»
W
as für eine Absteige.« Travis ließ seinen Rucksack auf den Boden fallen und blies sich in die Hände, um sie zu wärmen. Draußen hatte es zu schneien begonnen und im Inneren der Hütte war es so kalt, dass man die eigene Atemluft sehen konnte.
»Im Schrank dort hinten gibt es Schlafsäcke.« Lewis deutete in eine Ecke und nahm die schweren Balken von den Fensterläden. Dann öffnete er sie.
»Denkst du nicht, es fällt auf, wenn die Läden offen sind?«
»Möchtest du da drinnen sitzen wie in einer Höhle oder willst du unsere Verfolger rechtzeitig erkennen?« Lewis krauste die Stirn. »Ich denke nicht, dass deine Gangbrüder wissen, dass man hier die Fenster vor Lawinen sichert, du Hoser
.«
»Hoser?«
»Das bedeutet Idiot«, murmelte Mya neben ihm und Travis schluckte eine giftige Bemerkung hinunter. Er wusste, dass Mya und er in diesen Bergen niemals eine Chance gehabt hätten. Schon der Aufstieg zur Hütte war etwas, auf das er gerne verzichtet hätte. Er war durch und durch Kalifornier. Die Sonne war immer Bestandteil seines Lebens gewesen. Sand, Hitze,
Regen, Wind und Nebel – damit konnte er umgehen. Schnee und Kälte dagegen waren nichts, wonach er sich je gesehnt hatte. Sein Arsch gehörte auf eine Harley, um sie über den glühenden Asphalt zu jagen. Doch diese Umgebung war seinem Wesen so fremd wie der Nordpol einem Löwen.
Er sah Mya an, die bibbernd neben ihm stand. Das fahle Licht ließ sie noch bleicher wirken, als sie ohnehin schon war.
»Wir müssen deinen Arm verarzten«, sagte er.
»Der Erste-Hilfe-Koffer hängt dort an der Wand.« Lewis fuhr mit seiner Arbeit fort und obwohl es ihm widerstrebte, das zuzugeben, war Travis froh, dass Myas Freund - oder was immer er war – ihnen half. In dieser unwirtlichen Umgebung hatten sie deutlich größere Chancen zu überleben als auf einer Straße, die sie niemals an einen Ort bringen würde, an dem sie sicher waren.
Travis bewegte sich von der Türschwelle weg und sah sich im düsteren Raum um. Die Hütte bestand aus massiven Holzstämmen und hatte einen Bretterboden. Sie war nur zweckmäßig eingerichtet. An der einen Wand befanden sich zwei Hochbetten, gegenüber ein kleiner Holzofen und einige Regale, die weitestgehend leer waren. Wolldecken, Konserven, Klopapier und einige Wasserkanister lagerten neben Steigeisen, Kletterseilen und Helmen. Travis nahm den Erste-Hilfe-Koffer von der Wand und öffnete ihn. Mya quälte sich aus ihrer Jacke und zog sich den Pullover über den Kopf. Sofort erkannte er, dass der provisorische Verband völlig blutdurchtränkt war. Das war nicht gut.
»Setz dich.« Er deutete mit dem Kinn auf eines der Betten und ging zu ihr.
»Sieht scheiße aus«, sprach sie seine Gedanken aus. Er wusste, dass sie etwas Beruhigendes von ihm hören wollte, doch das war nicht seine Art.
Vorsichtig löste er den Verband und rückte Mya in eine Position, in der er die Wunde durch das einfallende Tageslicht begutachten konnte.
»Ist grabenförmig, nicht kraterförmig«, erklärte er.
»Und das ist gut?«
»Es bedeutet, dass es ein Streifschuss und kein Durchschuss ist. Aber die Wunde ist tief. Eigentlich müssten wir sie nähen, sonst reißt sie immer wieder auf und blutet.«
»Du kannst nähen?« Mya hob eine Augenbraue.
»Ich kann es.« Lewis trat zu ihnen. »Erstversorgung im Hochgebirge ist Bestandteil der PCMS-Grundausbildung.«
»Dein neuer Freund wird dich retten.« Travis stand auf und schluckte den faden Beigeschmack herunter, den diese Aussage bei ihm hinterließ. Mya gehörte ihm, verdammt! Das war schon immer so. Er war für sie verantwortlich!
Lewis warf ihm einen Blick zu, als wollte er sagen: Du hast sie alleine gelassen und nun leb mit dieser Entscheidung! Travis ballte die Hände zu Fäusten. Es war lange her, dass er wirklich den Wunsch gehegt hatte, jemanden umzulegen. Doch Lewis ging ihm auf die Nerven. Noch mehr, seitdem er wusste, dass sie ihn brauchten. Diese ganze Situation trieb ihn an den Rand des Wahnsinns. Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, stellte er sich in den Türrahmen und beobachtete die Umgebung. Er hatte keine Ahnung, aus welcher Richtung sich ihre Verfolger nähern würden. Lewis hatte gesagt, dass der Schneefall zu ihrem Vorteil war. Auf diese Weise wurden ihre Spuren verwischt und die neuen, die entstanden, waren gut erkennbar. Er konnte sie lesen. Noch eine Eigenschaft, die Travis fehlte. Er bemerkte den ängstlichen Blick, den Mya Lewis zuwarf, als dieser nach der Nähnadel griff. Er hätte kotzen können. Wieder in ihrer Nähe zu sein rief die unterschiedlichsten Gefühle in ihm hervor. Sie kannten sich so lange und sie bedeutete ihm mehr, als jeder andere Mensch ihm je bedeutet hatte. Doch das war nicht gut.
Er war nicht gut und würde es nie sein. Dieses eine Jahr in Storm Lake hatte ihm vor allem eins vor Augen geführt: Er hatte die Sache in Salinas nicht bis zum Ende durchgezogen. Deshalb vegetierte er unter falschem Namen in einer Stadt dahin, die er hasste. Ein Fehler, der ihm kein zweites Mal passieren würde.
Er hörte Mya vor Schmerzen aufstöhnen und sah auf. Lewis reinigte die Wunde und Travis hätte ihn am liebsten von ihr weggerissen. Er hasste es, wenn jemand ihr wehtat. Niemals hätte er es sich verziehen, wenn diese Arschlöcher sie bekommen hätten, bevor er bei ihr war. Sie hatten verdammtes Glück gehabt und diesen Vorsprung, so winzig er auch sein mochte, würde er sich nicht mehr nehmen lassen. Selbst wenn das bedeutete, dass er sich mit dem blonden Biberfresser arrangieren musste. Dieses Mal würde er es nicht versauen. Entweder überlebten sie beide oder sie starben und machten das Kleeblatt wieder komplett. Das war es, was sie wollte. Er hatte es in ihren Augen gesehen.
»Ich weiß, das ist jetzt unangenehm, aber hier gibt es nur Adrenalinspritzen, nichts zur Betäubung.« Lewis reichte ihr eine Tablette. »Die sollte zumindest hinterher wirken.«
»Danke«, murmelte Mya, schluckte die Tablette, indem sie ihren Kopf in den Nacken warf, und fixierte die gebogene Nadel in Lewis’ Hand.
»Kann’s losgehen?« Er sprühte Wunde und Nadel großzügig mit Desinfektionsmittel ein. Mya nickte. Ihre Pupillen waren derart geweitet, als sei sie auf Drogen, und ihr Blick fand den von Travis. Er wusste, dass sie wütend auf ihn war. Jede ihrer Gesten zeigte es ihm. Er wünschte sich, dass er ihr die Schmerzen nehmen könnte, aber das ging nicht. So konnte er ihr nur stumm beistehen und hoffen, dass sie stark genug war. Für alles, was ihnen noch bevorstand.
»Scheiße!« Mya stieß die Luft zwischen den Zähnen aus.
»Gibt’s hier keinen Alkohol?«, fragte Travis.
»Bei dem, was sie trinken müsste, um nichts mehr zu spüren, könnten wir sie hinterher auf unserem Rücken herumtragen«, erwiderte Lewis, ohne von seiner Arbeit aufzusehen.
»Ich hab nicht von ihr geredet«, brummte Travis und Mya verzog gequält den Mund.
»Ich kotze, wenn ich zu viel trinke«, presste sie hervor.
»Danke für die Info«, murmelte Lewis und Travis bemerkte, dass Mya für kurze Zeit abgelenkt war.
»Rory musste dann immer meinen Kopf halten«, sagte sie und er nickte ihr zu, damit sie weitersprach. »Er fand das sicher eklig, aber er war gut darin.« Sie ächzte. »Warst du an seinem Grab?«
»Das ging leider nicht. Nach dem Krankenhausaufenthalt habe ich nie wieder einen Fuß auf den Boden von Salinas gesetzt. Ich kam in ein Safe House, machte meine Aussagen und blieb dort, bis die Gerichtsverfahren abgeschlossen waren. Anschließend kam ich direkt nach Storm Lake. Aber ich habe gehört, dass die Polizei seinen Leichnam bei unserer Hütte gefunden hat. Sie haben ihn weggebracht und beerdigen lassen.«
»Er hatte etwas Besseres verdient.«
»Haben wir das nicht alle?«
»Vielleicht.« Mya presste die Lippen aufeinander. Sie sah aus, als würde sie gleich ohnmächtig werden. »Sehnst du dich manchmal nach Salinas?«
»Nach diesem beschissenen Loch?« Er dachte nach. »Ja, denke schon.«
»Geht mir ebenso. Diese Stadt hat uns beinahe zugrunde gerichtet und trotzdem haben wir Sehnsucht nach ihr. Ist das nicht seltsam?«
»Das ist wie mit einer Beziehung, die dir alles abverlangt hat. Die bekommst du niemals wieder aus deinem Kopf.«
»Sprichst du aus Erfahrung?«
Sie sahen einander an, bis Travis die Verbindung löste, indem er aus dem Fenster sah. Er war kein Typ für Beziehungen, das wusste sie.
»Aua!«, schrie Mya auf und seine Aufmerksamkeit kehrte augenblicklich zu ihr zurück.
»Eure Vergangenheitsbewältigung hat mich abgelenkt«, entschuldigte sich Lewis. »Wenn du aufgehört hast zu philosophieren, könntest du draußen Feuerholz sammeln.«
»Meinst du etwa mich?« Travis starrte ihn an. »Willst du tatsächlich ein Feuer machen?«
»Ja, denn ich habe nicht vor, hier zu erfrieren.« Lewis machte eine bedeutungsvolle Pause. »Hier wird es nachts so dunkel, dass keiner den Rauch sehen wird, du Hoser
.«
Travis verschränkte die Arme vor der Brust. »Mag sein, dass man nichts sieht, aber soweit ich weiß, funktioniert Riechen auch im Dunklen. Und ich nehme an, dass selbst Feuer in Kanada glühen. Denkst du, unsere Verfolger sind Hohlbirnen?«
Sie fixierten einander, bis Lewis sich wieder Mya zuwandte und mit seiner Arbeit fortfuhr. Travis ging zu ihm und baute sich vor ihm auf.
»Wir sollten das klären«, forderte er.
»Was sollten wir klären?« Lewis durchstach den Wundrand an einer Seite und führte die Nadel unter der Wunde hindurch, bis sie am Wundrand der anderen Seite wieder auftauchte. Mya presste die Zähne aufeinander, ihre Nasenflügel bebten.
»Wer hier das Sagen hat.«
»Hör auf!«, entfuhr es Mya. »Hör einfach auf. Bitte!«
Es klang, als richtete sich ihre Ansage an sie beide. Travis knurrte und ging hinaus, um Feuerholz zu sammeln. Der Wind blies ihm die eisigen Schneekristalle ins Gesicht und obwohl es erst Nachmittag war, war das Licht so grau wie an einem nebelverhangenen Frühsommerabend in Salinas. Wäre er dort, hätte er gewusst, was zu tun war, doch hier kam er sich vor wie
ein verdammter Prospect. Er ging hinter die Hütte, wo verdorrte Zweige auf einen Haufen lagen. Rasch klaubte er sie auf und stapelte sie auf seinem Arm. Durch das Fenster sah er, dass Lewis den Faden abschnitt und Mya einen Kuss auf die Stirn gab. Ihm kam die Galle hoch. Am liebsten hätte er mit der Faust das Glas zertrümmert, doch stattdessen zerquetschte er einen dünnen Zweig zwischen seinen Fingern. Er atmete tief durch und wartete. Als er ein Geräusch hörte, fühlte er sich bestätigt. Er hatte geahnt, dass Lewis die Konfrontation zwischen ihnen nicht einfach so beiseiteschieben würde und spürte, dass sich der Biberfresser in seinem Rücken aufbaute.
»Ich werde nicht zulassen, dass du sie mit dir in den Abgrund ziehst«, hörte er ihn sagen.
»Sie steckt schon mittendrin.« Travis hob das Kinn. »Hat sie dir das nicht erzählt?«
»Sie hat davon geredet, dass sie euch retten wollte und vieles bereut.«
»Späte Erkenntnis.«
»Dreh dich um, du Arschloch!«
»Traust du dich nicht, jemanden von hinten anzugreifen? Hast du Angst, ich erledige dich mit dem Feuerholz?«
Er hörte Schritte, ließ die Zweige fallen und drehte sich blitzschnell um. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er die Situation erfasst hatte und stoppte Lewis mit einem harten Schlag in die Magengrube. Dieser stieß pfeifend die Luft aus und schaffte es nur mit Mühe, nicht auf die Knie zu sinken.
»Wichser!«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
»Manchmal.« Travis blieb stehen, die Fäuste immer noch in Verteidigungshaltung vor seinem Körper.
»Sie wollte weg von euch«, keuchte Lewis. »Siehst du das denn nicht? Lass sie in Ruhe. Du bist ihr Untergang.«
»Momentan bin ich ihre Lebensversicherung.«
»Vielleicht willst du nur, dass sie das glaubt. Vielleicht brauchtest du mal wieder eine Maus zum Vögeln.« Lewis’ Faust verfehlte um Haaresbreite Travis’ Nase, da dieser erstaunt zurückwich. Mit einer derart schnellen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Lewis sprang ihn an wie ein Berglöwe. Travis wich ihm gerade noch rechtzeitig aus und zog seine Waffe. Er packte Lewis und hielt ihm die Ruger an die Stirn.
»Jetzt hör mir mal zu, Biberfresser«, raunte er gefährlich leise. »Ich ficke, wann ich will, und wen ich will, verstanden? Doch deswegen bin ich nicht hier. Die Typen, die hinter uns her sind, werden Mya töten. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, dafür werde ich sorgen. Aber eines Tages werden sie zuschlagen. Das ist der einzige Grund, warum ich hier bin. Weil sie mir gehört und weil ich in diesem Moment bei ihr sein werde, hast du mich verstanden?«
Lewis gab nicht nach, sein Blick schweifte ab. Travis wusste, wen er ansah. Mya. Vermutlich stand sie an der Ecke der Blockhütte, um sie auseinanderzubringen. Er ließ Lewis los, steckte die Waffe ein und drehte sich zu ihr um. Ihre Augen schimmerten verdächtig.
Er ignorierte ihre Gefühle und sammelte das Feuerholz ein, um es ins Innere der Hütte zu tragen. Auf dem Weg dorthin, blieb er neben ihr stehen. »Du kennst die Wahrheit«, sagte er, ohne sie anzusehen.
»Die kannte ich schon immer«, flüsterte sie. Er nickte und ging weiter.
Mya starrte
durch das Fenster hinaus in die Dunkelheit. Es war vier Uhr morgens und sie hätte schlafen sollen, aber sie konnte es nicht. Lewis hatte die Wache übernommen. Er war hinausgegangen, um sich umzusehen, und Exx stand auf
der gegenüberliegenden Seite des Raumes und beobachtete ihn dabei. Keiner schien dem anderen zu vertrauen.
»Du solltest dich ausruhen«, sagte sie.
»Solltest du auch.« Er sah sie an. Obwohl sie nur seinen Schatten erkannte, spürte sie seinen Blick auf sich. Es war das erste Mal, dass sie miteinander alleine waren und es fühlte sich ebenso befremdlich an wie ihre erste Berührung. Sie hatten sich vor einem Jahr voneinander verabschiedet und es schien, als wollte es ihnen nicht gelingen, einander erneut Hallo zu sagen.
»Ist es wegen Rap?«, fragte sie.
»Hm?«
»Dass du mich nicht mitgenommen hast.«
»Mya.« Die Antwort konnte alles bedeuten und sie setzte sich auf. Augenblicklich begann ihre Wunde wieder zu schmerzen. Die Tablette half nur wenig.
»Warum hat dir der zuständige U.S. Marshall die Informationen gesteckt?«
»Vielleicht hat er ein Herz für Arschlöcher.«
»Könntest du einmal ernst sein?« Sie seufzte. »Kommt es dir nicht merkwürdig vor, dass er seine Kompetenzen überschreitet?«
»Er hatte recht, oder?«
»Wir wissen nicht, wer auf uns geschossen hat.«
»Willst du es herausfinden?«
Sie stand auf. Es gelang ihm noch immer, ihre Wut auf ihn aufrecht zu erhalten. Die Wärme des Schlafsacks schwand und machte Platz für die Kälte, die trotz des flackernden Ofens in der Hütte herrschte.
»Leg dich hin und ruh dich aus.« Es klang wie ein Befehl. Sie ignorierte ihn.
»Ärgert es dich, dass ich nach Kanada gegangen bin, um Raps Wunsch zu erfüllen?«
»Warum sollte es das?«
»Weil du nie an uns geglaubt hast.«
»Ich bin Realist.«
»Wovor hast du Angst?«
»Ist das hier ein beschissenes Verhör oder was?« Seine Wut war deutlich spürbar. Das war genau das, was sie wollte. Sie wollte, dass er sich fühlte wie sie. Er sollte wütend auf sie werden. Verdammt wütend.
»Ich habe ein Recht darauf, Fragen zu stellen. Du bist einfach abgehauen und hast mich glauben lassen, du seist tot!«
»Das hatten wir doch schon. Hör auf, dich wie eine nervige Bitch zu benehmen!«
»Hast du gedacht, nur weil du mich freigibst, würde alles gut werden? Dachtest du, nur weil du alle verpfeifst, erlangst du die Absolution?« Sie konnte nicht aufhören zu sticheln, auch wenn sie glaubte, seinen Zorn förmlich knistern zu hören. »Du wirst Raps Tod nicht ungeschehen machen, egal, was du tust.«
Exx war mit einem Satz bei ihr und rammte seine Hände rechts und links von ihrem Kopf gegen die Wand. »Denkst du, das ist der Grund, warum ich gekommen bin?« Seine Stimme grollte tief im Inneren. Es klang unheimlich. Doch Mya hatte keine Angst vor ihm.
»Ich denke, dir war langweilig in deinem Kaff. Das denke ich! Du hast dich nach den guten alten Zeiten zurückgesehnt, als du noch der große Macker auf einer Harley warst. Doch gleichzeitig wusstest du, was diese Zeit uns allen gebracht hat und deshalb hast du angefangen, dich zu verfluchen.«
»Du klingst wie eine beschissene Psychologin, Mya. Das steht dir nicht.«
»Ich war zu lange in Behandlung. Aus diesem Grund weiß ich auch, weshalb du es vor einem Jahr nicht beendet hast.«
»Lass mich an deiner Weisheit teilhaben.«
»Du hattest Schiss vorm Sterben.«
Er schnaubte wie ein wütender Stier und sie wusste, dass sie mitten ins Schwarze getroffen hatte.
»Und du hattest Schiss, unsere Gräber zu besuchen«, schoss er zurück. »Du wolltest dir unseren Tod nicht vor Augen führen, nicht wahr? Das hat dich fertig gemacht. Aber nicht, weil du getrauert hast, sondern weil wir nicht mehr für dich da sein konnten. Wir waren immer gut genug für deinen Trost und dein Leid und deine Rache und deine Lust. Bis wir zehn Jahre nur noch Abschaum für dich waren. Erst dann hast du uns wieder gebraucht.«
So war das mit besten Freunden. Sie kannten einen zu gut und konnten einem wehtun. Mya schluckte.
»Du hast ein Grab?«
»Natürlich habe ich das. Ich bin tot, schon vergessen?«
»Wie könnte ich das«, zischte sie. »Das ist das Problem. Wenn man vergessen will, kann man es nicht. Ich habe mir so gewünscht, dass ihr auch in meinem Kopf sterbt, aber das tatet ihr nicht. Deshalb ging ich in die Wildnis von Kanada.«
»Wo du einen fleißigen Schwanz gefunden hast«, spottete Exx und seine Nähe brachte sie beinahe um den Verstand.
Sie wollte ihn schlagen, um ihrer Aufruhr Ausdruck zu verleihen, doch sie wählte stattdessen die Worte: »Du hast keine Vorstellung davon, was ich durchgemacht habe! Ich war einsam und ich brauchte einen Freund. Aber immerhin war ich nicht feige.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Du warst feige, Exx, nicht nur zum Sterben, sondern auch zum Leben. Ich habe Raps Erbe angetreten. Was hast du getan?«
Er hieb mit der Faust gegen die Wand und sie zuckte zusammen. Schweigen konnte sie dennoch nicht. »Du rechnest damit, dass wir beide draufgehen und tröstest dich mit dem Gedanken, dass es dieses Mal ehrenvoll ist, wenn du mich vorher rettest, doch sind wir mal ehrlich: Du bist nur wegen des Nervenkitzels aus dem Zeugenschutzprogramm geflohen
und weil du dein jämmerliches Dasein dort nicht mehr ertragen konntest!«
»Halt’s Maul!« Seine Faust verharrte in der Luft. Dieses Mal nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.
Schweratmend vor Wut standen sie voreinander. Mya umschloss seine Faust mit den Fingern. »Mit einem hattest du recht«, flüsterte sie. »Eines Tages werden die mich umlegen und dann will ich, dass du bei mir bist. Ebenso wie du es bei Rap warst.«
Seine Faust öffnete sich und umklammerte ihre Hand. »Ich hasse dich«, knurrte er. »Du redest zu viel.«
Sie hob das Kinn. »Warum hast du mich nicht mitgenommen?«
»Warum fragst du ständig, wenn du die Antwort schon kennst?«
»Weil ich es hören will.«
Er umklammerte auch ihre andere Hand und drückte beide gegen die Wand. Ihre Wunde begehrte auf, schickte heiße Flammen in ihren Oberarm, während sie gleichzeitig die Erregung spürte, weil sie ihm ausgeliefert war. Er lebte. Die Erkenntnis folgte dem Schmerz bis in ihr Bewusstsein hinein.
»Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.« Seine heisere Stimme ging ihr durch und durch.
»Ich will der Nuestra Familia nicht in die Hände fallen. Ich will nicht gefoltert werden«, wisperte Mya. »Deshalb bin ich froh, dass du da bist. Du wirst dafür sorgen, dass wir gemeinsam untergehen.«
Er lachte leise, die Lippen dicht vor ihrem Mund. »Ja, Babe, darin bin ich unschlagbar.«
Sie besiegelten ihr Versprechen mit einem Kuss, der Mya elektrisierte. Dieses Mal war es nicht Lust, es war bedingungsloses Vertrauen, eine Nähe, die seit Jahren bestand und die nicht zerstört werden konnte. Ihre Zungen fanden sich,
ihr Atem vermischte sich mit dem von Exx. Sie waren zwei verlorene Seelen, die sich gefunden hatten, um ihrem Schicksal zu trotzen. Mya spürte die Stärke, die er ihr gab. Sie wollte mehr davon.
Exx ließ ihre Hände los, um ihren Hintern zu umfassen, und sie umschlang ihn mit den Beinen. Ihre Zungen umrundeten sich in einem wilden Rhythmus.
»Du hast Schmerzen«, flüsterte er.
»Nicht an dieser Stelle.«
»Hm.« Sein Finger massierte durch die Jeans ihre Schamlippen und Mya spürte jenes Verlangen, von dem sie geglaubt hatte, es nie wieder erleben zu dürfen. Heftig biss sie ihn in die Unterlippe und Exx erstarrte.
»Ich werde keine Rücksicht auf deine Wunde nehmen«, erklärte er, der Druck seines Fingers erhöhte sich.
Mya wand sich in seinen Armen. »Hast du je Rücksicht genommen? Von dem Scheiß werde ich ohnehin eine Narbe zurückbehalten.«
»Narben zeigen nur, dass du stärker bist als das, was dich verletzt hat.« Er stellte sie zurück auf die Beine und riss ihren Gürtel auf. Mya spürte die kalte Luft an ihrer Haut, als er die Knöpfe öffnete. Sie erzitterte. Seine Hand war ebenfalls kühl, als sie bestimmend in ihr Höschen fuhr. Die Berührung ließ sie zurückzucken, doch Exx umschloss ihren Nacken und hielt sie fest. Sein Handballen massierte ihren Schamhügel, während seine Finger ihre Klitoris umrundeten. Die stimulierende Bewegung entzündete sämtliche Nerven in ihrem Unterleib.
Mya stöhnte auf und presste ihre Stirn gegen seine. Sie drückte sich an ihn, wollte, dass er in sie eindrang und ihr endlich die Einsamkeit und die Trauer nahm. Sie wollte spüren, dass er wirklich bei ihr war. Dass er lebte und sie fickte und ihrem Albtraum damit für kurze Zeit ein Ende bereitete. Doch er hielt
sich zurück, spielte mit ihr und verteilte die Nässe auf ihren Schamlippen. Mya bewegte fordernd ihr Becken.
»Es geht nicht immer nach deinem Willen.« Seine Finger hielten inne und er beugte sich vor, um seine Zunge am Rand ihres Ohrläppchens hinaufwandern zu lassen. Mya spürte das schmerzhafte Pochen zwischen ihren Beinen.
»Hast du es verlernt?«, fragte sie.
»Babe.« Es klang amüsiert und sie verstand. Er wollte es nicht zugeben, aber er genoss es, sie endlich wieder zu berühren. Die Erkenntnis, dass es ihm ebenso erging wie ihr, ließ etwas in ihrem Inneren zerbrechen. Sie spürte die Teile, die orientierungslos durch ihren Körper kreisten. In diesem Moment stieß er seine Finger in sie und Mya traf es wie ein Blitz. Es war, als würde sich ein Damm öffnen, der all ihre angestauten Gefühle entließ. Ohne auf das heiße Brennen in ihrem Arm zu achten, nestelte sie an Exx’ Hose herum, während seine Finger jenen Punkt fanden, der sie wie Lava zum Kochen brachte. Sie sackte wehrlos nach vorne, atmete heftig an seiner Halskuhle und versank in einer Welt aus Empfindungen, die sie an die Grenze dessen trugen, was sie ertragen konnte. Sie wollte schreien, sich winden, doch am Ende konzentrierte sich alles auf die Wellen, die nicht mehr aufzuhalten waren. Der Orgasmus überrollte sie. Heftiger als jemals zuvor und derart glühend, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Sie spürte, dass sie seinen Schwanz fest umschlossen hielt, und blinzelte die Tränen fort. Es ärgerte sie, dass sie sich so gehen ließ. Exx war nicht der Typ für Gefühle.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, drehte er sie auch schon von sich weg und drängte sie gegen die Wand. Mit einer gleitenden Bewegung streifte er ihr Jeans und Höschen herunter. Myas Hände krampften sich in das raue Holz und sie lehnte ihre heiße Wange dagegen. Sie vermisste seine Nähe, während sie breitbeinig und mit abgewandtem Gesicht darauf
wartete, dass er sie endlich fickte. Genauso anonym wie er es gern hatte. Seine Hände umfassten ihre Pobacken, massierten sie grob. In ihrer Vergangenheit hatte es nur wenige Male gegeben, an denen sie sich während des Sex in die Augen geblickt hatten. Einmal kurz nach Rorys Tod und an dem Tag, an dem sie dachten, sie würden sich niemals wiedersehen. Gleichgültig, wie sehr er sie vermisst hatte, er hatte es nicht genug getan, um von seinen Gewohnheiten abzuweichen.
Mya spürte seinen harten Schwanz. Er rieb ihn zwischen ihren Schamlippen, um ihn zu befeuchten. Sie drückte den Rücken durch. Wenn Ficken das einzige war, was sie von ihm bekam, dann wollte sie das haben. Es war ohnehin absurd, dass sie sich in ihrer Situation plötzlich nach etwas anderem sehnte.
Sein Arm umschloss ihre Taille, die Hand hielt sie zwischen den Beinen fest. Mya schloss die Augen. Der Moment, in dem er in sie eindrang, war wie eine Explosion. Er neckte sie nicht länger, sondern kam sofort zur Sache. Seine Stöße waren hart, schnell und alles andere als zärtlich. Mya keuchte vor Schmerz und Lust, nahm seine Finger wahr, die sie weiteten. Ihre Klitoris lag frei, wurde von kalter Luft umschmeichelt. Exx nahm sie, als wäre sie nichts weiter als eine billige Hure. Er hielt sie fest, sodass sie sich nicht wehren konnte. Ihr Kopf stieß gegen das Holz, ihre Hände suchten Halt. Exx kannte keine Gnade. Er trieb seinen Schwanz in sie, dass sie glaubte, er würde sie zerreißen. Es war, als wollte er ihr die Tränen austreiben, die ihre kindischen Gefühle in ihr geweckt hatten. Sie sollte merken, dass er sich nicht geändert hatte. Er war noch immer das Tier aus Salinas, Mitglied einer Gang, Mörder ihres Stiefvaters und vieler anderer. Mya stöhnte gequält, nur um dann heftig die Luft einzuziehen. Unter den Stößen lauerte die Lust, die sie kannte. Er jagte sie geradewegs darauf zu. Wieder und wieder prallte er auf ihr Hinterteil, bis sie ihre eigene innere Schwellung spüren konnte. Die Wellen kamen zurück. Mya warf den Kopf
nach hinten. Dieses Mal waren sie nicht gleichmäßig, sondern sie brandeten heran wie unter der Gewalt eines Orkans. Ihre Brustwarzen stellten sich auf und wurden hart, sodass sie bei jedem Stoß unangenehm an ihrem Pullover scheuerten. Exx’ Finger bedeckten endlich ihre Klitoris, doch anstatt sie zu massieren, rubbelte er sie mit derselben Erbarmungslosigkeit, mit der er sie fickte. Mya hielt es nicht mehr aus. Die Wucht, mit der sich Exx zurück in ihr Leben drängte, war unerträglich. Sie wand sich, versuchte, sich ihm zu entziehen, doch das war unmöglich. Sie schrie auf, weil sie sich ärgerte, dass ihr eigener Körper sich gegen sie verschwor. Exx freie Hand umfasste ihren Hals. Er zog sie zu sich heran, bis sie seinen heißen Atem an ihrem Ohr spürte.
»Du wolltest wissen, wie es in Storm Lake war«, keuchte er und stieß zu. »Genauso war es.« Wieder stieß er zu und Mya ergab sich dem beginnenden Kribbeln. Sie wehrte sich nicht länger, hing ausgeliefert in seinen Armen. Seine Finger und sein Schwanz taten, was er ihnen befahl und Mya reagierte. Ihr Beben steigerte sich zu einem unkontrollierten Zittern, während sie versuchte, den Orgasmus festzuhalten, indem sie ihre Muskeln anspannte. In diesem Moment gab es keine Verfolger, keinen Lewis und keine Angst. Es gab einzig sie Beide in einer verlassenen Hütte in den Bergen. Exx umklammerte sie so ungestüm, dass sie glaubte zu ersticken. Er kam mit einem grunzenden Geräusch und zwei abschließenden tiefen Stößen. Ihre Nässe schwemmte seinen Schwanz förmlich aus ihr heraus und sie spürte, dass seine Anspannung abebbte. Sie hoffte, dass er sie nicht plötzlich losließ, denn sie war nicht imstande, selbstständig zu stehen. Es dauerte, bis ihr Zittern allmählich nachließ. Noch immer hielt er sie umklammert. Ihr Herzschlag passte sich dem seinen an.
Langsam lockerte er die Muskeln und drehte sie zu sich herum. Mya starrte in sein Gesicht, das im Dunklen kaum
zu erkennen war. Ihr Körper fühlte sich geschunden, erhitzt und ausgelaugt an. »Ich habe gesagt, dass ich keine Rücksicht nehme«, sagte er. »Ist alles okay?«
Mya nickte und schluckte erneute Tränen hinunter. Sie hatte Stärke gewollt und das hatte er ihr gegeben. Es war ein dummer Fehler anzunehmen, dass da noch etwas anderes gewesen war. Exx hatte ihr unmissverständlich gezeigt, was ihre Beziehung ausmachte. Aufgewühlt schlang sie die Arme um ihren Oberkörper und achtete nicht auf das zurückkehrende Pochen ihrer Wunde.
Die Tür ging auf und Lewis kam herein. Ein eiskalter Windzug ließ das Feuer auflodern, bis Lewis die Tür wieder schloss.
»Störe ich?«, fragte er sarkastisch und Mya war klar, dass er mehr von ihrem Liebesspiel mitbekommen hatte, als ihr lieb war.
Hektisch kniete sie sich hin und sammelte ihre Kleidungsstücke ein. Exx ließ sich dagegen nicht aus der Ruhe bringen. »So ficken die Hoser
in Kalifornien«, knurrte er. »Vielleicht konntest du ja, was dabei lernen.«
Lewis schnaubte. »Ihr hättet euch ausruhen sollen. Bei Tagesanbruch müssen wir weiter.«
»Wohin?« Exx knöpfte seine Hose zu.
»Zur nächsten Hütte. Wer auf der Stelle verharrt, wird irgendwann gefunden.«
»Vielleicht willst du ja, dass wir gefunden werden.«
»Welchen Grund hätte ich? Nach all dem, was du erzählt hast, bin ich inzwischen ebenfalls so gut wie tot.«
»Vielleicht willst du mich aus dem Weg räumen.« Exx rieb sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Schweiß aus dem Gesicht. »Damit du Mya endlich so vögeln kannst wie ich.«
»Halt’s Maul!«, fuhr sie ihn an und gab ihm eine Ohrfeige. Die Aktion ließ ihn erstarren. Er sah aus, als wollte er sie
ebenfalls schlagen, doch ihre Wut, dass er die Sache abtat, als sei sie tatsächlich nur eine billige Hure, verlieh ihr Kraft. Sie hasste ihn dafür, dass er diese Gefühle in ihr auslöste. Dass sie nur bei ihm solche Orgasmen hatte und ... Mya schluckte.
»Was ist?« Exx fixierte sie. »Soll ich dir noch die andere Wange hinhalten?«
»Nein!« Sie zog sich an, ging an ihm vorbei und rempelte ihn dabei absichtlich an. Auf dem Weg zum Bett berührte sie Lewis an der Schulter. »Tut mir leid«, murmelte sie, bevor sie den beiden Männern den Rücken zudrehte und ins lodernde Feuer starrte.
Die Teile, die orientierungslos durch ihren Körper kreisten, kamen zur Ruhe. Mit Raps Tod hatte sie geglaubt, ihre Liebe verloren zu haben. Das Kleeblatt war zerbrochen und Exx nur ein Teil davon, der sie verunsicherte. Nicht weil er brutal, sondern weil er so undurchschaubar war. Obwohl sie ihm vor einem Jahr gefolgt war, um ihn davon abzuhalten eine Dummheit zu begehen, hatte sie stets gefürchtet, von ihm abgewiesen zu werden. Die Nachricht seines Todes hatte ihr die Endgültigkeit gebracht, die sie brauchte, um endlich fortzugehen. Die ganze Zeit hatte sie getrauert, doch nicht um einzelne Personen, sondern um die Einheit, die Exx, Rap und sie einst gewesen waren. Zu erfahren, dass sich gerade der Teil des Kleeblatts, der ihr am unheimlichsten war, nun wieder an ihrer Seite befand, hatte etwas Befremdliches an sich. Es rief Gefühle in ihr hervor, die sie geglaubt hatte, mit ihren Freunden beerdigt zu haben. Doch inmitten dieses Chaos realisierte Mya, dass sie auferstanden waren. Ebenso wie Exx. Sie liebte ihn. Noch immer.