Kapitel 12
Erst drei Monate später rief Cora Dr. Massey an.
Drei Monate, in denen sie mit Frazer schlief, obwohl sie mit Alec verheiratet war.
Alec, dem es immer weniger gefiel, wenn sie am Wochenende ausging. Der wollte, dass sie zu Hause blieb und auf ihn wartete. Der sich nach den Therapiesitzungen ein wenig gebessert hatte, dann aber zu seinem normalen Verhalten zurückgekehrt war. Der keine Ahnung hatte, dass sie mit jemand anderem schlief.
Sie konnte es noch immer geheim halten. Denn irgendwie war es verstörend einfach, trotz ihrer Arbeit und dem Programm während seiner Überstunden oder Dienstreisen zu Konferenzen mit Frazer zusammen zu sein.
Wenn sie nicht auch mit Frazer befreundet wäre, würde sich Cora Sorgen machen, dass sie ins Nichts verschwand. Etwas daran, mit Frazer zusammen zu sein, ließ alles andere verblassen. Seit Cora über ihre Fehlgeburt gesprochen hatte, hatte sich eine Leichtigkeit zwischen ihnen aufgetan. Es fühlte sich leicht an, wenn sie zusammen waren, wenn sie miteinander sprachen. Es war schön.
Aber als sie an ihrem Schreibtisch saß und auf ihren Kalender schaute, traf sie fast der Schlag. Ihr Daumen strich über das Display ihres Handys, blätterte die Monate zurück. Drei, um genau zu sein. Und da, genau heute vor drei Monaten, war Alecs Konferenz gewesen.
Die erste Nacht, in der sie mit Frazer geschlafen hatte.
Drei Monate.
Niemand hatte drei Monate lang eine Affäre und führte gleichzeitig eine funktionierende Ehe. Niemand ignorierte alle Anzeichen und Warnungen, von denen sie Dank der Broschüre ihrer Therapeutin schwarz auf weiß gelesen hatte. Niemand blieb mit einem Mann zusammen, nur weil sich die Person für das, was sie getan hatte, schuldig fühlte. Oder weil er ihr einredete, dass sie ohne ihn nichts wert wäre.
Den Termin zu machen war leichter, als sie gedacht hatte. Dr. Massey konnte sie dazwischenschieben. Sie bekam einen Termin in vier Tagen, am Freitag. Als sie sich bei der Sprechstundenhilfe bedankte, zitterten Coras Hände. Sie zitterten auch eine halbe Stunde später noch, als sie an Frazers Bürotür klopfte und sie dann ohne zu warten öffnete.
Frazer sah von ihrem Bildschirm auf und ihre Augen leuchteten freudig, als sie Cora sah. Dann wurde ihr Blick fragend, als Cora die Tür hinter sich schloss und nach der Verriegelung griff. Drei Monate. Wie konnten es schon drei Monate sein? Frazer wusste, was es bedeutete, wenn Cora abschloss.
Sie hatten ihre Routine.
Wie das Mittagessen. Das Kaffeetrinken. Ihre Unterhaltungen. Textnachrichten, die niemals sexuelle Anspielungen enthielten, für den Fall, dass Alec sie las. Und wenn sie doch mal zu nah an der Grenze waren, löschte Cora sie. Das größte Zeichen ihrer Schuld. Sie flirteten, wenn sie Blickkontakt hatten. Freundschaft. Sex.
Eine Affäre. Seit drei Monaten.
Die nur begonnen hatte, weil Cora eine Ablenkung von der Tatsache gebraucht hatte, dass sie ihrem Ehemann gegenüber das Wort Scheidung ausgesprochen hatte. Weil sie unglücklich war. Weil sie egoistisch war.
»Hey.«
Frazer lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und grinste sie an. Wie hatte Cora sie je für arrogant halten können? Sicher, sie war manchmal frech. Aber nicht arrogant.
»Hi.«
»Was machst du?«, fragte Cora.
»Der wöchentliche Bericht fürs Programm.« Cora trat langsam einen Schritt nach vorn. Frazers Blick folgte jeder kleinsten Bewegung. »Du weißt schon, Statistiken, Zahlen …«
Coras Finger spielten mit den Knöpfen ihrer weißen Bluse und öffneten einen nach dem anderen. Sie beobachtete, wie Frazer ihr dabei zusah, und es hatte etwas unerklärlich Anziehendes an sich, wie ihre Pupillen ganz groß wurden. Cora hatte sich den ganzen Tag darauf gefreut zu sehen, wie sich dieses laszive Grinsen auf Frazers Lippen ausbreiten würde.
Es war ganz einfach, um den Schreibtisch herumzugehen und sich vor Frazer zu knien. Ihr die Schuhe und die Hose auszuziehen. Sie dazu zu bringen aufzustehen, sich vor den Tisch zu stellen und sie dann auf die Tischplatte zu drücken. Die Arme um ihre Beine zu legen und ihre Lippen auf Frazer zu drücken, um sie in den Wahnsinn zu treiben. So verdammt einfach.
Anscheinend war Cora der Typ Mensch, der eine Paartherapeutin anrief, um ihre Gedanken über ihre Ehe zu ordnen, und sich dann nur eine halbe Stunde später zwischen den Beinen einer Frau wiederfand.
Es war einfach schön, Kontrolle über etwas zu haben.
Frazers Oberschenkel pressten sich gegen ihren Kopf und als Cora die Augen öffnete und nach oben blickte, konnte sie nur Frazers Arm über ihrem Gesicht sehen. Ihr Kopf hing etwas über der Tischkante nach unten. Eine Sekunde lang glaubte Cora, dass Frazer kurz davor war zu kommen.
Und da ging die Tür auf.
Ihr Herz blieb stehen. Wortwörtlich. Für eine Sekunde lang. Sie hatte abgeschlossen; sie war sich sicher, dass sie die Tür abgeschlossen hatte.
Und jetzt stand Tia mit weit aufgerissenen Augen im Türrahmen. Sie starrten einander an, während Cora sich auf ihre Fersen zurücklehnte und sich mit der Hand über den Mund wischte. Dann sah Tia zu Frazer, die noch immer wie erstarrt auf dem Tisch lag.
Die Tür schloss sich mit einem Knall.
»Scheiße!« Coras Herz raste, als Frazer aufstand und sich schnell ihre Hose anzog. »Frazer! Scheiße!«
Frazers Augen waren weit aufgerissen.
Ihre Unterlippe zitterte.
»Scheiße«, sagte Frazer.
~ ~ ~
Ein kalter Lufthauch auf Frazers Bein. Das war die erste Warnung gewesen.
Ein kalter Lufthauch beim Sex war niemals ein gutes Zeichen.
Und dann starrte Tia sie ungläubig an und Frazer fühlte sich, als wäre sie von ihrer Mutter erwischt worden. Das hätte nicht passieren dürfen.
Es durfte nicht sein. Seit drei Monaten waren sie nicht erwischt worden. Drei Monate voller heimlicher Treffen im Krankenhaus mit umsichtigem Türabschließen. Drei Monate, in denen Cora nur zu ihr kam, wenn Alec nicht da war. Drei Monate voller Sex ohne Gefühle und mit einer Freundschaft, in der es wahrscheinlich zu viele Gefühle gab. Drei Monate, in denen sie ihre Freunde und Familie so gemieden hatte, weil sie deren Urteil fürchtete, wenn sie ihnen erzählte, was sie da trieb.
Und jetzt hatte Tia sie erwischt. Nach Alec persönlich war sie die zweitschlimmste Person, die sie hätte erwischen können.
Gott, würde sie es Alec sagen? Das würde sie nicht, oder doch?
»Meinst du, sie sagt es Alec?«, fragte Cora. Sie hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, aufzustehen, sondern hatte sich einfach auf den Boden neben dem Stuhl gesetzt, auf den sich Frazer jetzt sinken ließ.
Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen, und Frazer überkam der Drang, ihre Hand zu halten. Ein Moment des Wahnsinns. »Ich weiß es nicht.« Frazer schüttelte den Kopf. »Nein. Wird sie nicht. Wir sind befreundet.«
»Seid ihr?«
Frazer sah zu einer schrecklich bleichen Cora hinunter, die sie mit riesigen Augen anblickte. Sie sah aus, als stehe sie kurz davor wegzulaufen, und Frazer konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen. »Ja. Sind wir.« Frazer stand auf. »Ich muss gehen und mit ihr sprechen.«
Cora stand auf. »Du?«
Frazer blinzelte sie an: »Na ja, willst du es machen?«
Cora wurde noch bleicher. »Nein.«
Das hatte sich Frazer gedacht. »Okay. Also gehe ich.«
Sie streckte ihre Hand aus, um Coras Arm kurz zu drücken. Nur, um sie etwas zu ermutigen.
Aber Cora trat sofort einen Schritt zurück und schlang die Arme um sich selbst, bevor sie Frazer mit einem schrecklich falschen Lächeln ansah. »Okay. Du gehst.«
Es fiel ihr leicht, dieses Büro zu verlassen. Coras stiller Panik zu entkommen. Als sie den Flur betrat, erwartete Frazer halb, dass die Welt hier draußen auch zum Stillstand gekommen war. Dass alle sie verurteilend ansehen würden. Aber die anderen Zimmer in diesem Bereich standen die meiste Zeit über leer; niemand war auf dem Flur. Beinahe so, als hätte die Welt nicht aufgehört, sich zu drehen.
Jemand anderes wusste über sie Bescheid. Das machte es irgendwie real. Alles war außer Kontrolle geraten.
Es war bequem, den Tatsachen nicht ins Auge zu sehen, wenn niemand sonst Bescheid wusste. Sie ließen ihre gemeinsamen Momente hinter sich zurück und waren nach außen nur Freundinnen. Erst letzte Woche hatte Tia erwähnt, dass es schön war zu sehen, dass Cora mit jemandem lachen konnte.
Gott.
In der Hoffnung, Alec nicht über den Weg zu laufen, betrat Frazer das Büro, nur um festzustellen, dass Tias Schreibtisch leer war. »Mist«, murmelte sie.
»Suchst du nach mir?«
Frazer wirbelte herum und legte sich eine Hand auf ihr wild hämmerndes Herz.
Tia sah sie mit einem undurchschaubaren Gesichtsausdruck an.
»Tia!« Frazer lachte unsicher. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«
Ihr Lachen erstarb schnell, als Tia einfach nur mit den Schultern zuckte. »Entschuldige.«
Sie starrten einander an. Es war absurd, aber Frazer musste den Drang bekämpfen, unter ihrem strengen Blick herumzuzappeln. Tia war schlimmer als ihre Mutter. Frazer lag viel an ihrer Freundschaft mit Tia und Tia mochte Frazer offensichtlich sehr.
Aber Tia war Alecs Sekretärin und schien auch für ihn eine mütterliche Zuneigung zu empfinden.
»Können wir reden?«, fragte Frazer.
Einen Augenblick lang glaubte Frazer, dass Tia sie zum Teufel jagen würde. Sie atmete erleichtert aus, als Tia schließlich nickte. Wortlos folgte Frazer ihr nach draußen um den hinteren Teil des Hauptgebäudes herum. Raucher standen da und pusteten einen seltsamen Nebel aus ihrem Atem und dem Qualm der Zigaretten über ihre Köpfe. Tia ging in eine abgelegenere Ecke, fernab von den lauschenden Klatschtanten, und zog eine Zigarette hervor. Frazer hob fragend die Augenbrauen.
»Verurteilst du mich gerade?«
Frazer klappte den Mund zu. Gutes Argument.
Tia nahm einen tiefen Zug. Der Rauch glitt in einem langen Strom aus ihrem Mund und Frazer widerstand dem Drang, mit der Hand zu wedeln, um ihn zu vertreiben. Sie wünschte sich, ihre Jacke angezogen zu haben. Es war kalt und neblig. Die Art von Julitag, an dem morgens der Frost auf der Windschutzscheibe klebte und man erstmal tief in seinen Erinnerungen graben musste, um zu wissen, wie man damit umging.
Wie sehr wünschte sich Frazer, dass das heute ihr größtes Problem war.
Tia musterte sie noch immer streng. »Also. Frazer.« Frazer schluckte und Tia fuhr fort. »Du schläfst mit der Frau deines Chefs.«
Nicht sicher, was sie zu diesem offensichtlichen Statement sagen sollte, entschied sich Frazer für ein hoffentlich reumütiges Nicken.
»Als ich vorgeschlagen habe, dass du einen Schritt auf sie zugehst, dachte ich, dass du sie aus ihrem Schneckenhaus holst. Aber doch nicht in dein Bett.«
Gott, Frazer war froh, dass diese Frau nicht ihre Mutter war. »Ich …«
»Wie lange geht das schon, Frazer?«
Sie räusperte sich und wandte den Blick ab. »Drei Monate.«
Als sie es wagte, wieder aufzusehen, starrte Tia sie nur geschockt an und die Zigarette verglühte langsam in ihrem Mund. Etwas Asche fiel davon ab und zu Boden.
»So ungefähr«, sagte Frazer, als würde das etwas ändern.
»Also hast du eine Woche gewartet, bevor du losgelegt hast? Eine Woche Planung, bevor du die arme, traurige Frau verführt …«
»Hey!« Obwohl sie nicht in der Position war, selbstgerecht zu sein, musste sie sich auch nicht alles gefallen lassen. »Ich habe niemanden verführt. «
Tia verdrehte die Augen und Frazer schloss den Mund.
»Drei Monate , Frazer?«
»Ich weiß, Tia.«
»Wirklich?« Das Wort klang hart und bissig.
»Es ist nicht so, dass ich stolz darauf bin!«, zischte Frazer.
»Du sahst nicht aus, als hättest du versucht, sie aufzuhalten.«
Frazer warf die Hände in die Luft. »Ganz genau! Sie war auf mir . Es ist eine … war eine … eine einvernehmliche Sache. Etwas, das vor langer Zeit hätte enden sollen.« Nur, dass Frazer es nie beendet hatte.
»Warum hast du es nicht beendet?«
Verdammt, Tia. Warum musste sie das fragen? Diese Zigaretten sahen plötzlich extrem verlockend aus. »Ich weiß es nicht.«
»Sie ist verheiratet , Frazer. Mit deinem Chef
»Ich weiß
Schweigend lehnten sie sich an die Wand und beobachteten, wie sich die Leute auf dem Betonboden versammelten, um ihre Lungen mit Luft zu füllen, die alles andere als frisch war.
»Wirklich?«
Frazer sah Tia an und fragte verwirrt: »Was?«
»Du sagst, du weißt es. Aber tust du es wirklich?«
»Ich weiß, dass sie verheiratet ist.«
»Aber weißt du auch, was das bedeutet? In dieser Sache hängt noch eine andere Person mit drin. Jemand, der nicht weiß, was ihr zwei hinter seinem Rücken treibt. Habt ihr darüber gesprochen? Verlässt sie ihn? Trennen sie sich? Ist sie interessiert an Frauen?«
»Wir haben nicht darüber gesprochen.«
Tias Blick wurde hart. »Dir ist also nicht mal eine Welt voller Liebe versprochen worden? Was bist du, Frazer? Notgeil?«
»Ich …« Frazer konnte nichts zu ihrer Verteidigung sagen. Das war der entscheidende Punkt. Ihr war nichts versprochen worden. Sie hatte das Versprechen gegeben. Freundschaft. Während sie Cora das gab … was auch immer sie da taten.
»Ich bin enttäuscht von dir.«
Frazer hob ruckartig den Blick, um sie anzusehen. Und wünschte sich gleich, es nicht getan zu haben.
Tia warf die Kippe auf den Boden und trat darauf, ehe sie die Hände in den Taschen vergrub und sich zum Gehen wandte.
»Tia!«
Ohne sich umzudrehen antwortete Tia: »Keine Sorge. Ich werde nichts sagen.«
Das hatte Frazer gar nicht fragen wollen. Oder doch?
»Aber ihr beiden solltet es tun.«
Frazer kaute auf ihrer Unterlippe, während sie beobachtete, wie Tia um die Ecke verschwand. Wütend trat sie gegen die Wand. Was nur ihrem Fuß wehtat. »Scheiße!«
~ ~ ~
Stundenlang lief Cora mit einem Kloß im Hals herum. Dann bekam sie eine Nachricht von Alec, in der er ihr mitteilte, dass er bis in die Nacht an einer Präsentation arbeiten müsste und wahrscheinlich anschließend etwas trinken gehen würde, um Dampf abzulassen. Es war der einzige Moment des Tages, an dem Cora erleichtert war.
Frazer hatte ihr eine Nachricht geschickt und nur geschrieben, dass Tia nichts verraten würde. Das hätte auch helfen sollen, tat es aber nicht.
Schuldbewusst löschte sie die Nachricht. Denn Cora war jetzt jemand, der Nachrichten löschen musste, die falsch – oder eher richtig – verstanden werden konnten. Das war in Ordnung gewesen. Vorher. Jetzt fühlte sich alles anders an. Wenn sie Alec hätte unter die Augen treten müssen, wäre sie vermutlich weinend zusammengebrochen und hätte alles gebeichtet. Vorher war es einfach gewesen, so zu tun, als wäre nichts.
Jetzt wusste es jemand.
Im Flur begegnete sie Tia, die sie stumm anstarrte. Mit brennenden Wangen ging Cora so nah wie möglich an der Wand an ihr vorbei und beeilte sich, zu ihrem Termin mit Jack zu kommen. Wenn es jemanden gab, der sie ablenken könnte, dann Jack.
Seit er sich entschieden hatte, schien jegliche Anspannung aus seinem Körper verschwunden zu sein. Er hatte sich allein mit Mitarbeitern der Adoptionsagentur getroffen, Cora aber gestern angerufen und um ein Gespräch gebeten.
Cora atmete tief ein, um ihr rasendes Herz zu beruhigen, bevor sie die Tür zum Büro öffnete. Jack wartete bereits auf sie. Jetzt konnte er seine Schwangerschaft definitiv nicht mehr verbergen.
»Bleib sitzen, Jack! Sei nicht albern.« Cora lächelte ihn an, als er sich mühsam hochkämpfen wollte.
Stöhnend ließ er sich wieder auf den Stuhl sinken. »Danke. Ich fühle mich so groß wie ein Elefant.«
»Zumindest frierst du bestimmt nicht unter all den Schichten. Auf jeden Fall besser, als im Sommer schwanger zu sein.« Cora war es einen ganzen Monat lang gewesen.
»Das wäre die Hölle.« Er strich sich die Haare aus den Augen. »Danke, dass du dich mit mir triffst.«
»Natürlich. Dafür bin ich da. Wie gefällt die deine neue Wohnung?«
»Sie ist in Ordnung. Die Busfahrt von dort aus dauert ziemlich lange, aber meine Mitbewohner sind netter als die in der Obdachlosenunterkunft. Nur manchmal sind sie etwas laut.«
»Gut.« Hauptsache, er war in Sicherheit. »Und du kommst immer noch gut mit Dr. Freiburg aus?«
Dieses Mal umspielte ein Lächeln seine Lippen. »Er ist supernett. Viel netter als die Psychologin, zu der mich meine Eltern geschickt haben.«
Nach dem, was Jack ihr erzählt hatte, war das auch nicht schwer. »Super. Und du hast mit ihm über deine Optionen gesprochen, nachdem dein Baby geboren ist?«
»Ja.« Jacks Augen leuchteten auf. »Erstmal werde ich es mit Hormonen versuchen. Ich habe ihm gesagt, dass ich mir Zeit lassen will – ich bin mir bei der Operation immer noch nicht sicher. Ich meine, wann ich sie haben soll. Ich will sie, aber ich … Ich brauche sie gerade nicht. Nicht so sehr, wie ich dachte. Ich kann warten und erst noch etwas Geld zusammensparen.«
»Solange du dich mit deinen Entscheidungen wohlfühlst. Das ist alles, was zählt.«
»Ich …«
Cora wartete. Sie hatte gemerkt, dass er das brauchte: Zeit, seinen Mut zusammenzunehmen, um die Dinge auszusprechen, die er früher nie hatte ansprechen dürfen. Sie beobachtete, wie seine Finger mit dem Gurt an seiner Tasche spielten.
»Ich habe einfach immer noch im Ohr, was meine Eltern gesagt haben, dass Bisexualität nicht echt ist. Dass ich, wenn ich mit einem Mann zusammen sein möchte, es doch auch als Mädchen tun kann. Und nur mit Jungs zusammen sein soll …«
Cora hatte schon oft den Impuls gehabt, Jacks Eltern zu ohrfeigen. Genau wie den Jungen, den Jack bei einem LGBT-Treffen kennengelernt und der jeden Kontaktversuch abgeblockt hatte, nachdem das Wort schwanger gefallen war.
»Ich dachte, ich muss alles so schnell wie möglich hinter mich bringen, um etwas zu beweisen.« Jacks Augen füllten sich mit Tränen und er blinzelte hinauf an die Decke. Schließlich richtete er seinen Blick wieder auf Cora. »Dabei ist doch am wichtigsten, dass ich weiß, wer ich bin. Und das weiß ich.«
»Gut.« Cora hatte etwas Mühe gehabt, Dr. Freiburg zu überreden, diesen Fall zusätzlich zu übernehmen. Aber offensichtlich war es das wert gewesen, wenn sich Jack seiner selbst jetzt so sicher war. Er hatte zwar noch immer zu kämpfen, aber der melancholische Schatten in seinen Augen war weniger geworden. »Und wie war es bei der Adoptionsagentur?«
Er spielte an einem losen Faden seiner Jacke und zuckte mit der Schulter. »Es war in Ordnung. Aber ich musste Tom ausfindig machen, damit er die dämlichen Papiere unterschreibt.«
»Tom?«
»Der Typ, der Vater. Der andere Vater.« Jacks Wangen wurden rot. Er hatte den Namen des anderen Jungen noch nie zuvor erwähnt.
»Hat er unterschrieben?«, fragte Cora.
Jack ließ seine Schultern hängen. »Als ich ihn endlich gefunden hatte, konnte er nicht so schnell unterschreiben. Wieso zur Hölle muss er überhaupt irgendwas unterschreiben? Sie meinten, dass das Baby im Grunde nicht adoptiert werden kann, wenn ich ihn nicht finde.«
Diese verfluchte Bürokratie war überall. »Ich nehme an, dass hängt damit zusammen, dass niemand die Adoption später anfechten kann.«
»Vermutlich«, murmelte Jack. »Trotzdem dämlich.«
Aus Jacks Perspektive war es das. Es war sein Körper und Tom hatte mit seinem Verhalten mehr als deutlich gemacht, dass er nichts mit dem Baby zu tun haben wollte. »Wie war das Treffen abgesehen davon?«
»Es war in Ordnung … Ich kann mich zwischen ein paar Familien entscheiden.«
Cora senkte den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. »Entscheidungen können gut sein. Sollen wir sie uns zusammen anschauen?«
Er nickte und atmete erleichtert aus. »Ja, bitte. Ich fühle mich ein wenig …«
»Überfordert mit der Verantwortung, ein Zuhause für den Menschen zu finden, der in dir heranwächst?«
Er lachte. »Ja. Das.«
Cora lächelte ihn an. »Ich helfe gern. Und danach können wir darüber sprechen, was du tun möchtest. Die Highschool abschließen? Oder eine Ausbildung anfangen?«
Erneut zuckte er mit den Schultern. Während der letzten drei Monate hatte Cora viel Zeit mit Jack und einer weiteren Klientin verbracht, deren Mentorin sie nun war. Es tat ihr gut, beschäftigt zu sein. Die Arbeit mit dem Programm war bereichernd, Leute in Langzeitunterkünften unterzubringen, dafür zu sorgen, dass sie ein Einkommen und Zugang zu gesunden Nahrungsmitteln hatten – grundlegende Dinge zu gewährleisten, die für die meisten Menschen selbstverständlich waren – und vor allem, für sie da zu sein und ihnen zuzuhören.
Hier dachte sie nicht an Alec oder Frazer oder daran, dass sie noch immer mit dem Gefühl aufwachte, als müsste sie ersticken und in der nächsten Sekunde in all ihren Schuldgefühlen ertrinken.
In den letzten Monaten hatte sie sich kaum mit Lisa getroffen. Alec wurde wütend, wenn sie es tat und beklagte, dass das Programm sowieso schon zu viel ihrer Zeit in Anspruch nahm.
Aber jetzt war nicht der Moment, darüber nachzudenken. Sie konzentrierte sich auf Jack. »Dann erstmal zurück zu den Eltern. Was sind deine Optionen?«
»Es gibt drei, die mir gefallen. Die erste ist eine Single-Mutter; sie scheint wirklich nett zu sein. Sie ist Kindergärtnerin. Die zweite Option ist eine Familie, die schon zwei Kinder hat, aber noch ein drittes will. Die anderen beiden Kinder sind auch adoptiert – eins aus Kenia, das andere aus China. Das gefällt mir.« Er strich über den Pullover über seinem Bauch.
Cora fragte sich, ob ihm diese Geste bewusst war. »Und die dritte?«
»Zwei Männer, die versuchen ein Kind zu adoptieren. Sie warten schon seit fünf Jahren.«
Cora nickte und legte den Kopf schief. »Zu wem tendierst du?«
Jack machte ein unglückliches Gesicht. »Ich weiß es nicht.«
»Hey.« Als er aufsah, fragte Cora: »Was ist los?«
»Ich habe die Fragen abgegeben, die wir uns vor einer Ewigkeit ausgedacht haben, aber was ist, wenn ich selbst mit den Antworten nicht entscheiden kann? Ich meine, sieh nur was aus Tom geworden ist. Vielleicht bin ich beschissen darin, Menschen einzuschätzen.«
»Jack …«
Er kniff fest die Augen zusammen und schluckte hart. »Könntest du mir dabei helfen? Ich bekomme bald die Antworten. Könnten wir uns treffen und darüber sprechen? Ich möchte wenigstens das richtig machen.«
Wenigstens das.
»Natürlich helfe ich dir.«
~ ~ ~
Für manche Leute war es vielleicht traurig, um neunzehn Uhr mit einem Glas Wein schon im Schlafanzug auf der Couch zu sitzen. Aber für Frazer war es eine himmlische Vorstellung.
Den ganzen Tag lang war sie ihrem Chef und Cora ausgewichen und immer wieder von neuerwachten Schuldgefühlen geplagt worden, die sich über die letzten drei Monate tief in ihrem Magen eingenistet hatten.
Was machte sie da bloß?
Sie war so glücklich damit gewesen, einfach nur Single zu sein. Mit niemandem zu einem Date auszugehen. Schon gar nicht mit jemandem von der Arbeit. Und dann hüpfte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, mit der Frau ihres Chefs ins Bett. Ihre vagen Gedankenspiele, die Affäre zu beenden, waren kläglich gescheitert. Wenn Frazer ehrlich zu sich selbst war, hatte sie es nicht richtig versucht.
Cora war verheiratet. Was sie taten, war nicht in Ordnung.
Der Ausdruck auf Tias Gesicht hatte ihr etwas vor Augen geführt, was sie bislang erfolgreich verdrängt hatte: Alec war an dieser ganzen Sache unschuldig beteiligt. Vielleicht nicht unschuldig, was den Zustand seiner Ehe betraf – das konnte Frazer nicht beurteilen. Aber niemand verdiente es, so hintergangen zu werden.
Es würde ihn verletzen. Und Frazer wäre mit schuld daran.
Sie nippte gerade an ihrem zweiten Glas Selbstmitleid-Wein, als es an der Tür klopfte. Mit dem Glas an den Lippen sah sie eine Sekunde lang zur Tür. Dann entschied sie, es zu ignorieren.
Natürlich klopfte es sofort erneut.
Seufzend stellte sie das Glas ab. Kein Grund, ärgerlich zu werden, es war erst neunzehn Uhr, noch immer eine halbwegs angemessene Zeit für Besuche. Obwohl ihre Schlafanzughose mit Fischmotiven bedeckt war, hatte sie plötzlich das Gefühl, sich wie ihre eigene Großmutter aufzuführen. Nicht gut.
Sie grummelte leise vor sich hin und riss dann die Tür auf. »Jemma!«
Ihre Schwester stand vor der Tür und bedachte Frazer mit einem bösen Blick. Sie hatte sogar die Arme vor der Brust verschränkt. Die Haltung erinnerte Frazer an eine fünfzehnjährige Jemma, die wütend war, weil sie ihr keinen Wodka kaufen wollte.
»Oh, du erinnerst dich an meinen Namen?«
Frazer verdrehte die Augen. »Natürlich tue ich das. Wir haben erst gestern miteinander telefoniert.«
»Ja – als du dich aus dem Mittagessen mit mir herausgeredet hast. Schon wieder
Frazer klammerte sich an die Tür. »Es tut mir leid.« Sie versuchte es sogar mit einem Schmollmund.
Jemma sah sie an, als hätte sie laut gefurzt. »Die Mitleidstour kannst du dir gleich abschminken. Wir haben uns schon ewig nicht getroffen. Ich vermisse meine Schwester.«
»Es tut mir wirklich leid, Jem. Das schwöre ich. Auf der Arbeit war es wegen des Programms so stressig.«
Jemma öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, drehte sich aber um, als ein Auto in Frazers Auffahrt einbog. Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Erwartest du Besuch? Ich dachte, du wärst beschäftigt?«
Es war Coras Auto. Frazer versuchte, ihre Stimme neutral klingen zu lassen. »Komm schon, Jem. Sieh dir meine Klamotten an – glaubst du wirklich, ich würde Besuch erwarten?«
Nach einem Blick auf Frazers Kleidung sagte Jemma vorsichtig: »Vermutlich nicht.«
Cora stieg aus ihrem Auto und blieb einen Moment stehen, als sie Jemma und Frazer in der Tür erblickte. Dann straffte sie die Schultern, schloss ihr Auto ab und ging zu ihnen.
»Hey«, sagte sie zu Jemma.
»Äh – hi.« Jemma winkte unbeholfen.
»Jemma, Cora. Cora, Jemma.« Frazers Knöchel traten weiß hervor, als sie sich verzweifelt an der Tür festklammerte, um nicht auf der Stelle tot umzufallen. Warum war Cora hier? Jemma würde das später auf jeden Fall wissen wollen.
Alles um sie herum fiel zusammen. Erst Tia und jetzt das.
Was hatte sie erwartet?
Jemma musterte Cora von oben bis unten.
Frazer wünschte sich, der Erdboden würde sie verschlucken.
Cora nickte ihr kurz zu und wandte sich dann an Frazer. »Können wir reden?«
»Ja, sicher.«
Frazer öffnete die Tür ein Stück, damit Cora an ihr vorbeischlüpfen konnte. Als sie wieder zu Jemma sah, blickte sie in ein verärgertes Gesicht. Jemma sah aus, als wäre sie bereit zu morden. Cora ging wohlweißlich weiter ins Wohnzimmer.
»Sie wird also reingebeten?«
»Jem – es geht um die Arbeit. Da kann ich nicht Nein sagen. Wir arbeiten zusammen an dem Programm.«
»Um neunzehn Uhr in deinem Haus, während du schon im Schlafanzug bist?«
Frazer konnte sie nur ohne ein Wort zu sagen anschauen.
»Richtig.« Jemma ließ resigniert die Schultern sinken. »Schön. Ruf mich an, wenn dir danach ist.«
»Jem!«
Ohne sich auf dem Weg zu ihrem Auto noch einmal umzudrehen, hob Jemma eine Hand zum Gruß. Kein gutes Zeichen. Ihre Schwester war nie wütend auf sie. Zickig, ja. Nervig, auf jeden Fall. Aber nie wütend.
Und warum zur Hölle war Cora hier? Sie waren nicht verabredet. Sie hatten nicht mehr miteinander gesprochen, seit Frazer ihr die Nachricht geschickt hatte, dass sie sich keine Gedanken über Tia zu machen brauchte.
Frazer schloss die Tür und lehnte sich mit der Stirn dagegen. Atmete tief ein. Warum hatte sie die Sache mit Cora nicht schon vor Monaten beendet? Warum hatte sie überhaupt damit angefangen? Fragen, die sie sich nie hatte stellen wollen.
Sie richtete sich kerzengerade auf und ging ins Wohnzimmer. Cora stand in der Mitte des Raums und starrte ihr Aquarium an. Sie hatte die Haare zu einem Zopf geflochten und einige lose Strähnen umrahmten ihr Gesicht. Cora hatte noch immer etwas an sich, das für Frazer unerreichbar schien. Sie waren Freundinnen; soviel war klar. Sie waren sogar Freundinnen mit gewissen Vorzügen. Der Sex war gut. Cora hatte sich ihr gegenüber geöffnet. Langsam. Sie hatten mehr als nur Smalltalk ausgetauscht.
Aber manchmal schien sie weit weg. Sie war verheiratet, ja. Aber Frazer war sich nicht sicher, ob es nur das war. Wie sollte sie es je wissen? Sie waren nicht wirklich zusammen.
Und Frazer hatte kein Recht, deswegen sauer zu sein. Sie hatte gewusst, worauf sie sich einließ.
Oder zumindest hatte sie gedacht, dass sie es wusste.
Während sie Cora dabei beobachtete, wie ihr Blick einem herumhuschenden Fisch folgte – der verdammten Dory, die ständig Nemo ans Leder wollte –, drängte sich in ihr eine Frage auf, die sie Cora immer hatte stellen wollen. Eine, die sie immer beiseitegeschoben hatte. Jetzt schaffte sie es beinahe über ihre Zunge. Was willst du, Cora? Bist du lesbisch? Bist du bi? Bist du hetero? Willst du deinen Ehemann verlassen?
Aber dann drehte sich Cora um und sah sie an. »Ich dachte, ich hätte die Tür abgeschlossen.«
Frazer nickte. »Ich weiß. Ich dachte, ich hätte gesehen, wie du es getan hast.«
»Ich habe das Schloss wohl nicht ganz umgedreht.«
»Wohl nicht.«
»Was, wenn es Alec gewesen wäre?«, flüsterte Cora.
Der Name fiel wie ein Stein zwischen sie.
Frazer konnte sie nur anstarren.
»Was wir da tun, ist nicht richtig, Frazer.«
Was konnte Frazer schon dagegen sagen? Sie hatte recht.
Aber trotz ihrer Worte kam Cora näher. Beinahe nah genug für eine Berührung, aber nur beinahe. Sie legte den Kopf schief.
»Ich kümmere mich um einen Teenager, der gerade achtzehn geworden ist, und mehr davon versteht, was das Richtige ist, als ich.«
Frazer brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie Jack meinte. »Manchmal gibt es mehr als ein Richtiges.« Frazer wusste selbst nicht, was sie da sagte. Geschweige denn, was es bedeutete.
Trotzdem nickte Cora. Sie strich mit einem Finger über Frazers Wange und sah sie an. Ihre Hände zitterten leicht. Plötzlich zog Cora sie in einen Kuss, der Frazer fast zum Straucheln gebracht hätte. Sie brauchte einen Moment, um sich zu fangen und sich der Verzweiflung in Coras Kuss anzupassen. Aber nur einen Moment.
Hände rissen am Körper der anderen, Nägel kratzten über Haut. Irgendwie schafften sie es ins Schlafzimmer, ihre Kleidung landete in einem Haufen neben dem Bett, die Schuhe hatten sie irgendwo auf dem Weg bereits verloren. Cora legte sich auf Frazer, nackte Haut auf nackte Haut. Cora schlang beide Arme um ihren Hals, ihre Beine legten sich um Frazers Taille. Irgendwie passten ihre Körper gut zueinander, als wären sie hierfür gemacht worden.
Coras eine Hand umklammerte Frazers Nacken, mit der anderen strich sie über ihren Rücken. Als ihre Finger weiter nach unten glitten, lösten sie den Kuss, Stirn an Stirn gelegt. Coras Augen suchten nach etwas, das Frazer nicht benennen konnte. Im Licht, das aus dem Flur hereindrang, sah Frazer in Coras Blick eine Tiefe und Wärme, die sie erstaunte. Sie umklammerte Cora, wie sie es bei ihr tat, und ließ ihre Finger über ihre weiche Haut nach unten wandern, Weichheit und Nässe ertasten. Frazer passte sich Coras Tempo an. Ihre Hüften verlangten nach mehr.
Als Cora den Kopf in den Nacken legte, leckte Frazer über ihren Hals, über die Stelle, die Cora immer zum Stöhnen brachte. Sie biss ganz leicht in ihren Nacken und beruhigte die Haut dann wieder, indem sie mit der Zunge darüberfuhr. Coras Oberschenkel bebten. Als sie kam, den Blick auf Frazer gerichtet, folgte Frazer ihr nur eine Sekunde später. Gemeinsam ließen sie sich aufs Bett fallen. Cora presste ihr Gesicht an Frazers Hals, ihr heißer Atem strich über die erhitzte Haut.
Frazers Finger zeichneten träge die Linien von Coras Rücken nach. Die ganze Zeit über hämmerte Frazers Herz gegen ihre Rippen.
Ein verirrter Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Wie konnte das hier falsch sein?
Cora hob den Kopf und stützte ihn auf eine Hand, sodass sie auf Frazer hinabsehen konnte. Ihre Augen, noch immer dunkler als sonst, waren nicht zu lesen. Langsam strich Frazer ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und schluckte schwer. Coras Blick war sanft. Unergründlich und unglaublich sanft.
Als Cora sprach, waren die Worte nur ein Flüstern, das auf Frazers Lippen verweilte. »Das war unglaublich.«
Aus irgendeinem Grund vertraute Frazer ihrer Stimme nicht. Sie nickte nur und ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
Cora senkte den Kopf und strich mit der Nase über ihren Hals. »Du warst unglaublich.«
Der Grund, weshalb Cora eigentlich hergekommen war, schien mit diesem verzweifelten Kuss verschwunden zu sein.
Frazer schluckte, und als sie sprach, war ihre Stimme leise und rau. »Du warst es auch.«
Cora küsste sanft ihren Hals. Sie küsste weiter über Frazers Kinn, ihre Wangen, hin zu ihren Lippen. Unschuldig. Als hätten sie die ganze Nacht. Als sie sich zurückzog, lächelte sie. »Wir waren es beide.«
Frazer Lächeln wurde breiter. Ungezwungen. Sicher. »Das waren wir.«
Der sanfte Ausdruck in Coras Augen verschwand und wurde wieder unergründlich. Sie blinzelte und setzte sie sich auf.
Zum zweiten Mal heute strich kalte Luft über Frazers nackte Haut.
Cora setzte sich auf die Bettkante und starrte zur Wand.
»Hey.« Frazer stützte sich auf ihren Ellbogen. »Cora?«
Cora sah sie nicht an. Drehte sich nicht um. »Ich muss gehen.«
Und dann zog sie sich an. Hektisch. Planlos. Frazer den Rücken zugewandt. Als sie hinausging, rief Frazer ihr nach. Es klang verzweifelter, als sie geplant hatte. »Cora!«
Cora hielt inne. Blieb als Silhouette im Türrahmen stehen. Ihre Hand lag auf dem Holz und sie drehte leicht den Kopf.
»Wir sehen uns morgen bei der Arbeit.«
Cora verschwand aus Frazers Sichtfeld. Sie hörte nur noch, wie sich Cora ihre Schuhe anzog.
Und dann das Geräusch der sich schließenden Tür.
~ ~ ~
Alles war außer Kontrolle geraten.
Cora musste duschen. Sie roch nach Frazer. Nach Sex. Nach ihnen beiden.
Aber stattdessen saß sie vor Lisas Haus in ihrem Auto und zitterte am ganzen Körper.
Sie war zu Frazer gefahren, um Schluss zu machen. Um einen klaren Kopf zu bekommen, damit sie zu Dr. Massey gehen konnte. Um sich über ihre Ehe klar zu werden. Sie hatte Frazer darum bitten wollen, einfach nur ihre Freundin zu sein. Was sie auch waren. Der Sex änderte nichts daran. Sie waren Freundinnen und Cora brauchte das.
Aber dann hatte Cora sie stattdessen geküsst. Wieder. Hatte sich danach zu ihr gelegt und ihren Hals geküsst. Ihre Lippen kribbelten und Cora drückte die Finger darauf. Sie war nicht mal lesbisch. Nicht, dass es überhaupt eine Rolle spielte. Sie war verheiratet.
Wie hatte alles nur so durcheinandergeraten können?
Cora stieg aus dem Auto. Die Lichter blinkten kurz hinter ihr auf, als sie die Türen verriegelte und zur Haustür ging.
Als sie die Tür öffnete, sah Lisa so glücklich darüber aus, sie zu sehen, dass Cora in Tränen ausbrach. Mit vor Erstaunen großen Augen zog Lisa sie ins Haus und umarmte sie. In den Armen ihrer besten Freundin konnte Cora nur daran denken, dass sie duschen musste.
»Hey.« Lisa streichelte Coras Rücken. »Monatelang höre ich kaum etwas von dir und jetzt weinst du? Was ist los?«
Das ließ die Tränen nur noch mehr fließen.
»Okay. Entschuldige.« Lisa drückte sie fester an sich. Wiegte sie vor und zurück, bis Cora sich wieder ein wenig gefangen hatte und sich aus der Umarmung löste.
»Willst du dich setzen?«, fragte Lisa.
Als Cora nickte, gingen sie ins Wohnzimmer, und Cora ließ sich wie immer auf den Sitzsack fallen.
»Wein? Schokolade? Bier?« Lisa sah fragend zu ihr hinunter.
Cora war sich sicher, dass sie aussah wie ein Wrack. Immer wenn sie weinte, schwollen ihre Augen an, und ihr Gesicht wurde scheußlich fleckig.
»Wodka?«, fragte Lisa.
»Wasser.«
Lisa hob die Augenbrauen. »Nur Wasser?«
»Ja.«
Eine Minute später kam sie mit zwei Gläsern Wasser und etwas Schokolade zurück. »Nur für den Fall.«
Sie setzte sich Cora gegenüber auf die Couch und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Cora. Was zur Hölle ist los?«
Cora nahm einen großen Schluck Wasser, das kühl und beruhigend wirkte. Zitternd atmete sie ein. »Ich habe eine Affäre.«
Lisas Kinnlade klappte nach unten. Cora sah hilflos dabei zu, wie Lisa sich zurückzog, als würden diese Worte sie körperlich berühren.
»Bitte hass mich nicht.«
Lisa schüttelte schnell den Kopf. »Gott, nein, Süße. Ich hasse dich nicht. Ich könnte dich nie hassen. Gib mir nur eine Minute.« Sie trank einen Schluck Wasser. Brach ein Stück Schokolade ab und aß es. »Eine Affäre?«
Cora nickte.
»Mit Sex?«
Cora nickte erneut.
»Nicht mit Alec?«
»Nicht mit Alec.«
»Seit wann?«
Dieses Mal konnte Cora sie nicht ansehen, als sie antwortete. »Drei Monate.«
»Himmel, Cora. Drei Monate?«
Cora zuckte zusammen. »Ja.«
»Als ich meinte, dass du dir einen Toyboy zulegen sollst, war das nur ein Witz. Oder na ja, erst wenn du mit Alec Schluss gemacht hättest.«
»Ich weiß.«
»Bist du deshalb die letzte Zeit untergetaucht?«
Wenn es nur das gewesen wäre. Seufzend schüttelte Cora den Kopf. »Die Dinge mit Alec sind … schwieriger geworden.«
»Er hat dich schon immer viel zu sehr kontrolliert.«
Cora hob ruckartig den Blick. »Glaubst du das wirklich?«
»Ich habe oft versucht, es anzusprechen. Du schienst es nicht hören zu wollen.«
Cora stellte ihr Wasserglas auf den Boden und ließ sich so tief wie möglich in den Sitzsack sinken. Mit einer Hand fuhr sie sich über die Augen. »Wollte ich nicht.«
»Was sagt er denn?«
Wie sollte sie das erklären? »Er … er beschwert sich, dass ich keine Zeit für ihn habe. Seit dieses Programm, an dem ich beteiligt bin, angefangen hat, ist es schlimmer geworden, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Er erwartet von mir, dass ich zu Hause bleibe und auf ihn warte.«
»Das hat er immer schon.« Als Cora sie fragend ansah, fuhr Lisa fort. »Auf der Uni solltest du auch schon immer nach seiner Pfeife tanzen. Ich habe mal mitbekommen, wie er dir Schuldgefühle eingeredet hat, damit du bei ihm bleibst, obwohl wir zum Mittagessen verabredet waren.«
Hitze kroch in Coras Gesicht. Sie biss sich von innen auf die Wange und sah nach oben an die Decke. »Ich dachte, das wäre normal.«
»Ich weiß, Süße … Du hattest mal große Pläne, die Welt zu retten. Wo wolltest du nochmal als Freiwillige hin? Nach Indien?«
Der Hauch eines Lächelns erschien auf Coras Lippen. »Asien.« Das Lächeln erstarb wieder. Cora hatte seit vielen Jahren nicht mehr daran gedacht. Was war mit ihren Träumen und Plänen, der Welt ihren Stempel aufzudrücken und Menschen zu helfen, passiert? Das war der Grund, warum sie sich für die Soziale Arbeit entschieden hatte.
Sie schwiegen, bis Lisa die Stille unterbrach. »Ich dachte, du wolltest schon vor Monaten mit ihm Schluss machen. Ich war stolz auf dich.«
»Das wollte ich. Ich hätte es fast getan.«
»Was ist passiert?«
Cora seufzte. »Ich habe mit jemand anderem geschlafen. Und als Alec von seiner Konferenz zurückgekommen ist, hat er alle Register gezogen. Ich habe mich so schuldig gefühlt, ich …«
»Du hast es einfach geschehen lassen.«
Cora winkte ab. »Anscheinend. Wir sind zu einer Paartherapeutin gegangen.«
Lisa richtete sich auf. »Wirklich? Wie lief es?«
»Es hat mir die Augen geöffnet. Und Alec … Ich glaube nicht, dass es ihm gefallen hat. Die Therapeutin war wirklich gut, hat darauf hingewiesen, wenn er mich unterbrochen hat oder wenn die Dinge, die er gesagt hat, nicht in Ordnung waren. Sie hat uns Hausaufgaben mitgegeben, die er nie gemacht hat … Alec hat einfach nach ein paar Sitzungen entschieden, dass wir auf einem guten Weg sind, und dann sind wir nicht mehr hingegangen.«
»Das hat er einfach so entschieden?«
Cora konnte Lisa nicht in die Augen sehen. Die Schamgefühle in ihrem Bauch brannten zu sehr.
»Cora«, sagte Lisa, »wie zur Hölle hast du es geschafft, eine Affäre zu haben?«
»Wir arbeiten zusammen.«
»Du hattest Sex im Krankenhaus?« Lisas Stimme war sehr viel höher als gewöhnlich.
»Ja.«
»Das ist … das ist irgendwie krass, Cora.«
Cora musste trotz allem lachen. Es fühlte sich erleichternd an. »Ja. Irgendwie schon.«
Und dann trafen sich ihre Blicke und sie lachten, bis Coras Bauch davon wehtat.
Ein paar Stunden später saßen sie zusammen auf der Couch und Cora legte den Kopf an Lisas Schulter.
»Hast du Gefühle für den Typen?«, fragte Lisa.
Cora sah zum Fernseher, auf dem ein alter Schwarz-Weiß-Film lief, dem sie nicht wirklich gefolgt war. Entschlossen schüttelte sie den Kopf, ohne überhaupt darüber nachzudenken. »Nein.« Natürlich nicht. Wie auch.
»Also, was wirst du tun?«
»Ich weiß es nicht. Mich ablenken. Ich bin verheiratet. Ich kann keine Gefühle für jemand anderen haben.«
Lisa drückte einfach nur ihre Hand.
Aber Cora spürte noch immer, wie Frazers Hand ihren Rücken gestreichelt hatte. Wie sie sie angesehen und wie sie miteinander geflüstert hatten.
~ ~ ~
Auf keinen Fall würde sie sich bei Cora melden. Die Nachricht von Jemma – nachdem Cora gegangen war – hatte ihr gereicht.
Deine Freundin hat einen hübschen Ehering .
Langsam wurde alles viel zu real.
Als sie Alec im Krankenhaus begegnete, fraßen die Schuldgefühle Frazer schier auf. Wie konnte sie ihm so etwas antun? Zur Mittagszeit kam sie an seinem Büro vorbei und sah, wie er halb auf Tias Schreibtisch saß und ihr lebhaft etwas erzählte. Tia lächelte und schüttelte den Kopf. Als er auflachte, entdeckte Tia sie im Flur stehen und ihr Blick wurde hart.
Frazer war es eigentlich gewohnt, dass sich Tias Gesichtsausdruck aufhellte, wenn sie sie sah.
Bei Alecs Anblick spürte sie wieder die Schuldgefühle in ihrem Bauch.
Frazer hatte auf dem Absatz kehrt gemacht und war in die entgegengesetzte Richtung marschiert. Die Flure fühlten sich zu eng an. Ihr Atem klang merkwürdig laut in ihren Ohren.
Armer Alec.
Im Pausenraum musste Frazer sich Mühe geben, ihre Hände ruhig zu halten, als sie sich lauwarmen Kaffee in eine Tasse goss. Wieder blickte sie auf ihr Handy. Nichts von Cora.
Cora war immer sofort nach dem Sex verschwunden. Letzte Nacht war sie einen Moment geblieben. Und nicht sofort weggerannt.
Die ganze Zeit über waren Sex und Freundschaft zwei voneinander getrennte Dinge gewesen. Vor allem für Cora. Sie hatte nie die Nerven verloren – eigentlich schien Cora während all der Monate sehr gefasst zu sein. Die Regeln waren klar gewesen, wenn auch die meisten unausgesprochen waren. Sie waren ihnen gefolgt und alles war glatt gegangen.
Letzte Nacht hatte Cora definitiv die Nerven verloren.
Nach einem Schluck Kaffee wurde Frazer klar, dass er selbst mit drei Stück Zucker noch viel zu bitter schmeckte.
»Du kannst ihn nicht mal mehr ansehen.«
Frazer wirbelte herum. Tia stand vor ihr und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Frazer fiel es schwer, ihren Blick zu erwidern. »Ich weiß.«
Tia legte den Kopf schief. »Dann weißt du auch, dass du dich schämen solltest.«
Frazers Wangen wurden heiß. »Das tue ich.«
»Aber nur, weil du erwischt wurdest.«
Frazer öffnete den Mund, um das zu leugnen, bevor sie ihn schnell wieder schloss. Es stimmte. Es war nicht schön, aber wahr. Ihre Wangen brannten mittlerweile.
»Frazer.« Tia starrte sie an. »Ich habe dich nie für den Typ Mensch gehalten.«
Frazer sah zu Boden. »Ich mich auch nicht.«
»Weißt du, wie es sich anfühlt? Herauszufinden, dass die Person, der du auf der Welt am meisten vertraust, dir so etwas antut?«
Wortlos schüttelte Frazer den Kopf.
»Es fühlt sich beschissen an, Frazer. Als mein Mann mich betrogen hat, wusste die andere Frau wenigstens nicht, dass er verheiratet ist.«
Frazer wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie hatte keine Ahnung gehabt.
»Du kannst das nicht von dir behaupten. Du hast jemandem wissentlich viel Leid zugefügt.«
»Ich werde es beenden«, sagte Frazer. Selbst in ihren eigenen Ohren hörte es sich schwach an.
»Gut.« Tia straffte die Schultern. »Aber ich glaube dir kein Wort.«
Sie überließ Frazer ihrem beschissenen Kaffee und ihren noch beschisseneren Gefühlen.
~ ~ ~
Weitere Mentorinnen und Mentoren für die Schulung auftreiben zu müssen, war ein ausgezeichnetes Gefühl. Es bedeutete, dass das Programm funktionierte und weitere Kreise zog.
Es half, das beengende Gefühl in Frazers Brust zu lindern.
Die Anfangsschwierigkeiten waren überwunden, zwei Babys bereits geboren, und die Mentorinnen der Klienten erkundigten sich regelmäßig bei den Eltern, um sicherzugehen, dass sie auch nach der Geburt gut zurechtkamen. Eine Mutter hatte Schwierigkeiten und sie halfen ihr, ein paar Stunden die Woche eine Ruhepause vom Baby zu bekommen. Sie brachten sie auch dazu, mit einem Arzt über ihre Beschwerden zu sprechen. Es schien ein ziemlich hässlicher Fall von postnataler Depression zu sein. Größtenteils sorgten sie dafür, dass sie sich nicht alleingelassen fühlte.
Und jetzt waren sie bereit für eine weitere Ausbildungswoche, um ein paar neue Klienten und Mentoren ins Boot zu holen. Das war zur Abwechslung ein gutes Gefühl.
Und da bei Jack der Geburtstermin näher rückte, kam er nun wöchentlich zu den Terminen. Cora hatte letzte Woche beim Kaffee erwähnt, dass er sich zwischen potenziellen Adoptiveltern entscheiden musste. Dass sie ihm dabei half.
Frazer lehnte sich glücklich auf ihrem Stuhl zurück.
In ihrem Postfach war eine neue E-Mail von einer Krankenschwester aus der Notaufnahme, die Interesse hatte, Mentorin zu werden. Sie hatte zwei Kinder und erinnerte sich schmerzhaft daran, wie es war, kaum Unterstützung zu bekommen und massig Verantwortung für ein Neugeborenes zu tragen. Die perfekte Kandidatin. Frazer schickte ihr eine E-Mail mit den Schulungsterminen, die sie in den nächsten Wochen anbot.
Wenn sie nur ihr Privatleben so problemlos auf die Reihe bekommen würde. Wenn sie nur in ihrem Privatleben so wenig Chaos wie auf der Arbeit anrichten würde. Und jetzt waren diese beiden Welten auch noch dank Frazers lächerlich schlechten Entscheidungen aufeinandergeprallt.
Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihre mürrischen Gedanken.
»Herein.«
Cora kam herein und schloss die Tür hinter sich. Frazer hörte, wie sie abschloss. Cora lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und bewegte sich nicht.
Frazer bezweifelte, dass Cora aus dem Grund hier war, aus dem sie normalerweise die Tür abschloss. Sie ging um ihren Schreibtisch, setzte sich auf eine Ecke und verschränkte die Arme. Ein paar Meter trennten sie beide, aber es fühlte sich an, als wäre der Ozean zwischen ihnen.
Panik breitete sich in ihrem Hinterkopf aus, aber sie ignorierte das Gefühl. Frazer musste weder panisch werden, weil Cora sie in den letzten zwei Tagen gemieden hatte, noch weil sie gerade einen seltsamen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. Sie waren Freundinnen. »Hey.«
»Hi.« Cora starrte sie an. »Entschuldige, dass ich dir aus dem Weg gegangen bin.«
»Das ist in Ordnung.« War es nicht. Aber es musste so sein.
»Ich, ich …« Cora verstummte. Biss sich auf die Lippe. »Ich glaube, wir müssen es beenden. Einfach wieder … wieder Freundinnen sein. Ohne all den …«
»Sex?«, fragte Frazer und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, bevor es erstarb.
»Ganz genau.«
Frazer blinzelte sie an. »Oh.« Moment. Das war keine gute Antwort. »Oh. Ja. Natürlich.«
Ein Schatten huschte über Coras Gesicht, bevor sich Erleichterung breit machte. »Es ist nur – ich bin verheiratet. Mit einem Mann. Und …«
»Cora. Du musst nichts erklären. Wirklich. Wir hätten es schon viel früher beenden sollen.«
»Ja.« Cora nickte. »Hätten wir.«
Ihre Stimme war rau. Leise. Und nicht sexy , mahnte sich Frazer.
Ganz und gar nicht.
»Geht’s dir gut?«
Cora nickte. »Ja, mir … mir geht’s gut. Ich muss mir über ein paar Dinge klar werden.«
»Gut. Das wird gut sein, für dich.« Also was jetzt? Würde Cora gehen und nie wieder Sex mit ihr haben? Dem hatte Frazer zugestimmt. Also vermutlich ja.
Freundinnen. Genau, wie Frazer es sich eingeredet hatte, seit sie sich kennengelernt hatten.
Frazer hatte nie angedeutet, dass sie mehr wollte. Es war von Anfang an klar gewesen, dass das keine Option war. Cora war nicht einmal lesbisch . Es sei denn, sie war bi. Nach all der Zeit konnte es eigentlich kein Herumexperimentieren mehr sein. Das war auch gar nicht das Problem – sie war verheiratet.
Mit einem Mann, der all das nicht verdiente.
Frazer war nur ein Spaß, eine Art Ablenkung gewesen, und jetzt war es vorbei.
Frazer war eine Idiotin.
»Okay«, sagte Cora. »Also, wir sehen uns?«
Und weil Frazer eine Idiotin war, nickte sie. »Ja. Natürlich.« Und weil sie noch immer eine Idiotin war, stellte sich Frazer neben Cora. Lehnte sich neben ihr mit der Schulter an die Tür. Sah ihr in die Augen. Es war immer Cora gewesen, von der der erste Kontakt ausging. Cora hatte Frazer aufgesucht. Sie zuerst berührt. Ihr das Gefühl gegeben, dass es in Ordnung war.
Aber Frazer konnte nur daran denken, dass es vorbei war. Das würde nicht mehr passieren.
Also folgte sie dieses eine Mal nicht den unausgesprochenen Regeln. Sie strich mit den Fingerspitzen über Coras Wange. Prägte sich ein, wie sich Cora in ihre Hand schmiegte. Wie sie leicht den Kopf drehte und ihre Lippen nur einen Hauch von Frazers Fingern entfernt waren.
Es war leicht, sich zu ihr zu beugen. Um mit den Lippen über Coras zu schweben. Ihren Geruch einzuatmen und ihre Wärme zu spüren. Zuzusehen, wie sich ihre Lider flatternd schlossen.
Ihre Lippen berührten sich nur sanft. Ein kurzes Versinken in ihre Weichheit.
So fing es zumindest an. Und dann waren Coras Hände in ihren Haaren und ihr Körper drückte sich fest gegen Frazers. Ihre Zunge verlangte nach mehr, ihre Lippen dominierten den Kuss. Frazer spürte Fingernägel in ihrem Nacken und sie erwiderte den Kuss mit derselben Intensität. Bis sich Cora zurückbeugte. Zurücktrat. Einen Schritt. Wieder diesen Abstand zwischen sie brachte.
Cora öffnete die Augen. Ihr Blick strich über Frazers Gesicht, bevor sie ihr einen Moment lang in die Augen sah.
Dann öffnete sie die Tür und ging.
Dieses Mal spürte Frazer es keinen kalten Luftstrom. Aber er hätte genauso gut da sein können.