Hatte ich mir nicht etwas vorgenommen? Wollte ich diese ganze Situation nicht genau so sehen, wie sie ist? Ein beschissener, neuer Lebensabschnitt. Zu meinem Plan hat gehört, meine neue »Schwester« zu ignorieren, bis einer von uns die Biege macht. Da unsere Mutter auf die grandiose Idee kam, auf unser altes Leben zu scheißen und bei diesen Menschen einzuziehen, war ich sozusagen gezwungen, mitzukommen. Sie wusste ganz genau, dass ich meine Familie niemals alleine lasse. Als wäre unser Leben so schlimm gewesen! Als hätte ich nicht alles dafür getan, dass es gut ist. Also ja: Ich habe daran gedacht, dieses Mädchen zu ignorieren. Vielleicht war ich sogar davon überzeugt, standhaft zu bleiben. Aber da wusste ich noch nicht, wie sie aussieht! Ich müsste ein verfluchter Eunuche sein, um sie nicht zu beachten. Nicht nur, dass unsere Situation perfekt für eine lockere Beziehung ist, sie ist auch einfach wahnsinnig scharf! Vielleicht hat sie nicht die größten Titten, aber es ist auch nicht so, als wäre das alles, worauf es ankommt. Mit ihrer großen Klappe kann sie sicher wahnsinnig schöne Dinge anstellen
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Ich parke auf dem Flughafenparkplatz und begleite Maya zur Halle. Zwar sieht sie nicht besonders begeistert aus, als ich ihr folge, aber diese Wiedersehensszene darf ich auf keinen Fall verpassen. Wenn man einen Menschen länger nicht gesehen hat, kann man bei der ersten Begegnung alles von seinem Gesicht ablesen. Wenn sie meine Freundin wäre, würde ich nicht einmal auf meine Koffer warten. Ich würde sie sofort auf die nächste Toilette ziehen und es ihr endlich wieder so richtig besorgen. Ich beobachte, wie Mayas strahlend grüne Augen umherhüpfen. Wie sie aufgeregt nach ihm sucht. Sie scheint mich gar nicht mehr zu registrieren, denn sobald ich eine Sekunde unachtsam bin, ist sie wieder verschwunden. Die Menschentraube, die sich am Ausgang versammelt hat, löst sich nach und nach auf, doch ihr Macker scheint nicht unter ihnen zu sein. Zehn Minuten später trotten nur noch vereinzelte Leute heraus. »Jetzt warte doch mal!« Ich packe sie am Arm, damit sie endlich stehen bleibt und zwinge sie, mich anzusehen. »Entweder dein Kerl hat den Flug verpasst, oder er ist schon weg.«
»Quatsch! Er wusste, dass ich komme.« Sie reißt sich los und läuft weiter dem neu antreffenden Pulk entgegen.
Weil ich keine Lust habe, ihr weiter hinterherzulaufen, bleibe ich stehen und sehe mich nach einem Starbucks um. Die Kleine braucht gleich erst einmal Schokolade.
Wenn man Frauen außerhalb des Bettes glücklich machen will, kann man dies am besten mit Schokolade.
Wie erwartet, war er auch unter den Neuankömmlingen nicht dabei. Maya kommt mit hängenden Schultern an meinen Tisch und lässt sich mir gegenüber fallen. »Premium hot chocolate für Mara?«, frage ich lächelnd, weil ich hoffe, sie ein wenig aufmuntern zu können. Tatsächlich heben sich ihre Mundwinkel – wenn auch nur ein kleines Bisschen.
»Ob seine Maschine Verspätung hat?«, fragt sie mit diesem Funken Hoffnung in der Stimme, den ich ihr merkwürdigerweise nicht nehmen will.
»Bestimmt.« Fuck, wieso interessiert mich dieser Hoffnungsschimmer überhaupt? Ich kenne weder sie noch ihn. Von mir aus kann er seinen Flug in einen nach Timbuktu abgeändert haben.
Maya nimmt einen großen Schluck aus ihrem Becher, sodass der Milchschaum an ihrer Oberlippe hängen bleibt. Klischeehaft, aber perfekt. Mit dem Daumen streiche ich ihn ihr von der Lippe. Ich sehe, wie sie merklich zusammenzuckt und meinen Finger anstarrt. »Ähm. Danke?« Bevor ich etwas erwidern kann, klingelt ihr Handy. Scheiß Handys.
»Ja? - Ich bin am Flughafen, um dich abzuholen! - Oh, okay. - So hatten wir es doch aber abgemacht? - Okay.
Dann bis morgen? - Ja. Ich dich auch.« Wo sie am Anfang noch recht euphorisch geklungen hat, ist ihre Stimme am Ende immer weiter abgesunken. Ich schüttele den Kopf über die Hirnlosigkeit dieses Kerls.
»Was ist los?«, frage ich und trinke meinen Kaffee leer.
Maya blickt gedankenverloren an mir vorbei und sieht dabei viel zu traurig aus. »Er studiert Medizin. In Stanford. Also sehen wir uns nicht besonders oft. Für die Semesterferien kommt er immer her.« Eigentlich wollte ich nicht ihre ganze Lebens- und Liebesgeschichte hören, aber ich unterbreche sie nicht.
»Aber?«
»Aber, er hat einen alten Kumpel getroffen und ist mit ihm essen.«
Verwundert hebe ich die Augenbrauen. »Und das lässt du einfach zu?«, frage ich ehrlich interessiert. Ich an ihrer Stelle hätte den Kerl gleich in den Wind geschossen.
Seufzend vergräbt sie das Gesicht in den Händen. »Was soll ich denn machen?«
»Ihm die Leviten lesen?«, schlage ich vor. »Du bist ziemlich seltsam, Maya.«
»Ich mag es, wie du meinen Namen sagst«, wiederholt sie meine Worte von vorhin grinsend. Vermutlich um mich abzulenken. Zumindest klappt das fantastisch. Ich
beuge mich vor, sodass ich mit den Lippen beinahe ihr Ohr berühre. »Dann stell dir mal vor, wie es klingen würde, wenn ich ihn stöhne.« Wie erhofft zuckt sie zusammen. Mit hochrotem Kopf rutscht sie mit ihrem Stuhl zurück, steht auf, weiß dann aber nicht weiter. Weil ich keine Anstalten mache, mich ebenfalls zu erheben, mich sogar noch bequemer in den Stuhl sinken lasse, setzt auch sie sich wieder hin. »Das war nicht besonders nett«, brummt sie, kann mir aber nicht in die Augen sehen.
Ich grinse. »Ich habe nie behauptet, nett zu sein.« Seufzend überwindet sie sich und hebt den Blick. »Können wir bitte wieder fahren? Der Tag war ätzend genug. Ich habe keine große Lust, noch länger mit dir hier zu sitzen.« Ich lache erstickt auf, weil ich nicht mit einem so offensichtlichen Seitenhieb gerechnet hätte.
»Klar, lass uns fahren.«