Six
A uf dem Weg zum Hotel hielt Mya an einem Liquor Store an und kaufte sich eine Flasche Bourbon Whisky. Sie wollte vergessen. Vergessen, was ihr einst widerfahren war, was sie getan hatte und wonach sie sich sehnte. All das war unrecht.
Zurück im Motel sank sie auf ihr Bett, griff nach der Fernbedienung und befreite die mitgebrachte Flasche aus der braunen Papiertüte. Die ersten Schlucke glaubte Mya noch, der billige Whisky würde ihr Speiseröhre und Magen verbrennen, aber schon bald wurde es besser. Eine Stunde später starrte sie in den Fernseher, berauscht vom Alkohol, der ihre Glieder schwermachte und ihre Gedanken endlich zum Stillstand brachte. Das Zimmer drehte sich und Mya rülpste. Es war eine Ewigkeit her, dass sie sich bewusst weggeknallt hatte. Das Gefühl war angenehm. Genauso wie Mya es sich vorgestellt hatte. Ihre Sorgen lösten sich auf, sie fühlte sich leicht und unbeschwert. Dann hörte sie das Klopfen an ihrer Zimmertür.
»Wer ist da?«, rief sie und bemühte sich, klar zu sprechen.
»Ich bin’s, Rory.« Er zögerte. »Rap.«
»Hau ab!«
»Lass mich rein, Mya. Bitte!«
Mya nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche und stand auf. Der Boden schien zu trudeln und Mya hielt sich am Nachtkästchen ein.
»Ich komme«, lallte sie. An der Tür angekommen, bekam sie beinahe das Schloss nicht auf. Als sie es endlich geschafft hatte, öffnete sie die Tür und starrte Rap an. »Was willst du?«
»Scheiße, bist du etwa betrunken?« Der Freund lugte an ihr vorbei ins Zimmer. »Mach den bescheuerten Fernseher leiser! Sehnst du dich nach Aufmerksamkeit oder was?«
»Was geht’s dich an?« Sie trat zur Seite und ließ ihn rein. Rap schaltete den Fernseher auf Stumm.
»Du trägst die Kutte der Green Army«, bemerkte Mya und plumpste zurück aufs Bett. »Ich dachte, du wolltest wegen deiner Familie damit aufhören.«
»Hab ich nie gesagt.« Er nahm die Whiskyflasche an sich und begutachtete den verbliebenen Inhalt. »War die voll?«, fragte er naserümpfend.
»Worauf du dich verlassen kannst.«
Rap schüttelte den Kopf. »Weshalb betrinkst du dich?«
»Weshalb kommst du mich besuchen?«
»Ich wollte mit dir reden.«
»Haben wir das nicht schon getan?«
»Mya!« Er setzte sich neben sie und sie griff nach der Flasche in seiner Hand. Sanft hielt er ihren Arm fest. »Hör auf damit. Du weißt, dass dir davon schlecht wird.«
»Vielleicht bin ich nicht mehr die Mya von früher. Vielleicht habe ich inzwischen gelernt zu trinken.«
Er lächelte. »Du hast dich leider gar nicht verändert.«
Sie sah ihn an. Sein Gesicht drehte sich, das gesamte Zimmer fuhr Karussell. Sie hielt sich die Hand vor den Mund. »Mir ist übel!«
Ehe sie sich versah, zerrte Rap sie ins Bad. Gerade noch rechtzeitig, bevor sie sich übergeben musste. Der Whisky schoss nur so aus ihr heraus. Mya hustete.
»Ich hasse es, recht zu haben«, hörte sie Rap in ihrem Rücken sagen. Er hielt ihre Haare und Mya schämte sich.
»Sorry«, röchelte sie.
»Ist nicht das erste Mal, dass wir das miteinander durchmachen.« Sie spürte, wie er ihr die Schultern massierte.
Mya hielt sich an der Kloschüssel fest. Ihre Arme und Beine zitterten unkontrolliert. Sie würgte und würgte, bis ihr Magen vollständig leer war. Ihr gesamter Körper war ein einziger Krampf.
»Besser?«, erkundigte sich Rap nach einer Weile. Als sie nickte, zog er sie auf die Füße. »Dann wasch dich jetzt.«
Mya wankte zum Waschbecken und spuckte hinein, bevor sie den Wasserhahn aufdrehte. Im Spiegel sah sie ihr jämmerliches Gesicht. Die Wimperntusche war völlig verschmiert und Speichel lief ihr übers Kinn. »Scheiße«, murmelte sie und hielt den Kopf unters kalte Wasser.
Zehn Minuten später schlich sie zurück ins Zimmer. Rap lag mitsamt Schuhen auf ihrem Bett. Er hatte die Arme im Nacken verschränkt und lachte über eine Comic-Serie, die im Fernsehen lief. Sein Blick heftete sich auf sie.
»Du siehst echt erbärmlich aus«, kommentierte er ihren Zustand.
»Hm.« Trotz dreimaligem Zähneputzen hatte Mya immer noch einen säuerlichen Geschmack auf der Zunge. Sie schüttelte sich angewidert und setzte sich neben Rap aufs Bett.
»Okay, was willst du mir sagen?«
Er seufzte und zog sie zu sich heran. »Das hat Zeit bis später. Komm her!«
Mya legte den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen.
Als sie wieder aufwachte, war es stockdunkel im Zimmer. Erschrocken fuhr sie hoch.
»Ich bin da.« Er lag noch immer neben ihr. »Ich wollte dich nicht wecken«, flüsterte er.
»Solltest du nicht längst daheim sein?« Mya hatte das Gefühl, als müsse sie sich erneut übergeben und legte sich rasch wieder hin.
Sie hörte ihn leise lachen. »Du hast dich böse weggeschossen, Kätzchen.« Beim Klang ihres alten Spitznamens wurde es Mya warm ums Herz.
»Das ist mir echt peinlich.«
»Geht’s dir besser?«
»Ja, ein wenig. Danke, dass du bei mir geblieben bist.«
»Ehrensache.«
Mya versuchte, im Dunklen sein Gesicht auszumachen. »Was wolltest du mir vorhin sagen?«
Rap drehte sich zu ihr und die Kutte, die er noch immer trug, knirschte. »Dass du vorsichtig sein sollst. Diese Stadt hat Augen. Sie sieht alles. Und sie weiß, wer zu wem gehört. Wenn du versuchst, uns zu schützen, dann wird das nicht ohne Folgen bleiben.«
»Was soll das heißen?«
Sie spürte seinen Finger an ihrer Schläfe. »Bäng«, sagte er.
Mya zuckte zurück. »Willst du mir Angst einjagen?«
»Ja, dann bist du vorsichtiger.«
»Ich habe nur meine Aussage gemacht.«
»Das hoffe ich, denn selbst die verdammte Polizei kämpft auf unterschiedlichen Seiten.«
»Was soll das heißen, Rap? Führt ihr einen beschissenen Krieg? In was habt ihr euch da reinziehen lassen?«
»Die Dinge haben sich eben entwickelt.«
»Nichts entwickelt sich einfach so. Außerdem bist du in voller Montur in mein Hotelzimmer gelaufen. Dein Motorrad steht vor draußen vor der Tür. Wie viel deutlicher kann man ein Zeichen setzen?« Sie legte ihm nun ebenfalls den Finger an die Schläfe. »Willst du, dass es Bäng macht? Willst du mich auf diese Art loswerden, damit ich endgültig aus deinem Leben verschwinde?«
Er stieß abrupt den Atem aus und es klang empört. »Red keinen Scheiß!«, grollte er. »Heute ist der Präsident mit mehreren Brüdern der Green Army in der Stadt. Das ist der einzige Grund, warum ich die Kutte trage. Außerdem steht mein Prospect draußen Wache.«
»Dein was?«
»Mein Prospect . So nennt man neue, potentielle Mitglieder, die sich erst einmal beweisen müssen, bevor wir sie aufnehmen.« Seine dunkle Stimme bohrte sich bis in ihr Innerstes.
»Ach ja, ich hatte ganz vergessen, dass du jetzt in einem Motorradclub bist!« Mya war sich Raps Anwesenheit überdeutlich bewusst und sie gestand sich ein, dass er sie in der anonymen Dunkelheit mehr verwirrte als jemals zuvor. »Warum hängst du dann bei mir rum und bist nicht bei deinen Brüdern ?« Sie betonte das Wort, um ihn zu provozieren. Er ging nicht darauf ein.
»Du hältst dich von uns fern, so wie ich es dir bereits gesagt habe. Und ...« Er hielt inne und führte ihre Hand an seinen Hosenbund. Myas Herz begann zu rasen. Doch anstatt tiefer vorzudringen, ließ er sie eine Waffe umfassen, die in einem Halfter an seinem Rücken steckte. »... du nimmst die hier!«
Mya zog die Hand zurück. »Eine Pistole? Bist du völlig irre, Rap? Glaubst du im Ernst, ich renne mit einer Waffe herum?«
»Ja, das glaube ich.« Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. »Und es ist keine Pistole, sondern ein Revolver. Die sind besser als die halbautomatischen Waffen, weil sie keine Patronenhülsen am Tatort zurücklassen.«
»Ist mir scheißegal! Ich werde ganz sicher keinen Revolver bei mir tragen.«
»Früher haben dich Waffen erregt. Schon vergessen?«
Sie schwieg und er fuhr fort: »Du musstest ja unbedingt zurückkommen, um deine Aussage zu machen, Mya. Und das bedeutet, dass du jetzt nach unseren Regeln spielst. Wir können nicht die ganze Zeit auf dich aufpassen, verstehst du? In der Green Army hebt man seine Freunde nicht über seine Brüder, das ist nun einmal so.« Er nahm erneut ihre Hand und führte sie zurück an das Holster. Der Knopf schnappte auf und er zwang sie, die Waffe an sich zu nehmen. »Tu nicht so, als ob dir das fremd wäre.«
»Ich will das aber nicht mehr.«
»Lass mich raten, das ist der Grund, warum du eine Whisky-Orgie gefeiert hast. Du hast Schiss, weil du gesehen hast, was aus uns geworden ist.«
»Nein, ich habe getrunken, um zu vergessen«, erwiderte Mya beinahe tonlos und umklammerte den Revolver. »Wir haben einen Mann umgebracht, Rap. Ich komme damit nicht klar.«
Er lehnte seine Stirn gegen die ihre. »Hätten wir es nicht getan, hätte er mit seinen sadistischen Spielchen weitergemacht und am Ende wärst du vielleicht dabei drauf gegangen. Er ist tot, aber du lebst noch. Das ist alles, was zählt.«
»So einfach ist das?«
»In Salas schon«, murmelte er und streichelte ihre Hand, die die Waffe umklammerte. Mya spürte jähe Hitze, die von ihrem Arm auf direktem Weg in ihren Unterleib schoss. Sie wollte ihn. Es war nicht richtig und doch sehnte sie sich danach. War sie vielleicht deswegen zurückgekommen? Um mit dem Feuer zu spielen?
»Du hättest uns nicht suchen dürfen«, hörte sie ihn sagen. »Es war einfacher, dich zu hassen, solange du fort warst.«
»Du hast mich gehasst?«
»Mit jeder Faser meines Körpers.« Seine Finger wanderten ihren Oberarm hinauf und sie musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht aufzustöhnen.
»Hass ist uns in Salas vertraut. Er ist das einzige, worauf man sich verlassen kann, denn er ist nicht vergänglich. Ganz im Gegenteil, er wächst, wird zu einem Monster und frisst dich auf.« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern, während seine Lippen ihr Ohr streiften. Seine Finger erreichten ihren Hals und legten sich darum. Mya erstarrte. »Du hast uns im Stich gelassen«, brummte Rap. »Und das hat mich beinahe umgebracht.«
»Ich wollte nicht ...«
»Scht!«, unterbrach er sie und sie spürte seine raue Wange an der ihren. Seine Finger drückten warnend zu.
»Erst, wenn du etwas verlierst, wird es zum Wichtigsten, was du je hattest. Kennst du dieses Gefühl, Mya?«
Sie nickte und merkte, dass er seinen Griff lockerte. Seine Finger zogen weiter, fuhren über ihren Mund. Mya öffnete ihn und saugte an ihnen. Raps Atem beschleunigte sich.
»Ich hasse dich noch immer. Dieses Mal, weil du wieder hier bist«, murmelte er und küsste sie.
Mya hatte nur darauf gewartet und seufzte, als sie Raps Zunge spürte. Es war lange her, aber das Gefühl war dasselbe. Alle ihre Nervenenden schienen sich gleichzeitig zu entzünden. Raps Hände griffen gierig nach ihrem Gesicht und ihre Körper drängten ungestüm aneinander. Mya krallte sich in seine Jacke und fühlte, wie ihr Innerstes aufbrach. Er schmeckte nach Zigarettenrauch und sie spürte unter seiner unbekannten Maske den altvertrauten Freund aus Teenagertagen. Mit fliegenden Fingern nahm er ihr den Revolver aus der Hand, befreite sich aus seiner Kutte, legte eine weitere Waffe zur Seite und zog ihr das T-Shirt über den Kopf. Schwer atmend küsste er ihren Hals. Mya schwanden die Sinne. Sie wollte ihn so sehr, dass ihr Körper zu eng für den Ansturm ihrer Gefühle erschien. Ein heißes Kribbeln breitete sich von ihren Lenden über ihre gesamte Haut aus. Hastig riss sie Rap die Boots von den Füßen, bevor sie sich auf ihn setzte. Sie spürte die harten Muskeln und schob begierig sein Hemd nach oben. Seine Haut war glatt und warm. Sie wollte sie riechen und beugte sich nach vorne. Ein leises Lachen entrang sich seiner Kehle und sie wusste, dass er sie am liebsten beobachtet hätte. Das hatte er schon immer gerne getan. Doch dieses Mal hinderte ihn die Dunkelheit daran. Er setzte sich auf und legte die Arme um sie.
»Mya«, kam es kratzig aus seinem Mund, bevor er sie erneut küsste. Er tastete über ihren Bauch, erfühlte ihre Narben.
»Sie sind noch da«, sagte er.
»Das werden sie immer sein.« Mya wand sich auf ihm, spürte seinen harten Schwanz und wollte sich von ihrer Hose befreien, doch Rap hielt sie bestimmt fest. Er gab gerne vor, in welcher Geschwindigkeit sie sich liebten. Die Erinnerungen daran erregten Mya zusätzlich. Unendlich langsam öffnete er die Knöpfe ihrer Jeans. Mya keuchte, als er dabei die empfindliche Haut oberhalb ihres Schambeins berührte.
»Dieses Mal wirst du nicht abhauen«, sagte er und schob seine Finger in ihren Slip.
Mya schrie auf vor Lust. Sie kannte sein Spiel, das er gerne bis zur Ekstase trieb. Irgendwann hatte er gelernt, es gut zu tun. Es hervorragend zu tun.
Er tauchte in ihre Feuchte ein und Myas Unterleib zog sich beinahe schmerzhaft zusammen. Sie biss sich in die Hand, um nicht sofort zu kommen. Seine Finger waren geschickt, umrundeten ihre Klitoris, stupsten sie, rieben sie, erzeugten einen Rhythmus, der erregender war, als Mya es in Erinnerung hatte. Sie wollte seinen Neckereien entkommen und gleichzeitig wollte sie, dass er härter in sie stieß. Dass er sie nahm, bis sie sich unter ihm auflöste.
Sein heißer Atem drang an ihr Ohr. »Lass dich gehen, Mya«, sagte er. Befahl er.
Seine Finger wurden schneller. Sie spürte das Kribbeln, das sich in ihrem Becken ansammelte. Nichts war mehr wichtig. Einzig ihre Existenz in Raps Armen war von Bedeutung. Es war, als wenn ein Damm in ihrem Inneren brach und eine prickelnde Flut freisetzte. Wimmernd wand sie sich auf Raps Schoß, der ihr Zucken mit weiteren Fingerspielen begleitete und sie unaufhörlich dem Orgasmus entgegenpeitschte. Ihr gesamter Körper verkrampfte sich, bevor sich alles an einem Punkt versammelte. Sie riss erstaunt die Augen auf, während der Höhepunkt sie überflutete und sich bis hinauf in ihre Wirbelsäule fortsetzte. Ihre Oberschenkel zitterten unkontrolliert und Rap zog seine Hand zurück. Er küsste ihre plötzlichen Tränen fort, füllte mit seiner Zunge ihren Mund aus und legte sie auf den Rücken.
Behutsam befreite er sie von ihrem BH, der Jeans und ihrem Slip, bevor er sich seinen restlichen Klamotten entledigte. Dann legte er sich auf sie. Mya bebte noch immer.
»Bist du deswegen zurückgekommen?«, fragte er, ohne sich zu bewegen.
Sie spürte seinen nackten Körper, das Heben und Senken seines Brustkorbs, seine angespannten Muskeln, seinen heißen Schwanz, der gegen ihre Schamlippen drängte. Alles war vertraut und doch erschreckend intensiv. Niemals zuvor hatte sie einen derart heftigen Orgasmus erlebt.
»Ich wollte wissen, ob ich noch zu Gefühlen fähig bin«, flüsterte sie. »Ich habe mich abgestorben gefühlt. Tot. Als sei ich blutleer.«
»Das bist du nicht.« Kaum hatte er es ausgesprochen, drang er wild in sie ein und Mya glaubte, erneut zu explodieren.
Rap erstickte ihre hilflosen Laute mit einem stürmischen Kuss, während er sie noch weiter ausfüllte. Myas Finger gruben sich in das Laken und sie ließ sich von seinen kräftigen Stößen davontragen. Unnachgiebig hielt er ihre Pobacken umklammert und dirigierte sie in Position. Wellen der Verzückung durchzuckten ihren Körper und sie genoss sein Gewicht und das Gefühl seiner Haut auf der ihren.
Nach all der langen Zeit fanden sie sich und schlossen erneut den Kreis, der seit ihrer Jugend bestand. In diesem Moment gab es keinen Benjamin und keine Lisa, keinen Mord und keine Gang. Es gab einzig sie Beide in einem dunklen Motelzimmer in Salinas.
Mya schrie auf, als Rap sie hitzig umschlang und ihre Beine energisch noch weiter spreizte, um tiefer in sie einzudringen. Ihre Körper wurden zu einer Einheit und sie hielt sich heftig atmend an seinen Schultern fest, während er sie mitriss und sie mit den gekonnten Bewegungen seines Beckens um den Verstand brachte. Ihre Lenden zuckten bereits in der gleichen Intensität wie zuvor, doch Rap bewies Ausdauer. Wieder und wieder stieß er zu, bescherte ihr zwei weitere Orgasmen, bevor er aufstöhnte und sein Gesicht in die Kuhle ihres Schlüsselbeins presste. Sein Körper spannte sich und er erschauerte. Die wohlige Wärme erfüllte Myas gesamtes Sein und spülte alle Zweifel der letzten Tage augenblicklich fort. Nach Atem ringend kämpfte sie mit ihren Empfindungen.
»Fuck, für dich lohnt es sich noch immer zu sterben«, hörte sie Rap keuchen.
»Sag das nicht!« Sie umfasste sein Gesicht und küsste ihn. »Ihr müsst damit aufhören, Rap, bitte.«
Er schüttelte den Kopf. »Wir haben ein one-way-ticket in die Hölle erworben. Aussteigen ist keine Option, Mya.«
»Aber deine Kinder ...«
Er entzog sich ihr unvermittelt und rollte zur Seite. »Warum zum Teufel sprichst du jetzt von meinen Kindern?«
Mya biss sich reumütig auf die Unterlippe. Ihre plötzliche Rücksichtnahme kam zu spät. Selbst wenn sie früher daran gedacht hätte, wäre sie nicht in der Lage gewesen, Rap abzuweisen. Es hatte passieren müssen, sie wusste es.
»Ihr müsst Salinas verlassen«, beharrte sie.
»Um was zu tun? Handwerker zu werden? Oder Steuerberater?« Er knurrte aufgebracht. »Glaubst du wirklich, dein Leben ist mit unserem vergleichbar, Mya?«
Sie konnte ihm nicht antworten. Nackt und aufgewühlt von dem, was gerade geschehen war, lag sie neben ihm und spürte die gefährliche Spannung, die sich zwischen ihnen entwickelte. Besänftigend fuhr sie mit ihrem Finger über seine Lippen. »Ich kenne euch. Ihr seid so viel mehr als diese Kutte.«
Er küsste sie heftig und Mya spürte, dass ihre Erregung noch nicht abgeklungen war.
In diesem Moment klopfte es an der Tür und Rap sprang so schnell auf, dass Mya beinahe vom Bett gefallen wäre. Hastig zog sie die Bettdecke über sich. Er griff nach seiner Waffe, die auf dem Nachtkästchen lag, entsicherte sie und pirschte zum Vorhang. Vorsichtig lugte er nach draußen und ließ die Glock sinken.
»Was gibt es?«, zischte er.
»Wir sollten los. Es ist nicht mehr sicher«, hörte sie eine unbekannte Stimme antworten.
»Ich komme!« Rap ließ den Vorhang ein Stückchen offen und suchte seine Klamotten im einfallenden Licht der Außenbeleuchtung zusammen.
Mya beobachtete ihn dabei und zog sich das Bettlaken bis zum Kinn hoch. Sie erhaschte einen Blick auf das Tattoo in Form eines Raptoren, das auf seinem Rücken prangte, und sah das schwarze Kleeblatt direkt über seinem Herzen. Es verschwand, als er sich das T-Shirt überstreifte. Seine Augen fanden die ihren und er setzte sich neben sie.
»Wenn man diese Kutte trägt, dann übernimmt man Verantwortung. Es geht um Ehre und um Bruderschaft. Aber man ist kein freier Mann mehr. Vielleicht frei, weil man aus dem Gefängnis raus ist, aber nicht frei von der Green Army. Das solltest du wissen, Mya.« Er küsste sie nicht, sondern drückte ihr erneut den Revolver in die Hand, der neben dem Bett gelegen hatte. »Den behältst du, solange du dich in Salas aufhältst, verstanden? Und keine Sorge, die Seriennummer wurde unkenntlich gemacht.«
Widerwillig nahm Mya die Waffe an sich. »Sehr beruhigend.«
Er langte in seine Jackentasche und warf ihr kommentarlos eine Schachtel Patronen aufs Bett.
Mya starrte sie ungläubig an. »Sehe ich dich wieder?«
Rap verneinte. »Je weniger man uns in Verbindung bringt, desto besser.« Ehe sie etwas erwidern konnte, war er zur Tür hinaus.
Mya legte sich den Arm über die Augen und lauschte auf das typische Grollen der startenden Harleys. Es war drei Uhr nachts und sie fragte sich, was gerade mit ihr geschehen war.
Am nächsten Morgen fuhr Mya in den nächstgelegenen Supermarkt. Sie gierte nach Obst und Süßigkeiten. Auf dem Weg dorthin, behielt sie die Straße im Auge, um kein Motorrad zu verpassen, das sie passierte, aber sie sah nur Autos. Sehnsucht machte sich in ihr breit, dabei war es nicht so, dass sie ihrer Nacht mit Rap übermäßige Bedeutung zuschrieb. Sie hatte geahnt, dass es dazu kommen würde, wenn sie alleine waren. Nur Rap und Exx hatten je diese sexuelle Anziehungskraft auf sie ausgeübt. Bei ihnen hatte Mya niemals an Walts Berührungen gedacht und jenen Ekel gespürt, der ihr bei späteren Beziehungen oft in die Quere gekommen war. Im Gegenteil. Rap, Exx und Mya waren wie Magnete, die sich anzogen. Es schienen physische Kräfte zu sein, die auf sie wirkten. Deswegen hatte Mya gewusst, dass Rap sie irgendwann besuchen würde. Genauso wie sie wusste, dass seine letzten Worte kein Abschied gewesen waren. Er war da, auch wenn sie ihn nicht sah.
Schwungvoll fuhr sie auf den Parkplatz des Supermarktes und suchte sich eine Lücke. Nachdem sie den Motor ausgeschaltet hatte, schweifte ihr Blick zum Eingang. Sie erstarrte. Die drei jungen Männer, die dort abhingen, trugen allesamt die Farben der Norteños. Mit klopfendem Herzen suchte sie in ihrer Handtasche nach dem Revolver. Sie nahm Raps Warnung ernst, auch wenn sie sich bemühte, sich deswegen nicht verrückt zu machen. Mit fliegenden Fingern kontrollierte sie, ob genügend Patronen in der Trommel waren. Dann steckte sie die Waffe wieder ein und stieg aus.
Hinter dem Schutz ihrer Sonnenbrille behielt sie die Gangmitglieder im Blick, während sie sich betont locker einen Einkaufswagen holte. Diesen schob sie wie ein Schutzschild vor sich her und näherte sich dem Eingang. Die Männer musterten sie, doch keiner machte Anstalten, ihr den Weg zu versperren. Mit übertriebenen Gesten traten sie zur Seite und Mya ging an ihnen vorbei. Aber erst, als sich die automatischen Türen hinter ihr schlossen, beruhigte sich Mya ein wenig. Sie schob sich ihre Sonnenbrille ins Haar und beschleunigte ihre Schritte.
Zwischen Bergen von Zitronen, Orangen und Äpfeln blieb sie stehen und beobachtete unauffällig den Eingang. Niemand folgte ihr. Sie war erleichtert und spürte, wie die Anspannung wich. Dann widmete sie sich ihren Besorgungen. Doch gerade, als sie in die Abteilung bog, in der es Süßigkeiten gab, stutzte sie. Eine junge Frau kam ihr entgegen und Mya blieb stehen.
»Alyssa?«, fragte sie und registrierte sofort den erschrockenen Gesichtsausdruck der Mexikanerin.
»Wer sind Sie?«, setzte diese an, aber dann weiteten sich ihre Augen. Schmatzend verarbeitete sie den Kaugummi in ihrem Mund zu Brei und sah sich misstrauisch um.
Bevor Mya etwas erwidern konnte, zischte Alyssa: »Bleib mir bloß von der Pelle, hast du verstanden?«
Verwundert über die ruppige Art folgte Mya ihrer einstigen Patenschwester, die sich eilig davon machte. »Was ist los? Hey, bleib doch mal stehen!«
Alyssa warf ihr einen warnenden Blick zu, aber Mya gab nicht auf. Sie verfolgte die junge Frau durch zwei weitere Abteilungen, bevor diese endlich anhielt. »A la mierda !«, murmelte sie und zog Mya in eine Ecke. »Was ist in dich gefahren? Arbeitest du für die Bullen?«
»Für die Bullen? Wie kommst du denn darauf?« Mya wollte die Leidensgenossin von einst am liebsten umarmen, aber deren starre Körperhaltung hielt sie davon ab.
»Weil jeder andere weiß, dass er mich besser nicht anquatscht.«
Mya runzelte die Stirn und Alyssa fuhr fort: »Ich bin Paquis Frau.«
»Wer zum Teufel ist Paqui?«
In schierem Erstaunen hörte Alyssa für einen Moment auf, Kaugummi zu kauen und starrte Mya an. »Wie lange warst du fort, Baby?«
»Zu lange wie mir scheint. Was ist los? Freust du dich gar nicht, mich zu sehen?«
»Wieso sollte ich? Wir kannten uns gerade mal ein paar Monate, bevor du das Glück hattest, aus Salas fortgehen zu können. Regina und ich wurden einer anderen Familie nur ein paar Straßen weiter zugeteilt. Angeblich um uns nicht so weit von unseren leiblichen Eltern fortzuschicken.«
»Wie geht es deiner Schwester?«
»Sie ist tot. Schon seit ein paar Jahren.« Alyssa zuckte mit den Schultern.
Mya konnte nicht glauben, was sie hörte. »Was? Wieso?«
»Gangschießerei, Baby. Wollten eigentlich ihren Alten abknallen, haben aber aus Versehen sie erwischt. Diese Scheiße passiert.«
Mya hielt sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund und Alyssa lachte verächtlich. »Bist weich geworden, hab ich recht? Warum bist du hier?«
»Walts Leiche wurde gefunden.«
»Das weiß ich. Ich wurde ebenfalls verhört. Habe geschwiegen. Ich hoffe, du auch.«
Mya schüttelte den Kopf. »Die Polizei sollte wissen, was er für ein Arschloch war!«
»Wozu? Er ist tot. Wen interessiert’s?« Alyssa runzelte die Stirn. »Ach, du Scheiße! Sag mir nicht, du bist gekommen, um diese Aasgeier Rap und Exx zu schützen. Verdammt, Mya, diese dreckigen Iren haben Paqui das Geschäft versaut. Er hält nur die Füße still, weil seine Cousine Lisa Raps Ehefrau ist. Aber wenn er mitbekommt, dass du auf deren Seite stehst, bläst er dir das Hirn weg, um endlich seinen Frust abzubauen.« Sie lugte um die Ecke, als würde sie jemanden suchen.
»Wirst du verfolgt?« Mya sah sich um.
»Ich werde bewacht.« Alyssa stemmte die Hände in die Hüften. »Paqui ist der Regiment Commander von Salas. Das bedeutet, er steuert das gesamte Geschäft dieser Region. Als seine Frau steht mir Begleitschutz zu.«
»Begleitschutz?«
Alyssa schnaubte. »Du bist echt nicht mehr in dieser Welt zuhause, Baby!«
»Erklär’s mir! Bitte!« Mya senkte ihre Stimme. Sie spürte Alyssas steigende Nervosität und verstand nicht, was los war.
»Ich gehöre zur Familia, ist das klar? Mein Begleitschutz kann ziemlich schnell zu meinem Exekutionskommando werden. Diese Gang legt mehr von ihren eigenen Leuten um als von ihren Feinden.«
»Warum?«
»Aus Angst, jemand könnte plappern.« Sie wandte sich zum Gehen. »Adios
»Nein, Alyssa, bitte warte!« Mya hielt sie am Arm fest. »Ich muss wissen, in was Rap und Exx hineingeraten sind.«
»Frag sie selbst!« Die Mexikanerin wehrte sie geschickt ab, bevor sie erstarrte. »Por dios
Mya spürte einen Schlag gegen die Schulter, als Alyssa spontan die Richtung wechselte und sie dabei fast über den Haufen rannte. »Geh weg von mir!«, hörte sie die junge Frau zischen. Furcht lag in ihrer Stimme.
Mya sah sich verwirrt um und erblickte einen gefährlich dreinschauenden Mexikaner, der den Gang herunter geschlendert kam. Die rote Kappe mit dem weißen N trug er tief in die Stirn gezogen, unter den weiten Jeans blitzten Cowboystiefel aus Schlangenleder hervor. Den Blick auf sie gerichtet, wusste Mya zunächst nicht, was sie tun sollte. Doch dann löste sie sich aus ihrer Starre und schob mit dem Einkaufswagen geradewegs auf den Kerl mit der roten Kappe zu. Noch während er sich ihr näherte, fragte sie sich, was sie da eigentlich tat und hoffte inständig, dass die Gang nicht derart skrupellos war, ihre Opfer vor den Überwachungskameras des Supermarkts umzubringen.
Doch dann griff er mit einer Hand an seinen Rücken und Mya wusste, dass sie ein Problem hatte. Mit einer schnellen Bewegung gab sie dem Einkaufswagen einen Schubs, sodass er weiter auf den Mexikaner zurollte, während sie in den Gang zu ihrer Linken abbog. Panisch blickte sie sich um. Überdeutlich hörte sie die eintönige Musik aus den Lautsprechern über ihrem Kopf schallen, sah die Kunden mit ausdruckslosen Gesichtern durch die endlos anmutenden Flure schlendern und bemerkte einen Angestellten in ihrer Nähe.
»Helfen Sie mir!«, flüsterte sie ihm im Vorübergehen zu und beschleunigte ihre Schritte. Der Mitarbeiter des Supermarktes starrte sie an, schien die Situation aber nicht zu begreifen.
In diesem Moment bog der Mexikaner um die Ecke, eine Hand noch immer hinter seinem Rücken. Mya trat den Rückzug an. Sie sah Alyssa in einem Parallelgang und warf ihr einen hilfesuchenden Blick zu, doch diese deutete nur mit dem Finger auf sie. »Da ist die Schlampe!«
Mya konnte nicht glauben, dass sich ihre einstige Patenschwester gegen sie stellte und rannte los. Wie ein Kaninchen auf der Flucht hastete sie in Richtung Ausgang, nur um dann abrupt abzubremsen. Die Mexikaner, die draußen vor dem Eingang gewartet hatten, drängten nun ebenfalls ins Innere und teilten sich auf. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Wo sollte sie hin? Instinktiv warf sie sich zu Boden, suchte Schutz hinter einem Kühlregal. Spanische Worte hallten durch das Gebäude. Sie klangen aggressiv und Mya verstand genug, um zu wissen, dass die Mexikaner auf der Suche nach ihr waren. Einige Kunden verließen bereits fluchtartig den Supermarkt. Mit fliegenden Fingern holte sie den Revolver aus ihrer Tasche. Was zum Teufel tat sie da nur?
»Mya!« Es war die Stimme von Rap. Vorsichtig lugte sie hinter dem Regal hervor und sah den Freund am Eingang stehen. Die automatischen Schiebetüren waren weit geöffnet. Er sah sich suchend um, ging in Richtung der Kassenschalter. Mya nutzte den Moment, um loszulaufen. Atemlos erreichte sie Rap, passte ihre Schritte den seinen an. Sofort ergriff er ihre Hand, zog sie mit sich. Dann blieben sie stehen. Hinter den piepsenden Kassen, den Warteschlangen und den Jugendlichen, welche die Einkäufe der Kunden in Tüten packten, sahen sie Alyssa. In ihrem Rücken baute sich ihr Begleitschutz auf. Vier Mexikaner mit grimmigem Gesichtsausdruck.
»Wir gehen in Richtung Ausgang«, sagte Rap bestimmt und schob Mya voran. »Langsam. Wir wollen nicht zusätzlich Aufmerksamkeit erregen.«
Sie schlüpfte aus den sich öffnenden Schiebetüren und sah, dass Rap ihr rückwärtsgehend folgte. Eine Hand lag an der Waffe in seinem Rücken.
»Hol dein Auto!«, befahl er, ohne sich zu ihr umzudrehen.
»Und dann?« In der Ferne ertönten Polizeisirenen und Mya wurde unruhig.
Rap knurrte. »Tu, was ich sage! Hol das Auto und dann folge mir!« Er deutete auf sein in der Nähe geparktes Motorrad.
Sie nickte, unfähig, seinen Befehl ein weiteres Mal zu hinterfragen. Das hier war Salas und es war gefährlicher als jemals zuvor.