3. Der letzte G’labrx
Rückblende – Monate zuvor:
Der Herrscher der Dämonensphäre hatte viele Namen. Weltenwanderer wurde er genannt, Allmächtiger, Gebieter oder auch der Letzte, denn er war der letzte seiner Art: der letzte G'labrx.
Zwei Wochen nach seiner ersten Reise an den Rand der Erdenwelt wurde der Siebte, der nun ein Zweiter war, zum letzten G’labrx gerufen. Er hatte keine Ahnung, warum man nach ihm schickte. Der Grund war irrelevant. Verlangte der allmächtige Weltenwanderer nach einem, so folgte man seinem Ruf, ohne Fragen zu stellen.
„Das ist die höchste Ehre, die einem Satan wie mir zuteilwerden kann“
, dachte der Zweite und trat vor das Portal des Audienzsaals. „Und meistens endet diese Ehre tödlich.“
Er hatte Angst, doch ihm blieb keine Wahl.
Schon öffneten sich die schweren Flügel der übergroßen Tür und gaben den Blick in die Halle des G’labrx‘ frei. Der Boden war aus schwarzem Granit und glänzend poliert. Er wirkte wie ein gigantischer Spiegel. Die Wände bestanden ebenfalls aus dunklem Gestein. Worum es sich hierbei handelte, konnte der Zweite nicht sagen. Das Material war matt und mit fremdartigen Symbolen sowie Reliefs überzogen. Unzählige Körperspannen ragten die düsteren Mauern in die Höhe. Die fahle Beleuchtung erreichte die Decke nicht und so endeten die Wände im schwarzen Nichts.
„Es ist genau so, wie an den Feuern erzählt wird. Man fühlt sich unbedeutend, wenn man diese Halle erblickt.“
Nervös legte der Zweite seine Schwingen an.
Auf der gegenüberliegenden Seite thronte der letzte G’labrx umgeben von ungefähr zwanzig Satanas, die in Gespräche verstrickt waren. Der Herrscher hatte sich in der Mitte seiner Berater zusammengerollt und überragte diese wie ein Berg, erhaben, düster und unterschwellig drohend.
Der Zweite holte tief Luft und setzte sich in Bewegung. Widerwillig.
Seine Hufe erzeugten ein klapperndes Geräusch auf dem harten Untergrund. Der junge Dämon zuckte zusammen, für sein Dafürhalten war es viel zu laut.
Prompt drehten sich alle Köpfe zu ihm um.
„Nicht gut!“
Fast alle Satanas, die den Weltenwanderer umringten, kannte der Zweite. Nicht persönlich, aber er wusste, dass die meisten von ihnen Erste ihrer Gruppe waren. Eine Handvoll Zweite mochte auch unter ihnen sein, doch sie alle hatten eines gemeinsam: Sie waren stark und dienten dem schwarzen Herrscher seit vielen Planetenumläufen.
„Ich bin ein Nichts. Was soll ich hier?“
Panik flutete seine Adern. Er wandte sich zum Portal in seinem Rücken um, aber die schweren Flügel schlossen sich in diesem Moment mit einem dumpfen Knall.
Fenster gab es in diesem Raum nicht.
„Ich bin tot.“
Der Blick des Weltenwanderers traf den Neuankömmling und seine Augen wurden schmal. „Ist das schon wieder eines dieser unsäglichen Gefäße? Wie viele hatten wir hier in den letzten Tagesspannen? 17? Oder waren es schon 20?“
Sofort verstummten alle Gespräche und einige Satanas wichen zurück, um dem Herrscher nicht die Sicht zu versperren. Nur einer blieb stehen.
Der Zweite erkannte bebend, dass dies sein eigener Gruppenbefehlshaber war.
Der Erste, der nicht an Flüche glaubte, verneigte sich. „Es waren 23, Gebieter.“
„23 und nicht einer von ihnen taugte etwas“
, zischte der G'labrx gefährlich ruhig, nur um gleich darauf loszupoltern: „Der Plan ist fehlgeschlagen! Warum schleppst du hier noch mehr von diesen nichtsnutzigen Kreaturen an?!“
„Weil dieser anders ist“
, entgegnete der Erste unerschrocken.
„Ja, das sehe ich“
, höhnte der Weltenwanderer. Seine Krallen schabten geräuschvoll über den spiegelnden Boden. „Er ist noch schwächer als die anderen Versager.“
„Er ist jünger“
, räumte der Erste ein, „und seine Unerfahrenheit ist
unser Vorteil. Er hat den Kroyork unbeschadet bis zur Membran der Erdenwelt gebracht.“
Der Zweite schluckte unbehaglich. Das Wohlergehen des Flüsterlings war ihm gleichgültig gewesen. Er hatte keinen Wimpernschlag lang auf dessen Unversehrtheit geachtet.
„Zu schön um wahr zu sein!“
, grollte der G'labrx. „Die letzten 23 Gefäße haben es verkackt. Wie kommst du auf die absurde Idee, bei diesem könnte es anders sein?“
„Ganz einfach“
, der, der nicht an Flüche glaubte, warf seinem umstellten Zweiten einen abschätzigen Blick zu, „er hatte vorher noch nie Kontakt zu einem Kroyork und kannte die Abwehrmechanismen lediglich vom Hörensagen.“
„Und so ein Neugeborener überlebt in den Nebeln?!“
Der Weltenwanderer grinste ironisch. „Na, da haben wir aber Glück gehabt.“
„Mit Glück hatte das weniger zu tun“
, wagte der Erste zu widersprechen, „sondern vielmehr mit akribischer Planung.“
Die Dreistigkeit des Satans ließ Zorn im entstellten Antlitz des letzten G'labrx‘ aufwallen. Wahnsinn glomm in seinen Augen auf. Er schnaubte und aus seinem verätzten Maul troff Speichel.
Eisige Stille legte sich über die Gesellschaft in der Halle.
Der Zweite stand verloren auf halbem Weg zwischen Eingangsportal und Thron und versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Er hatte lediglich ein Ziel: nicht die Aufmerksamkeit des Weltenwanderers zu erregen. Innerlich stöhnte er: „Der Mut wird dem, der nicht an Flüche glaubt, irgendwann sein Leben kosten… und meines gleich dazu.“
„Zeig es mir!“
, wisperte der G'labrx. „Wenn du recht hast, lasse ich dich für heute vielleicht am Leben.“
Der Erste nickte und verzog seinen Mund zu einem diabolischen Grinsen. Ohne sich vom Gebieter abzuwenden, winkte er seinen Untergebenen heran und bedeutete ihm, vor den Weltenwanderer zu treten.
Schwerfällig setzte sich der Zweite in Bewegung. Erneut hallte das viel zu laute Klappern der Hufe von den Wänden wider und echote gespenstisch in den Ohren des jungen Dämons. Die Strecke bis zum Allmächtigen erschien ihm endlos und dennoch kam der Thron viel zu
schnell näher. Zweifellos hing der Zweite an seinem kümmerlichen Leben.
Schließlich stand er neben seinem Befehlshaber und der letzte Hufschlag verklang.
Der G'labrx fixierte den jungen Satan verächtlich. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob dieses Gefäß hält, was du versprichst!“
Er warf dem Ersten einen irren Seitenblick zu.
Der, der nicht an Flüche glaubte, nickte.
Im nächsten Moment spürte der Zweite, wie eine fremde Präsenz die Barrieren seines Geistes niederriss und brutal in seinen Gedanken wühlte. Starr vor Todesangst ließ er den Gebieter gewähren. Schweiß trat ihm auf die Stirn.
„Tatsächlich“
, frohlockte der Weltenwanderer nach einer gefühlten Ewigkeit. „Dieser Wicht wusste kaum, wen er transportiert. Tse! Welch Ironie. Für einen Dämon ist er regelrecht unverdorben. Ha! Hahaha!“
Der G'labrx lachte heiser und einige Satanas wagten es, mit einzustimmen. Ein Schwall fauliger Atemluft umwaberte den Zweiten.
Abrupt wurde der Weltenwanderer ernst und funkelte den Ersten erbost an: „Er ist so unverdorben wie er schwach ist! Was soll das bringen?! Die Kontaktaufnahme wird er wohl kaum überleben.“
Mit einem kalten Lächeln tasteten seine Augen den Zweiten ab. „Aber wo er schon mal hier ist, werden wir es ausprobieren.“
Beiläufig wedelte der Herrscher mit seiner verhornten Pranke und fünf Satanas schritten energisch auf den jungen Dämon zu.
Jetzt würde er sterben, war sich der Zweite sicher. Gegenwehr war sinnlos. Auch wenn sein Leben kurz gewesen war, hatte er nicht vor, sich in diesem Moment die Blöße zu geben. Er rührte sich nicht.
„Sorgt dafür, dass er nicht zappeln kann“
, befahl der letzte G'labrx mit einem sadistischen Grinsen.
Im nächsten Augenblick packten den Zweiten fünf krallenbewerte Hände. Er schrak zusammen. Wie Schraubstöcke schlossen sich die faltigen Finger um seine Arme und Schultern.
So würde es also mit ihm zu Ende gehen.
„Pah!“
Der Weltenwanderer kam näher und schnaubte: „Von den 24 Gefäßen ist dieses jedenfalls der größte Jammerlappen.
“
Er streckte seine linke Klaue aus und umfasste unerwartet behutsam den Kopf des jungen Satans. Es stank nach Verwesung und heißem Metall.
„Ich bin tot!“
, durchzuckte es den Zweiten.
„Hör auf zu heulen und öffne deinen Geist!“
, blaffte der G'labrx. „Konzentriere dich auf die Erinnerung an den Kroyork. Ich will ihn sehen können!“
Selbst die letzten Gedanken wollten sie ihm noch vorschreiben. Der Zweite fragte sich, was passieren würde, falls er sich weigerte, doch er wusste, dass es bedeutend schlimmere Arten gab, den Tod zu finden, als die, die der allmächtige Gebieter für ihn vorgesehen hatte. Also fügte er sich in sein Schicksal und beschwor die Erinnerung an den aufmüpfigen Flüsterling herauf, den er zwei Wochen zuvor bis zu einem vernarbten Tor der Erdenwelt gebracht hatte.
Unvermittelt spürte er die astrale Kraft seiner Artgenossen in seinen Körper schießen.
„Jetzt grillen sie mich!“
, dachte er panisch.
Der Weltenwanderer schloss die Pranke fester um seinen Kopf, schüttelte ihn leicht und fluchte: „Bei der Sphäre, du Wicht, konzentrier dich auf den Kroyork! Niemand grillt dich. Jedenfalls noch nicht.“
Tatsächlich dosierten die Satanas ihre astrale Energie, so dass den jungen Dämon eine ungekannte Macht durchströmte.
„Sie stützen mich?!“
, stellte der Zweite überrascht fest.
„Ja, das tun sie. Ich habe es ihnen befohlen“
, herrschte der G'labrx ihn an. In seiner Gedankenstimme schwang drohende Ungeduld mit.
Schnell ließ der junge Dämon die Erinnerung an den Flüsterling ein zweites Mal in sich aufsteigen: dessen Stolz, dessen ungewöhnliches Selbstbewusstsein und dessen Spott malte er sich haarklein aus.
„So ist es brav!“
, wisperte der Weltenwanderer und zwängte seinen Geist in den des Zweiten. Er war mächtig, rücksichtslos und vor allem zielstrebig. Behände webte der Letzte eine Reihe von Zaubern, die der Zweite nicht verstand.
Plötzlich zog den jungen Dämon etwas in eine fremde Welt. Eine einzelne Sonne schien gleißend hell vom blauen Himmel herab. Überall leuchteten Pflanzen in satten Grüntönen. Vor ihm waren Gebäude mit schreiend roten Dächern. Er keuchte. Alle Farben waren so grell.
Ungewöhnliche Geräusche drangen in seine Ohren und ein betörender Duft in seine Nase. Er lief einen Sandweg entlang. Um ihn herum waren Menschen.
Am Rande seines Bewusstseins nahm er die Überraschung des Herrschers wahr. Unbändige Freude erfüllte diesen, doch schon im nächsten Atemzug folgte abgrundtiefer Hass.
„Ich werde meine Brüder und Schwestern rächen!“
Der Gebieter fletschte seine Zähne mit glühender Bösartigkeit. „Das Natterngezücht hat alle meiner Art umgebracht. Nur ich bin übrig. Endlich naht die Stunde der Vergeltung. Ich werde sie von der Erde tilgen, so wie sie es mit meinesgleichen getan haben.“
„Ich bin in der Erdenwelt!“
, staunte der Zweite. Ehrfurcht ließ ihn erschaudern. „Wahrlich, der letzte G'labrx trägt den Namen Weltenwanderer zu Recht!“
„Dummkopf!“
, schnappte der Herrscher barsch. „Du bist NICHT in der Erdenwelt. Du leitest lediglich die Wahrnehmung des Kroyorks an mich weiter. Und nun sei still, Schwächling, dein lächerliches Potenzial begrenzt mich.“
Der Zweite schluckte und beschloss, das Denken sein zu lassen. Der G'labrx hatte ihn Gefäß genannt. Das war er wohl. Und Gefäße dachten nicht.
Ein demütiges Stimmchen grüßte: „Endlich, mein Gebieter!“
Es war der Flüsterling.
„Ja, endlich!“
, erwiderte der Weltenwanderer. „Beeil dich, die Zeit ist knapp.“
„Ich verstehe“
, wisperte der Kroyork und flutete den Geist des Zweiten im nächsten Augenblick mit geballten Erinnerungen, eine fremdartiger als die andere.
Der junge Dämon hatte das Gefühl, platzen zu müssen. Sein Kopf schmerzte und die Meridiane brannten. Schwindel erfasste ihn. Von dem, was er sah, begriff er nur wenig. Offenbar hatte der Flüsterling einen humanoiden Wirt gefunden und brachte diesem die Grundlagen der Magie bei. Jener Malte Rasmussen hielt sich bedeckt, was sein neues Wissen anging und vor allem fern von den Drachen.
Irgendwann verebbte der Bilderstrom und der Druck im Geist des
Zweiten nahm ab.
„Sammle weiter Informationen“
, befahl der G'labrx, „aber sei vorsichtig. Du darfst auf keinen Fall erkannt werden. Wenn möglich, schare Menschen mit astralem Potenzial um dich, doch nicht die, die Kontakt zu Drachen haben. Geh kein Risiko ein! Unser Vorhaben hat Zeit.“
„Ja, Gebieter“
, raunte der Kroyork.
Die magische Kraft des Zweiten war nahezu aufgebraucht. Er taumelte.
Abrupt zog sich der Weltenwanderer aus seinem Geist zurück.
Im nächsten Atemzug stand der junge Dämon wieder im schwarzen Audienzsaal. Er erschien ihm merkwürdig farblos und noch düsterer als zuvor. Die Pranke des Gebieters ließ von ihm ab, sein Kopf sackte kraftlos nach vorn.
Er sah seine Hufe und darunter, auf dem polierten Granit, sein Spiegelbild – umringt von fünf Leichen. Das waren seine Artgenossen, die ihn gestützt hatten.
„Sie mich an!“
, fauchte der G'labrx.
Zögerlich hob der Zweite seinen Blick. In den Augen des Herrschers pulsierte Tatendrang und grenzenloser Hass. Er wirkte lebendiger als vorher, obwohl seine Hornplatten einen ungesund fahlen Schimmer aufwiesen.
Der Weltenwanderer musterte ihn prüfend. „Bist du noch bei Verstand?“
Der junge Satan nickte und legte seinen Geist offen.
„Gut“
, knurrte der letzte G'labrx und wandte sich respektvoll dem Ersten zu, der nicht an Flüche glaubte: „Ob Glück oder Planung, das Gefäß erfüllt seinen Zweck.“
Er hob seine linke Klaue und feuerte auf den Zweiten.
Plötzlich zischte es und ein stechender Schmerz erfüllte den jungen Dämon. Schreiend brach er zusammen. Es roch nach verkohlter Haut und dem fauligen Atem des Gebieters.
„Ich habe ihn gezeichnet“
, verkündete der Weltenwanderer kühl. „Er gehört mir. Von nun an ist dieser Satan unantastbar.“
Drohend blickte er von einem Ersten zum nächsten. „Ich übertrage euch die Verantwortung dafür, dass selbst das elendigste Gewürm dieser
Welt davon erfährt. Wird dem Unantastbaren auch nur ein Haar seines Fells gekrümmt, werdet ihr euch wünschen, ihr dürftet in Schleimbeutelsud baden, bis euch das Fleisch von den Knochen fällt. Denn das, was ich euch antue, wird noch tausend Mal schlimmer sein.“
Der kalte Granitboden kühlte die Wunde des Zweiten, der nun der Unantastbare war. Auch diesen Tag würde er überleben. Erschöpft schloss er seine Augen und wünschte, er hätte sich vor zwei Wochen in den Nebeln verirrt.