Kapitel 15
Cora ignorierte sie.
Für Frazer war das in Ordnung.
Abgesehen davon, dass es nicht in Ordnung war. Aber es musste in Ordnung sein. Und wen interessierte das überhaupt? Cora war so versessen darauf, mit ihr befreundet zu sein. Sie hatte so erschüttert ausgesehen, als Frazer vielleicht
gesagt hatte und gegangen war. Hatte sie am Sonntag beim Bier nochmal darauf angesprochen.
Wenn sie jetzt wegen eines dämlichen Dates eifersüchtig war, war das einfach nicht fair. Cora hatte die Grundregeln selbst aufgestellt. Sie waren Freundinnen. Der Sex war nur ein … ein Bonus dieser Freundschaft gewesen. Und jetzt, als es den Bonus nicht mehr gab, konnten sie trotzdem immer noch Freundinnen sein. Frazer würde sich liebend gerne darüber ärgern, dass Cora alle Rahmenbedingungen bestimmte und dann, als sie herausfand, dass Frazer ein Date gehabt hatte, einfach ging. Aber sie konnte nicht.
Cora war verheiratet und deshalb wahrscheinlich etwas durch den Wind. Frazer war es definitiv. Selbst jetzt konnte sie Alec nicht in die Augen sehen. Scham erfüllte sie, wenn sie in seiner Nähe war, und es war anstrengend zu verdrängen, dass er ein menschliches Wesen war, das sie in die Schusslinie gebracht hatte, nur um ihren Spaß zu haben. Und als sie gerade dabei gewesen war, Spaß zu haben, war sie dem Punkt, an dem sie zu viele Gefühle für Cora entwickelte, zu nahegekommen.
Frazer hatte keine Ahnung, wie Cora es schaffte, zu ihm nach Hause zu gehen, neben ihm auf der Couch zu sitzen, gemeinsam mit ihm zu essen oder nachts neben ihm zu schlafen. Oder mit ihm zu schlafen. Dieser Gedanke, den Frazer so gut es ging ausblendete, ließ sie nachdenklich auf ihrer Unterlippe kauen.
Aber es spielte keine Rolle. Sie durfte sich nicht damit beschäftigen. Sie musste sich auf die Arbeit konzentrieren.
Nächste Woche gab es die neue Schulung. Eine einwöchige Veranstaltung, die sie und Cora Seite an Seite überstehen mussten. Sie hatten es schon vor Wochen geplant und mussten jetzt so tun, als wären sie erwachsen, und es auch durchziehen. Gemeinsam. Sie sollten vorher unbedingt noch einmal miteinander reden, denn Cora war gestern Abend zum ersten Treffen nicht aufgetaucht. Es war nicht allzu wichtig gewesen, größtenteils ging es um ein paar einleitende Dinge. Aber es passte nicht zu ihr, einen solchen Termin zu ignorieren. Frazer hatte sie ungefähr achtmal angerufen, bevor sie schließlich aufgegeben hatte.
Als Frazer den Krankenhausflur entlangging, entdeckte sie Tia vor sich und rief nach ihr.
Glücklicherweise blieb Tia stehen.
Frazer schenkte ihr ein hoffnungsvolles Lächeln, das Tia nicht erwiderte.
»Wie läuft dein Tag?«
»Gut, danke.«
»Tia …« Frazer wusste nicht wirklich, was sie sagen wollte.
»Ja, Frazer?«
Verdammt. »Ich … wollte dir nur sagen, dass deine Worte angekommen sind. Cora und ich …« Frazer sah sich schnell um und war erleichtert, dass niemand in der Nähe war. »Es ist vorbei.«
Tia musterte sie. »Wirklich?«
»Ja.«
»Nach drei Monaten, einfach vorbei.«
»Ja.« Frazer lächelte sie wieder an, dieses Mal mit zusammengepressten Lippen, und lehnte sich mit einer Schulter an die Wand. »Vorbei. Es hätte schon vor einer Ewigkeit vorbei sein müssen.«
Aus irgendeinem Grund musterte Tia sie weiterhin eindringlich. Frazer musste dem Drang widerstehen, sich abzuwenden.
»Oh, mein armes Mädchen.«
Das hatte Frazer nicht erwartet. »Was?«
Tia strich mit einer Zärtlichkeit über Frazers Arm, die ihr fast den Atem raubte. »Du Idiotin. Du arme Idiotin.«
»Ähm … na ja, das bin ich wohl. Aber warum?«
»Und du weißt es nicht einmal!« Tia lachte. »Ich bin froh, dass du
zur Vernunft gekommen bist, aber der Rest …«
»Was für ein Rest?«, fragte Frazer. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so verwirrt gewesen zu sein.
Tia drehte sich um und ließ Frazer im Flur stehen.
»Was für ein Rest?« Von Tia kam keine Antwort mehr. »Tia! Wovon redest du?«
Tia bog um die Ecke und ließ Frazer vollkommen irritiert zurück. Was zur Hölle sollte das denn?
Frazer drehte sich um, machte einen Schritt und wurde von einer sich öffnenden Tür direkt an der Stirn getroffen. Sie schrie laut auf und wurde von einem »Mist! Es tut mir leid!«
begrüßt.
Frazer fasste an ihre schnell wachsende Beule und wäre am liebsten im Erdboden versunken, als sie die Stimme erkannte.
»Frazer, es tut mir so leid. Geht’s dir gut?«
Wieso musste es immer Cora sein? »Mir … mir geht’s gut.«
»Nein, tut es nicht.«
Arme zogen sie in den Raum, in dem Cora eben noch gewesen war. Es war ein leerer Lagerraum mit einem verstörend hellen Licht, gegen das Frazers Kopf mit noch mehr Pochen protestierte.
»Cora.« Frazer hielt sich noch immer eine Hand an die Stirn, als sie sich im Raum umsah. Es standen nur ein Haufen Kartons darin. In einem befanden sich ganz offensichtlich Erwachsenenwindeln. »Was machst du hier drin?«
»Die andere Tür führt zu meinen Büros. Ich nutze ihn als Abkürzung.«
Beeindruckt sah sich Frazer um. »Schlau.«
»Zeig mir mal deine Stirn.«
Ohne nachzudenken ließ Frazer die Hand sinken und betrachtete zum ersten Mal seit ihrem unfreiwilligen Zusammenstoß Coras Gesicht. Sie zuckte zusammen, als Cora die Stirn runzelte. »So schlimm, ja?«
»Du hast jetzt schon eine riesige Beule.«
»Großartig.«
Vorsichtig nahm Cora Frazers Gesicht in die Hände und drehte ihren Kopf, damit sie ihn unter dem Licht besser untersuchen konnte. »Ich glaube, dass ich gerade dabei zugesehen habe, wie sie gewachsen ist.«
»Noch großartiger.« Wann hatte sie Cora zuletzt gesehen? Sie wirkte ausgelaugt, mit dunklen Ringen unter den Augen. Hatte sie nicht gut
geschlafen? Die Frage, wo sie gestern Abend abgeblieben war, statt bei der Schulung zu erscheinen, verflog aus Frazers Kopf.
Cora löste den Blick von Frazers seltsam verformten Kopf und sah ihr in die Augen. Sie lächelte unbeholfen und ließ die Hände sinken. »Hey.«
Frazer lachte leise. »Hi.«
Vielleicht lag es am harten Schlag an die Stirn, aber Frazer wurde ein wenig schwindlig. Cora roch gut. Sauber und frisch. Ohne nachzudenken beugte sich Frazer nach vorn, und ihr Blick wanderte von Coras Augen zu ihren Lippen. Als sich Cora ihr ganz leicht entgegen neigte, erstarrte Frazer und wurde in die Realität zurückgerissen.
Ein Schatten huschte über Coras Gesicht und sie trat einen Schritt zurück.
Immer wich sie ihr aus.
»Du solltest das untersuchen lassen.«
Und dann war sie verschwunden, die Tür schloss sich mit einem Klicken hinter ihr und Frazer blieb mit einem pochenden Schädel und einem unangenehmen Gefühl im Bauch allein zurück.
Mist. Fuck.
Regel Nummer eins in der lesbischen Welt, vor allem nachdem man die Highschool verlassen hatte: Verlieb dich nie in das Hetero-Mädchen. Niemals.
Okay, jetzt war sie doch wütend. Frazer stieß schwungvoll die Tür auf und verließ den Raum. Sie marschierte durch die Flure, die Hände zu Fäusten geballt. Als sie ihr Ziel erreicht hatte, sah sie sich im Raum um. Er war leer. Niemand saß am Empfangstisch. Schnell machte sie auf dem Absatz kehrt. Sie wollte Alec nicht über den Weg laufen.
Vor allem nicht jetzt.
Nicht, wenn sie sich mit Highschool-artigen Gefühlen auseinandersetzen musste.
In der Kantine fand sie auch nicht, wonach sie suchte.
Frazer stürmte aus dem Krankenhaus und zitterte in der kalten Luft, die sie umgab. Sie kühlte zwar ihre erhitzte Haut, das half aber nicht gegen die Panik, die in ihr aufstieg. Nachdem Frazer um ein paar Ecken gebogen war, entdeckte sie sie endlich.
Tia sah nicht sonderlich überrascht aus, als Frazer den Hof betrat.
Sie bewegte sich nicht einmal von der Wand weg, an der sie mit dem Rücken lehnte. Frazer starrte sie einen Moment lang an, bevor sie zu ihr ging und die Packung Zigaretten entgegennahm, die Tia ihr reichte.
Zigaretten. Frazer hasste sie.
Aber der Rauch sammelte sich in ihren Lungen und brannte ein Loch in die heftigen Gefühle in ihrer Brust. Frazer schlang einen Arm um sich selbst, lehnte sich neben Tia an die Wand, einen Fuß nach hinten gestützt, und konzentrierte sich auf die Backsteine, die sie in ihrem Rücken fühlte.
»Hast du endlich herausgefunden, was der Rest ist?«, fragte Tia.
Frazer blies den Rauch gleichmäßig aus. Er war bläulich und stieg langsam vor ihr auf, bevor er vom Wind davongetragen wurde. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Sicher, Kleines.«
Der nächste Zug fühlte sich nach Verleugnung an und schmeckte nach Lügen aus Asche.
»Ich wusste nicht, dass du Gefühle für sie hast.«
Frazer auch nicht. »Habe ich nicht.«
»Sicher.«
~ ~ ~
Nichts war besser als ein Adoptionsprozess, um sich von der eigenen Scheidung abzulenken. Oder von der Frau, die man einfach nicht aufhören konnte, küssen zu wollen. Was bildete sich Frazer ein, sie so anzusehen? Oder einfach ständig überall zu sein
?
Den ganzen Nachmittag über war sie wütend gewesen. Das hatte das Treffen mit ihrer Anwältin erleichtert – sie würde nächste Woche mit Alecs Anwalt Kontakt aufnehmen. Die Tatsache, dass Cora sich nicht von ihm scheiden lassen konnte, bis der Nachweis erbracht war, dass sie seit zwölf Monaten getrennt lebten, bereitete ihr Kopfschmerzen. Ein Trennungsjahr, dann erst konnte sie die Scheidung einreichen. Jetzt waren sie erst einmal nur getrennt.
Und nun sah Jack sie mit seinen großen, blauen Augen an, während drei Schnellhefter zwischen ihnen auf dem Tisch lagen. Der Kellner brachte ihre Getränke. Die Freude auf Jacks Gesicht war offenkundig, als er den größten Schokoladenmilchshake vor sich stehen hatte, den Cora je gesehen hatte.
Er nahm einen Schluck durch den Strohhalm und zog dabei die Wangen tief ein. »Der ist so, so gut. Obwohl ich danach alle fünf Minuten aufs Klo muss.«
Ihr eigener Minzmilchshake war cremig und köstlich und trotzdem konnte Cora ihn nicht genießen. Diese dämliche Begegnung mit Frazer im Lagerraum lief wie eine Dauerschleife in ihrem Kopf. Ihre Schuldgefühle, weil sie Frazers Anrufe ignoriert hatte, waren auch nicht gerade hilfreich. Die Ausbildungswoche war wichtig; sie hätte da sein müssen. Sie war stolz, ein Teil des Programms zu sein, denn es ähnelte der Freiwilligenarbeit, die sie nach der Uni immer hatte machen wollen. Es war ein kleiner Teil von ihr, den sie wiederentdeckt hatte.
Sie nahm einen tiefen Schluck von ihrem Shake und verdrängte diese Gefühle. »Aber das ist es wert, oder?«
»Auf jeden Fall.«
Cora widmete ihre Aufmerksamkeit den Schnellheftern auf dem Tisch. »Also. Was meinst du?«
Jack sackte ein wenig in sich zusammen und richtete seinen Blick auf die Unterlagen. »Ich weiß es nicht.«
»Irgendwelche spontanen Eingebungen? Sprich es einfach aus.« Cora mischte die Hefter wie ein Hütchenspieler, der die drei Becher mit einem Ball unter einem immer wieder vertauschte. »Oder wir ziehen einfach einen heraus und nehmen den.«
»Das klingt verlockend.«
Cora nahm wahllos einen Hefter und klappte ihn auf. »Okay. Zwei Dads, keine Kinder, eine Katze. Was meinst Du? Los! Nicht nachdenken.«
»Puh … ähm.«
»Du grübelst wieder.«
Seine Augen waren wieder lebhafter und Jack platzte heraus: »Sie wirken nett. Einer ist Künstler und arbeitet von zu Hause aus. Der andere arbeitet bei einer Bank. Mir gefällt, dass sie damit irgendwie ein Gleichgewicht bilden. Und der von zu Hause aus arbeitet, leistet viel Wohltätigkeitsarbeit in einem Flüchtlingszentrum.«
»Klingt gut und jetzt …« Cora nahm den zweiten Hefter und öffnete ihn. »Alleinerziehende Mutter. Und los!«
»Sie ist, ähm, Kinderbuchillustratorin. Sie arbeitet auch von zu
Hause aus. Sie hat ein gutes Einkommen, weil sie daneben noch in einer Vertragsabteilung arbeitet. Wohnt nahe am Strand. Hat eine große Familie, viele Nichten und Neffen. Das ist schön. Cousinen und Cousins für Käferchen.«
»Käferchen?«
Jack zuckte verlegen mit den Schultern. »Ich hatte es satt, immer nur es
zu sagen.«
»Okay, und deine dritte Option für Käferchen sind eine Mum und ein Dad mit zwei adoptierten Kindern.«
Der Schokoladenmilchshake vor Jack war schon halb leer. Gedankenverloren rührte er mit dem Strohhalm darin herum. »Sie setzen sich offensichtlich für ihre Kinder ein. Mir gefällt, dass Käferchen Geschwister haben könnte. Und er hätte Menschen, die schon erfahrene Eltern sind – das ist schön …«
»Aber?«
Jack stach nun mit dem Strohhalm in die schokoladige Masse. »Aber … ich weiß nicht. Sie haben schon zwei Kinder. Die anderen beiden warten seit einer Ewigkeit auf ein Kind. Ich glaube, dass ich Käferchen lieber einer Familie geben würde, die schon lange wartet.«
»Okay. Das ist in Ordnung. Cora legte einen Hefter neben sich auf die Sitzbank. Das Teil war hässlich und mit einem leuchtend pinken Lederstoff bezogen. Sie waren in einem Diner aus den 1950ern, aber Jack hatte es vorgeschlagen und sie hatte nicht Nein sagen wollen. Und die Milchshakes waren großartig – sie schmeckten nach ihrer Kindheit. »Sieh dir das an, ein Fortschritt. Bleiben noch zwei.«
Jack nahm noch einmal einen tiefen Zug aus seinem Strohhalm. Seine Augen musterten die beiden Hefter, die Cora vor ihn hingelegt hatte. »Kannst du es nicht entscheiden?« Seine Stimme war leise und er sah nicht zu ihr auf.
Cora fühlte mit ihm. »Es tut mir leid, Jack. Das muss deine Entscheidung sein.«
»Wenn Tom nicht so ein Arschloch wäre, könnte er mir dabei helfen.«
Das stimmte. Es war unfair, dass die Person mit dem Uterus in solchen Situationen mit der Verantwortung allein war. »Ich weiß. Aber du wirst die richtige Entscheidung treffen.«
Jack warf die Hände in die Luft. »Ich mag beide. Die beiden Dads
wären toll, zwei Menschen, die für ihn da sein würden. Und ich wüsste, dass Käferchen zumindest aufgeschlossene Eltern hätte. Aber die Frau arbeitet bei einer Organisation, die sich für Lesben und Schwule einsetzt, und wirkt auch toll. Und die Fragen, die ich ihnen durch die Agentur geschickt habe, äh, die wir geschickt haben, haben alle großartig beantwortet.« Jack ließ seinen Kopf auf den Tisch sinken und drehte sich dabei ein wenig, damit er sich trotz Bauch herunterbeugen konnte. Mit großen Augen sah er Cora an: »Willst du ein Kind? Bei dir weiß ich, dass du nicht verrückt bist.«
Cora hätte fast laut gelacht. »Glaub mir, ich bin nicht die beste Wahl für Käferchen.«
»Warum nicht? Du bist verheiratet.« Sein Blick richtete sich auf ihren Ringfinger. »Wieso trägst du eigentlich deinen Ring nicht?«
Sie war nicht verheiratet. Oder würde es bald nicht mehr sein. Wie erklärte man einem Achtzehnjährigen, dass es nicht automatisch bedeutete, sein Leben im Griff zu haben, wenn man erwachsen und verheiratet war? »Ich habe es mir bei der Arbeit abgewöhnt, weil das Krankenhaus eklig und dreckig ist und wir uns ständig die Hände waschen müssen. Ich trage ihn nur manchmal.«
»Also.« Jack wackelte herausfordernd mit den Augenbrauen. »Willst du es?«
Cora lachte und spürte trotzdem diese Enge in der Brust. »Nicht so sehr, wie die Leute in diesen Ordnern es wollen.«
Er sank wieder zurück auf den Tisch. »Verdammt.«
»Ja.« Sie lächelte seinen Scheitel an. »Verdammt. Okay, reden wir später nochmal darüber. Was ist mit dem Danach, den nächsten sechs Monaten?«
Er richtete sich auf und zog den Milchshake wieder näher zu sich. »Mir gefällt die Idee, eine Ausbildung zu machen.« Er sprach langsam, als würde er sie auffordern, einen Denkfehler in diesem Plan zu finden. Als wäre eine solche Zukunft für ihn nicht gemacht.
»Super, ich habe einen ganzen Haufen Material hier.« Sie schob ihm einige Broschüren rüber, durch die er blätterte. »Und ich habe die Unterlagen von Centrelink für deine Sozialversicherung dabei. Damit können wir anfangen.«
»Ich kann während der Ausbildung eine Unterstützung bekommen?« Er löste den Blick nicht von den Seiten vor sich.
»Das kannst du.«
Cora riss gerade vielleicht ihr eigenes Leben mit bloßen Händen ein, aber sie konnte Jack dabei helfen, seines neu aufzubauen.
Er nickte und versuchte ganz offensichtlich, seine Freude zu unterdrücken. »Cool.«
»Ja, sehr cool.«
~ ~ ~
Die Schulung war gut gelaufen.
Sie hatten fünf neue Mentorinnen, darunter auch die Krankenschwester aus der Notaufnahme, die alle Informationen von Frazer aufgesogen und sehr konzentriert und fokussiert gewirkt hatte. Alle hatten sehr aufschlussreiche Fragen gestellt, die Mitgefühl und ein Verständnis für das, war ihre Klientinnen durchmachten, gezeigt hatten. Sie waren alles, was sich Frazer von potenziellen Mentoren erhoffen konnte.
Aber wieder war Cora nicht gekommen.
Frazer hatte ihr geschrieben, war im Stillen aber erleichtert gewesen, als sie nicht reagiert hatte. Ihre eigene Erkenntnis hatte ihre Stimmung eher verschlechtert und sie hatte gerade kein Interesse daran, Cora zu sehen. Morgen Abend allerdings musste Cora da sein; da würde es um den Fürsorgeaspekt gehen. Frazer würde sie morgen also aufspüren und ihr in den Hintern treten. Wenn es anscheinend so unzumutbar war, in ihrer Nähe zu sein, würde Cora die Sitzung eben allein abhalten müssen.
Frazer hatte gerade das Zimmer fertig aufgeräumt und die Lichter ausgeschaltet, als ihr Handy den Eingang einer Nachricht meldete. Sie dachte, dass Cora endlich geantwortet hatte, und hob überrascht die Augenbrauen, als sie sah, dass die Nachricht von ihren Freunden kam.
Sie wollten mit ihr ausgehen. Offenbar war in der Bar ganz in der Nähe Ladys Night.
Der Bar, in die auch all ihre Kollegen gingen.
Gerade als sie absagen wollte, kam eine weitere Nachricht. Es war ein Bild von Rob und Andy, die sie finster ansahen. Darunter stand: Komm schon her, oder wir stehen später betrunken vor deinem Haus
.
Unwillkürlich musste Frazer grinsen. Sie konnte eine kleine Ablenkung gebrauchen. Selbst wenn die Ablenkung nur aus ihren
betrunkenen Freunden bestand. Es hatte keinen Sinn, nach Hause zu gehen und über Cora nachzudenken. Frazer weigerte sich, eine solche Frau zu sein. Sie hatte geglaubt, sie könnte Cora das bieten, was diese wollte: eine Freundin mit gewissen Vorzügen. Stattdessen war sie zu einem wandelnden Klischee geworden. Jetzt musste sie sich nur noch zwei Katzen anschaffen, dann wäre das Bild perfekt. Obwohl … die würden vielleicht ihre Fische fressen und dann wäre sie am Boden zerstört. Vielleicht sollte sie ein größeres Aquarium kaufen und stattdessen einfach eine Fisch-Lady werden.
Nachdem sie diese Entscheidung getroffen hatte, ließ sie ihr Auto auf dem Krankenhausparkplatz stehen und ging zur Bar. Die Luft war eisig. Ihre dünne Jacke machte es nicht wirklich besser und sie schlüpfte fünf Minuten später erleichtert in den warmen Raum. Ein Jubeln aus der Ecke führte sie zu ihren Freunden.
»Ja, ja, ich bin hier.«
»Es ist ein Weihnachtswunder!« Rob sah aus, als hätte er schon ein paar Drinks intus.
»Es ist Juli, du Idiot.« Andys Wangen waren gerötet.
»Leute, außerdem ist Dienstag. Und ihr seid beide betrunken.«
Andy zeigte beim Grinsen ihre Zähne. »Es ist Ladys Night!«
»Du bist hetero.«
»Aber du nicht.« Andy schlang einen Arm um ihre Schultern, zog sie an sich und drückte ihr einen Shot in die Hand. »Für dich.«
Die dunkelbraune Flüssigkeit hatte dieselbe Farbe wie Coras Augen und Frazer trank sie schnell, um sie verschwinden zu lassen. Ganz genau so, wie sie es mit ihren Gefühlen für Cora auch tun musste.
Rob jubelte und klatschte, bevor er ihr ein weiteres Glas reichte. »Ich liebe Dienstage. Alles ist so billig.« Sie tranken einen weiteren Shot und Rob verzog das Gesicht, als er die bittere Flüssigkeit schluckte. »Warum sollen wir den Uni-Studentinnen den ganzen Spaß allein überlassen?«
Frazers Kehle brannte und ihr Mund fühlte sich an wie im ersten Jahr auf der Universität. Selbst damals war sie nicht so dämlich gewesen, sich in das Hetero-Mädchen zu verlieben. »Noch einen?«, fragte sie, als könne der Alkohol das Übelkeit erregende Gefühl in ihrem Bauch verschwinden lassen.
Andy starrte sie mit großen Augen an. »Rob, schnell!«, flüsterte sie
hörbar. »Bevor sie ihre Meinung ändert und verschwindet, um mit ihren Fischen abzuhängen.«
Rob kicherte wieder und winkte dem Barkeeper.
»Nun«, Frazer nahm das neue Glas entgegen, »das wollen wir doch nicht.« Der Alkohol ging runter wie Öl.
Sie verkrochen sich viel zu lange in ihrer Ecke, während Andy von irgendeinem Vertragsabschluss bei der Arbeit erzählte. Irgendwann blitzten Schuldgefühle in ihrem Gesicht auf und sie fragte Frazer, wie ihr Programm lief. Obwohl es verlockend war, sie mit ebenso vielen Details zu langweilen, wie Andy und Rob es immer mit ihr taten, fasste sich Frazer kurz. Andy sah erleichtert aus.
»Obwohl ich gestern einem Baby auf die Welt geholfen habe, das über fünf Kilo schwer war. Und es war eine Vaginalgeburt.«
Andy wurde so schnell blass, dass Frazer fürchtete, sie würde ohnmächtig werden. Neben ihr klappte Rob der Mund auf. »Über fünf Kilo?«
»Ja.«
»Ist das nicht so viel, wie zwei Babys?«
Nicht wirklich. »So ziemlich.«
Andy erschauderte. »Ich bin so, so froh, dass ich nie Kinder haben werde. Niemals. Niemals nie.«
Frazer schnaubte in ihr Whiskey-Cola-Glas.
Robs Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ich werde jetzt über Tendenzen auf dem Aktienmarkt sprechen.«
»Nein!« Frazer hob kapitulierend die Hände. »Ich benehme mich, entschuldigt.«
Andy wirkte noch immer erstaunlich blass um die Nase für jemanden mit so dunkler Haut. »Ich hasse dich, Frazer.« Ohne Vorwarnung richtete sie sich auf und sah über Frazers Schulter hinweg. »Oh! Zehn Uhr!«
Rob verdrehte die Augen, nachdem er einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte. »Süße, so spät ist es noch nicht.«
Er keuchte, als Andy ihm mit der Hand auf die Brust schlug. Er riss die Augen auf: »Oh! Heiße Braut auf zehn Uhr. Kapiert.«
Frazer wollte sich gerade umdrehen, um selbst einen Blick auf die Person zu werfen, als Andy ihren Kopf festhielt. »Sei cool, Frazer! Herr im Himmel:«
Ihre Freunde führten sich für ihren Geschmack viel zu dramatisch auf. So lässig wie möglich nippte Frazer an ihrem Drink und warf dann einen verstohlenen Blick über die Schulter. Hustend wandte sie sich wieder zu ihren Freunden.
Sie sahen sie mit tief enttäuschten Gesichtern an. Kopfschüttelnd sagte Andy: »Ja. Das war total cool.«
»Das ist Lauren.«
Rob und Andy beugten sich voneinander weg, um an Frazer vorbeizusehen. »Wer?«, fragte Rob.
»Eine Sekretärin in der Klinik.«
»Oh.« Ein boshaftes Lächeln legte sich auf Andys Lippen. »Eine Affäre am Arbeitsplatz. Das könnte heiß sein. Und lustig.«
Eine Affäre am Arbeitsplatz war weder das eine noch das andere. Na ja, sie war es am Anfang gewesen und es hatte Spaß gemacht. Nur nicht mit Lauren. Und jetzt war es alles andere als lustig und heiß.
»Affären am Arbeitsplatz hören sich toll an«, sagte Rob. »Und dann verkomplizieren sie alles.«
Frazer deutete mit ihrem Glas auf ihn. »Ganz genau. Kompliziert. Das brauche ich nicht.« Denn technisch gesehen hatte sie das bereits hinter sich.
Andy säuselte förmlich, als sie sagte: »Aber Frazer. Sie ist süß!«
Lauren war süß. Und irgendwie langweilig. Aber vielleicht war langweilig nicht verkehrt. Und was war letztens die Erkenntnis gewesen? Dass eigentlich sie die Langweilige war, wenn sie ständig fand, dass sie langweilige Dates hatte. Sie kippte den Rest ihres Drinks herunter und warf einen Blick auf ihr Handy. Keine Nachrichten. Nichts.
Nicht, dass sie eine Antwort erwartete.
»Warte!« Robs Augen leuchteten noch mehr auf. »Die Lauren, mit der du ein Date hattest? Die
Lauren?«
Andys Wow
war viel zu laut und Robs Grinsen beinahe manisch.
Frazer stellte ihr leeres Glas mit einem dumpfen Knall auf den Tisch.
Andys und Robs Gesichter strahlten vor Freude, als Frazer aufstand.
»Wirst du rübergehen und mit ihr reden?«, fragte Andy. Sie umfasste Robs Oberarm. »Rob! Sie wird mit ihr reden«, flüsterte sie aus dem Mundwinkel.
»Ich weiß! Aber pst! Wir wollen sie nicht verschrecken.« Er streckte
beide Daumen nach oben und sagte mit normaler Lautstärke: »Los geht’s, Tiger!«
Als sie sich umdrehte, hörte sie Andy sagen: »Unser kleines Mädchen ist erwachsen geworden. Oder wird wieder erwachsen. Oder ist wieder im Spiel. Irgend so was.«
Die beiden lachten nur noch lauter, als Frazer ihnen über die Schulter hinweg einen bösen Blick zuwarf.
Das schwindelige Gefühl, das mit mehr als genug aber noch nicht zu viel Alkohol einherging, erfüllte Frazers Kopf. Vielleicht war Cora ein Schritt zurück ins Spiel
gewesen, von dem ihre Freunde ständig faselten. Ein Schritt in die richtige Richtung, der sie aus der Dating-Flaute gezogen hatte, in der sie feststeckte, seitdem sie sitzengelassen worden war. Obwohl es keine gute Idee war, über ihre unschöne Krankenhaustrennung von vor ein paar Jahren nachzudenken, wenn sie auf dem Weg war, um mit einem datebaren weiblichen Wesen zu sprechen.
»Hey Lauren.«
Als sie ihren Namen hörte, drehte sich Lauren um. »Frazer! Hey. Ich habe dich in letzter Zeit nicht oft gesehen.«
Ihre Stimme war warm und verspielt. Vielleicht war sie doch nicht so langweilig, wie Frazer gedacht hatte. Oder aber Jemma hatte recht damit, dass Frazer einfach nur gewollt hatte, dass alle langweilig waren. Nicht, dass sie das ihrer Schwester gegenüber jemals zugeben würde.
»Ja, meine Freunde haben mich her geschleift.«
Lauren warf einen Blick hinter Frazer. »Ich hoffe, dass deine Freunde die sind, die uns gerade gruselig anstarren und grinsen, sonst bin ich ein wenig beunruhigt.«
Frazer drehte sich um und bestätigte, dass ihre Freunde verrückt waren. Andy hob sogar die Hand und winkte ihnen zu. Als sie ihren Blick wieder auf Lauren richtete, schüttelte Frazer den Kopf. »Nein, diese Verrückten habe ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.«
»Sollten wir dann einen der Türsteher holen?«
Frazer lachte. »Schön wärʼs. Wollen wir versuchen, sie zu ignorieren?«
»Der Typ hat der Frau gerade auf die Schulter geschlagen und zeigt jetzt auf uns.«
Frazer schloss die Augen und machte sich in Gedanken eine Notiz, ihre Freunde später umzubringen. »Wollen wir dann aus deren Sichtfeld verschwinden?«
Lauren wirkte einen Augenblick lang sichtlich überrascht, zögerte kurz und nickte dann. »Okay.«
Es war leicht, Lauren zur anderen Seite der Bar in eine Ecke zu führen, in der sie nicht angestarrt werden konnten. Sie befand sich in der Nähe der Toiletten und war deshalb nicht so überfüllt. Andere Gäste hatten die Stühle vom Tisch entwendet, also stützten sie die Ellbogen auf das Holz und standen enger zusammen, als sie es mit Stühlen getan hätten.
Die ganze Situation fühlte sich falsch an. Lauren lachte nicht richtig. Und als sie mit einer Hand über Frazers Arm strich, war da zwar Wärme, aber kein Prickeln. Kein Aufwallen in ihrem Bauch. Die Wärme breitete sich auch nicht in ihrem ganzen Körper aus.
Es war nicht unangenehm. Es war nur nicht Cora
.
Während sie über etwas lächelte, das Lauren gesagt hatte, atmete Frazer scharf ein. Genau das war doch der Punkt.
Natürlich war Lauren nicht Cora. Das war das Gute an der Sache. Natürlich war es anders. Deshalb war Frazer doch überhaupt auf sie zugegangen – wegen etwas anderem, wegen etwas, das definitiv nicht
Cora war. Cora war verheiratet, hetero, ging ihr aus dem Weg und war alles, was Frazer nicht wollen sollte.
Lauren war lesbisch. Interessiert. Lauren war hübsch. Lauren konnte witzig sein. Das war doch nett.
Es war einfach, ihr die Haare aus ihrem Gesicht zu streichen und sich etwas vorzubeugen. Eine Sekunde zu verharren, sodass sich ihr Atem mischte. Sie dann schließlich zu küssen war noch einfacher. Eine natürliche Steigerung. Lauren erwiderte den Kuss, strich mit der Zunge über Frazers Unterlippe und scheute sich nicht davor zurück. In einer Bar, in aller Öffentlichkeit.
Nein, Lauren war nicht wie Cora.
~ ~ ~
»Warum sind wir hier?«
»Weil du, Cora, etwas Spaß brauchst.«
»Aber warum sind wir dann hier
?«
In dieser Bar hatte sie zum ersten Mal mit Frazer zusammengesessen. Danach waren sie viel zu oft hergekommen und hatten so getan, als seien sie nur Kolleginnen, die gemeinsam etwas trinken gingen. Hier hatten sie unter dem Tisch gefüßelt, wenn sie dachten, dass niemand hinsah. Einmal waren sie sogar zusammen auf der Toilette verschwunden.
Lisa sah sie mit einem Funkeln in den Augen an, das Cora nicht oft zu sehen bekam. »Es ist Ladys Night.«
Cora versuchte nicht einmal, ihre Abneigung zu verbergen. »Meinst du das ernst?«
Lisa kicherte. »Ach komm schon, das wird lustig.«
»Ich bin nicht lesbisch!«
Lisa verdrehte die Augen, zog sie in die Bar und versuchte, die Aufmerksamkeit des Barkeepers zu erregen. »Ich habe nie behauptet, dass du es bist. Entspann dich. Aber weißt du, Cora …« Lisa sah sie viel zu eindringlich an.
»Was?«, fragte Cora.
»Nichts.« Sie widmete sich wieder dem Versuch, den Barkeeper zu sich zu winken.
»Lisa, was?«
»Nichts! Wirklich, es war nichts. Ich mache mir nur Sorgen um dich.«
Cora wühlte in ihrer Handtasche und suchte ihr Portemonnaie. »Warum?«
Lisa sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ernsthaft?«
»Es ist nicht so, als hätte ich gerade meinen Ehemann verlassen, nachdem ich eine verrückte Affäre hatte, Lisa.« Cora presste die Lippen aufeinander, um ihr Lächeln zu unterdrücken.
»Ja, total weit hergeholt.«
Endlich tauchte der Barkeeper auf und nahm ihre Bestellungen auf. Er schenkte ihnen zwei Gläser Weißwein ein. »Die Damen.« Mit einem Zwinkern schob er ihnen die Gläser zu und nahm dafür Coras Zwanziger entgegen.
»Ich habe einen freien Tisch entdeckt!« Lisa ging schnurstracks auf den Tisch neben den Toiletten zu. Es gab keine Stühle, also legten sie ihre Mäntel und Taschen auf die Tischplatte und stellten sich einfach daneben. »Trinken wir darauf, dass du endlich tust, was du schon vor
einer Weile hättest machen sollen.«
Cora fragte nicht genauer nach. Lisa hatte mehr als jeder andere mitbekommen, was in ihrer Ehe vorgegangen war. Sie erinnerte sich vage an das Aufblitzen von Sorge in Lisas Augen während ihres Studiums. Sie hatte mehrmals versucht, Cora andere Männer vorzustellen, und Cora hatte den Grund dafür damals nie verstanden. Die Verwirrung, die Cora empfunden hatte, als Lisa frustriert gewesen war, weil Cora zum fünften Mal wegen Alecs Protest abgesagt hatte. Cora hatte es für normal gehalten, dass Alec ständig ihre Aufmerksamkeit verlangte.
Sie stießen an und der Wein lag süß auf ihrer Zunge, als sie einen kleinen Schluck nahm. Sie hatte vergessen, wie gut der Wein in der Bar war.
Um sie herum war viel Gelächter, Gesprächsfetzen, das Klirren von Gläsern.
»Wie kannst du mich nicht verurteilen?«, fragte Cora und überraschte sich selbst damit. Den ganzen Tag war sie melancholisch gewesen. Sie war Frazer aus dem Weg gegangen und die Schuldgefühle hatten an ihr genagt, weil sie die ersten zwei Tage der Schulung verpasst hatte. Morgen würde sie auf jeden Fall hingehen; zumindest würde sie sich dadurch besser fühlen. Die ersten zwei Tage konnte Frazer gut allein bewältigen. Aber irgendwann würde sie mit ihr reden müssen. Jedes Mal, wenn sie versuchte, sich zu überwinden, erinnerte sie sich an den suchenden Blick in ihren Augen, als sie die Prellung auf Frazers Stirn untersucht hatte, und sie so nah beieinanderstanden, dass sie ihren Atem gespürt hatte. Sie wollte Frazer die Schuld dafür geben, dass sie sich fast geküsst hätten, aber Cora
war diejenige gewesen, die sich ein Stückchen nach vorn bewegt hatte.
Lisa schob ihr Glas zur Seite und legte ihre Hand auf Coras. »Warum sollte ich dich verurteilen?«
»Ich hatte eine Affäre, Lisa. Das ist nicht … Das ist nichts Gutes.«
Lisa drückte Coras Hand. »Nein, ist es nicht. Aber das Leben ist nicht schwarz oder weiß. Du warst …«
»Was?«
»Niemand hat das Recht, dich zu verurteilen. Man kann nicht wissen, was in einem anderen Menschen vorgeht.«
»Du hast mehr Recht dazu als die meisten.«
»Ich weiß nicht, Cora. Du hast dich in etwas gestürzt, damit du dich nicht ständig damit auseinandersetzen musst, was mit Alec passiert. War das gut für dich? Nein. Sollte ich dich dafür verurteilen? Ich denke nicht. Du wolltest so oder so aus deiner Ehe raus. Und jetzt bist du raus. Der Rest ist nur … Semantik.«
Cora nahm einen großen Schluck Wein. »Danke.«
Lisa lächelte. »Ach, halt die Klappe.«
Cora musste lachen. Balsam für ihre verängstigte Seele. Sie ließ ihren Kopf in ihre Hände sinken. Es war schön, auszugehen und sich abzulenken. Seltsam befreiend. Sie musste sich Alec gegenüber nicht rechtfertigen. Wenn sie nach Hause kam, würde es keinen Streit geben und niemand würde ihr Schuldgefühle einreden. Es gab keine heiße Affäre zu vertuschen, es gab nur einen Abend mit ihr und ihrer besten Freundin.
»Triffst du dich noch mit ihr?«
Cora richtete sich gerade auf, und versuchte zu überspielen, dass sie ganz in Gedanken verloren gewesen war. »Was?«
»Die Frau. Siehst du sie manchmal noch?«
Cora stöhnte und sackte wieder zusammen. »Nein. Nicht absichtlich. Ich meine, wir arbeiten zusammen, manchmal begegnen wir uns. Aber ich gehe ihr aus dem Weg.«
»Ich dachte, du wolltest mit ihr befreundet sein?«
»Will ich auch.« Wollte sie. »Aber es ist schwerer, als ich gedacht habe.«
»Willst du immer noch mit ihr schlafen?«, fragte Lisa mit einem Glitzern in den Augen.
»Nein!« Na ja, vielleicht. Was normal war, nachdem sie es so lange getan hatten. »Es ist einfach komplizierter als ich dachte, und ich brauche gerade nichts Kompliziertes.«
Sie konnte den Ausdruck auf Lisas Gesicht nicht einordnen. Sie sah aus, als hätte sie etwas auf dem Herzen oder wüsste ein Geheimnis und würde darauf warten, dass Cora klar wurde, dass auch sie es wusste.
»Ich muss mal«, verkündete Cora und schob sich an Lisa vorbei zur Toilette.
Sie musste zwar nicht, aber sie wollte auch nicht mehr mit diesem Gesicht konfrontiert werden. Auf keinen Fall würde sie sich in etwas hineinstürzen, egal was Lisa dachte.
Cora machte die Tür auf und blieb mit weit aufgerissenen Augen wie angewurzelt stehen.
Frazer blickte sie überrascht an und Cora brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass sie sie im Spiegel sah. Nicht nur das. Frazer sah sie über die Schulter einer anderen Person an, den Mund offen vor Schreck. Frazer war nicht allein in der Toilette. Eine Frau presste sich an sie – Lauren
, die Sekretärin
ihrer Abteilung – und blinzelte Cora über die Schulter der echten Frazer an.
Frazers Hände steckten unter Laurens Oberteil. Nein, nur eine. Die andere steckte halb in ihrer Hose.
Alle drei starrten sich einen Augenblick lang einfach nur ungläubig an.
Mit brennenden Wangen machte Cora auf dem Absatz kehrt und stürmte hinaus.
Frazer folgte ihr nicht.
~ ~ ~
Zum dritten Mal in Folge vergrub Frazer ihr Gesicht tief in ihrem Kopfkissen. Auf einer Toilette
? Wie alt war sie, achtzehn?
Auf einer Toilette
!
Sie stöhnte erneut und das Geräusch kratzte an ihrer Kehle. Sie wollte sich die Decke von den Beinen treten, aber das Laken hatte sich verheddert, und letztendlich wickelte sie sich nur noch weiter ein.
Was hatte sie sich bloß dabei gedacht?
Ein neuer Morgen sollte sich frisch anfühlen. Ein neuer Anfang. Man sollte die Chance begrüßen, Dinge neu anzufangen. Stattdessen wachte Frazer mit dem leicht säuerlichen Geschmack von Alkohol und der Erinnerung auf, dass sie wirklich
schlechte Entscheidungen getroffen hatte. Die ganze Zeit über.
Buchstäblich die ganze Zeit über.
Zehn Minuten später quälte sie sich aus ihrem Bett und trat unter den übertrieben heißen Wasserstrahl ihrer Dusche. Normalerweise duschte sie am liebsten kalt, egal ob im Sommer oder im Winter. Heißes Wasser fühlte sich auf ihrer Haut immer unangenehm an; sie prickelte danach noch eine Stunde später. Aber heute wollte sie sich ihr Selbstmitleid von der Haut brennen.
Stattdessen fühlte sie sich nur überhitzt und eklig, als sie wieder aus
der Dusche kam. Die Haare klebten ihr im Nacken und kräuselten sich durch die feuchte Hitze im Bad. Es fühlte sich unangenehm an, als sie sie zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Ihre Jeans fühlte sich zu eng an, als sie sie anzog. Als würde sie ihr das Leben herauspressen. Wenn sie einen Penis hätte, müsste sie sich um seine Blutzufuhr Gedanken machen.
Sie hatte nicht mal einen Kater.
Frazer grummelte vor sich hin und schaltete den Wasserkocher ein. Es würde ein langer, widerlicher Tag werden. Ihr Handy blinkte und zeigte ihr Nachrichten an – ihre Freunde, die fragten, warum sie plötzlich verschwunden war, Jemma, die mit ihr Mittagessen wollte, falls Frazer nicht zu sehr damit beschäftigt war, verheiratete Frauen zu verführen. Frazer schickte ihr ein Foto, wie sie einen gewissen Finger in die Kamera hielt. Mit trüben Augen und ungeschickten Fingern ließ sie ihr Handy in die leere Spüle fallen. Das scheppernde Geräusch ließ sie zusammenzucken. Frustriert ließ sie es einfach liegen.
Sie durchwühlte ihre Schränke und ihr fiel wieder ein, dass ihr gestern der Kaffee ausgegangen war, und sie welchen hatte kaufen wollen. Stattdessen war sie in die Bar gegangen, hatte sich betrunken und wie ein Teenager verhalten.
Mit einem finsteren Blick nahm sie den Instantkaffee und löffelte etwas davon in eine Tasse. Die Milch schwappte auf die Anrichte, als sie sie eingoss, ohne aufzupassen, und zu guter Letzt verbrühte sie sich am Dampf des Wasserkochers den Arm.
In der Spüle vibrierte ihr Handy, aber sie ignorierte es.
Der erste Schluck Kaffee am Morgen sollte himmlisch sein, aber sie hatte es versaut und er war nur lauwarm und schmeckte fade. Sie mochte es vielleicht, wenn ihre Dusche lauwarm war, aber Kaffee musste entweder kochend heiß oder eiskalt sein. Alles dazwischen war einfach nur Blasphemie.
Mit missmutig zusammengebissenen Zähnen goss sie den Inhalt der Tasse in die Spüle. Und schrie auf, als ihr klar wurde, dass ihr Handy noch darin lag.
Frazer war erst seit dreißig Minuten wach.
Der Tag war bereits jetzt beschissen.
Sie atmete tief durch. Und dann nochmal.
Wütend sammelte sie ihre Sachen zusammen und verließ das Haus,
um zur Arbeit zu gehen.
Irgendwie hatte ihr Handy die Tortur überlebt. Es roch ein wenig nach Kaffee, aber Frazer hatte es anscheinend schnell genug abgetrocknet. Die Haut auf ihrem Arm brannte immer noch vom Wasserdampf, aber sie ignorierte den Schmerz.
Als sie ohne weitere Unfälle am Krankenhaus ankam, dachte sie, dass sich der Tag vielleicht doch zum Guten gewandt hatte. Bis sie aus ihrem Auto stieg, einen Kaffee im Pappbecher in der Hand, und sah, wie Lauren nur fünf Meter entfernt aus ihrem Mini stieg. Die arme Frau winkte ihr unbeholfen zu, und in einem verzweifelten Versuch, es weniger unangenehm zu machen, erwiderte Frazer die Geste. Der Becher fiel zu Boden und der Inhalt spritzte über ihre weißen Sneakers. Eine Sekunde lang schloss Frazer die Augen und atmete tief ein. Sie versuchte, sich die Tatsache ins Gedächtnis zu rufen, dass sie nicht der Typ für hysterische Heulkrämpfe war.
»Scheiße, Frazer. War der Becher voll?«
Noch einmal atmete sie tief ein. Dieses Mal ganz langsam. Dann langsam wieder aus. Sie öffnete die Augen und sah nach unten. Ihre ehemals weißen Schuhe waren nun braun gefleckt und sie stand in einer Pfütze aus wunderbar heißem Kaffee. »Ja, war er.«
»Soll ich dir einen neuen holen?« Lauren sah sie mit großen, hoffnungsvollen Augen an.
Weil sie sich erbärmlich fühlte nickte Frazer. »Ja. Okay.«
Sie gingen ein Stück gemeinsam zum Eingang.
»Also …«, sagte Lauren.
»Also«, antwortete Frazer.
»Lässt du öfters Mädchen mit halb runtergelassener Hose in der Toilette stehen?«
Mit offenem Mund wirbelte Frazers herum, um Lauren anzusehen.
Laurens dünne Lippen zuckten. Und dann lachte sie. »Entschuldige, ich konnte nicht widerstehen.«
Sie gingen weiter. Lauren war irgendwie gemein. Als sie das Gebäude betraten, wurden sie vom antiseptischen Geruch des Krankenhauses empfangen. Frazer biss in den sauren Apfel und sagte. »Ich sollte mich entschuldigen, nicht du.«
Da sie Lauren nicht direkt ansehen konnte, vergrub Frazer die Hände in ihren Jackentaschen und richtete ihren Blick auf den
Kaffeewagen, der direkt vor ihnen stand.
»Schon okay, danke.«
Lauren war anscheinend ein besserer Mensch als die meisten. Frazer musste lernen, sich zu entschuldigen. Das predigte ihre Mutter ihr schon, seitdem sie zwei Jahre alt war.
»Hast du ein zweites Paar Schuhe hier?«, fragte Lauren und ihre Lippen bildeten einen perfekten Kreis, als sie auf ihren frischen Kaffee pustete.
Frazer lehnte sich nickend an die Wand. Sie trank einen Schluck und verbrannte sich die Zunge. Sie versuchte, weder das Gesicht zu verziehen noch zu zeigen, wie unangenehm ihr die gesamte Situation war. »Ja, erstes Hebammen-Gebot.«
»Dein Morgen läuft wohl beschissen, was?« Lauren wirkte, als fühlte sie sich wohl, die Schulter an die Wand gelehnt und mit offenem Blick.
»Ja. Woher weißt du das?«
»Der Ausdruck auf deinem Gesicht, als du den Kaffee hast fallen lassen. Als hättest du es erwartet.«
»Ich denke, es ist Karma.«
»Wegen letzter Nacht? Das war nur ein Witz. Es war keine große Sache.«
Frazer stöhnte innerlich, als Cora durch die Tür trat, durch die Frazer und Lauren selbst vor wenigen Minuten gekommen waren, und bei ihrem Anblick wieder wie angewurzelt stehen blieb. Lauren schaute glücklicherweise weiter auf Frazer und bemerkte sie gar nicht. Frazer aber starrte zurück, während ein Stein in der Wand sich in ihre Schulter bohrte.
Selbst aus der Entfernung konnte Frazer sehen, wie sich Coras Gesichtsausdruck verfinsterte. Ihr Blick wurde undurchdringlich, sie drehte sich um und eilte zu den Fahrstühlen.
Frazer schüttelte den Kopf. »Deswegen. Und wegen ein paar anderer Dinge.«
»Cora?«
Frazers Pferdeschwanz schlug ihr ins Gesicht, als sie sich zu Lauren umdrehte und den Mund aufriss wie ein Fisch auf dem Trockenen. Lauren grinste ein wenig. »Atme, Frazer.«
»Nein. Nicht wegen Cora.«
»Du bist eine schreckliche Lügnerin.«
Den Blick nach unten gerichtet, nippte Frazer nochmal am viel zu heißen Kaffee.
»Keine Sorge, ich werde nichts sagen.« Lauren senkte den Kopf, um Frazers Blick aufzufangen. »Aber du solltest vorsichtig sein.«
Frazer entdeckte Alec, der durch das Krankenhaus lief, als gehörte es ihm, und dabei mit den Fingern auf seinem Tablet tippte, ohne darauf zu achten, wohin er ging.
»Ja, ich weiß.«
Lauren machte sich auf den Weg und Frazer trank die letzten Reste des Kaffees aus und warf den Becher in den Mülleimer, bevor sie wieder auf die Idee kam, damit herumzulaufen. Heute war anscheinend nicht der Tag für sowas. Statt in den Fahrstuhl zu steigen, nahm sie die Treppen und hoffte, nicht auszurutschen und sich das Genick zu brechen. Keuchend aber unverletzt warf Frazer schließlich ihre Tasche auf ihren Schreibtisch und ließ sich auf ihren Bürostuhl fallen.
Sie war erschöpft, leicht verkatert und wünschte nur, dass der Tag bald zu Ende ginge, obwohl es noch nicht einmal zwanzig Uhr dreißig war. Frazer zog ihr Handy hervor, rümpfte die Nase über den Geruch von abgestandenem Kaffee und öffnete eine Nachricht von Jemma. Es war ein Bild, auf dem sie einen Schmollmund zog.
Frazer konnte voll auf ihre kleine Schwester setzen, wenn sie wollte, dass sie sich noch schlechter fühlte.
Dann entdeckte sie eine neue Nachricht von Cora. Frazer richtete sich auf ihrem Stuhl auf. Als ihr Daumen die Nachricht antippte, war der Bildschirm klebrig. Nichts passierte. Sie tippte erneut darauf, wahrscheinlich etwas zu fest, und die Nachricht öffnete sich.
Ich übernehme heute Abend die Schulung. Du nimmst dir frei. Einen schönen Tag noch.
Frazer wusste, wann sie eine Abfuhr kassiert hatte.
Als sie sich auf den Stuhl zurückfallen ließ, stieß sie sich das Knie an der Tischplatte an. Sie schrie kurz auf. Vielleicht sollte sie sich heute lieber in Luftpolsterfolie einwickeln.
~ ~ ~
Cora war allein in Lisas Haus und saß in ihrer gemütlichen Zuhause-
Kleidung mit finsterem Blick vor dem Computer. Die Schulung war gut gewesen. Und es war auch gut gewesen, Frazer und Alec aus dem Weg zu gehen. Lauren nicht in die Augen sehen zu müssen, war ebenfalls gut gewesen. Cora war immer noch vor Alecs nächstem Schritt auf der Hut, aber noch schien er keine Anstalten machen zu wollen.
Wann um alles in der Welt waren die Mietpreise für Häuser in Perth so gestiegen? Die meisten Häuser waren unerhört überteuert, selbst die kleinen in den schrecklichen Gegenden. Sie hatte nie in einer Wohnung gelebt, aber vielleicht musste sie es jetzt tun. Sie fand ein paar kleinere, eine, die auf den Bildern toll aussah, und für ihre Größe zwar sündhaft teuer, aber immer noch günstiger als die meisten anderen war. Außerdem war man von dort in nur einer Viertelstunde Fußmarsch am Scarborough Beach, was auch schön war.
Vielleicht würde sie sich einen Hund anschaffen. Alec hasste Hunde. Aber wenn sie wollte konnte Cora jetzt in ein Tierheim gehen und sich einen großen, doofen Hund holen. Einen, der sabberte. Sie hatte eine Vorliebe für Hunde, die träge in der Gegend herumlagen und einmal am Tag zwanzig Minuten lang spazieren gingen.
Aber dann würde sie doch ein Haus brauchen. Seufzend suchte sie wieder nach Häusern, vor allem denen mit großen Gärten. Es gab eines, das nicht weit von Lisas entfernt lag, und mit dem Auto wäre sie in nur zehn Minuten am Strand. Hunde mochten den Strand. Außerdem war in ein paar Tagen eine Besichtigung, zu der es Cora vielleicht schaffen konnte. Sie notierte die Einzelheiten in ihrem Handy.
Die Ruhe im Haus machte es ihr möglich, ihre Gedanken wandern zu lassen zurück zu dem Moment, als Frazer in diesem Lagerraum ihren Mund angesehen hatte. Wie sie sich mit der Zunge über ihre Lippen gefahren war. Wie ihr Blick zwischen Coras Mund und ihren Augen hin und her gegangen war. Wie konnte sie es wagen?
Cora versuchte, ihre plötzliche Wut zu unterdrücken. Wie konnte Frazer es wagen? Das
wagen. Sie erst so anzusehen und dann am nächsten Tag mit einer anderen Frau auf der Toilette einer Bar rumzumachen?
Cora stand auf, ohne wirklich zu wissen, was sie tat, und zog sich ein Paar alte Turnschuhe an. Nachdem sie ihre Schlüssel genommen hatte, stürmte sie zu ihrem Auto. Die Fahrt war kurz und Coras Hände
umklammerten die ganze Zeit das Lenkrad mit weiß hervortretenden Knöcheln. Es war absurd, aber in der Zeit vor Frazer war es Cora ganz gut gegangen. Alles war in Ordnung gewesen. Dann war Frazer mit ihrem Programm, ihren langen Beinen und den moosgrünen Augen in ihr Leben geplatzt und alles war den Bach runtergegangen. Und jetzt stand Cora vor der Scheidung und beobachtete jeden ihrer Schritte, wenn sie sich zufällig über den Weg liefen. Sie empfand Eifersucht, die lächerlich und sinnlos war, außer, dass sie Frazer mit ihrer Hand in der Hose einer anderen Frau erwischt hatte.
Interessierte es Cora denn, ob Frazer ein Date gehabt hatte? Oder wo ihre Hände gewesen waren? Nein. Es interessierte sie überhaupt nicht.
Cora parkte mit einem Reifen auf dem Gehweg und grummelte leise vor sich hin. Sie würde nur eine Minute brauchen; die Zeit würde nicht reichen, um einen Strafzettel zu kassieren. Sie würde sich die Kontrolle über ihr Leben zurückholen. Das war lange überfällig.
Cora marschierte zur Tür und klopfte. Sie wartete nur zwei Sekunden, bevor sie erneut klopfte. Fest.
Die Tür schwang auf und Frazer starrte sie mit großen Augen an. »Cora!«
Sie trug den Rock, den Cora erst vor ein paar Wochen hochgeschoben hatte, und die Erinnerung daran ließ sie wieder die Hände zu Fäusten ballen.
»Was machst du hier?«
»Ich will, dass du dich von mir fernhältst.« Coras Worte klangen selbst in ihren eigenen Ohren hart.
Frazer lief rot an. »Wie bitte?«
»Ich will«, wiederholte Cora langsam, »dass du dich von mir fernhältst. Das hier …«, Cora deutete mit der Hand zwischen ihnen hin und her, »das ist das Letzte, was ich gebrauchen kann. Meine Situation ist kompliziert genug. Da kann ich die Gedanken an dich nicht auch noch gebrauchen. Also musst du dich von mir fernhalten.« Denn aus irgendeinem Grund konnte Cora sich nicht von ihr fernhalten.
Frazer sah zu Boden und seufzte. Es klang erschöpft. Als sie wieder aufsah, nickte sie. Ihre Augen waren tiefgrün. »Okay.«
»Ich …« Cora hatte erwartet, dass Frazer wütend werden würde. Sie hatte es sogar gewollt; obwohl ihr selbst nicht ganz klar war, warum. Cora verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Okay.«
Lange starrten sie einander an. Dann drehte sich Cora um und ging. Mit kurzen, gehetzten Schritten lief sie den Weg hinunter, zurück zum Auto.
Plötzlich legten sich Finger um ihr Handgelenk und hielten sie zurück. Cora wirbelte herum. Frazer umfasste ihr Handgelenk sanfter, als es der Ausdruck in ihren Augen vermuten ließ.
»Sag es mir noch einmal, Cora«, zischte Fraser. »Sag mir ins Gesicht, dass du es beenden willst. Sag mir, dass du gehen willst.«
Frazers Griff war sicher und fest. Ihr Daumen strich nur kurz über die Innenseite ihres Handgelenks, die Bewegung war ruhig und sanft. Sie sorgte dafür, dass sich ein Prickeln über Coras Arm ausbreitete, das sich anfühlte, als würde es tagelang anhalten. Frazers Augen strahlten – sie forderten sie heraus und hielten sie mit Blicken fest, als hätte Frazer jedes Recht der Welt dazu. Es fühlte sich an, als wären sie wieder in diesem Raum, in diesem Fahrstuhl, vor so vielen Monaten.
Aber dieses Mal trat Cora einen Schritt zurück und nicht nach vorn. »Ich bin hetero«, sagte Cora.
»Danach habe ich nicht gefragt.«
»Du fickst andere Frauen in Toiletten
.«
»Um dich
zu vergessen!«
Die Worte platzen aus Frazer heraus und hätten sie auseinandertreiben müssen. Hätten sich in Coras Gedächtnis brennen und dort einen tiefen Abdruck hinterlassen müssen. Stattdessen schob Cora sie beiseite, weit genug, damit sie sie nicht berühren konnten.
Cora atmete tief ein und befreite sich aus Frazers Griff. »Ich meine es ernst.«
Und um es zu beweisen, ging sie.