in ihren Augen minderte. Die Macke im Tisch schien riesig zu sein. Meterbreit statt nur einen Zentimeter groß. Sie sagte sich, dass sie die Stelle nicht ständig anstarren sollte, und richtete ihren Blick auf einen Punkt in Alecs Gesicht. Sie sah ihm nicht direkt in die Augen, war aber nah genug dran, sodass sie ihn nicht nicht
ansah. »Hi«, sagte sie erneut.
Alec löste seine Krawatte und zog sie sich über den Kopf. Er legte sie neben sein Bier – genauso zusammengerollt wie die oben im Schlafzimmer. Mit der Flasche in der Hand setzte er sich auf die Stufe, die in ihr Wohnzimmer führte. »Wie war deine Woche?«
»In Ordnung.« In Ordnung
? »Wie war deine?«
»Stressig. Ich habe die ganze Woche halb damit gerechnet, die Scheidungspapiere im Postfach zu haben.«
»Oh.«
Er pulte am Etikett der Flasche. Trank einen Schluck. Sein Fuß ruhte genau neben der Stelle, an der der Weinfleck gewesen war.
Cora war fremdgegangen. Einen Augenblick lang glaubte sie, sich wieder übergeben zu müssen. Alles zwischen Alec und ihr war unschön gewesen. Unangenehm. Aber sie waren immer noch verheiratet. Was spielte es schon für eine Rolle, dass sie gesagt hatte, sie wollte es nicht mehr sein? Die Worte waren ihr herausgerutscht, kurz bevor er ein Flugzeug bestiegen hatte. Keine Diskussion. Kein Abschluss. Sie hatten sich auf nichts geeinigt.
»Verlass mich nicht, Cora.«
Die Worte klangen leise. Rau. Als hätte er sie tagelang zurückgehalten und sie es erst jetzt geschafft hervorzubrechen.
Ruckartig sah sie auf. »Warum?«
Sie waren nicht glücklich. Oder? Ihr Blick fiel wieder auf die Macke. Wanderte zurück zu seinem Gesicht. Sie konnte nur ihre Schuldgefühle spüren. Wie ein Nebel, der sich über sie gelegt und alles andere bedeckt hatte, was da gewesen war.
»Das kannst du mir nicht antun. Das kannst du nicht. Damit zerstörst
du alles, wofür ich gearbeitet habe.« Er starrte auf den Boden und seine Schultern waren zusammengesackt. Er pulte noch immer mit den Fingern am Etikett.
Konnte sie nicht? Nein, sie konnte nicht. Sie konnte das nicht tun. Nicht das auch noch. Nicht, nachdem sie ihn betrogen hatte.
»Aber was können wir tun?« Sie hatte keine Ahnung, wie sie es geschafft hatte, diese Frage zu stellen. Ihr war nicht einmal klar gewesen, dass sie sie gedacht hatte.
»Ich habe einen Termin gemacht. Mit einem Therapeuten.« Er sah zu ihr auf. Sein Blick war im Kontrast zu seinem Tonfall seltsam hart. In den letzten Jahren konnte sie ihn immer schlechter lesen. Cora hatte vor einem Jahr zögerlich eine Therapie vorgeschlagen. Die Reaktion darauf war sehr explosiv und negativ ausgefallen. »Komm mit mir. Lass mich damit nicht allein.«
Kopfschmerzen bauten sich hinter ihrer Stirn auf, als sie alles tat, um nicht wieder zum Tisch zu sehen. Sie hielt seinem Blick stand. Das Nein
lag ihr auf der Zunge. Nein. Es war nicht gut für sie. Weder für Cora. Noch für ihn. Es war Zeit, es zu beenden.
Sie erinnerte sich an Frazer, wie sie mit offener Bluse und geöffnetem Mund auf ihr gesessen hatte. Wie sie die Hüften bewegt hatte. Wie Cora unter ihrer Zunge gekommen war.
»Okay«, sagte sie.
Er nickte. »Okay.«
Stunden später lag Cora erneut nackt in dem Bett, dessen Laken sie gerade erst gewechselt hatte.
Hinter dem Graben, der immer da war, selbst wenn sie versuchten, sich zu versöhnen, lag ihr Ehemann, strahlte Wärme aus und atmete friedlich ein uns aus. Als er sich umdrehte, zog er die Decke mit sich, und sein ihr jetzt zugewandter Rücken war wie eine Mauer, die sie von ihm trennte, als sie eine Hand auf ihren Mund legte und lautlos anfing zu schluchzen.
~ ~ ~
Montagmorgen.
Beinahe acht Uhr.
Heute bekäme Frazer definitiv eine Antwort zu ihrem Projekt. Das sie mit Cora weiterverfolgen musste. Mit der sie vor drei Tagen
geschlafen hatte.
Und die Antwort würde sie von Alec, Coras Ehemann, bekommen.
Wie wundervoll.
Mürrisch und ein wenig müde, mit schmerzenden Muskeln vom zu vielen Schwimmen und Kopfschmerzen als Nachwehen des Familienessens, knallte Frazer ihre Autotür zu. Das Geräusch hallte von den Wänden des Parkhauses wider. Vielleicht war das etwas zu heftig gewesen.
Also. Sie würde ihre Antwort bekommen. Darüber würde sie dann glücklich oder traurig sein. Sie würde Cora ansehen, als wären sie nur Kolleginnen, die gerade dabei waren, eine Freundschaft aufzubauen. Nicht nur das, sie würde Alec anlächeln oder finster ansehen und das würde einzig und allein von seiner Antwort zum Projekt abhängig sein. Es würde nichts mit den verwirrenden Gefühlen für seine Frau zu tun haben. Sie und Cora würden das Ergebnis diskutieren. Frazer würde mit Tia lästern und alles würde wieder normal wie immer sein. Frazer würde einfach nur eine Freundin sein, genau das, worum Cora sie gebeten hatte.
Vollkommen normal.
Als sie das Treppenhaus verließ und um die Ecke bog, um ins Hauptgebäude zu kommen, stand sie plötzlich Alec gegenüber.
Sie blinzelte ihn an. »Hi Alec.«
Ich hatte Sex mit deiner Frau
.
Warum zur Hölle war er heute ausnahmsweise mal zu früh da?
Auf deinem Tisch. Und in deinem Bett
.
Wenigstens waren er und Cora im Krankenhaus selten zusammen unterwegs.
»Hi Frazer.«
Er wirkte ein wenig erschöpft und blass. Wäre ihr das normalerweise aufgefallen?
»Hey Frazer.«
O Gott. Warum war Cora bei ihm?
Frazer machte einen Schritt zurück und brachte etwas Abstand zwischen sie alle. Ja. Da war Cora und sie stellte sich neben Alec. Sie sah genauso blass und erschöpft aus wie er. Empfand es nur Frazer so oder waren ihre Augen gerötet? Nicht, dass es eine Rolle spielte. Es ging Frazer sowieso nichts an.
»Hey Cora!« Frazer presste die Lippen zusammen. Sie sollte lieber möglichst die Klappe halten. »Also, Montagmorgen. Frisch und munter. Wer liebt das nicht?«
Alec sah sie an, als hätte sie gerade mitten auf dem Flur die Hosen heruntergelassen. Ich hatte Sex mit deiner Frau
.
»Na ja, es ist die einzige Zeit, um alle zusammenzubekommen.« Er räusperte sich und warf einen vielsagenden Blick auf seine Uhr.
Sie gingen gemeinsam los. Ein kleines, fröhliches Grüppchen.
Sein Arm streifte ihren und sie zuckte zurück. Um ihre Reaktion zu überspielen, warf sie schnell einen Blick in ihre Handtasche.
Ich hatte Sex mit deiner Frau
.
»Wie war deine Konferenz, Alec?« Wenn es etwas gab, worin Frazer gut war, dann Smalltalk, um ihre wahren Gefühle zu verbergen.
»Sie war gut, danke. Wie war dein Wochenende?«
Frazer fühlte, wie ihre Wangen warm wurden. Sie spürte sogar, wie ihre Brust warm wurde. Sie wagte es nicht, sie anzusehen, aber sie wettete, dass Cora stur geradeaus sah und ihr Gesicht ebenso rot war wie sich Frazers anfühlte. »Ähm. Ruhig. Familienessen.«
Ich hatte Sex mit deiner Frau
.
Zumindest ergab dieser abscheuliche Gedanken in diesem Kontext einen Sinn.
»Sehr schön.«
Endlich waren sie am Konferenzraum angekommen.
»Entschuldigt mich, Ladys.« Alec schenkte ihnen ein Lächeln, das seine Augen nicht ganz erreichte. »Ich muss noch ein paar Sachen aus meinem Büro holen.«
Zum ersten Mal in ihrem Leben sah Frazer Alec sehnsüchtig hinterher. Als er um die Ecke gebogen war, blieb ihr nichts anderes übrig, als Cora anzusehen.
Frazer nickte ihr zu. »Hey.«
»Hi.« Cora sah überall hin, nur nicht in ihre Augen, und Frazer konnte es ihr nicht einmal verübeln. »Alec war sich sicher, dass du ihn nach dem Projekt fragen würdest, sobald du ihn siehst.«
»Ich war … abgelenkt.«
Coras Wangen wurden noch röter, als sie bereits gewesen waren. »Also dann, wir sehen uns drinnen.«
Frazer verfluchte sich und setzte sich ans gegenüberliegende Ende
des Raums. Was eine lächerlich schlechte Idee war, denn jetzt musste sie dem Drang widerstehen, alle drei Sekunden zu ihr rüber zu sehen.
Ein vertrautes Parfum stieg ihr in die Nase und einen Sekundenbruchteil später sank Tias warmer Körper auf den Stuhl neben ihr. Der wahnsinnige Impuls, sie in die Arme zu nehmen und an ihrer mütterlichen Schulter zu weinen, überwältigte sie beinahe.
»Frazer. Ich hatte keine Zeit für Kaffee.«
Tias trauriges Gesicht war so überdramatisch, dass Frazer trotz allem fast lachen musste. »Ich hatte schon zwei.«
Ihr böser Blick war sogar noch besser. »Du«, sagte Tia, »bist furchtbar. Wie war dein Wochenende.«
»Wie immer. Ich war schwimmen. Und hab meine Familie besucht.«
»Oh. Aufregend.«
Frazer stieß sie mit dem Ellbogen an. »Was hast du denn gemacht? Bis fünf Uhr morgens gefeiert?«
Tia schüttelte ihren Kopf und sagte: »Du hast ja keine Ahnung. Vielleicht habe ich das ja. Bist du nervös?«
Frazer riss ihre Aufmerksamkeit von Coras Hinterkopf los. »Weswegen?«
»Du wirst heute erfahren, wie es mit deinem Projekt weitergeht.«
»Ach ja. Ich versuche, nicht daran zu denken.« Oder sich wieder abzulenken.
»Nun, jetzt, da du Cora auf deiner Seite hast, glaube ich nicht, dass es abgelehnt wird.«
»Cora ist nicht auf meiner Seite.« Ihre Antwort platzte unangemessen heftig heraus.
»Ich meinte, dass ihr zusammenarbeitet.« Tia schüttelte über Frazers Reaktion den Kopf. »Ich dachte, ihr würdet euch jetzt besser verstehen?«
Frazer sah stur nach vorn, ignorierte das nervöse Zucken in ihrem Augenlid und sagte möglichst neutral: »Ja. Hoffentlich hilft es, sie auf meiner Seite zu haben.«
Glücklicherweise kam Alec in diesem Moment herein und die Leute setzten sich aufrecht hin. Frazer sank eher noch tiefer nach unten auf ihrem Stuhl.
Tia vibrierte förmlich neben ihr. »Oh! Jetzt geht’s los!«
Er fing mit einer Folie über die Personalkosten an.
Tia schnaubte neben ihr. »Er wird dich doch nicht das ganze Meeting lang auf die Folter spannen, oder?«
Auf seiner nächsten Folie befand sich ein Vergleich der Zahlen vom letzten Jahr.
»Gütiger Gott. Doch, wird er.«
Wenn es angemessen gewesen wäre, hätte Frazer laut gestöhnt. Dreißig Minuten lang wurden sie mit Statistiken überhäuft, und das detailreicher, als es irgendjemanden interessierte. Danach folgte ein kurzer Überblick darüber, wie jede Station ihre Entlassungszahlen, Patientenfluktuation und die Länge der Aufenthalte verbessern konnte. Schließlich wurden die einzelnen Stationen beleuchtet und dann, endlich –
»Der Antrag für das Projekt der Hebammen und Geburtsstation wurde angenommen und sie arbeiten jetzt mit der Abteilung für Soziale Arbeit zusammen. Cora ist die zuständige Kontaktperson.«
Dann sprach er über die neue Diabetes-Studie und Frazer grinste so heftig, dass ihre Wangen schmerzten. Tias legte ihre Finger auf Frazers Oberarm und als sie zu ihr sah, juchzte sie freudig so leise wie möglich.
Alec sah ihr nicht einmal in die Augen. Cora drehte sich zu ihr um und strahlte sie an. Einen Augenblick lang vergaß Frazer alles und fühlte sich leicht wie eine Feder. Wenn sie nicht so müde gewesen wäre, würde sie wahrscheinlich durch den Raum schweben.
Ihr Projekt wurde endlich Realität.
Ihr Blick fiel wieder auf Alec und diesmal sah er ihr in die Augen. Ihr Gesichtsausdruck erstarrte.
Ich hatte Sex mit deiner Frau
.
~ ~ ~
»Wir haben es geschafft!«
Frazer strahlte über das ganze Gesicht und sie sah Cora an, als hätte sie sie nicht nackt gesehen, und dadurch fühlte sich Cora nur noch schlechter. Vielleicht bereute Frazer es? Eigentlich war das nicht einmal eine Frage. Natürlich tat es ihr leid. Cora war verheiratet und es war eine bescheuerte Idee gewesen. Warum hatte Cora sie küssen müssen?
»Das haben wir«, sagte Cora.
Der Wasserspender im Pausenraum gab ein seltsames, blubberndes
Geräusch von sich und Cora zuckte zusammen. Frazers Blick lag mitfühlend auf ihr. Konnte sich der Erdboden nicht einfach auftun und Cora verschlucken? Warum hatte sie einer Therapie zugestimmt?
Warum tat sie die Dinge, die sie tat?
»Geht’s dir gut?«, fragte Frazer.
Ihr Blick war sanft. Er erinnerte sie daran, wie Frazer sie angesehen hatte, nachdem Cora sie geküsst und kurz danach gezögert hatte.
Er war so voller Verständnis.
»Ja.« Cora nickte, für den Fall, dass das Wort nicht überzeugend genug war. »Ja, mir geht’s prima.«
Aber Frazer hatte nicht auf ihre Textnachricht geantwortet. Nicht, dass man darauf so viel hätte antworten können. Na ja, eigentlich hätte man zu dieser
Nachricht eine Menge sagen können. Außerdem war es bedenklich, dass Cora sich mehr Sorgen darüber machte, dass Frazer nicht auf ihre Nachricht geantwortet hatte, als über die Tatsache, dass sie ihren Mann betrogen hatte, ihre Ehe zerbrach und sie in ein paar Tagen trotzdem auf dem Weg zu einer Paar
therapie wäre.
Aber hier war sie, benahm sich wie ein Teenager und machte sich Sorgen über eine unbeantwortete Nachricht.
Das Schweigen zwischen ihnen war so unangenehm wie schon lange nicht mehr. Es waren noch andere Kolleginnen im Raum und irgendjemand kaute so laut, dass es Cora auf die Nerven ging. Das Umblättern der Seiten eines Magazins klangt wie Kanonendonner.
»Also … wir sehen uns bald?«, fragte Frazer.
»Ja?« Cora musste die Frage einfach stellen. Sie sollte sich eigentlich von Frazer fernhalten.
»Ja, wir sollten uns treffen, sobald wir die Unterlagen und die Budgetvorgaben haben.«
Oh, natürlich, das Projekt. »Ja.« Cora nickte wieder. Sie sollte endlich damit aufhören. »Super, schreib mir einfach eine Nachricht, wenn du alles hast.«
Es wäre auch sehr schön, wenn Frazer endlich auf die erste Nachricht antworten könnte.
Der Kragen von Frazers Pullover war freizügig ausgeschnitten und entblößte ihre weiche Haut. Cora zwang sich, ihr unbeirrt in die Augen zu sehen. Cora sah Menschen nicht in den Ausschnitt, weder Männern noch Frauen. Sie war verheiratet. Sehr verheiratet. Mit einem
Ehemann. Einem männlichen Ehemann. Dem sie es schuldig war, es zumindest zu versuchen
, wenigstens ein bisschen.
»Okay. Wir sehen uns. Aber nicht so viel wie am Wochenende.« Frazer zwinkerte ihr zu.
Dann verließ sie den Raum.
Sie hatte tatsächlich einen dämlichen Witz gemacht und war gegangen.
Konnten sie nicht immer noch zusammen einen Kaffee trinken? Cora hatte sich an ihr gemeinsames Kaffeetrinken gewöhnt. Und auch daran, dass Frazer so etwas wie ihre Freundin war.
Waren sie immer noch befreundet? Machten Freundinnen Witze darüber, dass sie aus Versehen betrunkenen, verwirrend guten Sex auf dem Esstisch hatten?
Solange Cora nie wieder eine Situation wie die heute Morgen erleben musste, in der sie blinzelnd zwischen Alec und Frazer hin und hersah, während die Schuldgefühle sie innerlich erdrückten, wollte sie mit Frazer befreundet sein. Das zwischen ihnen war eine einmalige Sache gewesen. Ein Unfall. Eine Ablenkung. Das war natürlich keine Entschuldigung dafür. Sie war fremdgegangen. Aber ihre Ehe war noch nicht vorbei.
Sie würde versuchen, ihre Beziehung mit Alec zu reparieren, weil er das brauchte. Und sie konnte mit Frazer befreundet sein, weil sie es wollte.
Freundinnen.
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»Geh hin und tanz mit ihr.«
Rob starrte Frazer an und sie wollte ihm einfach nur den Drink über den Kopf schütten. »Nein.«
Es hatte genug Tänze – im übertragenden Sinne – für ein ganzes Leben gegeben. Frazer und ihr Freundeskreis hatten es sich auf den freien Stühlen am Tresen ihres Lieblingspubs bequem gemacht und ihre Freundinnen und Freunde fingen wieder an, sie verkuppeln zu wollen. Der Pub hatte inzwischen den Punkt erreicht, an dem die Musik etwas zu laut aufgedreht wurde und die Leute anfingen zu tanzen. Das hatte dafür gesorgt, dass Frazer
den Punkt erreicht hatte, an dem sie normalerweise nach Hause ging. Zu ihren Fischen. Und ihrem
gemütlichen, ruhigen Bett.
»Komm schon.« Andy piekte ihr mit einem Finger in die Rippen. »Wir wissen, dass du dein Date mit der Empfangsdame vorzeitig beendet hast. Jemma hat es uns verraten.« Andy beugte sich nach vorn und musterte sie. »Und wir waren übrigens sehr enttäuscht, von Jemma
davon zu erfahren.« Andy richtete ihren leicht glasigen Blick auf Rob. »Rob, weißt du noch, wie wir früher tatsächlich mit Frazer
gesprochen haben? Und sie
uns von ihrem Leben erzählt hat? Damals, als wir sie noch regelmäßig zu Gesicht bekommen haben?«
»Nö. Kann mich nicht erinnern.«
Jetzt wollte Frazer Andy ihren Drink über den Kopf schütten. »Leute, es ist keine große Sache. Ich war beschäftigt. Mein Projekt kommt endlich in die Gänge.«
Rob riss die Augen auf. »Moment. Du hast eine Frau
getroffen, nicht wahr?«
Frazer runzelte die Stirn, als sie zwischen ihren Freunden hin und her sah. »In welchem Teil meines Satzes habe ich das gesagt?«
»Ach, komm schon.« Er piekte sie mit seinem Strohhalm und bemerkte nicht, dass er dabei Rum und Cola über ihre weiße Bluse verteilte. Jetzt hatte er sie
mit seinem Drink garniert. »Es muss eine Frau sein. Du tauchst nicht einfach so unter.«
»Da ist niemand.«
»Mhm.« Andy sah sie mit demselben misstrauischen Gesichtsausdruck an wie Rob. »Natürlich nicht.«
»Ich sage euch, es gibt keine Frau.«
Keine Frau. Nur eine Nacht mit einer Frau und noch nicht einmal einer ganzen Frau, weil sie zu jemand anderem gehörte. Frazer rümpfte die Nase – seit wann dachte sie, dass verheiratet zu sein bedeutete, man gehöre
zu jemanden?
»Okay, okay. Du musst nicht gleich so angewidert gucken.« Andy schüttelte traurig den Kopf. »Es gibt Menschen, die Beziehungen mögen
.«
»Es gibt auch Menschen, für die es sich wie die Hölle anhört.« Frazer nippte an ihrem Wasser und lächelte sie mit dem Strohhalm zwischen den Zähnen an.
»Weißt du.« Rob sah nachdenklich aus. Ein beängstigendes Zeichen. »Wenn du nur vor drei Jahren nie mit dieser Bitch ausgegangen wärst,
könnten wir unsere alte Casanova-Frazer wiederhaben.«
Andy sah vor sich hin und fügte hinzu: »Die habe ich wirklich gemocht.«
Frazer musste den Drang unterdrücken, beiden kräftig vors Schienbein zu treten. »Ich war kein Casanova!«
»Weißt du noch, als sie mit dieser Nonne geschlafen hat?« Andy hatte sich an Rob gewandt.
»Es gab keine Nonne!«
Rob legte seine Hand auf Andys Arm. »Oder ihre Dozentin von der Uni?«
»Welche?« Andy lachte. »Die ältere oder die neue, die danach gekündigt hat, weil sie dachte, sie hätte gegen einen Moralkodex oder sowas verstoßen?«
»O mein Gott, ihr beide seid furchtbar!« Vielleicht war auch Frazer früher furchtbar gewesen. Eins von beidem. Vermutlich beides.
Frazer knallte ihr Glas auf den Tresen und funkelte sie böse an. »Ich gehe nach Hause. Wo ich wertgeschätzt werde.« Sie schnappte sich mehr als theatralisch ihre Jacke, um der Tiefe ihrer Verärgerung Ausdruck zu verleihen.
Andy und Rob blinzelten sie nur verwirrt an. Als wüssten sie nicht, wie nervig sie waren.
»Von wem?« Rob legte den Kopf schief. »Deinen Fischen?«
Andy grinste böse. »Die Druckstelle von deinem Hintern auf deiner Couch vermisst dich schon, da bin ich mir sicher.«
Frazer presste die Lippen aufeinander, um den beiden nicht zu zeigen, wie lustig sie ihre fiesen Witze eigentlich fand, und zog sich ihre Jacke an.
»Oh! Ich sehe ein Lächeln!« Rob versuchte, ihr mit dem Finger in den Bauch zu pieken.
Verdammt.
Andy legte einen Arm um ihre Schultern. »Du weißt, dass wir dich lieben. Bitte bleib noch.« Sie klimperte mit den Wimpern. »Wir vermissen dich einfach nur.«
Frazer sah von einem Hundeblick zum nächsten und seufzte schließlich. »Na schön. Aber kein Ton mehr übers Daten.«
»Abgemacht.« Rob hob zwei Finger. »Pfadfinderehrenwort.«
»Und auch nichts mehr über meine fragwürdige Vergangenheit.«
»Wessen fragwürdige Vergangenheit?«, kam eine Stimme aus dem Off.
Frazer wirbelte herum und lachte, als sie Daniel sah. Endlich jemand, der normalerweise auf ihrer Seite stand. Sie umarmte ihn zur Begrüßung. Selbst als er sich vorbeugte, um einen Kuss auf Robs Lippen zu drücken, klammerte sie sich noch an seinen Arm.
»Daniel!« Andy grinste ihn an. Manchmal glaubte Frazer, dass die beiden eher Geschwister als Cousin und Cousine waren. Das konnte allerdings auch einfach daran liegen, dass sie sich so nahestanden. »Wir wussten nicht, dass du kommst. Und wir haben über Frazers farbenfrohe und aufregende Vergangenheit gesprochen.«
»Meine Vergangenheit ist weder farbenfroh noch aufregend. Das Wort, das wir dafür verwenden sollten, ist fragwürdig
.«
Alle drei zogen die Augenbrauen nach oben. Selbst Daniel, der Verräter.
»Andy.« Frazer legte so viel Warnung in ihre Stimme, wie sie konnte.
Andy verzog das Gesicht und lachte dann. »Schon gut. Kein Ton mehr über deine großartige Vergangenheit.«
»Fragwürdig.«
»Fragwürdige
Vergangenheit!« Andy zog sie zurück an die Bar und winkte dem Barkeeper. »Du brauchst jetzt erstmal einen richtigen
Drink.«
Frazer wusste jetzt schon, dass sie das bereuen würde.
~ ~ ~
Sie bereute es definitiv.
Am nächsten Morgen überkam sie beim Aufwachen das allzu vertraute Gefühl von Kopfschmerzen und trüben Augen. Gott sei Dank lag sie diesmal in ihrem eigenen Bett. Ohne jemanden neben sich zu haben.
Sobald das bestätigt war, sank sie auf ihr Kissen zurück und stöhnte. Dann dachte sie darüber nach, dem Alkohol die Freundschaft zu kündigen. Sie war langsam zu alt dafür. Um ehrlich zu sein, war sie schon vor zehn Jahren zu alt dafür gewesen. Oder vielleicht schon immer.
Auf ihrem Nachttisch standen ein randvolles Wasserglas und eine
Packung Paracetamol, als hätte Gottes himmlische Hand sie dort platziert. Die Welt drehte sich, als sie sich in ihrer Begeisterung zu schnell aufsetzte. Frazer ignorierte es und schluckte eine Tablette, bevor sie fast das ganze Glas austrank. Neben der Tablettenpackung lag ein Zettel.
Dich Schlafen zu legen war in etwa so, wie ich es mir bei einer Zweijährigen vorstelle – danke, dass du mich darin bestätigt hast, keine Kinder zu wollen. Viel Spaß auf der Arbeit heute, Sonnenschein! – Andy
Ihre Freunde waren Arschlöcher. Sobald Frazer nicht mehr so von der Helligkeit ihres Handydisplays geblendet wurde, schickte sie Andy und Rob eine Nachricht, in der genau das stand. Frazer überbekam ein seltsames Gefühl in der Magengrube. Und der Alkohol war nicht schuld daran.
Sie hatte letzte Nacht im überfüllten Toilettenraum genauso auf ihr Handy gestarrt wie jetzt. Wieso?
Ihr Mund wurde plötzlich wieder trocken. Das hatte sie nicht getan, oder doch? Sicher war sie nicht der Typ Mensch, der das
tat.
Sie atmete tief ein und öffnete ihre gesendeten Nachrichten. Da, ganz oben auf der Liste war sie. Die Nachricht, die sie an Cora geschickt hatte, starrte sie an wie die fleischgewordene Reue.
Weil sie ein wenig das Bedürfnis nach Selbstgeißelung hatte, öffnete Frazer die Nachricht.
Mir tut es nicht leid.
Was? Doch, das tat es!
Frazer warf ihr Handy zurück auf den Nachttisch und stöhnte laut, bevor sie sich die Bettdecke über den Kopf zog.
Ja, sie bereute es definitiv.