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ravis saß auf dem Krankenhausbett. Sein linker Arm steckte in einer Schlinge, seine Beine waren noch immer eingegipst und die Schusswunden verheilten allmählich. Das lockere T-Shirt fühlte sich unangenehm auf der Haut an, aber zumindest hatte er sich zum ersten Mal seit Wochen selbstständig waschen können. Eine Tatsache, die ihm seine Selbstachtung zurückbrachte, auch wenn ihn sein Spiegelbild erschreckt hatte. Er sah aus wie ein Einsiedler aus den kanadischen Wäldern. Sein Bart wucherte, seine Haare standen in dicken Strähnen vom Kopf ab wie vertrocknete Zweige. Doch am schlimmsten waren die Verletzungen auf dem Rücken. Seine Tattoos, sein ganzer Stolz, waren fort und wurden durch wulstiges Narbengewebe ersetzt. Die Haut wölbte sich, als würden fleischige Wellen durch sie hindurchfahren. Es war ekelhaft. Und es tat noch immer weh. Die neue Hautschicht war so dünn, dass sie jederzeit einreißen konnte. Eigentlich hätte er gar nicht aufstehen dürfen, aber die WITSEC machte Druck. Whitman musste etwas vorweisen, auch wenn er als alter Hase anscheinend mehr Toleranz genoss als andere.
Kaum dachte er an ihn, schon trat der Marshall ein und hob eine Augenbraue. »Sie sehen gut aus.«
»Und Sie lügen schlecht.«
»Nun, an diesem besonderen Tag darf ich das.«
Travis bekam Bauchschmerzen. Was zum Teufel tat er da nur?
Whitman folgte ein beleibter Mann, der ein Buch unter dem Arm trug. Er begrüßte Travis mit Handschlag und stellte sich neben das Bett. Dann warteten sie.
»Nervös?«, fragte Whitman.
»Lecken Sie mich!«
Der Marshall lachte auf. »Wird sicher nicht schlimmer als Ihre Folter durch die Familia.«
»Wollen Sie wetten?« Er hörte Schritte auf dem Gang und schwieg. Sein Herz fühlte sich an, als würde man es ausquetschen. Er wollte das nicht. Er wollte das nicht, verdammt nochmal. Er wollte ... Mya kam ins Zimmer. Sie trug eine weite, helle Hose, eine cremefarbene Bluse und hohe Schuhe. Ihre Locken waren hochgesteckt. Niemals zuvor hatte er sie in einem derartigen Aufzug gesehen.
»Du siehst aus, als hätte man Alice aus dem Wunderland geprügelt«, bemerkte er angesichts ihrer verheilenden Wunden im Gesicht.
Myas Mundwinkel hoben sich und sie setzte sich neben ihn aufs Bett. »Ich wusste gar nicht, dass du liest.«
»Tue ich nicht. Hab’s im Fernsehen gesehen. Storm Lake ist der langweiligste Ort, den du dir nur vorstellen kannst. Du wirst ihn hassen.«
Jetzt kicherte sie, bevor sie wieder ernst wurde. Der beleibte Mann, baute sich vor ihnen auf. »Miss Munroe, Mister Jones, sind Sie bereit?«
»Hm.« Travis atmete tief durch. Vermutlich lachte sich Rory im Jenseits gerade schlapp über ihn.
»Ich hasse deinen neuen Nachnamen«, flüsterte Mya ihm zu.
»Das hoffe ich.« Er nahm ihre Hand. Es war lächerlich. Sie würde schon sehen, was sie davon hatte.
»Wir sind an diesem wundervollen Tag hierhergekommen, um diese zwei Menschen ...«
»Scheiße!«, unterbrach Travis den Friedensrichter. »Sparen Sie sich das, Bruder.«
Der Mann sah ihn konsterniert an, während Whitman und Mya amüsiert grunzten.
»In Ordnung.« Der Friedensrichter fing sich. Nach kurzem Räuspern fuhr er fort: »Wollen Sie, Miss Mya Eloise Munroe, den hier anwesenden Travis Jones zu Ihrem Ehemann nehmen?«
Travis spürte, dass sie ihn ansah, und wartete. Auf ein Wunder. Ein Nein.
»Ja, ich will.« Fuck.
»Mr. Travis Jones, wollen Sie die hier anwesende Miss Mya Eloise Munroe zu Ihrer Ehefrau nehmen?«
Es war so weit. Sie hatte Ja gesagt und nun war er dran. Sie war tatsächlich wie eine Zecke. Er wurde sie nicht mehr los. Und jetzt hatte sie ihn in die einzige Situation gebracht, in die er nie hatte kommen wollen. Er würde es versauen, er wusste es.
»Moment!« Mya hob die Hand und Travis sah sie überrascht an. Sie beugte sich zu ihm. »Wie viele Frauen hast du in Storm Lake gevögelt?«, wisperte sie.
»Was?« Er schüttelte entgeistert den Kopf.
»Ich will wissen, ob ich dir vertrauen kann.«
Neben ihm hatte Sam Whitman Mühe, nicht erneut loszuprusten. Travis krauste die Stirn. »Vier«, sagte er dann.
»Verdammt wenig für ein ganzes Jahr.« Mya nickte dem Friedensrichter zu. »Fahren Sie fort.«
Der arme Mann schwitze Blut und Wasser, doch er wiederholte seine Frage. Travis schnaubte. »Ja, ich will!«, fuhr
er den Friedensrichter an und wandte sich an Mya. »Nur dass du es weißt, ich wollte das ganze beschissene Jahr eigentlich nur dich ficken!«
»Ich erkläre Sie hiermit zu Mann und Frau.« Der Friedensrichter atmete tief durch und schlug sein Buch auf. »Wenn Sie mir hier noch unterschreiben würden?«
»Mya Jones.« Mit plötzlichem Stolz griff Travis nach ihr und küsste sie. Seine Wunden begehrten auf, doch er ignorierte es, denn sein Schwanz erwachte wieder zum Leben. Es war ein befreiendes Gefühl. »Du hast ja keine Ahnung, was ich ...«
Mya schien zu ahnen, was er sagen wollte, und schob ihn rasch von sich. »Unterschreib«, befahl sie ihm. Ihre Hand ruhte auf seiner Wange.
In krakeliger Schrift setzte Travis den Namen auf die Papiere und beobachtete, wie Mya dasselbe tat. Sie waren verheiratet. Heilige Scheiße!
Whitman gratulierte ihm. »Denken Sie daran, Jones. Jede zweite Chance bringt nur dann etwas, wenn man verstanden hat, warum die erste nicht geklappt hat«, sagte er, bevor er Mya ebenfalls gratulierte und ihr einen Kuss auf die Wange gab.
»Fassen Sie meine Frau nicht an«, knurrte Travis.
Der Friedensrichter verabschiedete sich eilig und verließ den Raum. Whitman stützte die Hände in die Hüften. »Wir werden Sie heute Nachmittag nach Storm Lake bringen«, verkündete er. »Und ich habe noch ein kleines Hochzeitsgeschenk für Sie.«
»Ich mach mir vor Glück gleich in die Hose.« Travis sah ihn fragend an. »Was ist es?«
»Ihre Panhead.«
»Mein Motorrad?« Er fuhr sich erfreut über den Bart.
»Eigentlich gehört es Billy’s Werkstatt.«
»Ficken Sie sich, Whitman!«
»Da ist noch etwas anderes.« Der Marshall sah von Mya zu ihm. »Lisa, Rory Dawleys Witwe, wurde straffällig. Aufgrund
der ganzen Verwicklungen mit der Nuestra Familia hat man ihr die Kinder weggenommen. Ruben und Katia sind jetzt in einem Heim.«
Travis spannte seine Muskeln an. »Und?«
»Nichts. Ich dachte, das würde Sie interessieren.«
»Sie sind so ein Wichser, Whitman! Genauso begann unser Gespräch über Mya.«
»Und Sie sehen ja, wohin es Sie gebracht hat.« Whitman grinste. »Wir sehen uns später.« Er verließ den Raum.
Travis sah Mya an. »Denk nicht einmal daran«, brummte er.
»Das Kleeblatt.« Sie lächelte und er wusste, dass sie mit ihren Gedanken bereits ganz woanders war. »Wir können es wieder komplett machen.«
»Ich teile dich nicht mehr«, sagte er barsch.
»Wir werden sehen.« Sie stand auf, stellte sich zwischen seine Beine und legte ihm die Arme um den Hals, bedacht darauf, die Wunden nicht zu berühren. »Du gehörst jetzt mir, Mr. Jones.«
»Irrtum, Mrs. Jones, du gehörst mir. Ganz offiziell auf dem Papier.« Er lehnte die Stirn gegen ihre. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er unerwartete Ruhe. Sein Weg endete bei Mya. Und gemeinsam mit ihr betrat er einen neuen.
»Babe«, sagte er.
»Ich dich auch.« Mya lächelte und küsste ihn.