T
ravis schrak hoch und bereute es augenblicklich. Die Schmerzen fraßen ihn auf wie loderndes Feuer. Er hob den Kopf, stöhnte und registrierte, dass er völlig verdreht im Kofferraum eines Autos lag. Das Surren der Reifen auf dem Asphalt setzte sich in seinem dröhnenden Schädel fest. Sein Gesicht fühlte sich komplett zerschunden an. Vorsichtig versuchte er, sich umzudrehen, aber seine Gliedmaßen versagten ihm den Dienst. Jede Erschütterung der Straße fuhr ihm direkt in die Knochen. Er hatte keine Ahnung, ob es überhaupt noch irgendetwas in ihm gab, das nicht kaputt war. Er bemühte sich, sich zu erinnern, doch alles, was er wieder und wieder hörte, war Myas Schrei. Er hatte versucht, richtig zu landen. Mit angewinkelten Beinen und bereit, sich abzurollen. Danach verschwand seine Wahrnehmung in der Dunkelheit. Vermutlich war er bei dem Sturz auf die Straße ohnmächtig geworden.
Travis überprüfte die Beweglichkeit seiner Finger, doch sie waren zu angeschwollen und schmerzten höllisch. Er verlor noch immer Blut, er konnte es riechen. Seine Zunge lag dick und trocken im Mund. Er hatte Durst, fühlte sich schwach. Es grenzte an ein Wunder, dass er nicht längst verblutet war. Ihm
war eiskalt. Seine Beine schienen nicht mehr zu ihm zu gehören. Vermutlich waren sie gebrochen. Er stöhnte.
Das Auto verringerte die Geschwindigkeit. Im schwachen Licht der Notbeleuchtung sah er sich um, doch es gab nichts, das er zu seiner Verteidigung an sich nehmen konnte. Die Ruger steckte gewiss auch nicht mehr im Hosenbund, das Kampfmesser nicht länger im Stiefel. Er hätte beides ohnehin nicht erreicht. Travis fluchte. Warum hatte er es nicht geschafft zu sterben? All das, was nun folgen würde, waren unendliche Qualen. Er kannte die Foltermethoden der Nuestra Familia. Sägen, Bohrer, Messer, Schweißbrenner, Zangen. Die Folterkammern des Mittelalters waren ein Scheißdreck gegen das, was den Mexikanern einfiel. Und die Green Army war nicht viel besser. Am Ende würden sie das, was von ihm noch übrig war, ausbluten lassen, wenn er überhaupt so lange überlebte. Aber die Hurensöhne wussten, wie man Opfer am Leben erhielt, damit sie ein paar Stunden ihren Spaß mit ihnen hatten.
Das Auto blieb stehen, der Motor verstummte, Türen öffneten sich und wurden zugeschlagen. Schritte knirschten im Kies. Der Kofferraum wurde geöffnet und jemand drehte ihn brutal auf den Rücken. Travis blinzelte gegen das Tageslicht an.
»Hallo mein Freund.«
Es dauerte eine Weile, bis Travis sich ganz sicher war, dass ihm seine Ohren keinen Streich spielten. Allmählich schärfte sich die Gestalt vor seinen Augen.
»Duncan.« Travis verzog den Mund zu einem Lachen. Es tat weh, doch er konnte nicht anders. Er lachte und lachte und spuckte schließlich aus. »Du warst Marellas beschissener V-Mann und jetzt jagst du mich? Gemeinsam mit den verfickten Mexikanern?« Er konnte es nicht fassen.
»Nichts für ungut, Bruder, aber ich mache nun einmal gerne Deals. Die Green Army war ohne unser Chapter einfach nicht mehr dasselbe. Ich hab’s vermisst, verdammt. Außerdem kam
ich als Einziger straffrei davon, das machte viele misstrauisch. Deshalb hab ich die Sache mit der Familia eingefädelt. Die Green Army war zu schwach, um ihre Geschäfte im Monterey County wieder aufzunehmen. Das wollte ich ändern. Und was schweißt zwei Feinde besser zusammen als Rache?«
»Blöder Wichser!« Travis fletschte die Zähne.
»Jaja, fluch nur, Bruder. In ein paar Stunden wirst du vor mir kriechen und um Gnade winseln.«
»Du wirst mich niemals winseln hören!« Travis unterdrückte einen Aufschrei, als zwei Mexikaner ihn grob aus dem Auto zerrten. Sie packten ihn rechts und links unter den Schultern und zogen ihn hinter sich her. Travis’ Beine versagten ihm den Dienst und es fiel ihm schwer, nicht vor Schmerzen loszubrüllen. Hilflos wie ein Querschnittsgelähmter hing er zwischen seinen Feinden. Sie schleppten ihn in ein leerstehendes Fabrikgebäude. Er erhaschte einen Blick auf die Berge und wusste, er war nicht weit von Banff entfernt. Soweit er sehen konnte, war die Lagerhalle das einzige Gebäude in der Gegend. Verfluchtes Kanada! Diese Einsamkeit hatte es den Mexikanern ermöglicht, in der Nähe der Stadt zu bleiben.
»Willkommen in unserer bescheidenen Unterkunft.« Duncan deutete einladend auf einen Stuhl. Er stand auf einer Plane inmitten von alten Fließbändern. »Ich hoffe, du fühlst dich wie zuhause.«
Travis spuckte erneut in Duncans Richtung, was diesen zum Lachen brachte. »War nicht einfach, euch zu finden. Aber diese Italiener sind dämliche Hunde. Viel zu auffällig. Sie haben uns direkt zu eurem Versteck geführt.«
Durch zerbrochene Fensterscheiben wehte der Wind herein und ließ die Plane flattern. Die Mexikaner schleppten Travis weiter und wuchteten ihn auf den Stuhl. Er sank augenblicklich in sich zusammen und versuchte, die Schmerzen fort zu atmen.
Duncan beobachtete ihn. »Wir sollten uns beeilen«, sagte er und öffnete die Abdeckung eines Laptops, der gegenüber des Stuhls auf einem der Fließbänder stand. Travis behielt die Umgebung im Blick. Außer Duncan waren noch die zwei Mexikaner im Raum, die ihn hierher gebracht hatten, sowie zwei weitere Wachen neben der Tür, zwei im hinteren Bereich des Gebäudes und ein finster dreinschauender Kerl, der sich zu Duncan gesellte. Sie sprachen miteinander und Travis wusste sofort, wer der Typ war. Ein Verdugo
. Er knirschte mit den Zähnen. Die Nuestra Familia verehrte ihre Verdugos
wie Götter. Beinahe ebenso wie ihre Sicarios
. Nur mit dem Unterschied, dass die Sicarios
schnell töteten, denn sie waren Auftragskiller. Die Verdugos
dagegen waren die Metzger der Familia. Sie schlachteten ihre Opfer teilweise über Tage ab, quälten, folterten und misshandelten Menschen gegen ein erträgliches Einkommen. Travis spürte ein nervöses Ziehen im Magen. Verdugos
waren Schatten. Sie kannten die obersten Bosse, die Mesa, bekamen von ihnen ins Ohr geflüstert, was sie ihren Opfern antun sollten. Sie tauchten ebenso schnell unter, wie sie auftauchten, und fielen den Polizeibehörden niemals in die Hände. In Salinas hieß es, Verdugos
seien die Dämonen der Hölle, die aufstiegen, um einen zu holen. Fuck.
Duncan trat vom Laptop weg und rückte ihn so zurecht, dass Travis den Bildschirm sah. Es tauchten die Bilder zweier Männer auf, offenbar waren sie live in einer Videokonferenz zugeschaltet.
»Travis McAlister«, sagte der eine von ihnen und grinste höhnisch.
»Will Hogan.« Travis erkannte ihn sofort, obwohl ihm seine Haare beinahe die Augen verdeckten. »Was für eine beschissene Freude, dich zu sehen.«
Hogan strich sich amüsiert über den langen Vollbart. Er war der Präsident des Chatsworth Chapters der Green Army,
ehemaliger Freund und Verbündeter von Cringe Callahan, den Travis durch seine Aussage in den Knast gebracht hatte. »Habe lange auf diesen Moment gewartet«, sagte Hogan und man sah ihm an, dass er es genoss, Travis in dem Zustand zu sehen. »Du hast unseren Club verdammt nochmal in den Arsch getreten. Das lassen wir uns nicht gefallen.«
»Schon klar.« Travis hätte viel darum gegeben, ihm den Mittelfinger zeigen zu können, aber er bekam nicht einmal den Arm in die Höhe. Wütend zog er die Nase hoch.
»Hola
!«, begrüßte ihn der andere Mann. Das Bild gefror, bevor es sich mit einem Ruckeln wieder in Bewegung setzte. Offenbar war die Verbindung zu ihm nicht die beste. Er hatte schwarzgrau-melierte Haare und einen üppigen Schnauzbart. Travis starrte ihn an. Vermutlich war er ein Mitglied der Mesa. »Wo ist das Mädchen?«, war alles, was er wissen wollte.
Travis grinste. »Die habt ihr nicht, ihr Flachwichser!«
Duncan stellte sich ins Bild. »Das werden wir, keine Sorge. Wir wissen, wo sie ist.«
»Einen Scheiß wisst ihr«, zischte Travis. »Die Italiener haben sie und die sind ziemlich angepisst, dass ihr hier seid.«
Duncan warf ihm einen bösen Blick zu und Travis’ Grinsen wurde breiter. »Ihr habt den Itakern ihren Kokain-Deal versaut und das werden die nicht auf sich sitzen lassen. Das Mädchen bekommt ihr niemals!«
»Ist das wahr?«, hörte er die abgehackte Stimme des Mexikaners. Offenbar gab es einige Details, die er noch nicht wusste.
Duncan hob beruhigend die Hände. »Wir haben alles unter Kontrolle.«
»Das habt ihr nicht! Das Scheiß FBI ist in der Stadt. Die wissen längst, dass hier Bohnenfresser unterwegs sind. An eurer Stelle würde ich mich warm anziehen und eure Norteños von den Straßen holen. Die haben dank der Stümperei eurer ...« Weiter
kam er nicht, denn einer der mexikanischen Bewacher schlug ihm mit dem Griffstück der Waffe ins Gesicht. Travis fluchte laut und spuckte Blut. Es benetzte die Plane und erinnerte ihn daran, dass das nicht das letzte Blut von ihm sein würde, das heute darauf vergossen wurde.
»Was redet der Wichser da?«, hakte Will Hogan nach. »Das FBI ist in Kanada?«
»Ich sagte bereits, dass wir Verluste erlitten haben ...«, bemühte sich Duncan zu erklären, doch Hogan unterbrach ihn sofort: »Das ist richtig, aber du hast nicht von Leichen geredet, die auf den Obduktionstischen der verfluchten Polizei gelandet sind!« Seine Stimme wurde ungehalten. »Du kennst den Deal, Duncan. Entweder du bringst das über die Bühne, ohne Spuren zu hinterlassen, oder du landest als nächster auf diesem Stuhl!«
Obwohl sich sein Gesicht anfühlte, als hätte es jemand mit dem Dampfhammer bearbeitet, war Travis amüsiert über die Entwicklung der Situation. Das war verdammt nochmal die Welt, die er kannte!
»Ich will das Mädchen!«, beharrte der Mexikaner. Seine dunklen Augen blickten hart. »Ich will endlich meine Blutrache. Darauf warte ich schon viel zu lange!«
»Du wirst sie niemals kriegen!«, presste Travis hervor. Erneut traf ihn der Knauf der Waffe. Dieses Mal auf den Hinterkopf. Sein Grinsen erstarb nicht. Obwohl er wusste, dass Mya bei den Italienern nicht viel besser aufgehoben war, verschaffte es ihm Genugtuung, dass es nicht die Familia war, die sie in ihren widerwärtigen Fingern hatten. Vielleicht ging es bei den Italienern schneller. Vermutlich musste Mya nicht auf einer Plane dabei zusehen, wie man sie aufschnitt wie ein Stück Salami oder an ihr die mexikanische Krawatte verübte. Er schauderte und wünschte Mya, dass es zu Ende war, bevor sie es überhaupt realisierte. Er hatte bei ihr sein wollen, aber nun war er froh, dass es nicht so war. Sie leiden und sterben zu sehen wäre eine
noch größere Folter für ihn gewesen als die, die ihm bevorstand. Er hob den Kopf und schrie: »Was ist? War das schon alles?«
Duncan starrte ihn an. »Du hast es verdammt eilig, was?« Er warf den beiden Männer auf dem Bildschirm einen fragenden Blick zu.
»Das Mädchen!«, beharrte der Mexikaner und Travis sah, wie Duncan die Schultern hängen ließ.
»Wie groß ist die Gefahr durch das FBI?« Will Hogan lehnte sich vor.
»Das FBI ist mir egal. Ich will Rene Carneros Tochter! Und ich frage mich, warum ihr sie noch immer nicht habt!« Der Mexikaner wurde ungehalten.
»Wir holen sie uns«, versicherte Duncan. »Allerdings ...« Er sah zu Travis hinüber. »... sollten wir uns mit dem da beeilen.«
»Bien
!« Der Mexikaner nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. »Macht es langsam.«
Will Hogan stimmte ebenfalls zu. »Fangt mit seinen Tattoos an. Ich will kein einziges der Green Army mehr auf seiner Haut sehen!«
»In Ordnung.« Duncan drehte sich um. Sein Blick ging Travis durch und durch. Für einige Sekunden sahen sie sich an, dann machte Duncan eine Bewegung mit dem Kinn und der Verdugo
trat vor. Er griff nach einem Koffer, der am Boden stand und ging auf Travis zu. Die Plane verschluckte den Klang der Cowboystiefel. Die oberen Knöpfe seines schwarzen Hemdes waren unverschlossen und entblößten das Tattoo am Hals: einen Sombrero mit einer Machete. Weiter unten, direkt an seinem Brustbein, lachte Travis ein Totenschädel entgegen, der ein rotes Bandana trug.
Der Verdugo
blieb stehen und musterte Travis, als wollte er abschätzen, in welchem Zustand er war.
»Wer hat ihn angeschossen?«, fragte er eisig.
»Das war Gonzales«, erwiderte Duncan.
Der Verdugo
drehte den Kopf und fixierte einen der Männer hinter Travis. Es war ein wortloses Gefecht, das sie ausfochten, und bei dem der Mann namens Gonzales schließlich aufgab und davonging.
Der Verdugo
bückte sich und öffnete den Koffer. All das, was Travis sich in seinen schlimmsten Albträumen ausgemalt hatte, kam zum Vorschein. Er atmete tief durch und wappnete sich für das, was folgen würde. Er kannte Schmerzen, aber er war sich bewusst, dass diese Folter außerhalb seines Vorstellungsvermögens lag. Der Verdugo
holte ein Skalpell heraus. Langsam und vorsichtig begann er, Travis’ Pullover aufzuschneiden. Kalte Luft drang an Travis’ geschundenen Oberkörper. Er sah die blauen Flecken und das Blut aus den Schusswunden. Das war wirklich ein beschissenes Ende!
Der Verdugo legte das Skalpell zur Seite, holte ein Brandeisen aus dem Koffer und warf den Schweißbrenner an. Travis’ Atem wurde flach. Er hatte es heldenhafter geplant, sich eine Kugel gewünscht, die sein Herz durchbohrte. Im Kampf zu sterben, während man die Frau verteidigte, die man liebte, wäre das Ganze wert gewesen.
Travis ließ zu, dass man ihn fesselte, damit er sich nicht wehrte. Es gab kein Zurück mehr.
Rap. Mya. Wir sehen uns
.