Thirteen
» H ör auf, darüber nachzudenken«, murrte Travis und warf Rory einen Seitenblick zu. Sie waren auf dem Weg nach Gilroy, um sich auf das Treffen mit den Triaden vorzubereiten. Mya war im Motel geblieben und Travis hoffte, dass sie dieses Mal in Sicherheit war. Wenn John Marella endlich hatte, was er wollte, und sie aus dem Gefängnis draußen waren, dann war es an der Zeit, Mya nach Los Angeles zu fahren. Ihre Flugnummer war ihr wieder eingefallen, aber Exx hatte nachgedacht und war nun der Ansicht, dass es besser war, wenn Mya spontan ein Flugzeug bestieg. Nach all dem, was geschehen war, wusste er nicht, ob die Mexikaner nicht womöglich auch Informanten hatten, die an die Passagierlisten kamen. Das war ihm zu riskant. Er wollte sich so unauffällig wie möglich verhalten. Das war sein Plan, soweit man das einen Plan nennen konnte.
»Ich werde sie nicht gehen lassen«, hörte er Rory sagen und hätte ihm am liebsten mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Sein Kumpel war der Unsicherheitsfaktor des Plans.
»Es war nur Sex«, knurrte Travis. »Am besten, du vögelst Titty oder Foxy, wenn wir angekommen sind, um dir das wieder ins Gedächtnis zu rufen.«
»Mya ist kein schäbiges Biker-Luder.«
»Nein, aber du solltest dir von ihrer Muschi trotzdem nicht das Hirn vernebeln lassen. Was ist los mit dir, Bro?«
Rory starrte aus dem Fenster. »Hast du wirklich vor draufzugehen, wenn das alles schiefgeht?«
Travis zögerte. Worauf er keine Lust hatte, war, mit Rory über eine rosarote Zukunft zu sprechen, die es nie geben würde. »Hör zu, Mann, ich denke nicht darüber nach, was morgen früh sein wird. Oder nächste Woche. Marella hat mich schon einmal gelinkt und ich will einfach nur diesen Deal über die Bühne bringen. Heute Nacht wandern wir mit den übrigen Green Army Jungs ins Gefängnis. Marella hat mir versprochen, dass wir morgen wieder draußen sind, und zwar bevor Cringe und die anderen freigelassen werden. Ich bin mir sicher, dass sie misstrauisch sein werden, vor allem, wenn sie herausfinden, welche Tragweite diese Operation hat. Und ganz besonders werden sie sich wundern, warum man nicht versucht, ihnen etwas anzuhängen. Das stinkt alles zum Himmel, Bro, und deshalb müssen wir weg sein, bevor die Green Armies aus dem Knast kommen.«
»Und dann?«
»Vielleicht gefällt es uns in Los Angeles, wer weiß?«
»Du weißt verdammt genau, dass es dort unten das Chatsworth Chapter gibt. Das sind die Porno-Jungs und mit denen ist nicht zu spaßen.«
»Mit uns auch nicht.«
Rory schüttelte genervt den Kopf und Travis platzte der Kragen. »Jetzt krieg dich wieder ein, Bro! Hast du vergessen, wo wir herkommen? Wir sind verfluchte Iren aus der Amarillo Road, deren Väter mit ölverschmierten Klamotten nach Hause kamen und unsere Mütter geschlagen haben. Hast du je gesehen, dass aus einem von uns etwas Anständiges geworden ist?« Er schlug aufgebracht aufs Lenkrad. »Sieh dir Ernie an, er ist vermutlich der Erfolgreichste von uns allen. Der Rest unserer Kindheitsfreunde ist schon längst tot, siecht als Alkoholiker dahin oder steht kurz davor, sich den letzten Schuss zu verpassen. Nur wir hatten es immer in der Hand. Wir haben unser Ding gemacht und ich werde nun sicher nicht über die Grenze fliehen, um in Zukunft an Autos zu schrauben und den ehrbaren Bürgern meiner neuen Heimat zu erzählen, dass meine Tattoos Jugendsünden sind. Scheiß drauf, Bro, ich gehe nicht weg von hier! Keiner kann mir nachweisen, dass ich hinter der ganzen Sache stecke.«
»Das können die sich denken, wenn wir plötzlich nicht mehr da sind.« Rory verschränkte die Arme vor der Brust.
»Mir fällt was ein. Mir ist immer etwas eingefallen. Hab dir damals auch im Gefängnis Schutz besorgt«, bemühte sich Travis um Ruhe und fügte grimmig hinzu: »Und das hattest du dir selbst eingebrockt. Weil du dich wegen Mya benommen hast wie ein Idiot. Das sollte dir kein zweites Mal passieren. Denk drüber nach.«
»Was ist, wenn ich dabei nicht mitspiele?«
Travis verengte die Augen. »Was soll das heißen?«
»Ich könnte Mya fragen, ob sie mit mir kommt. Ich kenne sie, Bro. Sie hätte ihren Freund nicht in London zurückgelassen, wenn sie mit ihrem Leben glücklich gewesen wäre.«
»Und du denkst, du kannst sie glücklich machen?« Travis bemerkte den Ausdruck in Rorys Blick. Er sah aus wie damals als kleiner Junge, wenn er nicht verstehen konnte, warum sein Vater ihm eine runtergehauen hatte.
»Ich hab’s mit Lisa versucht, dabei wollte ich die ganze Zeit, dass sie eine andere ist ...« Er stockte.
»Du solltest dich hören«, schnaubte Travis. »Du heulst rum wie ein Teenager. Reiß dich endlich zusammen, Mann, und konzentrier dich auf das, was vor uns liegt!« Er folgte der Hecker Pass Road nach Gilroy hinein, durchquerte den Ort und fuhr auf den Highway 101 in Richtung Süden. Dann nahm er die nächste Ausfahrt, steuerte den alten Ford in das Gewerbegebiet und fuhr schließlich auf den Hof von O’Reilley’s Customs . Die Harleys der Mitglieder parkten schon alle in Reih und Glied und Travis warf dem schweigsamen Rory einen Blick zu. »Bist du bereit?«
Sein Kumpel nickte. »Wir ziehen das durch.«
Travis stellte den Motor aus. Er hatte ein ungutes Gefühl. Rory war nicht bei der Sache, doch was nun auf sie zukam, erforderte volle Konzentration. Cringe Callahan war ein durchtriebener Mistkerl. Er witterte Verrat zehn Meter gegen den Wind. Sie mussten auf alles gefasst sein und sie durften um keine Antwort verlegen sein, wenn es hart auf hart kam.
»Am besten, wir bleiben nah an der Wahrheit«, schlug er vor. »Wir stecken den Jungs, was mit Lisa passiert ist und dass wir Probleme mit der Familia haben.«
»Wirst du es hinbekommen, ungestört zu telefonieren, um Marella zu informieren?«
»Ich bekomme alles hin. Die Frage ist nur: Du ebenfalls?«
Rory stieg aus. »Lass es uns hinter uns bringen«, sagte er und schlug die Wagentür zu.
Travis folgte ihm. Es war ein Fehler gewesen, Mya in ihrem aufgewühlten Zustand zu ficken. Ihr Satz am Ende hatte alles zerstört und Rory durcheinandergebracht. Travis war wütend deswegen. Die ganzen Jahre über hatte er nie darüber nachgedacht, was er für sie empfand, doch nun hatte sie ihre Gefühle ausgesprochen und das machte alles kompliziert. Es war keine Liebe. Sie fühlten sich lediglich verbunden durch einen Mord, den sie als Teenager begangen hatten. Das war etwas anderes und im Gegensatz zu Rory wusste er es. Er hatte in seinem Leben nicht viele Menschen geliebt, dennoch kannte er das Gefühl. Und es war verfänglich, denn alle diese Menschen waren inzwischen tot. Seine Mutter, Rorys Mutter, sogar eine seiner jüngeren Schwestern. Seine Liebe hatte ihnen allen kein Glück gebracht, während der Hass auf seinen Vater dafür gesorgt hatte, dass das Arschloch noch immer am Leben war und ihn regelmäßig um Geld anbettelte. Liebe war in seiner Welt dazu verdammt zu sterben. Mya musste das einsehen und Rory ebenfalls. Es war geil, wenn sie sich das Hirn rausfickten, aber das war auch schon alles.
»Wo wart ihr?« Cringe trat aus dem Clubhaus. »Und wo sind eure verdammten Kutten?«
Hinter seinem Rücken tauchte sein Sergeant-at-Arms auf, Duncan. »Was habt ihr mit dem Firebird gemacht?«
Travis ging auf die beiden Männer zu. Rory folgte ihm. »Wir haben uns darum gekümmert, dass der Deal heute ungestört über die Bühne gehen kann«, sagte er gelassen. »Die beschissene Familia hat uns zugesetzt. Sorry für den Firebird, Mann, aber die Braunen haben ihn auf dem Gewissen.«
Cringe runzelte die Stirn. Er war ein großgewachsener Mann, mit einem brutalen Gesichtsausdruck und Muskeln wie denen von The Rock. Seine Wangen zierten Narben von den vielen Schlägereien, in die er verwickelt gewesen war, und an seinem Hals krochen Tattoos empor. Er war niemand, der Kompromisse machte. Entweder man beugte sich seinem Willen oder man bekam die Konsequenzen zu spüren. »Es gab einen ICE Einsatz in Salas. Habt ihr etwas damit zu tun?«
»Nein, aber der war unser großes Glück. Hat die Mexikaner abgelenkt.« Travis klatschte Duncan ab und sah Cringe in die Augen. »Rorys Frau Lisa ist zurück zur Familia. Hat die Kinder mitgenommen.«
»Scheiße, das ist echt übel, Mann.« Cringe nickte ihm zu, bevor er Travis erneut ins Visier nahm. »Was wissen die Braunen?«
»Gar nichts.« Travis hielt dem intensiven Blick des Präsidenten stand. »Sie wollten Rory kaltmachen, haben sein Haus unter Beschuss genommen, aber er konnte fliehen. Deshalb habe ich mir den Firebird geliehen, um ihn da rauszuholen.«
»Du hast mich angelogen«, bemerkte Duncan. »Du weißt verdammt nochmal, dass die Army Brüder sich nicht belügen.«
»Es tut mir leid. Ich wollte es auf meine Weise erledigen.« Travis senkte reumütig den Kopf. »Ich stamme aus Salas und wollte niemanden gefährden. In den letzten Monaten sind zu viele Brüder draufgegangen. Ich wollte vermeiden, dass wir Aufsehen erregen.«
»Du wolltest, du wolltest ...« Cringe verzog den Mund. »Ziemlich viele Dinge, die du wolltest, Mann. Woher soll ich wissen, dass du inzwischen nicht mit den Bullen unter einer Decke steckst? Wie soll ich dir vertrauen, wenn du uns belügst?«
Travis richtete sich zu voller Größe auf. Dabei überragte er Cringe um einige Zentimeter. Sie starrten sich in die Augen. »Habe ich euch je beschissen? Nein, das habe ich nicht! Ich habe Deals für euch an Land gezogen. Gäbe es mich nicht, hättet ihr euch die Ausweitung eures Waffenhandels in den Arsch schieben können. Ich kenne Salas. Und ich kenne die Mexikaner. Die beißen wie Tiere in der Falle um sich, weil sie Angst haben, dass die Reisfresser und wir ihnen das Geschäft streitig machen. Aber sollen sie doch lieber Chinesenschweine in Salas abknallen als uns. Die Triaden wissen sich zu wehren. Wenn sie unsere Waffenlieferung bekommen haben, dann umso mehr. Die erledigen das für uns in Salas und wir sind fein raus. Wir ziehen dort unser Geschäft auf, während andere für uns die Drecksarbeit machen.«
»Hm.« Cringe grinste bösartig. »Ich kenne die Strategie, Travis, du musst mich nicht belehren. Trotzdem schätze ich keine Alleingänge.«
»Wäre es dir lieber gewesen, wieder Green Army Brüder zu beerdigen? Jedes Mal, wenn ihr mit euren Kutten in der Stadt auftaucht, ist das wie ein rotes Tuch für die Braunen. Eure Zeit wird kommen, dafür werde ich sorgen.«
Cringe spuckte aus. Er schien zu überlegen. »Ich hoffe für dich, dass du die Wahrheit sagst«, knurrte er dann. »Du weißt, was wir mit Verrätern machen.«
Travis nickte, ruhig und beherrscht. Er hatte es schon einmal gesehen. Verräter traf ein Mayhem-Urteil. Sie wurden kopfüber an ein Seil gefesselt. Zuerst brannte man ihnen die Erkennungs-Tattoos des Clubs mit Feuer raus, dann durfte jedes Mitglied des Chapters einmal zuschlagen. Egal wohin. Das überlebte nur selten jemand. Und wenn, dann blieb er ein Krüppel und konnte sich gleich selbst eine Kugel in den Kopf jagen, denn ohne den Rückhalt des Clubs war er ohne Schutz und ohne Einkommen. Travis kannte die Regeln.
Cringe fixierte ihn noch immer. »Wenn das heute Abend ohne Störung über die Bühne geht, hast du mein Vertrauen wieder, Bruder.« Er reichte ihm die Hand und Travis schlug ein, indem er Cringe’ Handgelenk umklammerte. Der Präsident tat dasselbe und sah Travis dabei prüfend in die Augen. »Ich weiß, dass du es gewöhnt bist, die Dinge alleine zu regeln«, sagte er. »Aber wir sind jetzt deine Familie. Gewöhn dich endlich daran. Und für den Firebird schuldest du mir was!«
»Tut mir leid, Mann. Die Braunen haben ihn durchsiebt, als ich Rory eingesammelt habe. Wir mussten ihn entsorgen, damit wir nicht auffallen. War zu viel Polizei auf den Straßen.«
»Und niemand findet die Karre?«
»Darauf hast du mein Wort.«
»Wo habt ihr sie entsorgt?«
Travis zögerte kurz. »Ernie Hicks«, erwiderte er dann.
Cringe nickte langsam. »Ist der zuverlässig?«
»Ernie ist ein Kumpel von uns. Der hält dicht. Hat er schon damals bei Walt Chandlers Auto.«
»Dann sollten wir ihm öfter mal einen Auftrag erteilen.« Cringe löste den Griff und schlug Travis auf die Schulter. »Lass uns was trinken, Mann. Du solltest uns allen ’ne Runde ausgeben.«
»Mach ich gerne.« Travis drehte sich zu Rory um und nickte ihm zu. Sein Kumpel wirkte angespannt. Travis ließ sich zurückfallen.
»Alles cool«, raunte er ihm zu und schob Rory voran. »Erzähl den Jungs von deinem gebrochenen Herzen. Sie werden glauben, es ist wegen Lisa.«
»Die werden unsere Schwänze abschneiden«, flüsterte Rory. »Cringe ist mehr als misstrauisch. Nach heute Abend wird er uns jagen wie zwei streunende Hunde.«
»Das wird er nicht.« Travis lächelte Duncan zu, der auf sie wartete.
»Du hättest mir sagen sollen, dass das Auto nicht für ’ne Mieze ist«, sagte Duncan vorwurfsvoll. »Dachte, du willst die Maus beeindrucken.« Er legte seinen Arm um Rory und dieser duckte sich merklich. »Wenn ich gewusst hätte, dass du diese blonde Ratte retten willst, hätte ich dir den Jeep gegeben. Schade um den Firebird. War mein Schätzchen.« Er sah Rory an. »Und jetzt erzähl mir, warum dich deine mexikanische Schlampe verraten hat. Hast du’s ihr nicht gut genug besorgt?«
Rory folgte Duncan ins Innere und Travis ließ seinen Blick ein letztes Mal über den Platz schweifen, bevor er das Clubhaus betrat. Dieser Abend würde sein persönliches Armageddon werden.
Zwei Stunden später saß er auf seiner Harley und fuhr in Formation in Richtung Salinas. Zwanzig Mitglieder auf Motorrädern waren insgesamt mit von der Partie plus drei Prospects in einem weißen Van mit dem Aufdruck einer Putzfirma. Sie transportierten die Waffen. An diesem Tag hatten sie auf ihre Kutten verzichtet, um nicht aufzufallen, auch wenn sie dies natürlich trotzdem taten. Zwanzig finster dreinblickende Motorradfahrer, die wie die Zugvögel hinter ihrem Präsidenten und dessen Sergeant-at-Arms herfuhren, waren kaum zu übersehen. Cringe hatte Travis’ Vorschlag, sich kurz vor Salas aufzuteilen, abgelehnt. Er wollte Stärke demonstrieren, auch wenn diese angesichts der zahlreichen und bis an die Zähne bewaffneten Norteños lächerlich erschien.
Als sie die Stadtgrenze passierten, fühlte sich Travis unwohler denn je. Seine Wunde pochte, als wollte sie ihn an die Gefahr erinnern, in der er sich befand. Kurz vor der Abfahrt in Gilroy hatte er über das Handy durchgegeben, dass sie auf dem Weg nach Salinas waren. Der Deal würde wie geplant am bereits genannten Ort über die Bühne gehen. Er hatte Marella sogar die GPS-Koordinaten durchgegeben, weil er wusste, dass die Hütte im Wald nur schwer zu finden war. Es erschien ihm eigenartig zum ersten Mal seit langer Zeit wieder an den Ort seiner Jugend zurückzukehren. Jenen Ort, der ihm Zuflucht und Heimat zugleich gewesen war. Der ihm seinen Vater vom Hals gehalten hatte, und wo er gemeinsam mit Rory an der 1941er Harley Davidson FL Sidecar Knucklehead geschraubt hatte. Sie hatten das Schmuckstück nie ganz fertig bekommen. Seit Jahren stand es nun in Rorys Garage unter einer Abdeckplane und wartete darauf, dass sie es vollendeten. Die Löcher im Boden des Beiwagens mussten noch ordentlich verschweißt werden. Doch das war nun unwichtig, denn vermutlich würden es nun die Mexikaner in die Finger kriegen. Travis war sich sicher, dass sie das Haus schon längst auf den Kopf gestellt hatten. Zum einen auf der Suche nach Waffen und Wertgegenständen, zum anderen, um an Informationen zu gelangen. Außerdem würde Lisa zurückkehren und alles mitnehmen, was sie brauchen konnte. Rory blieb nichts. Er war mittelloser als jemals zuvor. Doch anstatt dafür zu kämpfen, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen, war Mya alles, woran er dachte.
Travis sah zu seinem Kumpel, der versetzt neben ihm fuhr. Da seine andere Harley nun vermutlich ebenfalls unter einem braunen Arsch zu finden war, fuhr er eines der Motorräder, die ansonsten den Prospects vorbehalten waren, eine Harley-Davidson Dyna Street Bob. Sie wirkte etwas klein für seine Körpergröße und obwohl Travis sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste er, dass Rory verbissen dreinsah. Er hatte mitgespielt, hatte den Brüdern des Clubs von seiner miesen Ehefrau Lisa erzählt, die ihn hinterhältig verraten und seine beiden Kinder mitgenommen hatte. Das Leid in seinen Augen war nicht aufgesetzt, als er davon gesprochen hatte, wie sehr es ihm zusetzte, dass Ruben und Katia nun bei der Nuestra Familia aufwuchsen. In seiner Verzweiflung trank er einige Whiskys zu viel und Travis hoffte, dass ihn das nicht zusätzlich daran hinderte, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihnen lag.
Cringe bog an der Spitze der Kolonne nach rechts ab und alle folgten ihm. Travis wusste, dass er die Innenstadt und die gefährlichen Bezirke von Salas meiden wollte. Deshalb fuhr er auf Umwegen zu der Hütte im Wald. Nachdem sie die viel befahrenen Straßen hinter sich gelassen hatten, lichtete sich die Bebauung und sie donnerten auf einen Feldweg. Der Sand flirrte wie feiner Goldstaub vor den Scheinwerfern der Harleys, am dunkelblauen Abendhimmel sah man die ersten Sterne.
Travis hasste Deals, die in der Dunkelheit stattfanden. Sie gaben ihm das Gefühl, die Situation nicht unter Kontrolle zu haben, weil er nicht alles im Blick behalten konnte. Doch die Triaden hatten darauf bestanden und die Waffenübergabe auf neun Uhr festgesetzt. Travis fragte sich, ob die Reisfresser schon da waren. Zu der Hütte führten nur zwei Straßen. Eine kam aus Süden, die andere aus Osten. John Marella musste seine Leute ebenfalls so positionieren, dass sie niemandem auffielen. Travis hoffte inständig, dass es kein Blutbad geben würde. Die Gelben waren nicht zimperlich und ihre Finger saßen ziemlich locker an den Abzügen. Sie waren bekannt dafür, loszuballern bevor sie überhaupt wussten, worauf sie schossen. Billy Chen, der Triaden-Boss von Salas, war eiskalt. Travis schätzte ihn so ein, dass er im Zweifel seine Männer und sich selbst hinrichtete, bevor er sich von Marellas Eingreiftruppe gefangen nehmen ließ. Die Triaden hatten keine Verbündete in den Gefängnissen und waren auch nicht dafür bekannt, kooperativ zu sein. Erst vor kurzem hatte sich ein Bandenmitglied bei seiner Verhaftung die Zunge abgebissen und war verblutet. Travis spannte die Muskeln an. Er hatte Marella gewarnt. Es war unmöglich, sich den Kopf der Triaden zu schnappen. Ihre Strukturen waren streng hierarchisch und wurden niemals preisgegeben. Der jeweilige Rang wurde in numerischen Codes angegeben, die in der chinesischen Zahlenkunde für bestimmte Objekte standen. So war Billy Chen etwa ein 426, ein roter Wächter, eine Art Feldherr, der wiederum einem sogenannten Bergführer unterstellt war. Über allem thronte der Drache, der Kopf der gesamten Organisation. Er war unerreichbar, namenlos und nichts mehr als ein Schatten für die Justiz. Es war wie bei der Nuestra Familia, man konnte die Unterhändler von der Bildfläche verschwinden lassen, aber die Köpfe lebten weiter und bildeten neue Arme, mit denen sie nach der Macht griffen. Es war eine unendliche Geschichte.
Sollten die Gelben je herausfinden, dass er gesungen hatte, dann wäre ein Mayhem-Urteil bei den Green Army Brüdern nichts im Vergleich zu dem, was die Triaden mit ihm anstellen würden. Lingchi, der Tod der tausend Schnitte. Travis presste die Zähne zusammen. Er verachtete sich dafür, dass er allmählich genauso paranoid wurde wie Rory.
Der Trupp wurde langsamer, der Weg gabelte sich und Travis deutete nach links. Cringe fuhr voran, die äußeren Flügel der Formation blieben als Wachposten zurück. Jetzt waren sie nur noch zu acht. Das war die Zahl, die die Triaden vorgegeben hatten. Kein Mann mehr oder weniger. Travis holte tief Luft. Sie bogen um die nächste Spitzkehre und die Scheinwerfer erfassten die Lichtung. Zwischen dem Gestrüpp ragte die Hütte ihrer Jugend hervor. Travis glaubte, die Schüsse von damals zu hören, als sie auf die in den Bäumen aufgehängten Blechdosen gezielt hatten. Es war eine gute Zeit gewesen. Mya, Rory und er. Sie hatten ganze Wochenenden in der Holzhütte verbracht. Inzwischen wirkte ihr Leben so düster und trist wie dieser seit langem verlassene Ort.
Cringe hob die Hand und die Gruppe kam zum Stehen. Nach dem Abstellen der Motoren umgab sie gespenstische Stille. Travis setzte seinen Helm ab und nickte Cringe zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie richtig waren. Der Lieferwagen rollte nun ebenfalls zu ihnen heran und kam zum Stehen.
»Abladen!« Cringe forderte seine Männer zur Eile auf.
Die Hintertüren des Wagens flogen auf und die drei Prospects sprangen heraus. In Windeseile wurde eine der Holzkisten ausgeladen und zu der Hütte in einigen Metern Entfernung getragen. Sie enthielt die Waffen, mit denen Probeschüsse abgegeben werden sollten. Erst wenn die Chinesen das Geld präsentierten, würde Cringe ein Zeichen geben und den Van mit den restlichen Waffen vorfahren lassen. Travis beobachtete das Abladen. Als die Prospects fertig waren, hasteten sie ins Innere des Vans, starteten den Motor, wendeten den Wagen und brausten davon.
»Guter Platz.« Cringe sah sich um. »Hätte gedacht, das sei Familia Gebiet.«
»Nicht mehr.« Travis ging zu ihm. »Seit der Säuberungsaktion des FBI haben die Braunen diesen Teil der Stadt aufgegeben. Scheint, als hätten sie die Hütte vergessen. Gut für uns.«
»Was war das früher?«
»Irgendwann hausten hier mal die Schwarzbrenner. Aber das ist lange her. Rory und ich haben die Hütte als Jugendliche entdeckt. Da war sie bereits verlassen. Später hat die Familia sie dann genutzt und nun steht sie wieder leer.«
Cringe stellte sich breitbeinig auf die Lichtung. »Ich höre nichts«, grummelte er. »Vielleicht ist Billy Chen misstrauisch geworden.«
»Der kommt bestimmt.« Travis blickte in die Dunkelheit. Im Gegensatz zu Cringe spürte er die Anwesenheit der Triaden. Die Härchen auf seinen Armen stellten sich auf. Sie waren hier so ausgeliefert wie ein Maultierhirsch auf freiem Feld. Wenn er nicht gewusst hätte, wie heiß der gelbe Mob auf die Waffen war, hätte er schon längst den Rückzug angetreten.
»Ich rieche die verdammten chinesischen Zigaretten der Reisfresser«, zischte Rory neben ihm. »Warum zeigen sie sich nicht?«
Dasselbe fragte sich auch Travis. Vorsichtig entsicherte er seine Ruger. In diesem Moment flammten Scheinwerfer auf und Travis kniff automatisch die Augen zusammen. In seinem Rücken hörte er das Klicken der anderen Waffen.
»Tstststs ...« Eine Gestalt trat in das Licht und er erkannte die Stimme von Billy Chen. »Warum so nervös, meine irischen Freunde?«
Cringe drehte seine Waffe zur Seite und hob die Hände. »Alles cool, Billy.«
»Das will ich hoffen. Wen hattet ihr denn erwartet?«
»Wir sind einfach nur vorsichtig. Ist unser erster Deal mit euch.«
»Hm.« Billy Chen betrachtete die anwesenden Mitglieder. Er trug einen schwarzen Anzug und in seiner Körperhaltung lag so viel Anspannung, dass Travis zu zweifeln begann, ob die ganze Aktion so reibungslos verlaufen würde wie er es geplant hatte.
»Warum machst du nicht das Licht aus und wir begrüßen uns wie Geschäftspartner?« Cringe gab sich gelassen.
»Wo sind die Waffen?«
»Eine Kiste ist in der Hütte hinter uns. Seht sie euch an. Wenn ihr zufrieden seid, dann holt ihr das Geld und ich lasse den Van mit der gesamten Lieferung kommen.«
Billy Chen schien zu überlegen, dann schüttelte er den Kopf. »Ich habe noch etwas zu klären.«
»Das wäre?«
»Habe gehört, ihr hattet Ärger mit den Braunen.« Billy sah zu Travis herüber. »Sie haben einen von euch in die Mangel genommen.«
»Das ist richtig«, erwiderte Cringe. »Einer unserer Brüder hatte Ärger mit seiner Old Lady . Ihr sind die Sicherungen durchgeknallt und sie ist zurück zur Familia.«
»Ihr steckt eure Schwänze in braune Muschis? Xīngxīng zhī huǒ kěyǐ liáo yuán. « Billy machte eine kurze Pause. »Ein kleiner Funken kann die ganze Steppe in Brand setzen.« Er wandte sich von Cringe ab und kam auf Travis zu. »Ich hoffe, ihr habt das dumme Weib abgeknallt?«
»Sie ist die Mutter meiner Kinder«, mischte sich Rory ein und Travis hätte ihn am liebsten k.o. geschlagen, damit er den Mund hielt. Sein Kumpel hatte keinen blassen Schimmer, mit wem er da sprach.
Billy blieb stehen. Er sah Rory an und sein Blick ließ sämtliche Alarmsirenen in Travis schrillen.
»Du bist das also.« Der Triaden Boss verzog keine Miene. »Du fickst gerne Braune. Dumme Angewohnheit.« Sein Blick wanderte weiter zu Travis. »Ich bin erfreut, dich wiederzusehen.« Seine Stimme hatte keinerlei Höhen und Tiefen. Sie klang aalglatt, ohne jegliche Gefühlsregung. Als Travis vor Monaten den Kontakt zu Billy aufgenommen hatte, um ihm den Waffendeal vorzuschlagen, hatte er sofort gewusst, dass man diesen Typen besser nicht zum Narren hielt. Er ergriff Billys Hand und spürte den drohenden Druck.
»Dein Kumpel ist zu weich«, sagte der Chinese. »Du solltest es für ihn tun. Erledige die mexikanische Schlampe, damit die Familia weiß, wie die Green Army Verrat bestraft. Verschafft euch Respekt.« Er ließ Travis los und wandte sich erneut an Rory. »Wen hat das Special Response Team aus der braunen Höhle gezerrt?«
»Keine Ahnung.« Sein Kumpel klang erstaunlich unbeeindruckt.
»Ich hörte, es war eine Frau. Deine Frau?«
»Warum sollten die ihr eigenes Familienmitglied als Geisel nehmen?«
Travis hielt den Atem an. Es erstaunte ihn, dass Billy Chen über den Einsatz informiert war. Aber wieso hatte er auch geglaubt, Myas Befreiung bliebe im Dunklen? Vermutlich wusste inzwischen halb Salas Bescheid. Ihm schwante nichts Gutes.
Billy Chen zündete sich eine Zigarette an. »Verkaufst du mich gerade für dumm, du verfickter Ire?«
»Das tue ich nicht.«
»Du weißt ganz genau, wen die Bullenschweine da rausgeholt haben. Warum sagst du es nicht?«
Rory schwieg. Travis spannte die Muskeln an und Cringe versuchte zu vermitteln. »Wollen wir nicht endlich zum Geschäftlichen kommen?«
»Nein!«, fauchte Billy und Travis griff instinktiv nach seiner Waffe. »Ich sagte, ich habe noch etwas zu klären.«
Ehe Travis etwas tun konnte, bemerkte er einen Gegenstand in Billys Hand. Das Licht brach sich in der Klinge. Ein Messer! Schon zuckte es nach vorne. Es ging blitzschnell. Travis hielt entsetzt inne, während sich der Horror bis in sein Gehirn brannte. Die Erkenntnis lähmte ihn kurzzeitig.
»Fuck!« Rory starrte das Messer an, das bis zum Anschlag in seinem Bauch steckte. Mit einer ruckartigen Bewegung riss Billy es nach oben. Rory schrie auf, dann fiel er zu Boden.
»Was zum Teufel!« Travis erwachte aus seiner Starre.
»Tstststs ...« Billy hielt ihn zurück und bedeutete den anderen Green Army Mitgliedern ebenfalls zurückzubleiben. »Dieser Scheißkerl hat euch verraten«, zischte er.
Travis durchlief es eiskalt.
»Die ICE Agenten haben eine Frau namens Mya Munroe vor den Braunen geschützt. Euer ehrenwerter Bruder Rory hier hat sie gefickt. Ist wohl seine Jugendfreundin, die Tochter eines Verräters, den die Familia rächen will. Einer meiner Leute hat gesehen, wie er sie letzte Woche nachts in ihrem Motel besucht hat. Kein Wunder, dass ihm seine Frau davongelaufen ist und die Braunen in Aufruhr sind.« Gemurmel machte sich breit und Travis starrte auf seinen besten Freund, der sich stöhnend zu seinen Füßen im Gras wand. Blut durchtränkte sein T-Shirt und Travis wusste, dass es seines sein sollte. Verstört lauschte er Billys Worten, die sich wie ein warnender Zeigefinger in sein Innerstes bohrten.
»Ein derartiger ICE Einsatz kommt von ganz oben. Jemand hat also geplaudert. Und wer könnte das wohl gewesen sein? Nur der, der es schafft, sein Betthäschen vom ICE retten zu lassen.« Billy stieß Rory mit der Schuhspitze in die Seite. Gott verdammt! Travis trat nach vorne. Noch ehe er etwas sagen konnte, spuckte Rory angriffslustig aus. »Du chinesische Drecksau!«
Billy trat erneut nach ihm und Travis spürte, wie die Wut in ihm überschäumte. »Lass ihn in Ruhe!«
Zwei Männer von Billy schirmten ihren Boss ab und nahmen Travis in den Schwitzkasten.
»Du willst nicht glauben, dass dein Freund gesprächig war, habe ich recht? Du hast dieses Geschäft eingefädelt, aber du wurdest verraten. Ebenso wie der ganze Club hier.«
Billy trat zu Cringe. Er stellte sich so dicht vor ihn, dass er fast dessen Nase berührte. »Der Deal ist geplatzt. Wir machen keine Geschäfte mit inkompetenten Handelspartnern. Bekommt eure Organisation in den Griff, dann reden wir vielleicht weiter. Und wir wollen einen Preisnachlass für die Unannehmlichkeiten.«
»Das ist Unsinn! Rory hat uns nicht verraten.« Travis wand sich in der Umklammerung der Chinesen, doch ihr Griff war eisern. Die Schmerzenslaute seines Kumpels machten ihn wahnsinnig.
»Und was ist, wenn ich dir nun stecke, dass jeden Moment erneut die Gang Units hier auftauchen werden? Glaubst du mir dann?« Billy kam zu ihm zurück. »Der irische Vogel hat gezwitschert, hat ein Geschäft unterschrieben, um die weiße Möse zu retten. Aber ich werde nicht Bestandteil eines RICO Falls, nur um den Krieg gegen die verdammten Mexikaner zu gewinnen! Es gibt noch andere Wege.« Erneut trat Billy nach dem am Boden Liegenden.
Travis bäumte sich auf. Sein Zorn steigerte sich in Rage. Er schüttelte einen der Chinesen ab, bevor er eine Waffe an seiner Stirn spürte. Billy neigte den Kopf zur Seite. »Du wirst ihn nicht retten«, sagte er leise. »Er wird sterben, denn ich habe ihm seine irischen Eingeweide zerfetzt.«
»Du verfluchtes Schwein!« Travis warf sich nach vorne. Seine Raserei verdrängte die Angst. »Er hat nicht geplaudert!«
»Doch, das habe ich!« Rorys Stimme klang übernatürlich laut. »Ich habe Mya gerettet und ich habe diesen Deal dem verdammten Vize-Staatsanwalt gesteckt, damit er eure gelben Ärsche für immer in den Knast steckt, wo die Braunen ihn ficken können. Fahrt alle zur Hölle!«
Billys Arm fuhr herum, ein Schuss knallte. Travis riss den Mund zu einem stummen Schrei auf und verpasste dem Chinesen an seiner Seite einen Kinnhaken. Bewegung kam in die Mitglieder der Green Army. Knarren wurden gezogen und jeder bedrohte sein Gegenüber. Billy Chen zog Travis eins mit dem Lauf seiner Waffe über und er ging zu Boden. In seinem Rücken vernahm er das Lachen des Chinesen. »Es ist vorbei, ihr irischen Wichser, hört ihr das nicht?«
Durch das Dröhnen in seinem Schädel drang das Rotorengeräusch eines Hubschraubers. Die Scheinwerfer gingen aus. Es wurde dunkel. Endlich.
»Wir ziehen uns zurück!«, befahl Cringe und Travis spürte Hände, die nach ihm griffen. Er schüttelte sie grob ab. Seine Finger tasteten nach Rory, der leblos neben ihm im Gras lag.
»Lass uns abhauen, Bro!« Es war Duncan.
Travis reagierte nicht und das Zerren an seinen Armen nahm zu. »Nein!« Er drehte sich auf den Rücken, richtete seine Waffe auf die konturlosen Gesichter, die ihn ansahen. »Ich lasse ihn nicht alleine.«
»Er ist tot, Mann.« Es klang verunsichert. Keiner wagte auszusprechen, dass Billy Chen womöglich recht hatte und Rory ein Verräter war, dessen Leiche niemand mitnehmen wollte.
»Geht!« Travis legte den Finger an den Abzug. »Haut ab!«
»Der Scheiß ICE ist auf dem Weg.« Duncan zögerte noch immer. Dann nickte er. »Wir schieben dein Bike ins Gebüsch, falls du’s dir doch noch anders überlegst.« Er zog ab.
Travis ließ den Kopf nach hinten fallen und senkte die Waffe. Er hörte, wie sich alle um ihn herum aus dem Staub machten. Motorräder wurden angeschmissen, aus Richtung Salas erklangen Polizeisirenen. Reifen quietschten, der Hubschrauber kam näher, richtete seinen Suchscheinwerfer auf die Straße unter sich. Travis setzte sich auf. Er musste Rory von hier fortschaffen! Wenn die Einsatzteams herkamen, würden sie die Hütte durchsuchen und die Kiste mit den Waffen finden. Es waren nicht viele, nur jeweils eine von jeder Art, aber er wollte nicht, dass sie seinen Kumpel mitnahmen. Er stand auf und vermied es, Rory anzusehen, dessen Kopf ebenso blutverschmiert war wie der Rest seines Körpers. »Du blöder Arsch«, murmelte er, während er ihn bei den Schultern packte und davonzerrte. »Es war meine Idee, warum hast du mich die Scheiße nicht regeln lassen und hast dein dummes Maul gehalten?«
Der Schmerz in seinem Inneren wurde von jäher Wut überlagert, die ihm die Kraft verlieh, die er brauchte. Schwer atmend schleppte er seinen Bruder tiefer in den Wald hinein, dorthin, wo sich die unterirdischen Verstecke der Schwarzbrenner befanden, in denen sie früher den Alkohol gelagert hatten.
Travis legte eines von ihnen mit bloßen Händen frei, fand schließlich den eisernen Ring einer im Boden eingelassenen Holzklappe und stemmte sie auf. Der Hubschrauber kreiste über ihren Köpfen. Das grelle Licht des Suchscheinwerfers streifte ihn, aber er wusste, dass die Bäume ihm Schutz boten. Solange die Bullen keine Wärmebildkameras im Einsatz hatten, war alles in Ordnung. Mit letzter Kraft wuchtete er Rory in die Grube und schloss die Klappe über ihnen. Ruhe. Tiefste Finsternis. Travis ließ sich zu Boden fallen und barg den Kopf in seinen Armen. In diesem Moment klingelte das Handy in seiner Hosentasche. Er ignorierte es. Ihm war alles egal. Er fühlte sich, als sei er mit Rory gestorben. Vielleicht war es auch so.