Kapitel 13
»Die verlorene Schwester ist wieder da!«
Frazer wollte am liebsten direkt wieder umdrehen und das Restaurant verlassen. Hier um die Ecke war ihr Gym. Sie könnte zurückgehen und weiterschwimmen, bis sie nur noch auf der Wasseroberfläche trieb. Wie sie es heute Morgen getan hatte. Und gestern Abend. Der Chlorgeruch haftete noch immer an ihrer Haut.
Bald würde es endlich wieder wärmer werden. Dann könnte sie wieder im Meer schwimmen. Der Geschmack von Salzwasser und die Wärme der Sonne auf ihrem Rücken, während sie parallel zum Ufer schwamm, war gerade nur eine verlockende Erinnerung.
Sie atmete tief aus. Jetzt, da ihre Schwester sie gesehen hatte, wäre es ohnehin unmöglich, zum Hallenbad oder zum Meer zu gehen. »Sehr witzig«, sagte sie und setzte sich zu Jemma.
»Oh, ich habe viel Sinn für Humor. Ich habe noch viele solcher Witze auf Lager. Wir wohnen zwanzig Minuten voneinander entfernt und trotzdem habe ich dich in den letzten drei Monaten, wenn es hochkommt, dreimal gesehen.« Jemma legte die Ellbogen auf den Tisch. »Weißt du, was das bedeutet, große Schwester?«
»Ähm … ich war beschäftigt?« Frazer griff nach der Karte.
»Nein, es bedeutet, dass ich dich nicht mehr als einmal im Monat gesehen habe. Einmal im Monat . Ich. Deine eigene kleine Schwester. Dein Augapfel. Dein Lieblingsmensch. Die Einzige in deiner Familie, die nicht wahnsinnig ist.«
»Im Moment bezweifle ich den letzten Teil.«
Der Humor verschwand aus Jemmas Stimme und Frazers Schwester sah sie fast besorgt an. »Was ist los?«
Frazer hatte gehofft, dass die Schuldgefühle jetzt verschwinden würden, da sie diese Sache mit Cora beendet hatte, doch sie wallten erneut in ihr auf. »Jem, ehrlich, ich war beschäftigt. Es tut mir wirklich leid.«
Jemma sah sie einfach weiter stumm und schmollend an.
Frazer rieb sich mit einer Hand über die Augen. »Ich war die schlimmste Schwester aller Zeiten. Absoluter Abschaum. Du bist fabelhaft, wunderbar, sogar fantastisch . Du verdienst jemanden, der hundertmal besser ist als ich. Ich kann von Glück reden, dass ich mich jetzt in deinem Glanz sonnen darf.«
Jemma schob das Kinn vor und musste dann lachen. »Gut. Hauptsache, du weißt es zu schätzen.« Ihre Lippen zuckten. »In meinem Glanz sonnen
»Du scheinst es dramatisch zu mögen.«
»Ich bin froh, dass dir das aufgefallen ist.«
Der Kellner kam an ihren Tisch. Sie bestellten zwei Gerichte, die sie sich teilten. Als sich der Kellner den Stift hinters Ohr schob, ihre Speisekarten abräumte und ging, stieß Jemma sie unter dem Tisch am Bein an. »Wie läuft das Programm?«
Das war ein Thema, über das sie gern sprach. »Wirklich gut. Wir stellen mehr Mentorinnen und Mentoren bereit. Die Eltern, die wir bis jetzt betreut haben, geben uns viel wertvolles Feedback. Es wird ein paar Jahre dauern, bis sich alles eingespielt hat, aber wenn dann alles gut läuft, sollten wir eine Förderung erhalten.«
»Das ist toll.«
»Ja, ich hoffe, dass wir das Programm auch in anderen Krankenhäusern etablieren können. Im ganzen Bundesstaat.«
»Und«, sagte Jemma, »irgendwann im ganzen Land?«
»Das ist der Traum.«
»Sehr schön. Also, wer war diese Cora?«
Frazer griff nach ihrem Wasser und nahm einen Schluck, um den abrupten Themenwechsel zu verarbeiten. »Sie arbeitet mit mir an dem Projekt.«
»Verarsch mich nicht, große Schwester. Du hast mir all deine Tricks beigebracht. Wer ist sie?«
Frazer rollte genervt mit den Augen und ballte die Hände zu Fäusten. »Jemma, das ist die Wahrheit.« Zumindest ein Teil davon. »Sie arbeitet mit mir an dem Projekt. Und sie ist eine Freundin.«
»Lügnerin.«
»Ich lüge nicht!« Frazers Stimme wurde lauter und Jemma verzog missbilligend den Mund, bevor sie sich zurücklehnte. Sie verschränkte sogar ihre Arme vor der Brust. Genau das war der Grund, warum Frazer in den letzten Monaten untergetaucht war. Ihre Schwester und ihre Freunde konnten in ihr lesen wie in einem offenen Buch.
»Warum bist du dann so abwehrend?«
Frazer presste ihre Lippen zusammen und wandte den Blick ab. Sie könnte es Jemma erzählen. Aber warum sollte sie, jetzt, da es vorbei war? Das war genau der Grund, weshalb Frazer in den letzten vierundzwanzig Stunden zusammengenommen sechs Stunden lang schwimmen gewesen war.
»Frazer.« Jemma richtete sich wieder auf und legte ihre Hand auf Frazers, die ihre Serviette zerknüllte. »Was ist los?«
»Nichts mehr.«
Ohne zu blinzeln sah Jemma sie weiter an. »Aber da war was?«
»Es war nichts, Jemma.«
»Es war etwas.«
Frazer zog ihre Hand zurück, denn sie hatte nicht das Gefühl, als würde sie es verdienen, getröstet zu werden. »Wir waren … Wir haben miteinander geschlafen.«
Jemma zog ihre Hand nicht zurück. Zuckte nicht. Sie ließ ihre Hand wie ein offenes Angebot einfach liegen. »Und sie ist verheiratet?«
»Mit meinem Boss.«
Das ließ Jemma einmal kurz blinzeln, aber sonst nichts. »Wie lange lief es?«
»Drei Monate.«
Jemma pfiff durch die Zähne. »Liebst du sie?«
»Was? Himmel! Nein. Nein. Definitiv nicht.« Frazer biss sich auf die Lippe. »Es war eine Dummheit. Etwas, das vor langer Zeit hätte enden sollen. Aber jetzt ist es sowieso vorbei.« Frazers Herz raste in ihrer Brust.
»Trennt sie sich von ihrem Mann?«
»Ich weiß es nicht, Jem.« Frazer stöhnte und vergrub das Gesicht in ihren Händen. »Sie hatten Probleme, als es mit uns angefangen hat, aber wir sprechen – haben nicht über ihren Mann gesprochen. Wir waren Freundinnen und manchmal haben wir miteinander geschlafen.« Manchmal war etwas untertrieben. »Aber wir haben nie über ihre Ehe gesprochen.«
Schließlich sah sie auf und erwartete, Vorwürfe in Jemmas Augen zu sehen. Stattdessen hörte ihr Jemma einfach zu. »Warum verurteilst du mich nicht?«
Jemma zuckte mit den Schultern. »Nichts ist schwarz oder weiß. Versteh mich nicht falsch, das war nicht gut. Aber es ist ziemlich offensichtlich, dass du das weißt. Du brauchst mich nicht, damit es dir noch schlechter geht.«
Aus irgendeinem Grund ging es Frazer nach dieser Aussage noch schlechter. »Es ist vorbei.«
Jemma nickte. »Okay. Und ihr seht euch weiter bei der Arbeit?«
»Wir arbeiten tatsächlich zusammen an dem Programm. Also ja. Und sie ist eine Freundin …«
»Richtig. Und ich bin deine Tante.«
»Was?«
»Sex ist niemals nur Sex, Frazer. Vor allem, wenn es drei Monate lang neben einer Freundschaft herlief.« Die Anführungszeichen, die sie mit den Fingern in die Luft malte, während sie Freundschaft sagte, waren wirklich nicht nötig.
»Es kann so sein. Es war so.«
Jemma musterte sie. Als der Kellner das Essen brachte, bedankte sie sich, sah aber weiter zu Frazer. »Also seid ihr einfach wieder nur Freundinnen?«
»Ja.«
»Okay.«
»Sag das nicht so.« Gott, Jemma trieb sie in den Wahnsinn.
»Okay.«
»Jemma!«
»Frazer!«, Jemma äffte ihren Tonfall nach.
Frazer spießte mit Blick auf Jemma ein Stück Tomate auf und stopfte es sich in den Mund.
»Sollte das eine Drohung sein?«
Seufzend ließ Frazer die Gabel auf den Teller fallen. »Ja.«
»Dann hast du Glück, dass du Hebamme und keine Auftragsmörderin bist.« Jemmas neckender Blick verschwand wieder. »Weißt du, ich befürchte nur, dass es kompliziert werden könnte. Aber wenn du mit ihr befreundet sein willst, mach das. Versuch, mit ihr befreundet zu sein.«
Frazer wollte nicht befreundet sein. Nicht so. »Vielleicht brauchen wir erst noch etwas Abstand.«
»Ach?«
»Ich bereue wirklich, dass mein Sarkasmus auf dich abgefärbt hat.«
»Ich nicht.« Jemma riss ein Stück Brot ab. »Also, wann willst du meinen Dozenten kennenlernen?«
Frazer starrte sie an. »Seid ihr jetzt offiziell zusammen?«
»Noch nicht ganz. Aber wir haben aufgehört, so zu tun, als wäre es nur eine vorrübergehende Sache. Jetzt, da etwas Zeit vergangen ist, ist der reizvolle, unanständige Aspekt verschwunden, und uns ist klar geworden, dass wir uns näher kennenlernen wollen.«
Jemma brauchte einen Moment, um zu bemerken, dass Frazer sie anstarrte. »Was?«, fragte sie.
»Wann bist du erwachsen geworden?«
»Ungefähr zu der Zeit, als du wieder zum Teenager geworden bist. O mein Gott.« Jemma schenkte ihr dasselbe schiefe Grinsen, das Frazer immer aufgesetzt hatte, wenn sie etwas Dämliches gesagt hatte. »Bin ich jetzt die große Schwester?«
»Du könntest mit dieser enormen Verantwortung gar nicht umgehen.«
»Oh, bitte. Sieh dir nur an, wie ich deine Krise bewältigt habe. Ich bin sowas von die große Schwester. Du wurdest gerade degradiert.«
»Ach, halt die Klappe, Miss Ich-schlafe-mit-meinem-Dozenten.«
»Alles klar, Miss Ich-schlafe-mit-verheirateten-Frauen.«
»Einer verheirateten Frau.«
»Das reißt es auch nicht raus.«
~ ~ ~
Etwas in Dr. Masseys Praxis tickte sehr laut. Erstaunlicherweise klang es nicht so laut wie Coras Herzschlag, den sie in ihren Ohren dröhnen hören konnte.
Sie hatten die Formulare aktualisiert und waren noch einmal die Verschwiegenheitsklausel durchgegangen. Nun herrschte Schweigen und Cora hatte Schwierigkeiten, es zu brechen.
»Also.« Dr. Massey lächelte. »Was führt Sie zu mir, Cora?«
Cora schluckte und atmete dann tief ein. »Ich glaube, ich will die Scheidung.«
»Sie glauben?« Dr. Massey schaffte es irgendwie immer, ihre Stimme neutral zu halten. Ihr Tonfall verriet nie, was sie dachte. Sie musste nur eine einfache Frage stellen und schon spürte Cora, wie sie ins Straucheln geriet.
»Ich weiß es. Ich weiß, dass ich die Scheidung will.«
»Was hält Sie zurück?«
»Schuldgefühle.« Cora schluckte erneut. Sie wandte den Blick ab und sah zu einer Pflanze in der Ecke. Es war ein großer Ficus benjamina, eine von vier Pflanzen im Büro. In Frazers Büro gab es nicht mal eine. Es war unglaublich langweilig. Vielleicht brauchte sie eine Pflanze.
»Schuldgefühle?«
Die Fragen wirkten so einfach. Es waren Coras eigene Worte, die sie ihr zurück vor die Füße warf. »Aus verschiedenen Gründen.«
»Wollen Sie mir von einem der Gründe erzählen?« Dr. Massey blinzelte nur selten. Es war befremdlich. Ihre Augen beobachteten Cora, durchschauten sie und zogen alles, was Cora sorgfältig versteckte, ans Tageslicht.
»Ich habe einmal versucht, es Alec zu sagen. Eigentlich mehr als einmal.«
»Und was hat er gesagt?«
Cora zupfte an ihrem Rock und strich ihn sich dann über ihren Knien glatt. »Dass ich ihm das nicht antun kann. Dass er dann am Ende wäre. Dass ich …«
Dieses Mal stellte Dr. Massey keine Frage, sondern wartete, bis Cora zu Ende sprach.
»Dass ich ohne ihn nichts wäre.«
Dr. Masseys Gesichtsausdruck war noch immer neutral. Wie machte sie das?
»Wie fühlen Sie sich bei der Vorstellung, nicht mehr verheiratet zu sein? Haben Sie das Gefühl, nichts zu sein?«
Aus irgendeinem Grund stiegen Cora die Tränen in die Augen und sie hatte plötzlich einen Kloß in ihrer Kehle, der sich so groß anfühlte, dass sie dachte, sie müsste daran ersticken.
»Ich würde mich …«
»Was, Cora?«
»Frei fühlen.« Sie atmete tief ein. »Ich würde mich frei fühlen.«
~ ~ ~
Papierkram machte nie Spaß. Aber zumindest lenkte er ab.
Akten und Ordner füllten die komplette Wand des Zimmers mit den Patientenakten der Geburtsstation. Frazer saß an einem der schmalen Tische und war froh, dass es zwölf Uhr war und alle Krankenschwestern damit beschäftigt waren, die Patientinnen zu versorgen und Medikamente auszugeben. Das bedeutete, dass sie den Raum für sich allein hatte.
Das Krankenhaus arbeitete mittlerweile größtenteils papierlos. In diesem Raum wurden nur noch die Patientengeschichten mit komplexeren Fällen geführt. Es war schon ein wenig verrückt, ein Computernetzwerk zu haben, auf das alle Mitarbeiterinnen von jeder Station fortwährend zugreifen konnten. Die Akten hier würden wenigstens immer erhalten bleiben.
Und es hatte etwas Beruhigendes, Beobachtungen per Hand festzuhalten, Formulare auszufüllen und am Ende zu unterschreiben. Zurückblättern zu können, um zu sehen, was andere Fachkräfte geschrieben hatten.
Nachdem sie ihre Einträge abgezeichnet hatte, suchte Frazer in den Akten nach einem bestimmten Namen, einer Süchtigen auf Entzug. Solche Fälle waren niemals einfach. Eine der Schwestern hatte angefragt, ob sie in Frazers Programm aufgenommen werden könnte, und sie wollte sich erst ihre Akte ansehen.
In diesem Moment fand Cora sie.
Gerade noch war Frazer allein gewesen und hatte bis zu den Ellbogen in der Vergangenheit der Patientin gesteckt, und im nächsten Moment hatte sie diesen vertrauten Blick auf sich gespürt. Sie sah von ihrem Bürostuhl aus, wie Cora am Türrahmen lehnte und sie beobachtete. Es war fast gruselig.
»Hey.«
Cora wirkte seltsam. War sie nervös? Eher ein wenig verschreckt. Vielleicht war sie heute nur etwas zu blass. Das war bei dem Neonlicht schwer zu sagen. Frazer lächelte. Vermutlich verkrampft. »Hi.«
Die Begegnung brachte Frazer leicht aus dem Gleichgewicht. Sie hatte das Gefühl, über ihre eigenen Füße zu stolpern. Als wäre alles leicht verschoben. Der Raum sah aus wie immer, aber wenn sie den Fuß abstellte, war der Boden nicht da, wo er sein sollte. Ein Gefühl wie wenn man dachte, dass es keine weitere Treppenstufe gab, und man für den Bruchteil einer Sekunde glaubte, im freien Fall zu sein, bis man wieder festen Grund spürte und niemand etwas von der eigenen Panik mitbekam.
»Ich habe mich gefragt, ob du Zeit für einen Kaffee hast.« Cora warf einen Blick auf ihre Uhr und sagte dann: »Oder ein Mittagessen.«
Frazer biss sich auf die Lippen, schloss die Akte und hielt sie sich vor die Brust. »Ehrlich gesagt habe ich heute Nachmittag viele Patientinnen.«
Das hatte sie nicht, aber sie konnte dafür sorgen. Sie war Cora in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen, weil es so einfacher war. Ihre Freunde-mit-gewissen-Vorzügen-Abmachung war vorbei und normalerweise bedeutete das auch, dass die Freundschaft vorbei war.
Aber sie wollte das nicht. Sie wollte mit Cora befreundet sein. Aber wenn sie bei Coras Anblick als Erstes an ihre zarten Lippen dachte, brauchte Frazer wohl noch etwas Zeit. Etwas Zeit, um Abstand zu gewinnen und diese seltsame Verschiebung in der Welt zu verstehen, die niemand sonst zu bemerken schien.
»Oh, okay.« Cora nickte.
»Aber bald, ja?«, fragte Frazer.
Coras Miene hellte sich bei diesen Worten auf und etwas in Frazers Magen zog sich zusammen.
»Ja, super. Wie passt es dir morgen? Mittagessen draußen im Regen?« Cora klang hoffnungsvoll und wieder zog sich etwas zusammen.
Frazer neigte leicht den Kopf zur Seite und musterte sie. »Ähm, ich habe auch morgen wirklich viel zu tun.«
»Okay. Wann würde es dir passen?«
Frazer versuchte, gelassen zu klingen und möglichst wieder zu ihrem alten Selbst zurückzufinden, während sie den Ordner zu den anderen stellte. »Wie wäre es mit nächster Woche?«
Coras Schultern sackten nach unten. »Nächste Woche?«
»Ja.« Frazer lehnte sich mit der Hüfte an den Tisch. »Ich glaube einfach, dass wir eine Atempause brauchen.« Frazer deutete mit der Hand zwischen ihnen hin und her. »Von all dem.«
»Ich dachte, wir wären Freundinnen.«
»Sind wir. Oder werden wir sein – vielleicht.« Frazer hatte keine Ahnung, was sie da sagte. Sie wusste auch nicht, ob sie lieber den Mund halten sollte oder nicht.
Cora sah sie nur an und war jetzt definitiv blass. »Vielleicht?«
Frazer schob sich an Cora vorbei aus dem Raum und achtete darauf, sie nicht zu berühren. Cora drehte sich nicht einmal um, sondern folgte ihr nur mit dem Blick.
»Es ist kompliziert, Cora.« Und bevor sie den Ausdruck auf Coras Gesicht sehen konnte, lächelte Frazer. »Ich muss los. Ich habe einen Berg von Akten abzuarbeiten.«
Sie konnte Coras Blick in ihrem Rücken spüren, als sie zügig den Flur hinuntereilte.
~ ~ ~
Kompliziert?
Sie wollten Freundinnen sein. Das war die Abmachung gewesen, als sie angefangen hatten, die Grundregel, die sie sich selbst ausgehandelt hatten. Die vielmehr von Cora vorgegeben worden war – sie hatten Sex, würden aber befreundet bleiben.
Jetzt fühlte es sich für Cora an, als würde sie in einem Pool stehen, der sich langsam mit Wasser füllte. Jedes Mal, wenn sie dachte, dass das Wasser nicht weiter stieg, schwappte es ihr in den Mund, sodass sie keine Luft mehr bekam.
Ihre Sitzung mit Dr. Massey war produktiv gewesen und hatte ihr geholfen, all die Dinge in Worte zu fassen, die sie in Alecs Anwesenheit nicht hatte sagen können. Worte, die sie ihm gegenüber noch nie hatte aussprechen können. Sie hatte einen weiteren Termin für nächste Woche vereinbart und Cora konnte es kaum erwarten. Sie wollte endlich alles loswerden, was ihr auf dem Herzen lag.
Am Ende, als sie nur noch wenig Zeit hatten, hatte Cora Dr. Massey in die Augen gesehen, erleichtert über die Verschwiegenheitsklausel, und ihr erzählt, dass sie eine Affäre gehabt hatte.
Das hatte der Frau zumindest ein Blinzeln entlockt. Und eine Frage. Warum?
Cora wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sollte sie eine Ausrede erfinden? Oder lügen? Also hatte sie einfach die Wahrheit gesagt: »Ich weiß es nicht.«
»Ich glaube schon, dass Sie es wissen«, hatte Dr. Massey gesagt.
Und damit hatten sie die Sitzung beendet. Nächste Woche würde Cora diese Frage beantworten müssen.
Also würde Cora die nächste Sitzung abwarten und es dann Alec sagen. Diesmal endgültig. Sie wollte die Scheidung. Sie wollte sie wahrscheinlich schon länger, als sie es sich selbst gegenüber zugab. In der heutigen Sitzung hatte Cora darüber gesprochen, wie ihre Beziehung begonnen hatte, über die Leidenschaft, durch die sich Cora am Anfang sicher gefühlt hatte, die ihr aber nach und nach das Gefühl gegeben hatte, dass es eher um seinen Besitzanspruch ging. Alecs ständiges Verlangen, mit ihr zusammen zu sein, sie da zu haben, wann er es wollte, war weniger eine Sicherheit, sondern trieb sie vielmehr in die Isolation.
Manchmal, auch das hatte sie Dr. Massey erzählt, hatte Alec dafür gesorgt, dass sie so sehr an sich selbst zweifelte, dass sie seine Worte als Evangelium hinnahm. Auch wenn sich Cora einer Sache sicher gewesen war, hatte es passieren können, dass sie nach der Unterhaltung ihm glaubte und dachte, selbst falsch zu liegen.
Die Sitzung hatte Cora so aufgewühlt, dass sie mit ihrer Freundin darüber reden wollte. Sie hatte mit Frazer reden wollen. Aber Frazer wollte … Abstand.
Der Regen prasselte laut auf Coras Auto, als sie vor Lisas Haus in die Auffahrt einbog. Ihre Finger umklammerten das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Zitternd drückte sie ihre heiße Stirn kurz gegen ihre kühlen Hände.
Konnten sie nicht einfach wieder Freundinnen sein? Sie waren es die ganze Zeit über gewesen, nur mit der Besonderheit, auch Sex zu haben, der zugegebenermaßen richtig gut war. Cora war überrascht gewesen, wie gut. Eigentlich hätte es sie nicht überraschen sollen, dass Lesben guten Sex hatten. Natürlich konnten Frauen miteinander Spaß haben. Andernfalls würden sie es nicht tun. Aber ihr war nie klar gewesen, dass es genauso gut wie der Sex mit einem Mann sein konnte. Anders, aber unglaublich. So sehr, dass ihre Beine ganz schwach wurden.
Cora würde es vermissen.
Aber es war nur eine Ablenkung gewesen. Etwas, unter dem sie sich eine Weile vergraben konnte, während sie sich vor ihren Problemen mit Alec versteckte. Vielleicht war das der wahre Grund für ihre Affäre. Sie war gespannt, was Dr. Massey dazu sagen würde.
Aber sie würde ihre Freundschaft mit Frazer noch viel mehr vermissen. Drei Monate reichten aus, damit Cora erkannte, dass sie Frazers Gegenwart brauchte.
Cora stieg aus dem Auto aus und rannte durch den Regen den Weg zu Lisas Haus hinauf. Die Haustür wurde bereits geöffnet und Cora huschte hinein und tropfte auf den Linoleumboden.
»Hey.« Lisa reichte ihr ein Handtuch und schloss die Tür. »Hab gesehen, wie du gekommen bist.«
»Danke.«
Das Handtuch war warm. Cora klammerte sich daran, als sie sich in die Küche setzte und zusah, wie Lisa einen Tee zubereitete.
Es war schön, eine Freundin zu haben, die wusste, was sie brauchte. »Alec macht immer noch Zucker in meinen Tee.«
»Du wolltest doch nie Zucker im Tee.«
Auch wenn Lisa sie nicht ansah, wusste Cora, welchen Gesichtsausdruck sie aufgesetzt hatte. »Ich weiß. Er macht mir auch nicht oft welchen.«
Lisa schob Cora die dampfende Tasse über die Tischplatte und setzte sich auf die andere Seite. Die Tasse war heiß in Coras Händen. »Regen und Tee zusammen sind ein Traum.«
»Ich hasse Regen.« Lisa beobachtete sie durch den Dampf ihrer Tasse, als sie einen Schluck trank. »Außer im Sommer, ich liebe die …«
»Gewitter.«
Sie grinsten einander an. »Wie war die Sitzung bei der Therapeutin?«
»Es war … schwierig.«
Lisas Augen strahlten Verständnis aus. »Das glaub ich sofort. Irgendwelche guten Ratschläge?«
»Nein. Sie hilft mir dabei, meine eigenen Ratschläge zu entwickeln, anstand mir einfach welche zu geben.«
»Ich mag sie. Sie lässt dich erkennen, dass du alles, was du brauchst, bereits in dir trägst.«
Cora verdrehte leicht genervt die Augen. »Ja, ja.«
Sie schwiegen einen Moment. Cora pustete auf ihren Tee und trank noch einen Schluck. Er war brennend heiß und hatte eine fast reinigende Wirkung. Vielleicht konnte er all die Frustration von innen heraus verbrennen und ihr einen Neuanfang verschaffen.
»Hast du ihr von deiner Affäre erzählt?«
Cora zuckte bei dem Wort zusammen. Es ausgesprochen zu hören fühlte sich an, als würde ihr die Wahrheit um die Ohren gehauen werden. »Ich habe fast einen Rückzieher gemacht und es erst ganz am Ende erwähnt.«
»Ah, typisch Cora. Als keine Zeit mehr war, sich den Konsequenzen zu stellen.« Lisas Tonfall milderte ihre harten Worte ab.
»So ungefähr. Sie hat mich gefragt, warum ich es getan habe.«
»Gute Frage. Was hast du geantwortet?«
»Das ist meine Hausaufgabe.«
Lisa rümpfte die Nase. »Igitt. Hausaufgaben. Und ich dachte, wir hätten die Highschool hinter uns gelassen.«
»Na ja, anscheinend wird man wie ein Teenager behandelt, wenn man sich wie einer verhält.«
Lisa lachte leise. »Du Glückspilz.«
Cora winkelte ihr Bein an und stellte ihre Ferse auf den Stuhl, sodass sie das Handtuch jetzt zwischen ihrem Bein und ihrer Brust einklemmt hatte. Es war immer noch warm.
»Alles in Ordnung?«
Cora sah von ihrer Tasse auf: »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Siehst du den Typen noch?«
Cora schluckte und atmete tief ein. »Es war eine Frau.«
Lisa blinzelte sie an und ihr Mund öffnete sich ein wenig. Dann schloss er sich wieder. Ein ungläubiges Lächeln umspielte ihre Lippen. »Ernsthaft?«
»Ernsthaft.«
»Also ernsthaft
»Ernsthaft.«
Lisa stellte ihre Tasse auf den Tisch und sah sie ungläubig an. »Weißt du, ich habe dir von meiner kleinen Affäre an der Uni erzählt, um zu betonen, dass du etwas Spaß haben solltest. Nicht, damit du dir mich zum Vorbild nimmst. Egal, wie großartig ich auch sein mag.«
Cora lachte. »Was soll ich sagen? Ich will einfach wie du sein.«
»Bist du lesbisch?«
»Was?« Cora lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. »Nein. Lisa, mein Gott. Es war … Ich weiß nicht. Eine Ablenkung. Ein Ausrutscher.«
»Drei Monate lang?«
Cora zuckte zusammen und zog die Tasse näher zu sich. »Ja.«
»War es gut?« Lisa grinste.
»Es war …« Großartig. »Das ist nicht wichtig.«
»Und du bist nicht lesbisch?«
»Nein! Ich bin verheiratet! Mit einem Mann!«
»Na und? Es gibt Menschen, die erst spät dahinterkommen. Oder bist du bi?«
Cora starrte sie an. Ihr Herz schlug so schnell, dass es sich beinahe wie ein Summen in ihrer Brust anfühlte. »Nein.« Sie leckte sich über die Lippen. »Nein. Es war … es war dumm. Sie war eine Freundin und sie war … einfach da . «
Lisa zuckte zusammen. »Autsch, die Arme.«
»So habe ich es nicht gemeint, Lisa. Sie ist eine Freundin.«
»Seid ihr noch befreundet?«
Waren sie? »Ich hoffe es.«
»Vermisst du sie?«
Cora hob ruckartig den Blick und runzelte die Stirn. »Was?«
»Na ja, es hört sich so an, als würdest du sie nicht oft sehen. Vermisst du sie?«
»Ich … ich vermisse es, befreundet zu sein, ja.«
Lisa zog ihre Augenbrauen zusammen und sah aus, als würde sie versuchen, ein Rätsel zu lösen. »Und ihr hattet drei Monate lang Sex?« Als Cora nickte, fragte Lisa: »Und das vermisst du nicht?«
»Ich vermisse … ich meine, ich vermisse Teile davon. Es war … nett . Aber ich will einfach meine Freundin zurück.«
»Also.« Lisa sah sie eindringlich an. So eindringlich, dass Cora den Drang verspürte, sich unter ihrem Blick zu winden. »Du vermisst ihre Freundschaft. Und der Sex war gut, aber du bist nicht …«
»Was?«
Lisa starrte sie an. Aber anstatt etwas zu sagen, lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück. »Nichts.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin wohl einfach nur überrascht.«
Das Gefühl, dass Lisa mehr sagen wollte, hing Cora in der folgenden Stille zwar nach, aber sie wollte wirklich nicht nachfragen.
»Ach, Cora. Du steckst ganz schön in der Klemme.«
Cora seufzte schwer. »Ich weiß.«
»Willst du bei Alec bleiben?«
Lisa sah sie offen an und nahm einen Schluck von ihrem Tee. Cora schüttelte den Kopf. »Nein.« Ihre Stimme war leise, als könnte er ihre Antwort hören, wenn sie lauter sprach. »Will ich nicht. Ich will die Scheidung.«
»Oh, Liebes.«
Cora wandte den Blick vor so viel Mitgefühl ab. Sie sah nach oben an die Decke und alles verschwamm ein wenig vor ihren Augen. Mit fest zusammengepressten Lippen atmete sie zitternd ein, zählte gedanklich bis fünf und sah dann wieder zu Lisa. »Wie geht’s deiner Mum?«
Lisa brauchte einen Moment, um zu antworten, als überlegte sie, ob sie den Themenwechsel guthieß oder nicht. »Schlechter. Sie hat nicht mehr viele klare Momente.«
»Es tut mir leid, Lisa.«
»Es ist in Ordnung. So ist es fast … o Gott, das klingt schrecklich.«
»Was?«
»Es ist so fast … einfacher. Sie hat jetzt nicht mehr so viel Angst. Sie ist … glücklicher in ihrer eigenen Welt.«
»Das ist nicht schrecklich. Wenn sie glücklicher ist, ist das eine gute Sache.«
»Aber sie ist nicht mehr meine Mum.«
Cora konnte sich nicht vorstellen, dabei zuzusehen, wie ihre eigenen Eltern zu anderen Menschen wurden. Und Lisa hatte ihrer Mum sehr viel nähergestanden als Cora ihrer eigenen. »Sie kann sich glücklich schätzen, dich zu haben.«
»Ich konnte mich glücklich schätzen, sie zu haben.«
»Und was sagt die Einwanderungsbehörde wegen deines Vaters?«
»Nichts.«
Cora wollte am liebsten laut fluchen, aber dann schüttelte sie nur den Kopf. »Es tut mir leid.«
»Ist in Ordnung.« Lisa grinste. »Wenigstens habe ich dein Lesbendrama, um mich zu abzulenken.«
»Das hat nichts mit lesbisch zu tun!«
Lisa zog die Augenbrauen hoch und nippte an ihrem Tee.
~ ~ ~
»Du willst, dass wir ein Date für dich ausmachen?«
Rob und Andy starrten Frazer an. Es fühlte sich an, als würde sie mit ihren Eltern an einem Tisch sitzen und hätte ihnen gerade gesagt, dass sie in ein anderes Land ziehen würde.
»Ja.«
Sie sahen erst einander und dann wieder Frazer an.
»Mit einer Frau?«, fragte Andy.
»Nein, mit einem Mann. Ich bin ab sofort hetero.«
Rob lachte laut los. Andy und Frazer hoben erstaunt die Augenbrauen. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich hatte nur direkt das Bild von dir mit einem Mann im Kopf. Es war unterhaltsamer, als ich dachte.«
»Weißt du«, Andy starrte über Frazer hinweg in die Luft, »das ist es wirklich.« Sie lachte. »Wie soll das überhaupt funktionieren?«
Entsetzt sah Frazer zwischen den beiden und ihren identischen idiotisch grinsenden Gesichtern hin und her. »Bitte hört auf, euch mich nackt mit einem Mann vorzustellen.«
»Aber es ist lustig.« Rob schmunzelte. »Und seltsam.«
»Deshalb war Andys Frage ja auch so lächerlich. Natürlich mit einer Frau.«
»Na ja, entschuldige bitte, dass ich etwas verwirrt bin.« Andy bedachte sie mit einem bösen Blick. »Wir haben dich seit Monaten kaum gesehen. Ich dachte, du hättest allem abgeschworen, allem voran Frauen und Sex.«
Das Bild von Cora auf ihrem Schreibtisch schoss Frazer durch den Kopf und sie war froh, dass es in der Bar so dunkel war, dass man ihre Gesichtsfarbe nicht eindeutig erkennen konnte.
»Was war das denn?« Rob musterte sie kritisch.
Es war dunkel genug, oder?
»Was?«, fragte Frazer.
Andy nickte. »Ich habe es auch gesehen. Sie ist zusammengezuckt, als ich Sex gesagt habe.«
»Bin ich nicht!«
»O Süße, bist du wohl. Ist es so lange her?«
Frazer atmete erleichtert aus. »Ja. Das muss es sein. Helft ihr mir?« Sie sah beide mitleiderregend an.
»Frazer.« Andy beugte sich vor. »Natürlich helfen wir, dich zu verkuppeln. Davon träumen wir schon seit einer Ewigkeit.«
Rob und Andy diskutierten schon, wer als potenzielle Partnerin in Frage kam, während Frazer sich einen Schluck von ihrem Drink genehmigte. Vielleicht würde sie den Sex mit Cora vergessen, wenn sie wieder anfing zu daten. Denn Frazer musste mit Cora befreundet bleiben.
Und vielleicht würde eine Ablenkung dabei helfen.
~ ~ ~
Cora fühlte so etwas wie Panik in sich aufsteigen. Möglicherweise nicht nur etwas wie , sondern eher eine echte, allumfassende Panik. Ihre Haut prickelte; die Luft um sie herum fühlte sich heiß und unangenehm an. Atmete sie zu schnell? Sie versuchte, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren, schaffte es aber nicht. Was wahrscheinlich bedeutete, dass sie viel zu schnell war.
Es kam selten vor, dass Alec so früh zu Hause war. Selten, dass sie um diese Zeit zusammen waren. Es fühlte sich so surreal wie die ganze Situation an.
Er saß mit dem Laptop auf dem Schoß an einem Ende der Couch. Seine Füße lagen auf dem Couchtisch. Manchmal, wenn sie so nebeneinanderher lebten und nicht redeten, konnte sie sich fast vorstellen, dass sie so weitermachten. Es waren Zeiten, in denen sie nicht un glücklich war.
Reichte das? Wollte sie so ihr Leben verbringen, auf Momente hinarbeiten, in denen sie nicht unglücklich war? Darauf warten, dass es dann doch wieder den nächsten Streit gab? Wollte sie jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen und alles tun, um ihn glücklich zu machen?
Nein.
Der Fernseher lief, aber sie hatte Schwierigkeiten, sich darauf zu konzentrieren – sich überhaupt auf etwas zu konzentrieren. Wann hatte sie ihm gesagt, dass sie die Scheidung wollte? Wie hatte sie den richtigen Moment ausgewählt? Beim letzten Mal war es nicht gut gelaufen. Aber dieses Mal musste er ihr zuhören. Dr. Massey hatte ihr die Hilfsmittel an die Hand gegeben, sich nicht wieder von ihrem Kurs abbringen zu lassen. Aber sie wollte zuerst noch eine weitere Sitzung mit ihr. Sie wollte das Gefühl haben, die Kontrolle über ihre Emotionen zu haben.
Es erforderte all ihre Kraft, nicht überrascht zusammenzuzucken, als er einen Fuß vom Couchtisch nahm und sie damit anstupste. Er lächelte sie von seiner Seite der Couch aus an.
»Es ist schön, abends zu Hause zu sein.«
Cora nickte und bemühte sich, ruhig zu atmen. Sie versuchte zurückzulächeln. »Du warst die letzte Zeit immer sehr lange im Krankenhaus.«
Sein Fuß strich über ihren. »Du hast keine Ahnung, wie müde ich nach der Arbeit bin. Es ist anstrengend.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Sein Fuß glitt unter ihren Knöchel und er zog ihre Beine in Richtung Couch. Er beugte sich vor, legte ihren Fuß auf seinen Schoß, strich mit den Fingern darüber und massierte ihre Fußsohle, während er eine E-Mail las.
Es fühlte sich großartig an. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie widerstand dem Drang, ihren Fuß zurückzuziehen. Stattdessen starrte sie auf den Fernseher und versuchte, der Sendung zu folgen. Konzentrierte sich auf ihre Atmung. Ein und aus. Versuchte, ihre aufsteigende Panik zu ignorieren.
Es war leichter, wenn er sich aufführte wie ein Arschloch. Wenn er vergaß, dass sie ein Mensch mit eigenen Gedanken und Meinungen war.
In seltenen Momenten war Alec noch der, in den sie sich vor vielen Jahren verliebt hatte. Wenn er sie berührte, als könnte sie zerbrechen. Oder wie jetzt ihre Haut streichelte, als würde es ihn glücklich machen. Denn warum sollte er nicht zu Hause auf der Couch liegen wollen mit seiner Frau, mit der er seit zehn Jahren verheiratet war?
Zehn Jahre.
Sie würde sie zerstören.
Seine sichere Welt zerstören.
Stunden später lag sie im Bett auf der Seite und hoffte, er würde einfach einschlafen. Das Haus um sie herum wurde ruhig, jedes Knarren und Ächzen war vertraut. Die Laken raschelten, als er sich umdrehte. Ihr stockte der Atem, als er mit der Hand über ihr Bein und ihre Rippen strich.
Cora hielt seine Hand fest.
»Ich bin müde«, flüsterte sie in Richtung der Wand.
Manchmal funktionierte das. Vor allem in den letzten Monaten war der Sex zwischen ihnen ohnehin selten geworden und Cora hatte es nur getan, wenn er sie gedrängt hatte. Sie wollte seine Nähe und diese Intimität schon seit Jahren nicht mehr. Aber manchmal führte es zu Ärger, wenn sie zu oft Nein sagte. Zu unangenehmen Fragen.
Nach den wenigen Malen, in sie in den letzten Monaten Sex gehabt hatten, hatte sich Cora bei der Arbeit immer von Frazer fern gehalten, gefangen zwischen ihrem Schamgefühl und dem Verlangen, sich in Frazers Berührungen zu verlieren und die Erinnerungen auszuradieren, die Alec auf ihrer Haut zurückgelassen hatte. Letztendlich hatte sie immer nachgegeben und sie danach verzweifelt von Frazers Händen übermalen lassen.
Aber heute Nacht konnte sie Alec nicht nachgeben. Nicht mit dem Wissen, was sie in ein paar Tagen tun würde.
»Cora.« Er küsste ihren Nacken und sie zuckte zusammen. Es hinterließ eine heiße Stelle auf ihrer Haut, die sie erst in ein paar Stunden nicht mehr stören würde. »Ich bin ab morgen übers Wochenende nicht da.«
Er hatte wieder eine Konferenz. Das hatte sie vergessen. Zumindest machte es das Wochenende einfacher.
»Bitte?« Ein weiterer Kuss.
»Ich habe meine Tage.« Sie erstickte beinahe an der Lüge.
Seufzend rollte er sich auf den Rücken. Er sagte nichts mehr, aber sie konnte spüren, wie er auf der anderen Seite des Betts vor Wut kochte.
Wenn Alec weg war, konnte sie vielleicht Zeit mit Lisa verbringen.
Oder Frazer.
Vielleicht wollte Frazer mit ihr ausgehen. Sie konnten wieder Freundinnen werden.
Mit diesem Gedanken schlief Cora ein.
~ ~ ~
Am Sonntag gab Cora auf.
Sie hatte gehofft, dass Frazer ihr übers Wochenende schreiben und ein Kaffeetrinken, Mittagessen oder einen Drink vorschlagen würde. Dass Frazer vielleicht irgendetwas vorschlagen würde.
Am Sonntagmorgen hatte Cora Lisa zu ihrer Mutter begleitet. Die starke Frau, an die sich Cora erinnerte, war verschwunden. Obwohl sie eigentlich fließend Englisch sprach, sagten die Pfleger, dass sie jetzt meist auf Vietnamesisch vor sich hin plauderte. Ihre Augen waren klarer, als Cora erwartet hatte. Aber plötzlich wandte sie sich zu Lisa und sagte mit lauter und empörter Stimme: »Wer sind Sie?«
Lisa hatte versucht, es mit einem Lachen abzutun, aber anschließend hatten sie zusammen zu Mittag gegessen und Lisa hatte den Wein wie Wasser in sich hineingeschüttet.
Noch immer hatte Cora nichts von Frazer gehört.
Also schrieb sie ihr am Sonntagnachmittag eine Nachricht.
Wollen wir freundschaftlich was trinken gehen?
Zum Glück dauerte es nur zwanzig Minuten, bevor Frazer antwortete.
Du gibst nicht auf, oder?
Ein zwinkernder Smiley nahm den Worten den Biss. Und Frazer stimmte einem Drink zu. Sie wollten sich wieder im Pub am Fluss auf ein Bier treffen. Sonntagabend würde es voll sein. Der Wind würde kalt sein, weil er vom Fluss kam, aber Cora erinnerte sich vage daran, dass beim letzten Mal große Heizstrahler auf der Veranda gestanden hatten.
Cora war viel zu früh da, beinahe so, als wäre sie aufgeregt. Man ist nicht aufgeregt, wenn man eine Freundin trifft, ermahnte sie sich.
An der Bar bestellte sie zwei Gläser helles Ale von der Sorte, die Frazer beim letzten Mal getrunken hatte. Zwei Leute machten gerade einen Tisch direkt am Wasser frei und sie setzte sich schnell auf einen der immer noch warmen Sitze. Einer von ihnen musste darüber lachen, wie schnell sie den Tisch an sich gerissen hatte, und Cora grinste ihn an. Zufrieden, dass ein Heizstrahler direkt hinter ihr stand, nahm sie einen Schluck von ihrem Bier und genoss das Gefühl, im Moment keine Verpflichtungen zu haben.
Alec war nicht da. Sie traf sich mit einer Freundin. Vor ihr stand ein Glas gutes Bier. Obwohl es erst neunzehn Uhr war, war es bereits dunkel und das Wasser im Fluss reflektierte die vielen Lichter um sie herum. Die Leute unterhielten sich und lautes Gelächter umgab sie. Das alles waren einfache, unkomplizierte Dinge. Damit konnte sie umgehen.
Es war seltsam, Zeit zu haben, sich daran zu erinnern, wer sie vor Alec gewesen war, und das auch auszuleben. Womöglich fand sie gerade heraus, wer sie nach ihm sein würde.
»Hey.«
Coras Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, noch bevor sich Frazer richtig hingesetzt hatte. »Hey, danke dass du gekommen bist.«
Frazer lächelt schief, wie so oft. »Gern.«
Das Glas war kalt an ihren Fingern, als sie es Frazer über den Tisch zuschob. »Das hat sich neulich nicht so angehört.«
»Na ja.« Frazer zog das Bier zu sich. »Ich brauchte einfach ein paar Tage.«
»Du hast vielleicht gesagt«, platzte es aus Cora heraus. Dieses vielleicht hatte sich in den letzten paar Tagen immer wieder in ihrem Kopf wiederholt.
Frazer lachte leise. »Das habe ich. Aber es ist auch nicht gerade eine … alltägliche Situation.«
Wärme flutete über Coras Rücken und sie kam nicht vom Heizstrahler. »Ich weiß. Warum hast du deine Meinung geändert?«
»Weil …« Frazer nahm einen Schluck Bier. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde sie darüber nachdenken, was sie sagen sollte. »Weil wir Freundinnen sind«, sagte sie schließlich einfach.
Erleichterung breitete sich in Coras Brust aus. »Darüber bin ich sehr froh.«
Frazer zog die Schultern hoch und blickte über das Wasser. »Es ist kühl heute Abend.«
»Wollen wir reingehen?«
Frazer schüttelte den Kopf. »Gott, nein. Wir sind bei der Arbeit den ganzen Tag drinnen. Es ist so schön, hier am Wasser zu sein.«
»Das ist es wirklich.« Cora beobachtete nicht das Wasser. Sie beobachtete, wie Frazer aufs Wasser sah. Im orangefarbenen Licht der Heizstrahler waren ihre hellgrünen Augen dunkler als sonst und ihre Haut sah sehr weich aus.
Sie spürte Coras Blick auf sich. »Hast du Jack diese Woche gesehen?«
Cora nickte. »Ja, ich habe mich mit ihm getroffen, um über die Eltern zu sprechen, die er aussuchen muss. Er will in zwei Wochen eine Entscheidung treffen.«
»Das wird nicht einfach für ihn. Aber ich bin froh, dass du ihn betreust.«
»Er ist ein supernetter Junge. Sobald das Baby da ist und er sich bereit fühlt, werden wir über Ausbildungsmöglichkeiten reden.«
»Er hat sich gegen einen Highschool-Abschluss entschieden?«
»Ja, er meinte, dass er schon immer Elektriker werden wollte. Mal sehen, was wir da machen können. Vielleicht muss er ein paar Überbrückungskurse belegen.«
Frazer hatte einen seltsamen Gesichtsausdruck.
»Geht’s dir gut?«
Frazer nickte. »Ja. Es ist nur … Stell dir vor, was aus ihm geworden wäre, wenn wir dieses Programm nie realisiert hätten.«
»Du meinst, wenn du es nicht realisiert hättest.«
»Nein.« Frazer schüttelte den Kopf. »Ich meine wir. Das waren definitiv wir beide zusammen.« Frazers Augen waren noch immer dunkel, als sie Cora über den Tisch hinweg ansah. Der Wind wehte eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Ihre Wangen waren leicht gerötet. Wie sie es nach dem Sex oft gewesen waren.
»Frazer …« Cora verstummte, als eine Frau an ihrem Tisch stehenblieb.
»Frazer!«
Cora sah dabei zu, wie Frazer aufstand und sich von dieser fremden Frau auf die Wange küssen ließ.
»Hey Emma. Wie geht’s dir?«
Die Hand der Frau – Emma – legte sich auf Frazers Arm. »Mir geht’s gut. Letzte Nacht hat Spaß gemacht.«
»Ja.«
Wer war zur Hölle war diese Emma?
»Cora.« Frazer drehte sich zu ihr. »Das ist Emma. Emma, das ist meine Freundin Cora.«
Emmas Lächeln war ungewöhnlich einnehmend. Das Blau ihrer Augen wahnsinnig intensiv. »Hi Cora. Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Ebenso.«
Cora schluckte den Kloß herunter, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, und schüttelte Emmas Hand. Natürlich hatte sie schöne Hände.
»Nun, ich will nicht weiter stören.« Emma lächelte erneut. Warum war sie so fröhlich? »Frazer, ich hoffe, bald wieder von dir zu hören.«
Frazer erwiderte das Lächeln, nur, dass ihres schief war. »Ganz bestimmt. Bis dann!«
»Tschüss Cora.«
»Tschüss Emma.«
Cora sah ihr einen Augenblick nach. Als sie sich wieder an Frazer wandte, starrte diese sie an.
»Das tut mir leid.«
Der Kloß steckte noch immer in Coras Hals. »Ist schon in Ordnung.«
Als Frazer keine weiteren Informationen zu Emma lieferte und stattdessen einen Schluck von ihrem Bier nahm, konnte Cora nicht anders. »Woher kennst du sie? Ich glaube nicht, dass ich sie schon mal im Krankenhaus gesehen habe.«
»Wir, ähm, hatten gestern Abend ein Date.«
Cora zwang sich zu einem Lächeln, obwohl sich etwas ganz Hässliches in ihr breitmachte. »Oh. Wie nett.« Was sollte sie dazu sagen? »Sie hat ein hübsches Lächeln.«
Frazer zuckte mit den Schultern und starrte ihr Bier an. »Hat sie.« Dann hob sie den Blick. »Meine Freunde haben uns verkuppelt.«
»Das ist nett.« Nein, das war es nicht. Aber das sollte es sein. Es sollte etwas sein, worüber zwei Freundinnen miteinander sprechen konnten. Coras Herz schlug seltsam laut in ihren Ohren. Frazer hatte das Wort Freundin gegenüber Emma sehr betont, als sie Cora vorgestellt hatte.
»Ich, ähm, muss gehen.« Cora stand auf. Das panische Gefühl war wieder da.
»Cora.«
»Entschuldige, ich fühle mich nicht gut.« Sie schnappte sich ihre Handtasche, drehte sich um und floh, während Frazer ihren Namen rief und zwei Bier vor sich stehen hatte, von denen sie wahrscheinlich nicht mal eins gewollt hatte.
Vielleicht konnte Frazer Emma zurückrufen und es mit ihr zusammen trinken.
~ ~ ~
»Sie ist einfach geflüchtet?«
»Ja.«
Anstatt Jemma anzusehen, beobachtete Frazer ihre Fische. Das Aquarium leuchtete in einem sanften blauen Licht. Sie hatte es heute sauber gemacht. In ihrer Vorstellung waren ihre kleinen Fische darüber extrem glücklich. Sie waren aktiv, schwammen hin und her, und zwei von ihnen jagten sich neben der neuen Pflanze, die sie eingesetzt hatte.
Sie liebte ihr Aquarium. Es war so eine ordentliche, organisierte kleine Welt.
Ein Stück Popcorn traf Frazer mitten ins Gesicht. Sie warf Jemma einen finsteren Blick zu, nahm das Popcorn von ihrer Brust und aß es. »Wofür war das denn?«
Jemma lehnte sich auf dem Sessel zurück und hob fragend ihre Augenbrauen. »Du findest das nicht seltsam?«
»Von Popcorn ins Gesicht getroffen zu werden? Doch, das ist ziemlich seltsam.«
»Sei kein Arsch. Ich meine, dass sie einfach weggerannt ist.«
»Na ja.« Frazer beobachtete weiter ihr Aquarium. »Es war weniger ein Wegrennen als vielmehr ein Davonstürmen.« Frazer wandte auch nicht den Blick von ihren Fischen ab, als sie das heftige Seufzen ihrer Schwester hörte.
»Das ist auch seltsam.«
Mit einem Schulterzucken, das in ihrer derzeitigen Position, auf der Couch liegend, nicht einfach zu bewerkstelligen war, öffnete Frazer den Mund und sah demonstrativ zu Jemma, die sofort zielte und sie mit einem weiteren Stück Popcorn bewarf. Es prallte von Frazers Stirn ab. Drei weitere Versuche später war ein Popcorn in Frazers Mund gelandet. Jemma stieß ihre Faust triumphierend in die Luft und Frazer kaute glücklich.
»Ja, es ist seltsam. Deshalb war ich auch der Meinung, dass der Freundschaftsteil noch warten sollte … Es ist alles ein bisschen seltsam.«
»Vielleicht ist sie in dich verliebt.«
Frazer lachte.
»Oder du in sie.«
Frazer lachte erneut. »Nein und nein. Es ist nur … kompliziert.«
Kompliziert wie die Tatsache, dass Jemmas Bemerkung, dass Cora in sie verliebt sein könnte, ein warmes Gefühl in Frazers Bauch auslöste.
»Sicher. Kompliziert.«
Frazer widmete sich wieder ihrem Fisch-Fernsehen. »Es ist kompliziert. Es hätte nie so weit kommen dürfen …«
»Wahrscheinlich nicht.« Ein paar Minuten lang war nur Jemmas Kaugeräusch vom Popcorn zu hören. Schließlich fragte sie: »Wie war dein Date?«
Frazer beobachtete, wie Nemo an einer Koralle knabberte. Er war so klein. Fast niedlich: »Es war in Ordnung.«
»In Ordnung?«
»Ja. In Ordnung. Sie war nett …«
»Nett?«
Frazer sah zu Jemma, die sie erwartungsvoll ansah. »Ja, nett.«
»Unsere Großmutter ist nett, Frazer. Abendessen kann nett sein. Ein Date sollte etwas mehr als nur nett sein.«
»Unsere Großmutter ist erst nach drei Gläsern Wein nett, das ist also nicht dasselbe.« Sie tauschten ein wissendes Grinsen aus. »Ich weiß nicht, Jem. Sie war nett. Aber es hat nicht wirklich gefunkt.«
»Warum nicht?«
»Sie war ein wenig … langweilig.«
»Das hast du über dein letztes Date auch gesagt.«
Das stimmte. Vielleicht war Frazer das Problem.
»Vielleicht bist du diejenige, die langweilig ist, große Schwester.«
»Hey!« Frazer hätte einen Schmollmund gezogen, wollte aber nicht wie ein Fünfjährige aussehen. »Gemein.«
Auch wenn Frazers Gedanken in die gleiche Richtung gewandert waren.
»Es ist nur eine Möglichkeit. Gehst du nochmal mit ihr aus?«
Gott, nein . »Wahrscheinlich«, sagte Frazer.
»Super. Gib ihr eine zweite Chance.«
Auf keinen Fall . »Gute Idee.«
~ ~ ~
»Du bist einfach weggerannt?«
»Ich bin nicht gerannt
Lisa starrte sie mit einem eindringlichen Blick an. Cora fühlte sich dadurch sehr unwohl.
»Okay, Cora. Du bist einfach … weggegangen? Geflohen? Davongestürmt? Dann bist du hergekommen?«
Cora zog sich ein Kissen vor den Bauch. »Na schön. Ja.«
»Wie cool.«
»Ich … musste woanders hin.«
»Cora, Süße. Wir haben gerade festgestellt, dass du direkt hierhergekommen bist. Wir wissen also beide, dass das gelogen ist.«
»Ich habe dich vermisst.« Cora lächelte sie an und klimperte mit den Wimpern.
Lisa lachte laut.
»Was?«
»Ich habe dich vermisst, das ist alles«, sagte Lisa. »Du bist witzig.«
Cora lag auf der Zunge, dass sie nicht einfach weggegangen war, dann wurde ihr klar, dass Lisa es anders gemeint hatte. »Ich weiß.«
»Gut.« Lisa lächelte sie noch immer an, diesmal sanfter. Wie sie ein Kind anlächeln würde, das sie nicht zum Weinen bringen wollte. »Also, warum bist du geflohen?«
Laut stöhnend zog Cora das Kissen vor ihr Gesicht. Eine Sekunde später ließ sie es fallen. »Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung.«
»Wirklich?«
Lisa starrte sie wieder mit diesem Blick an. Es war unheimlich. »Wirklich. Es hat sich einfach alles so seltsam angefühlt. Was dämlich ist. Natürlich geht sie mit Leuten aus – wieso auch nicht?« Cora meinte es wirklich so. »Ich will , dass sie das tut. Ich war einfach nur … überrascht.«
»Warum?«
Cora zupfte an einem losen Faden am Kissen. Die eine-Million-Dollar-Frage. Warum hatte es sie so überrascht, dass Frazer eine Verabredung hatte? Wieso hatte sie fliehen müssen, um wieder atmen zu können? Warum glaubte Cora ersticken zu müssen, wo immer sie auch war? »Ich weiß nicht … Ich bin vielleicht selbstsüchtig. Ich war für eine Weile die einzige Frau in ihrem Leben. Ich war egoistisch oder so.« Cora atmete tief ein. »Ich sage es Alec morgen. Und vermutlich habe ich diese Anspannung auf sie projiziert.«
»Du sagst es ihm morgen?«
Erleichtert, dass sie nicht mehr über Frazer reden musste, nickte Cora. »Ja.«
»Das mit der Affäre?«
»Was?« Cora verschluckte sich fast an ihrer eigenen Spucke. »Nein! Nein. Nein, nein. Nein. Dass ich die Scheidung will.«
»Wirklich?«
»Ja. Wirklich.«
»Ich …« Lisa dachte einen Moment lang nach. »Was ist dein Plan?«
Noch eine eine-Million-Dollar-Frage. »Ich habe eher einen halben Plan. Ich spreche morgen erst noch mit meiner Therapeutin, um etwas mehr Klarheit zu bekommen.«
»Was ist dein halber Plan?«
»Ich sage es ihm und gehe dann vorrübergehend in ein Hotel. Dann suche ich mir irgendwo eine Wohnung.«
»Du wirst ausziehen?«
Cora zupfte wieder an dem losen Faden. »Ja. Ich brauche einen sicheren Ort. Und wenn er sich Zeit mit dem Auszug lässt oder Zugang zum Haus hat … Ich weiß nicht – vielleicht bringt er mich dann dazu, meine Meinung zu ändern.« Es war schrecklich zuzugeben, dass jemand sie so sehr kontrollieren konnte, bis sie das Gegenteil von dem glaubte, was sie ursprünglich gedacht hatte.
»Cora … Du ziehst das diesmal wirklich durch, oder?«
»Ja.« Das hatte Cora vor.
Mit einem Nicken sagte Lisa: »Geh nicht in ein Hotel. Komm hierher.«
»Das kann ich nicht von dir verlangen.«
»Ich meine es ernst. Und du verlangst nichts. Ich bestehe darauf.«
»Lisa …«
»Würdest du mich je in ein Hotel ziehen lassen?«
Cora konnte nur den Kopf schütteln.
»Dann ist es beschlossen.« Lisa lehnte sich nach hinten an die Couch. »Ich habe ein schönes Gästezimmer. Und wir können zusammen Wein trinken. Oder Tee. In letzter Zeit gab es etwas viel Wein.«
Cora hatte zum zweiten Mal heute einen Kloß im Hals. Sie sah ihre beste Freundin an. »Bist du sicher?«
»Wenn du mich das nochmal fragst, werde ich dein Bett mit einem schrecklich kratzigen Laken beziehen.«
Cora umarmte das Kissen fester.
»Danke, Lisa.«
»Halt die Klappe. Als müsstest du dich dafür bedanken.«
Alles fühlte sich an, als würde es außer Kontrolle geraten und gleichzeitig seinen richtigen Platz finden.