Prolog
Ein Satan scharrte unruhig mit seinen Hufen über den steinigen Untergrund. Gemeinsam mit einer Gruppe seiner Artgenossen stand er vor dem Tor zur Erdenwelt und wartete. Sie alle waren voller Ungeduld, so dass sich ihre nackten Rattenschwänze ringelten. Über den Dämonen spannte sich ein düsterer Himmel. Zwei Sonnen kämpften sich kraftlos durch Unheil verkündende Wolken. Ätzende Dämpfe waberten durch die Atmosphäre. Zweifellos würde es bald regnen.
Endlich tauchte am Horizont der Anführer des Trupps auf und segelte über die weite Ebene vor dem Tor. Die Erregung der Satanas wuchs. Der Erste, wie sie ihn nannten, war der Dienstälteste von ihnen. Sie hatten ihm zu gehorchen, gleichgültig, was er befahl. Heute würden sie durch die Nebelsphäre ziehen, da konnte jede Unachtsamkeit tödlich sein. Das kalte Weiß der Sphäre saugte allen Wesen die astrale Kraft aus dem Körper. Verweilte man an diesem Ort, krepierte man langsam, aber sicher. Führte man dort Zauber aus, ging es mit dem Sterben schneller.
Der Siebte war der Jüngste der Gruppe und neu in der Einheit. Nervös blickte er dem Ersten entgegen.
„Werde ich diesen Tag überleben?“
Es begann zu nieseln. Der Anführer passierte soeben die Senke der zerbrochenen Eier, die von etlichen steil aufragenden Felsnadeln gesäumt wurde. Die pinkfarbenen Schalen leuchteten warnend. Jeder, der halbwegs bei Verstand war, machte einen großen Bogen um diesen verfluchten Ort. Nicht so der Erste. Er glaubte nicht an Flüche.
Niemand sprach ein Wort. Schon nach wenigen Minuten ließ der schwefelsaure Niederschlag die Hornansätze des jungen Satans jucken. Angespannt kratzte er sich mit dem Dorn seines oberen Schwingengelenks am Kopf.
Kurz darauf stieß der Erste endlich zu ihnen. Anfangs dachte der Siebte, der Anführer wäre allein, doch dann wurde ihm klar, dass er sich getäuscht hatte: Ein Kroyork begleitete ihn.
Der Siebte runzelte verwundert die Stirn. Kroyorks waren niedere Dämonen ohne Substanz, kaum mehr als ein Windhauch oder ein schlechter Gedanke. Kraftlos, machtlos, nutzlos. Gelegentlich schlichen sich diese lästigen Flüsterlinge in den Geist eines anderen Wesens, berauschten sich an dessen Stärke und wisperten dem Wirt ihre verdrehten Ideen ein.
Man konnte die Kroyorks leicht wieder loswerden. Zumindest wenn man sie bemerkte, ehe sie die Aura des Wirts verdunkelten. Aber selbst danach war es mit dem richtigen Zauber kein Problem, sie auszutreiben.
„Was will der Erste mit so einem Parasiten?“ , fragte sich der Siebte. Unwillig senkte er seine Hörner.
Als hätte der Anführer auf diese Geste gewartet, ruckte dessen Kopf herum. Sein Blick fixierte den jungen Satan und ein diabolisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Nimm ihn in dir auf.“
Erschrocken zuckte der Siebte zurück und dachte bei sich: „Das kann nicht sein Ernst sein!“
Die Augen des Ersten wurden schmal. Seine Kiefermuskulatur verspannte sich bedrohlich.
Der Siebte hielt seinem Blick stand und schluckte beklommen. Falls er sich nicht fügte, war er so gut wie tot.
Er entschied sich für »leben« und trat vor. Gehorsam öffnete er seinen Mund. Der Kroyork näherte sich.
Voller Abscheu bemerkte der Siebte, dass der Flüsterling wie ein kalter Windhauch seine Zunge streifte, im Rachen aufstieg und sich in seinen Gedanken einnistete.
Kroyorks gehörten genau wie die Satanas zu den manipulativen Dämonen. Die Beeinflussung anderer war ihr natürliches Talent und stets strebten diese Arten danach, Schwächere zu kontrollieren.
Der Siebte erwartete, dass der Flüsterling seine Abwehr testete, doch nichts geschah. Das körperlose Biest verhielt sich vollkommen ruhig.
Der Anführer hatte ihn beobachtet und nickte zufrieden. Er ließ seinen Blick über den Trupp schweifen, knurrte „Folgt mir!“ , und trabte auf das Tor zu.
Das Tor war ein klaffender Riss in der Weltenmembran, welche ihren sterbenden Planeten von der Nebelsphäre trennte. Das weiße Nichts leuchtete lichtlos hindurch.
Es hieß, einst hätten Menschen die dünne Membran mit mächtigen Zaubern zerfetzt und dafür gesorgt, dass sie sich nicht wieder schloss. Die Menschen hätten mit Hilfe von magischen Barken einen Tunnel errichtet, der durch die Nebel führte und angeblich an einem zweiten Portal bei der Erdenwelt endete. Und nicht nur einen Tunnel schien es im wattigen Weiß der Sphäre zu geben, sondern ein regelrechtes Gewirr aus Gängen. Zu jener Zeit waren die Menschen auf diese Weise durch die Nebel gereist. Und irgendwann auch die Dämonen, das besagte jedenfalls die Legende.
„Die Luft jener Welt soll betörend und weich sein. Und das Blut der Säuger süß wie Nektar, besonders das der Menschen. Nahrung und astrale Kraft im Überfluss.“ Der junge Satan seufzte sehnsüchtig.
Viele Umläufe sollen seine Ahnen durch die Erdenwelt gezogen sein, doch dann hatten sich die Drachen erhoben, die Leuchtbarken in den Tunneln zerstört und die Tore versiegelt. Alle, bis auf das Portal in der Dämonensphäre.
„Jetzt wäre es mir lieber, sie hätten auch dieses Tor verschlossen“ , dachte der Siebte missmutig und reihte sich als Letztes in den Trupp ein, wie es seiner Stellung entsprach. Er hatte die Nebelsphäre noch nie betreten. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte das so bleiben können, egal wie verlockend die andere Welt auch sein mochte.
In den Nebeln verlor der Siebte jedes Zeitgefühl. Kälte fraß sich unbarmherzig in seine Knochen. Sie ließ seine Glieder schmerzen. Schlimmer als die Temperatur war aber die Tatsache, dass es hier weder oben noch unten gab. Das raubte dem jungen Satan die Orientierung und brachte seinen Magen in Aufruhr. Ihm war kotzübel.
Sein Anführer schien von alledem verschont zu bleiben. Zielstrebig bewegte er sich durch die weiße Sphäre.
Der Siebte hatte keine Ahnung, wie der Erste im Nichts laufen konnte, dennoch kam er unbestreitbar vorwärts. Seine Einheit folgte ihm.
„Nicht darüber nachdenken!“ , beschwor sich der junge Satan. „Auf den Vordermann konzentrieren.“ So lautete die Devise für die Nebel. Offensichtlich funktionierte sie.
Wie es dem Ersten gelang, hier zu navigieren und seinen Weg zu finden, war dem Siebten ein Rätsel. Er selbst sah die lange erloschenen Barken immer erst in dem Moment, in dem er sie passierte. Streckenweise gab es gar keine Orientierungspunkte.
Er hatte gehört, dass man an bestimmten Plätzen zwischen den Tunneln wechseln konnte und so an verschiedenen Toren der Erdenwelt herauskam.
Diese «Sprünge» zwischen den Gängen waren riskant, denn wenn man nicht genau wusste, wo das Ziel lag, verirrte man sich hoffnungslos in der Nebelsphäre. Einmal vom Weg abgekommen, gab es keine Rettung mehr.
Dieser Gedanke setzte dem Siebten zu. Er spürte schon jetzt, dass das eisige Weiß seine astrale Energie aussaugte. Hier zu stranden, wäre sein Ende.
„Keine Panik!“ , versuchte er sich selbst zu beruhigen. „Der Anführer weiß, was er tut. Dies ist nicht seine erste Reise durch die Nebel. Er genießt deswegen hohes Ansehen. Ich darf ihn bloß nicht verlieren.“
Stur heftete er seinen Blick auf den Vordermann.
„Oooooh“, kicherte der Kroyork herablassend in seinem Kopf. „Du bist ja ein ganz tapferes Schlusslicht des Trupps!“
„Sei du still!“ , knurrte der Siebte. „Du bist nur Passagier. Wenn du frech wirst, treibe ich dich aus.“
„Das würde ich lassen“, wisperte der Flüsterling. „Ich bin Teil des Plans.“
„Du? Ha! Was kann so ein laues Lüftchen wie du denn schon ausrichten.“
„Mir einen Wirt suchen, Informationen sammeln, die Pläne der Erdenwesen vereiteln.“
„Na, DAS will ich sehen!“ , schnaubte der Siebte verächtlich. „Das Wissen der Himmelsechsen ist uralt. Sie werden dich erkennen, sobald du eine von ihnen befällst.“
„Darum halte ich mich von den Himmelsechsen fern. Ich wähle einen Menschen mit akzeptablem astralen Potenzial und schwachem Willen. Davon gibt es einige, wie wir in Erfahrung bringen konnten. Er wird meine Ideen umsetzen.“
„Und wenn nicht?“
„Er wird!“, wiederholte der Kroyork ohne die Spur eines Zweifels. „Ich wurde speziell für diese Aufgabe geschaffen. Ich werde meinen Menschen mit einer Macht ausstatten, der er nicht widerstehen kann.“
Dem Siebten verschlug es die Sprache. So ein arroganter Flüsterling war ihm noch nie untergekommen.
„He, Schlusslicht!“, fuhr ihn der Kroyork an. „Konzentrier dich! Du verlierst den Anschluss.“
Tatsächlich. Der Sechste war beinahe außer Sichtweite.
„Dann lenk mich gefälligst nicht ab“ , forderte der junge Satan barsch und beeilte sich, wieder aufzurücken.
Der Siebte wusste nicht, ob sie Minuten, Stunden oder Tage durch das eisige wattige Weiß gewandert waren. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Als sie endlich ihr Ziel erreichten, war er erschöpft und erleichtert.
Direkt vor seiner Einheit konnte er eine Störung in der Weltenmembran ausmachen. Ein unregelmäßiges Netz, etwa zweimal so groß wie er selbst, zog sich dreidimensional quer durch den Raum. Die dünnen Linien erinnerten von der Form her an ein fein verzweigtes Blutgefäß, die Struktur sah jedoch eher wie eine schlecht verheilte Narbe aus. Sie wirkte wulstig, leicht brüchig und gereizt. An einigen Stellen hatte jemand Sojatzzer und Kraxtier angesetzt – in der anderen Welt wurden sie Spinnenpilze und Schleimbeutel genannt. Diese Kreaturen schwächten die Versiegelung des Tores, aber es waren zu wenige, um das Tor öffnen zu können.
Der Erste wandte sich zum Zweiten und Dritten um. „Beginnt!“
Die Angesprochenen nickten und sorgten behutsam dafür, dass das Portal durchlässig wurde, ohne dabei die Wächtermagie der Drachen anschlagen zu lassen. Sie ließen sich Zeit. Niemand durfte ihr Tun bemerken.
Unzählige Male hatte der Trupp diesen Zauber geübt, nun zahlte sich das harte Training aus.
Der Erste beobachtete den Fortschritt und befahl dem Vierten nach ein paar Minuten: „Stütze die beiden.“
Der Vierte nickte schicksalsergeben. Er berührte den Zweiten und den Dritten mit seinen Handflächen im Nacken und übertrug ihnen seine astrale Kraft, bis er schließlich tot zusammenbrach.
Niemand reagierte darauf .
Wenig später brummte der Erste: „Das sollte genügen.“
Die beiden Satanas ließen ihre Magie sanft versiegen und traten beiseite.
„Ja, es ist genug“ , stellte der Erste zufrieden fest und führte eine komplexe Bewegung mit seinen Händen aus. Plötzlich wurde die Weltenhaut durchscheinend.
Der Siebte konnte hinter dem Schleier einen Raum sehen, wie ihn Menschen errichteten. So hatten das jedenfalls seine Ausbilder beschrieben. Ein dunkler Schatten bewegte sich träge in einer Ecke. Das musste der Wächter sein, ein schwarzer Drache in humanoider Gestalt.
Neugierig trat der Siebte einen Schritt vor. Er konnte den betörenden Duft der Erdenluft erahnen. „Köstlich!“
Unvermittelt witterte er das süße Blut der Himmelsechse. Durch die Membran konnte er ebenso deren astrale Kraft spüren.
„Wahrlich! Dort gibt es Leben und Magie im Überfluss!“ , keuchte der Siebte. Es zog ihn zu diesem Ort hin. Er hatte Mühe, diesem Drang zu widerstehen.
Der Erste richtete seinen Blick auf ihn. „Tritt nah an das Tor heran, aber berühre es nicht. Dann treib…“
Jäh unterbrach sich der Anführer und feuerte eine scharfe Salve nach links. Sie traf den Fünften. Offenbar hatte der sich dem verführerischen Ruf der Erdenwelt nicht entziehen können. Nur wenige Fingerbreit vor dem Tor sackte der Fünfte leblos zusammen.
„Tritt vor“ , nahm der Erste kaltherzig den Faden wieder auf und warf dem Siebten einen warnenden Blick zu. „Tritt vor, doch berühre die Membran auf keinen Fall! Dann treib den Kroyork aus.“
Der Siebte näherte sich dem vernarbten Riss und versuchte krampfhaft, die Verlockungen hinter der Weltenhaut auszublenden. Verbissen konzentrierte er sich auf den körperlosen Dämon in seinem Geist und auf die Exorzismusbeschwörung.
Der Flüsterling war hartnäckig. Er weigerte sich, in die lebensfeindliche Nebelsphäre überzutreten, Plan hin oder her.
Der junge Satan erhöhte die Intensität seiner Hexerei und ließ dem Kroyork keine Wahl.
Zornig und mit einer Aura so pieksig wie ein Karotischer Kaktus verließ der Flüsterling seinen Wirt und floh durch die poröse Membran in die andere Welt.
Er war kaum verschwunden, da wirkte der Erste auch schon einen fremdartigen Zauber.
Mit einer Mischung aus Staunen und Entsetzen stellte der Siebte fest, dass sein Anführer das Tor versiegelte. Diese Form der Magie war tabu!
Dem Sechsten entfuhr ein missbilligendes Schnauben, woraufhin sich auf dem Gesicht des Ersten ein teuflisches Grinsen ausbreitete. „Stütze mich und den Siebten“ , wies er den Sechsten an.
Der rührte sich nicht.
Die Augen des Ersten wurden schmal. Er fackelte nicht lang und zwang dem Befehlsverweigerer seine geistige Kontrolle auf.
Überrascht spürte der Siebte, wie ihn die astrale Kraft seines Artgenossen durchflutete. Seine Depots füllten sich wieder auf.
Als der Sechste starb, blickte der Erste den Siebten an. „Folge mir, ZWEITER. Die anderen werden den Rückweg nicht schaffen.“
Der Siebte, der nun der Zweite war, atmete tief durch und tat, wie ihm geheißen. Diesen Tag würde er überleben.
Der Kroyork musste nicht lange durch die fremde Welt irren. Nach wenigen Tagen hatte er einen geeigneten Menschen gefunden und sich in dessen Geist eingenistet. Malte Rasmussen hatte ihn willig aufgenommen. Begierig lauschte der schüchterne Theologiestudent seinen Ideen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der junge Mann die ersten davon umsetzen würde.
Monate später: