9. Der Adler ist gelandet
Sofie verließ den Bungalow Nummer 23 und machte sich auf den Weg zu ihrer ersten «Triff die Drachen»-Zeremonie. Sie hatte keine Lust darauf, doch vor allem war sie in Gedanken bei ihrer Freundin. Tyra hatte sich tatsächlich etwas aufgesackt. Die Mädels hatten das Stadion kaum verlassen, da musste sich die kleine Schwedin bereits übergeben. Trotzdem behauptete sie noch immer, dass alles in Ordnung sei.
„War wohl das Frühstücks-Ei, das wieder raus wollte“, hatte sie behauptet. „Ich muss mich nur eben hinlegen. Bis die Zeremonie anfängt, bin ich wieder wie neu.“
Als sie das dritte Mal anhalten mussten, hatte Sofie ihrer Freundin lange genug beim Leiden zugesehen. Sie hatte ihr Smartphone gezückt und Eliande angerufen, denn die verfügte wie die meisten Grünen über eine Heilerausbildung.
Tyra war blass gewesen, aber selbst in dem Moment hatte sie noch augenzwinkernd gefragt, was man denn tun müsse, um an die Handynummern der Drachen zu kommen.
„Die Unfähigkeit, Gedankenrede zu empfangen oder zu senden reicht schon aus, wenn die Schuppenträger dich unbedingt in ihren Reihen haben wollen“, hatte Sofie gebrummt. „Das Schlimme ist, dass die alle auch meine Nummer haben.“
„Oh, wenn das so ist, verzichte ich lieber“, hatte Tyra gekichert und abermals kotzen müssen.
„Tyra gibt echt nicht klein bei.“
Sofie hielt kopfschüttelnd an und schaute sich um. Die richtige Abzweigung zur Arena durfte sie nicht verpassen.
„Gar nicht so einfach bei all den hohen Hecken. Ich glaube, da vorne muss ich rechts abbiegen.“
Zum Glück war Eliande gleich gekommen. Die Grüne hatte bei Tyra einen aggressiven Magen-Darm-Virus diagnostiziert und ihr für mindestens drei Tage Bettruhe verordnet. Auf Sofies Frage, ob sie Tyra nicht einfach von dem Virus befreien könnte, hatte Eliande ruhig erklärt: „Ich könnte schon, aber das ist langfristig gesehen nicht zielführend. Die Immunabwehr der Menschen muss ab und an etwas zu tun haben, sonst degeneriert sie.“
Eliande hatte Tyra mitfühlend angelächelt. „Aus diesem Grund isolieren wir dich auch nicht. Solange du nicht mit deinen Kommilitonen kuschelst und keine Epidemie ausbricht, kannst du in deinem Zimmer bleiben.“
Sofie hatte gespürt, wie enttäuscht Tyra gewesen war. Im Gegensatz zu ihr wollte Tyra unbedingt an der Zeremonie teilnehmen. SIE war auf der Suche nach ihrer großen Liebe. Also hatte Sofie sich für ihre Freundin stark gemacht. „Aber dann verpasst Tyra die Gegenüberstellung!“
„Gegenüberstellung?“ Irritiert hatte die Grüne ihre Stirn gerunzelt.
„Die «Triff die Drachen»-Zeremonie“, hatte Sofie sich korrigiert. „Tyra sollte doch dabei sein, oder nicht?“
„Ach, die meisten Drachen wird sie in den nächsten Wochen auch so noch treffen“, hatte Eliande milde abgewunken.
Sofort hatte Sofie ihre Chance gewittert. „Wenn das so ist, würde ich gern bei ihr bleiben und mich um sie kümmern.“
„Netter Versuch, Sofie. Doch die Krankenpflege werde ich in den nächsten Stunden übernehmen. Du lässt dir deine erste Zeremonie nicht entgehen.“
„Aber ich habe mich vermutlich ohnehin bei Tyra angesteckt“, hatte Sofie widersprochen. „Wenn der Virus tatsächlich so aggressiv ist, fange ich womöglich noch in der Arena an zu spucken und dann gibt es wirklich ‘ne Epidemie. Ich fühle mich schon ganz komisch.“
Eliandes Blick war daraufhin prüfend geworden.
Sofie hatte an Jan gedacht und an all die Drachen, die sich mit ihr verbinden sollten. Prompt war ihr elendig zu Mute gewesen.
„Dir scheint es wirklich nicht gut zu gehen“, hatte Eliande festgestellt. Sie hatte eine komplexe Bewegung mit ihrer linken Hand ausgeführt und im nächsten Moment war Sofie in ein pastellfarbenes Glitzern eingehüllt gewesen.
„Bah!“
Sofie schüttelte sich bei der Erinnerung an das merkwürdige Kribbeln, das ihren Körper von Kopf bis Fuß durchrieselt hatte. Eigentlich war es nicht unangenehm gewesen. Tatsächlich fühlte sie sich danach fit wie ein Turnschuh. Trotzdem hätte sie liebend gern darauf verzichtet und wäre bei ihrer Freundin geblieben. Oder hätte mit ihr getauscht.
Die Hecke endete und gab den Blick auf eine große Wiese frei. Dahinter konnte Sofie das Stadion erkennen. Sie würde es locker pünktlich zur Gegenüberstellung schaffen. Leider.
„Und für die nächsten zwölf Stunden wird mir kein Virus was anhaben können“ , grummelte Sofie und setzte empört ihren Weg fort. „Mal im Ernst: Die Drachen messen mit zweierlei Maß! Von wegen in der magischen Welt sind alle gleich... Die erzählen viel, wenn der Tag lang ist. Was für eine Heuchelei! Manchmal würde ich wirklich gern…“
Plötzlich riss nur zwanzig Meter vor Sofie die Nebelsphäre über der Wiese auf und spuckte eine furchterregend mächtige Präsenz in die Welt hinaus. Die Sonne verdunkelte sich.
Sofie stockte der Atem. Ihr Verstand befahl, auf der Stelle wegzurennen, doch das konnte sie nicht. Wie paralysiert stand sie da und starrte auf das riesige Wesen, das in diesem Moment direkt vor ihr landete.
„Frisch vergossenes Blut!“ , durchzuckte es ihren Geist und ein Hauch von heißem Kupfer stieg ihr in die Nase.
Der Blick des roten Drachen streifte ihre Gestalt. Unvermittelt zuckte er zusammen, die Langschuppen seiner Halskrause stellten sich auf und er spreizte aggressiv die Schwingen.
Sofie unterdrückte krampfhaft den Impuls, laut aufzuschreien.
„Zeige einem Roten gegenüber niemals Schwäche“ , hallte Jans Ratschlag durch ihren Kopf, „denn nur so kannst du seinen Respekt erringen.“
Ausnahmsweise waren Sofies Verstand und ihr Gefühl mal einer Meinung und so versuchte sie, das Zittern ihrer Gliedmaßen unter Kontrolle zu bringen.
„Wer hätte gedacht, dass das so schwierig sein könnte?!“ , ächzte sie tonlos. „Ich mach mir gleich in die Hose!“
Der gigantische Kopf des Roten beugte sich in diesem Moment zu ihr herab. Eine lange Narbe zog sich quer über seine rechte Gesichtshälfte und die grauen Augen funkelten gefährlich. Er schnaubte. Sein Atem roch nach scharfen Gewürzen. Bummelig zehn Meter über der jungen Frau verzog sich die Miene der Echse zu einem spöttischen Grinsen. Dabei wurden für Sofies Geschmack eindeutig viel zu viele der rasiermesserscharfen Zähne entblößt.
„Ich bin ein DINOSAURIERHÄPPCHEN!“ , kreischte ihr Verstand. „Horsd’œuvre à la Jurassic Park.”
Sofies Herz raste. Ihr wurde schlecht vor Panik. Nie im Leben würde sie sich in so einen Schuppenträger verlieben!
„NIEMALS!!!“
Die Aura des Roten war mächtig und kraftstrotzend, aber dennoch diszipliniert. Irgendwie erhaben. Sie erinnerte Sofie an einen Adler.
Die schuppige Stirn der Echse legte sich in Falten und eine Augenbraue hob sich verwundert.
„Bitte komm NICHT näher!“ , bettelte Sofie.
Der Drache tat ihr den Gefallen, obwohl er ihr stummes Flehen unmöglich gehört haben konnte. In einer dynamischen Bewegung verwandelte er sich in seine Menschengestalt. Auch in dieser Form war er ein Schrank, zweifellos größer als zwei Meter und muskelbepackt. Sein Aussehen war südländisch, die schwarzen Haare trug er rappelkurz. Seine militärische Uniform stand ihm ausgezeichnet, genau wie die lange Narbe, die ebenso als Humanoider seine rechte Gesichtshälfte zierte.
Erleichtert bemerkte Sofie, dass die Aura des Kriegers nun nicht mehr ganz so vernichtend bedrohlich war. Vorsichtig atmete sie auf und betrachtete den Soldaten genauer.
Das Alter seiner Erscheinung schätzte Sofie auf Mitte zwanzig, doch sie wusste, dass das nichts mit dem wahren Alter einer Himmelsechse zu tun hatte. Die Drachen konnten das Aussehen ihrer Menschengestalt weitgehend selbst bestimmen und das Alter gehörte dazu.
Der Rote deutete einen militärischen Gruß an. Mit einem entschuldigenden Lächeln schlenderte er zu ihr herüber, blieb jedoch in einem respektvollen Abstand vor ihr stehen. „Wie ich eben schon sagte, Mädchen, es tut mir leid. Ich war in Gedanken, als ich aus der Sphäre trat. Ich muss dich übersehen haben.“
„Wenn man durch die Nebel reist, sollte man sich besser konzentrieren“, zitierte die Margareta in ihr reflexartig. Diese Regel hatte Karvin ihr eingebläut.
„O Gott! Habe ich das jetzt echt laut gesagt?!
Erschrocken hielt Sofie die Luft an.
„Das ist wohl richtig“, stimmte der Soldat verschmitzt zu. Kleine Lachfältchen zeigten sich um seine Augen. Auf der rechten Seite wurden sie von der Narbe unterbrochen. Er wirkte auf eine gefährliche Art sympathisch.
„Ein verwegener Bad Boy. Tyra hatte recht. Diese Typen haben was…“
„Ich entschuldige mich für meine Unachtsamkeit.“ Der Rote deutete eine Verbeugung an. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“
Sofie dachte an Jans Ratschlag und log: „Du hast mich nicht erschreckt.“
Der Mund des Kriegers verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu, seine Aura wurde wieder intensiver. „Ehrlich? Ich meinte, bei dir Herzrasen und Zittern wahrgenommen zu haben.“
„Wen wundert’s? Ich hab fast ‘nen Herzinfarkt gekriegt und meine Knie schlackern jetzt noch wie Wackelpudding. Aber ich darf nicht einknicken.“
Sofie schluckte und kratzte den Rest ihres Mutes zusammen. „Klar hast du das. Ich bin ja auch verärgert. Ich hab es eben nicht so gern, wenn sich mir jemand in die Sonne stellt.“
Demonstrativ schaute sie an dem Soldaten vorbei in den Sommerhimmel. Ihr war klar, dass sie den Roten nicht täuschen konnte.
Doch das war offenbar nicht notwendig, denn der Drache brach in schallendes Gelächter aus. „Bei den Schuppen des Grauen Kriegers, du hast Mumm in den Knochen, Mädchen!“
Seine ungezwungene Belustigung kam von Herzen und ließ Sofies Angst verblassen. Als Mensch war seine Aura zwar noch immer heftig, aber Sofie konnte spüren, dass er ihr nichts tun würde. Sie lächelte befreit.
Der Rote nickte anerkennend. „Du gefällst mir. Wie heißt du?“
Sofie reckte ihr Kinn und sah dem Drachen entschlossen in die grauen Augen. „Mein Name ist Sofie.“
Der Rote neigte bedeutsam sein Haupt „Es ist mir eine Ehre, deine Bekanntschaft zu machen, furchtlose Sofie. Solltest du mal in Schwierigkeiten sein, lass es mich wissen.“ Er salutierte zackig. „ Kommandant Gabriellosch. Zu Diensten!“
„Uff! Er bietet mir tatsächlich seine Kameradschaft an?!“ , staunte sie. „Das ist ja… Wow! Jan hatte recht.“
Wie ihr Freund es in einem solchen Fall empfahl, imitierte Sofie den Gruß des Kriegers und antwortete würdevoll: „Danke, Kommandant Gabriellosch. Es ist mir eine Ehre!“
Der Rote nickte zufrieden.
Unvermittelt musste Sofie grinsen.
Gabriellosch hob verwundert eine Augenbraue.
„Ich würde dir ja dasselbe anbieten“, erklärte sich Sofie, „doch das wäre wohl ziemlich lächerlich, was?“
„Mitnichten, furchtlose Sofie“, antwortete der Drache und verneigte sich respektvoll vor ihr. „Es ist mir eine Ehre.“
„Veralbert er mich?“
Ein Rieseln. Nein, Gabriellosch war es ernst mit ihr. Sie konnte spüren, dass er ihre Selbstbeherrschung achtete. Und … er mochte sie.
Sofie horchte in sich hinein und stellte verwirrt fest, dass sie den Drachen ebenfalls mochte.
„Also, keinesfalls wie einen Gefährten! Nein, das sicher nicht. Aber er scheint nett zu sein…“
Neugierig blickte sie zu ihm auf. „Warum bist du hier auf der Wiese gelandet? Uns wurde erzählt, dass außerhalb der Arena keine Drachen aus den Nebeln kommen.“
„Uns haben sie dasselbe erzählt“, Gabriellosch zwinkerte frech, „allerdings bin ich spät dran und da dachte ich, dass es besser ist, auf dieser Wiese zu landen als in der Arena, in der sich womöglich schon die ersten Studenten für die Zeremonie aufgestellt haben.“ Er lächelte. „Nicht alle Menschen sind so furchtlos wie du, Sofie.“
„Das ist ein Argument.“ Sie erwiderte sein Lächeln. Die Anspannung fiel von ihr ab. „Und du bist wirklich ein Kommandant?“ Von Jan wusste sie, dass dieser Rang in der roten Armee gar nicht so häufig war.
Der Krieger nickte stolz. „Ja, ich führe eine eigene Einheit an. Die Ptrachroxxer Adler sind meine Truppe.“
„Adler? Das passt zu dir. … Darf ich fragen, ob du einer unser Professoren bist?
Gabriellosch grinste verschmitzt. „Du darfst fragen, und nein, ich bin kein Professor. Ich gehöre zu den Austauschdrachen.“
„Oh!“, entfuhr es Sofie überrascht. „Die sind doch alle nur um die 200 Jahre alt.“
„Ich BIN 200 Jahre alt“, gab der Rote trocken zurück. „Aufs Jahr genau.“
„Echt?“ Sofie runzelte die Stirn. „Ich dachte, Kommandant wird man erst, wenn man 300 ist oder so.“
„Bei uns wird man nicht wegen seines Alters befördert, sondern ausschließlich wegen der Verdienste für die Armee“, stellte Gabriellosch klar.
Genau das hatte Jan ihr auch erzählt. Das astrale Potenzial junger Drachen war in der Regel deutlich geringer als das älterer. Wenn das auf Kommandant Gabriellosch zutraf, mussten seine Fähigkeiten überragend sein, analysierte Margareta stumm. „Außerdem hat Jan betont, dass die Roten es mit der Ehre sehr genau nehmen. Wenn du den Kommandanten nicht kränken willst, musst du fix die Kurve kriegen!“
„Selbstverständlich“, sagte Sofie schnell. „Es tut mir leid! Ich wollte dich bestimmt nicht beleidigen oder deine Kompetenz anzweifeln. Entschuldige.“
Gabriellosch lachte gutmütig. „Keine Sorge, furchtlose Sofie, du hast meine Ehre nicht verletzt.“
Sofie spürte, dass seine Worte ehrlich waren. „Der Kerl ist wirklich nett. Und interessant.“ Sie lächelte erleichtert. „Wie kommt es, dass ein Kommandant die Ankunftszeremonie verpasst? … Darf ich das überhaupt fragen?“
Der Kommandant nickte gelassen. „Ich war mit meiner Einheit im Manöver. Wir haben gewonnen. Der Sieg musste gebührend gefeiert werden.“
„Ihr habt mit Garrotsch angestoßen“, wusste Sofie. Garrotsch war ein sehr scharfes und für Menschen giftiges Getränk, das die roten Drachen bei allen feierlichen Anlässen tranken.
„Richtig.“ Gabriellosch grinste. „Hätten wir verloren, hätte ich mich noch mehr verspätet.“
„Warum? Dann hätte es doch keine Feier gegeben, oder?
„Das nicht“, stimmte der Drache zu. Sein Gesicht wurde ernst. „Wir Roten erringen unsere Siege gemeinsam ebenso wie unsere Niederlagen. Hätten wir verloren, so hätte ich gemeinsam mit meiner Truppe die Wunden geleckt. Dann hätte ich mit meinem Stellvertreter unsere Fehler analysiert und mich dem besten Schützen zum Nexxx gestellt.“
„Nexxx?“, echote Sofie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ist das nicht diese fiese Übung, bei der die roten Rekruten in der Luft so lange explosiven Geschossen ausweichen müssen, bis sie schließlich getroffen werden?“
„Ganz genau.“
Sofie blickte Gabriellosch skeptisch an. „Aber diese Übung endet immer mit dem Abschuss des Trainierenden. Du lässt dich echt von deinen eigenen Leuten abschießen?“
„Sicher“, antwortete der Rote lässig. „Nexxx hat noch niemandem geschadet und ich verlange nichts von meinen Soldaten, was ich nicht selbst zu leisten bereit bin. Wenn man eine Niederlage kassiert, ist es sinnvoll, sich auf die Grundlagen zu besinnen. Vor allem für mich als Kommandanten, denn schließlich trage ich die Verantwortung für meine Truppe.“
„Wow“, flüsterte Sofie beeindruckt. Sie konnte spüren, dass der Krieger voll hinter seinen Worten stand. „Du musst ein guter Vorgesetzter sein.“
„Na, das hoffe ich doch!“ Gabriellosch lachte selbstbewusst. „Ich bin der jüngste Kommandant der letzten Jahrhunderte. Ich gehöre zu den besten meiner Rasse. Aus diesem Grund wurde ich als Anwärter für die Akademie ausgewählt.“
„Er ist ja ganz schön von sich überzeugt. Bescheidenheit gehört wohl nicht zu den herausragenden Eigenschaften dieses Roten. Trotzdem kommt er nicht arrogant rüber. Ich mag ihn tatsächlich.“ Sofie lächelte. „Und jetzt willst du dir eine Gefährtin angeln?“
„Nicht irgendeine“, widersprach der Gabriellosch. „Ich will den Phönix für mich gewinnen.“
„Den Phönix!“, keuchte Sofie. „Alter! Ich bin eine Trophäe für die Roten!“
Der Krieger hob beschwichtigend seine Hände. „Das geht nicht gegen dich persönlich, furchtlose Sofie. Es ist nur…
Sie ließ ihn auflaufen. „Ja?“
„Der Phönix ist stark“, erklärte Gabriellosch ernst. „Ich bin es meiner Einheit schuldig, das Optimum für uns rauszuholen. Wenn ich mich mit dem Phönix verbinde, wird mein Potenzial größtmöglich zunehmen. Eine schwächere Partnerin würde weniger Schlagkraft bedeuten.“
Sofie sagte nichts dazu.
Der Rote schaute sie ruhig an. „Ich bin Kommandant geworden, weil ich mich mit nichts weniger als dem Besten zufrieden gebe.“
„Klingt logisch“, seufzte Sofie.
„Ich wollte dich nicht beleidigen.“
„Das hast du nicht, Kommandant.“
„Gabriellosch“, verbesserte der Drache. „Freunde nennen mich Gabriellosch.“
„Gabriellosch“, wiederholte Sofie mit einem angedeuteten Lächeln.
Er nickte anerkennend. „Du hast das Herz am rechten Fleck.“
Sofie zuckte mit den Achseln.
Der Krieger blickte sie erwartungsvoll an. „Ich habe gehört, dass der Phönix vor wenigen Tagen hier eingetroffen ist.“
„Das ist richtig.“
Schweigen.
„Er weiß nicht, wer ich bin?“ Der Widerspruch kristallisierte in Sofies Verstand. „Habt ihr Drachen denn keine Bilder vom Phönix? Ihr gebt doch sonst alles via Gedankenübertragung weiter.“
„Ja, schon“, brummte Gabriellosch unzufrieden. „Aber vom Phönix kennen wir lediglich die Geschichten. Es ist verboten, Erinnerungen über sie weiterzugeben.“
Verwundert hob Sofie eine Augenbraue. „Warum?“
„Ach“, schnaubte der Rote, „die Grünen im Kaleidoskop sind wohl der Ansicht, dass zu viele Drachen außerhalb der Zeremonie ihr Glück beim Phönix versuchen könnten. Sie glauben, das würde sie überfordern.“ Er schüttelte verächtlich den Kopf. „Aber he! Wir reden hier vom Phönix, oder?“
„Was bin ich den Grünen doch dankbar! Ich glaube, ich würde irre werden, wenn alle naslang irgendwelche Schuppenträger vor mir aufkreuzen würden.
Lauernd fragte sie: „Und? Haben die Grünen recht? Würdest du sie außerhalb der Zeremonie aufsuchen wollen?“
„Selbstverständlich würde ich nicht gegen Befehle verstoßen“, behauptete Gabriellosch, dennoch schmunzelte er charmant. „Falls ich allerdings wüsste, wie sie aussieht und ihr rein «zufällig» über den Weg laufe, würde ich auch nicht wegschauen.“
„Aha.“
„Kennst du sie? Weißt du, wie sie aussieht?“ Sein hoffnungsvolles Grinsen konnte man getrost als schamlos bezeichnen.
Sofie sah tadelnd zu dem Drachen auf. „Sowas nennt man mogeln.“
„Nicht doch“, wiedersprach Gabriellosch betont harmlos. „Ich würde es lieber als effizientes Nutzen von Möglichkeiten bezeichnen. Der Phönix ist stark, sie wird schnell einen Gefährten finden. Ich möchte lediglich meine Chancen wahren.“
Sofie konnte die Entschlossenheit des Roten spüren. Gabriellosch war erfrischend ehrlich und unverkrampft. Er hatte Humor und stand bedingungslos zu seinen Leuten. Obwohl er offensichtlich ein Bagalut war, mochte sie ihn.
Sie setzte eine ernste Miene auf und winkte den Soldaten mit gekrümmtem Zeigefinger zu sich.
„Was?“ Irritiert trat Gabriellosch auf sie zu.
Sofie wiederholte ihre Geste ungerührt.
Sein Widerwille wuchs. „Was soll das werden?“ Trotzdem kam er einen weiteren Schritt näher.
Nun stand der Drache direkt vor Sofie. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um in sein Gesicht sehen zu können.
Demonstrativ guckte sie ihm in die grauen Augen. In ihnen glänzte Verwirrung und Belustigung.
„Nichts mit Liebe auf den ersten Blick – hätte mich auch gewundert. Soll ja schon aus viel größerer Entfernung funktionieren.“
Gabriellosch lächelte entschuldigend, als er begriff, was sie vorhatte. „Ich finde dich attraktiv, furchtlose Sofie, aber das mit der Gefährtenbindung und uns…“
„Sehe ich genauso“, fiel Sofie ihm gelassen ins Wort. „Den Phönix kannst du dir abschminken.
„Wie bitte?!“
Der Rote war perplex. Er konnte ihr nicht folgen.
Sofie grinste. „Ist irgendwas bei dir passiert, als du mich angesehen hast?“
„Ähh. Nein…“
Jetzt war Gabriellosch vollends durcheinander. In seinem Kopf arbeitete es.
Sofie musste aufpassen, nicht laut loszuprusten. „Dann vergiss den Phönix.“
Langsam dämmerte Erkenntnis in dem Krieger.
„Oh, verdammt!“, rief der Rote plötzlich und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Was bin ich für ein Trottel?!“
Er lachte. „Da schreibe ich meiner Einheit Umsicht und Überblick auf die Fahnen und rühme mich meiner Aufmerksamkeit in jeder Lebenslage und dann übersehe ich das Offensichtliche: Ich habe dich bei meinem Austritt aus der Sphäre nur deswegen nicht bemerkt, weil dein Gedankenmuster unsichtbar ist! DU bist der Phönix.“
Sofie lächelte schief. „So ist es.“
Der Rote verbeugte sich respektvoll vor ihr. „Es ist mir eine Ehre, Phönix.“
„Die Ehre liegt auf meiner Seite, Kommandant“, gab Sofie zurück und verneigte sich ihrerseits.
Gabriellosch musterte sie eingehend und murmelte: „Hm. Ich hätte gedacht, du wärst größer.“
„Größer?“, schnaufte Sofie. „Wieso das denn?“
Der Kommandant grinste: „Für einen Menschen soll deine Feuerkraft überragend sein. Da hätte ich einfach eine…“, er zuckte mit den Schultern, „eine imposantere Statur erwartet.“
„Nee“, lachte Sofie, „ich kann nur mit einem Meter einundsiebzig und Unscheinbarkeit dienen.“ Sie war froh, dass Gabriellosch nicht vorhatte, mit den distanzierten Ehrbezeugungen weiterzumachen. Das hätte ihr gar nicht gefallen. So jedoch breitete sich heiteres Glück in ihr aus.
„Ich habe einen Freund gefunden. Gabriellosch mag mich um meiner selbst willen und nicht deswegen, weil ich irgendwer bin.“
„Aber, was ist mit dir?“, konterte sie aufgekratzt, „für einen Roten bist du ziemlich dreist.“
„Dreist?“, echote der Kommandant. Seine Augen wurden schmal.
„Ja, dreist.“ Sofie spürte, wie die Pferde mit ihr durchgingen und strahlte ihn herausfordernd an. „Furchtlose Menschen könnten behaupten, du wärst befehlsflexibel.“
„So, so. Könnten furchtlose Menschen das?“ Gabrielloschs Gesichtsausdruck wurde finster. Er schaute drohend zu ihr herab. „Ich finde, DAS zu behaupten wäre dreist. Da müsste Mensch ja ganz schön furchtlos sein.“
„Och nö!“, jammerte die Margareta in ihr. „Jetzt ist er sauer. Warum musst du immer sowas tun?“
Sofies Herzschlag beschleunigte sich. Sie fühlte, dass er ihr nichts tun würde, trotzdem war seine Aura beunruhigend.
Mutig bot sie ihm die Stirn. „Rein zufällig werde ich von einem Roten «die furchtlose Sofie» genannt.“
Er starrte sie an. Seine Aura pulsierte gefährlich. Dennoch hielt Sofie seinem Blick stand.
„Was bleibt mir Dussel sonst auch übrig?“
Angespannte Stille.
„Der Rote muss eine gute Menschenkenntnis haben“, knurrte Gabriellosch und im nächsten Moment zuckten seine Mundwinkel. „Hast du echt «befehlsflexibel» gesagt?“
Sie nickte unerschrocken.
„Befehlsflexibel!“ Er lachte schallend und klopfte ihr jovial auf die Schulter.
Der kameradschaftlich gemeinte Schlag ließ Sofie in die Knie gehen.
„Ups! Entschuldige.“ Breit grinsend richtete der Drache sie auf und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Befehlsflexibel! Ich bin nicht befehlsflexibel. Wir Roten halten uns strikt an unsere Befehle, alles andere wäre Ungehorsam und damit unehrenhaft.“
„Ah! Ach so.“ Sofie hob ironisch eine Braue „Und wenn du «rein zufällig» an ein Bild vom Phönix kommst und ihr noch viel «zufälliger» über den Weg läufst, ist das …“
„… eine ungewöhnliche Verkettung von unvorhersehbaren Umständen.“ Der Kommandant zwinkerte ihr zu. „Wobei das hier eben wirklich Zu fall war. Ein sehr erfreulicher Zufall, wie ich feststellen darf. Was die Befehle angeht: Die meisten lassen Interpretationsspielraum. Die Kunst ist es, die Grenzen des Spielraums zu erkennen und sie nicht zu überschreiten.“
„Was du natürlich niemals tun würdest“, meinte Sofie spöttisch.
„Selbstverständlich nicht! Ich segle vielleicht ab und zu hart am Wind, doch ich weiß, wann Schluss ist.“ Er sah zu ihr herab, seine Augen funkelten spitzbübisch. „Wäre ich sonst so jung Kommandant geworden?“
„Wohl nicht“, räumte Sofie ein und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Aber falls du außer des Phönix‘ noch eine andere Gefährtin in Betracht ziehst, würde ich empfehlen, dass wir uns langsam mal auf die Socken machen. Ansonsten läuft die Zeremonie ohne uns.“
Innerlich seufzte sie: „Nicht dass MICH das stören würde…“