8
Maya
Kaum sind Logan und die Andern aus der Boutique verschwunden, lasse ich mich auf den Stuhl hinter dem Tresen sinken und vergrabe das Gesicht in den Händen. Ich soll mit Logan shoppen gehen? Es wäre besser, eine Ausrede zu suchen. Wieso zur Hölle habe ich überhaupt zugesagt? Logan bringt mich völlig durcheinander. Und was meint er überhaupt damit, dass ich selbstbewusster werden soll? Ich bin selbstbewusst! Glaube ich zumindest. Ich suche in meinem Kopf nach irgendeiner guten Erklärung, dass ich auf keinen Fall mit ihm Klamotten kaufen gehen kann. Was allerdings gar nicht so einfach ist, weil ich mit ihm in einem Haus lebe und zumindest mal keine Krankheit vortäuschen kann. »Hab ich richtig gehört?«, fragt Trish breit grinsend und hievt sich auf den Tresen, um mich besser im Blick zu haben. »Du weißt schon, dass man andere Leute nicht belauscht?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Das wäre aber viel uninteressanter.« Sie stopft sich ein Stück Schokolade in den Mund und hält mir die Tafel hin, die ich ihr sofort abnehme und hineinbeiße. »Hey! Du solltest dir nur ein Stück abreißen! «
Jetzt ahme ich sie mit dem Schulterzucken nach. »Ich brauch das jetzt dringender als du!«
»Und jetzt lenk nicht ab! Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie viele Mädchen dich dafür killen würden, um an deiner Stelle zu sein? Logan ist … scharf!« Theatralisch fächert sie sich mit den Händen Luft zu.
»Ich habe einen Freund! Und außerdem scheint mir, als gefiele sein Bruder dir auch nicht gerade schlecht?« Ich wackle mit den Augenbrauen, reiße ein Stück meiner neu eroberten Schokoladentafel ab und reiche es ihr. Trish wird rot, winkt aber schnell ab.
»Neal ist süß. Du weißt, dass ich etwas Ruhiges brauche. Mein Leben ist verrückt genug. Aber du hattest ausreichend Ruhe in deinem Leben! Schieß den Idioten endlich ab und treib es so richtig hart mit deinem Stiefbruder!«
Ich verschlucke mich an einem Krümel und huste, bis mein Gesicht rot anläuft, während sie aufgeregt auf dem Tisch auf und ab hüpft.
»Trish!«, rufe ich, während ich langsam wieder Luft bekomme.
»Was denn? Ich sag nur, was lang überfällig ist. Wenn nicht mit Logan, dann mit einem andern. «
»Hast du Fieber? Wurdest du vielleicht von irgendeiner Mücke gestochen, die deine Gehirnkapazität herunterstuft?« Ich springe lachend auf und halte meine Hand gegen ihre Stirn.
»Halt die Klappe! Bei mir ist alles ok. Ich muss doch so deutlich sein, damit du es endlich verstehst. Meine beste Freundin ist nicht gerade die Hellste, was diese Sache angeht.« Mit diesen Worten hämmert sie mit den Knöcheln gegen meine Stirn und macht hohle Klopfgeräusche.
Wie immer haben wir kaum etwas zu tun, weshalb ich Gott immer wieder danke, diesen Job zusammen mit Trish bekommen zu haben.
Je später es wird, umso aufgeregter werde ich. Ich versuche mir einzureden, dass das alles nichts mit Logan an sich zu tun hat. Ich meine: Wie lange kenne ich den Kerl? Drei Wochen. Da ist nichts! Aber auch absolut gar nichts! Es hat ganz alleine damit zu tun, dass ich noch nie mit einem Jungen einkaufen war. Mike gibt nicht besonders viel auf Mode. Und schon gar nicht darauf, Zeit damit zu vertrödeln, dafür Geld auszugeben. Gerade als ich an ihn denke, klingelt mein Handy und Mikes Nummer erscheint.
»Hey, du!«, begrüße ich ihn ein bisschen zu überschwänglich .
»Alles klar bei dir?«, ertönt seine skeptische Stimme.
»Alles super.« Ich räuspere mich, weil ich immer noch zu aufgeregt klinge.
»Ich wollte fragen, ob du heute Abend etwas essen gehen willst? Wir könnten in das neue, französische Restaurant gehen,« Seine Stimme hallt. Vermutlich hat er mich auf Lautsprecher.
»Klar! Gegen acht Uhr?«
»Gut. Ich komme dich dann abholen.« Mike legt auf, bevor ich noch etwas sagen kann. Weil Trish mich mustert, lächle ich weiter. »Ich freue mich auch. Bis heute Abend.«
Sie will gerade etwas sagen, als die Glocke einen Kunden ankündigt, aber es ist kein Kunde: Es ist Logan. Und sofort spüre ich ein Kribbeln in meinem Magen. »Du bist zu früh!«, rufe ich und er zuckt gespielt zusammen. Abwehrend hebt er die Hände. Ein schiefes Grinsen erscheint auf seinem Gesicht und lässt ihn sofort wieder verwegen wirken.
»Ich kann auch noch zehn Minuten draußen warten, wenn dir meine Anwesenheit zu unangenehm ist. Ich kann gut verstehen, wie schwer es für dich sein muss.«
»Setz dich! Und sei still«, herrsche ich ihn an und deute auf die Fensterbank. Eigentlich habe ich – wie schon den ganzen Tag – nichts zu tun, aber ich setze mich vor den Computer und tue so, als wäre ich mit ganz besonders wichtigen Dingen beschäftigt. Trish setzt sich neben Logan und flüstert mit ihm. Die Augen strickt auf den Computer gerichtet und irgendwelche unsinnigen Sätze in Google tippend, versuche ich angestrengt zuzuhören. Aber alles, was ich höre, ist Trishs Kichern. Aus den Augenwinkeln glaube ich zu sehen, wie die beiden mir immer wieder Blicke zuwerfen, aber ich darf meine Tarnung keinesfalls aufgeben.
Verdammt, was tue ich hier eigentlich? Seufzend lehne ich mich auf dem Stuhl zurück und sehe die beiden an. Sofort sind sie still, obwohl auf Trishs Gesicht immer noch ein Lachen liegt und auch Logan schelmisch grinst.
»Was?«, brumme ich.
»Was soll sein? Wir warten nur, bis du fertig bist. In einer Minute können wir los.«
»Ach, haut einfach ab! Merkt doch keiner«, schlägt Trish mit zuckersüßer Stimme vor und zwinkert Logan verschwörerisch zu. Verräterin!
Als würde er schon seit Jahren hier wohnen, führt Logan mich in Richtung Einkaufscenter. Es sind nicht mehr sonderlich viele Leute auf der Straße, da es mitten in der Woche ist und die Menschen lieber zuhause bei ihren Familien sitzen. Oder alleine vor dem Fernseher. Ich schließe die Augen und genieße die Gerüche des frühen Abends. Eine seichte Brise weht mir durch die Haare und hinterlässt eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper. Die Einkaufsstraße sieht einfach traumhaft aus. Wie in einem Film wehen die leuchtenden Lichterketten, die von einer Häuserwand quer über die Straße zur anderen Seite und wieder zurück uns den Weg erleuchten. Einige Leute sitzen auf den Terrassen der Restaurants und lachen. Fremde Sprachen, andersgekleidete Menschen. Ich liebe dieses Neue, Aufregende. Und all das, obwohl ich immer noch Zuhause bin. Ich frage mich, wie ich mich wohl in einem fremden Land fühlen würde. Plötzlich spüre ich Logans Hand an meinem Rücken und ich bemerke, dass ich stehengeblieben bin. Die Stelle, die er berührt, beginnt sofort zu lodern. Instinktiv würde ich einen Schritt nach vorne machen, um der Berührung zu entkommen, aber ich bleibe stehen. Drehe den Kopf so, dass ich ihn ansehen kann. Das Blau von Logans Augen leuchtet auch in der Dämmerung noch. Sein Blick ist so intensiv, dass ich mich schleunigst davon losreißen muss, weil ich sonst vermutlich zu Schmelzen beginne.
»Was hast du?«, fragt er leise. Sein Mundwinkel ist nicht wie sonst immer hochgezogen. Er sieht ungewohnt ernst aus. Und das verändert ihn völlig. Macht ihn noch heißer .
»Nichts«, gebe ich ebenso leise zurück. »Lass uns einfach weitergehen.«
Wir schlendern den Weg zum Einkaufscenter nebeneinander her, ohne noch ein weiteres Wort zu wechseln. Aber es ist nicht schlimm. Ganz im Gegensatz: Ich könnte noch Stunden mit Logan durch die Stadt geistern. Jeder für sich und doch zusammen.
Die elektrischen Türen öffnen sich und im Innern ist die angenehme Atmosphäre und die Ruhe plötzlich vorbei. Etliche Jugendliche tummeln sich durch die breiten Flure, die Hände voll mit Einkaufstüten. Eine nervige Musik ertönt in der ganzen Halle. »Wo willst du zuerst rein?«, fragt Logan und sieht sich links und rechts um.
Ich beobachte ihn. Seine volle Größe. Die offene, selbstbewusste Art, mit der er sich überall bewegt. Sogar dann, wenn er noch nie da war. Er scheint sich vor nichts zu fürchten und gleichzeitig nichts an sich heranzulassen. Und auf einmal frage ich mich, was das Ganze eigentlich soll. Ist er jetzt sowas wie mein bester Freund, der mit mir einkaufen geht? Das ist eindeutig nicht das, was ich mir von ihm wünsche. Auch, wenn ich selbst nicht weiß, was ich von ihm will.
»Was genau willst du eigentlich von mir, Logan? Als wir uns zum ersten Mal gesehen haben, hatte ich nicht den Anschein, als würdest du mich sonderlich mögen, und jetzt gehst du mit mir shoppen?« Er dreht sich in meine Richtung und sieht mich aus verengten Augen an. Den Mund hat er zu einer festen Linie zusammengepresst. Er sieht nachdenklich aus. Als wisse er selbst nicht, was er eigentlich hier macht.
»Hast du immer noch den Anschein, dass ich dich nicht mag?«, fragt er, kommt einen Schritt näher, sodass ich den Kopf heben muss, um ihn anzusehen. »Es hätte mich deutlich schlimmer treffen können.«
»Du bist sowas von charmant«, antworte ich lachend, drehe mich um, um weiterzugehen und stoße ihn mit der Hüfte an, sodass er ein wenig taumelt. Ich entdecke ein kleines Geschäft, in dem ich mit Trish einmal war. Eigentlich sind die Klamotten dort eher nicht mein Stil, aber genau darum sind wir ja hier, oder? Damit ich etwas Schönes finde, was mich aufregend macht. Ich berühre Logan an der Hand und deute mit einer Kopfbewegung zu dem Laden. Sobald er lächelt, lasse ich seine Hand wieder los. »Im Ernst, Maya. Ich will dich einfach nur kennenlernen.«
»Es gibt nichts über mich zu wissen«, antworte ich ehrlich. »Wieso willst du mich überhaupt kennenlernen? Du scheinst nicht der Typ zu sein, der Mädchen kennenlernen will. Eher der Typ, der sich die nimmt, die er will und dann wieder verduftet. «
Ich scheine mit meiner Mutmaßung richtig zu liegen, denn sein Grinsen wird breiter und verschmitzt. »Kann schon sein«, sagt er achselzuckend. »Aber du bist nicht irgendein Mädchen, stimmt´s?« Mein Herz überschlägt sich beinahe und ich wende schnell den Blick ab, damit er nicht sieht, dass ich rot werde. »Unsere Eltern sind zusammen. Wenn das so bleibt, werden wir uns für eine lange Zeit nicht loswerden.« Und dahin ist das verrückte Herzrasen. Unsere Eltern sind ein Paar. Genau. Deshalb will er mich kennenlernen.
»Na gut«, seufze ich und sehe ihn auffordernd an. »Was willst du wissen?«
»Zuerst eine einfache Frage: Was macht dir Spaß?«
Von wegen einfach! Ich denke über die Frage nach, finde aber keine zufriedenstellende Antwort, was mich selbst ziemlich enttäuscht. »Ich esse gerne.« Toll! Das ist genauso eine doofe Bemerkung wie »Ich habe die Wassermelone getragen.« Toll Maya!
»Wow!«, ruft er und bleibt mitten im Eingang stehen, während er anerkennend in die Hände klatscht. Die Mitarbeiterin – die etwa in unserem Alter ist – sieht überrascht von ihrem Handy hoch und schaut von Logan zu mir und wieder zurück. Als wären wir die neueste Reality-Tv-Sendung. Ich halte mir den Finger vor den Mund, damit Logan still ist, aber er ignoriert mich völlig. »Wow, Maya. Jetzt kenne ich dich wirklich in und auswendig. Das solltest du auf jeden Fall irgendwann auf deinen Grabstein schreiben lassen. Wahnsinn!«
»Ach, keine Ahnung!«, rufe ich und reiße die Arme hoch. Jetzt ist es ohnehin egal, weil der ganze Laden uns beobachtet. »Ich schaue gerne Filme. Wie du weißt. Ich lasse mich gerne in die Musik und die Bilder fallen.«
Der Spott weicht aus seinem Gesicht und macht etwas Platz, das aussieht wie Zufriedenheit. »Kunst also.«
Schulterzuckend gehe ich weiter in den Laden rein und durchsuche die Regale nach irgendetwas, was nicht langweilig ist, mir stehen könnte und ich mich trotzdem nicht verkleidet fühle. Gar nicht so einfach. Logan folgt mir auf Schritt und Tritt. Ich spüre seine Anwesenheit mit jeder Faser meines Körpers. »Ich finde es einfach faszinierend, dass man mit Schnitt und Ton so viel aus normalen Bildern rausholen kann. Man kann Menschen zum Weinen bringen. Man kann sie dazu bringen sich zu verlieben.«
Logan berührt mich am Arm, sodass ich von einem neonpinken Kleid zu ihm hochsehen muss. »Bist du etwa eine Romantikerin?«, fragt er und hebt belustigt eine Augenbraue.
Ich verdrehe die Augen und hänge das Kleid wieder zurück »Jede Frau ist irgendwo tief im Innern eine Romantikerin. «
»Und trotzdem tust du nichts, was du in deinen Schnulzen siehst. Du bist kein Mensch, der sich irgendwo kopflos hineinstürzt, oder? Ich wette du hast schon dein ganzes Leben durchgeplant! Deinen Freund heiraten, Kinder bekommen. Ein nettes, liebes Hausfrauchen sein.« Seine Worte fühlen sich an wie eine Backpfeife. Obwohl seine Stimme ruhig und pragmatisch klingt, tun die Worte weh. Mein Magen zieht sich zusammen und ich würde am liebsten davonstürmen.
»Du kennst mich überhaupt nicht, Logan. Wieso behauptest du, dass ich ein Langweiler bin?« Ich muss mit den Tränen kämpfen und ärgere mich selbst darüber, dass mich seine Worte so sehr treffen. Vielleicht würden sie das nicht, wenn ich davon überzeugt wäre, dass er unrecht hat. Aber es stimmt. Ich bin ein Langweiler. Ich bin 21 Jahre alt und habe noch nichts erlebt, was ich meinen Kindern später einmal erzählen könnte. Und bisher habe ich mich damit zufriedengegeben. Ich sehe mich ein letztes Mal in dem Laden um, und bin mir auf einmal sicher, dass ich hier nichts finden werde. Mit großen Schritten verlasse ich ihn und höre Logans Seufzen, als er mir folgt. »Ich muss dich nicht kennen, um zu sehen, dass du in deinem eintönigen Leben feststeckst, ohne etwas daran ändern zu wollen.«
Ich schnalze mit der Zunge. »Das sagt der Richtige. Herr ich-gehe-weder-studieren-noch-suche-ich-mir-einen-coolen-Job. «
»Ich habe viel Spaß in meinem Leben.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, dreht er sich um, und winkt zwei hübschen Mädchen zu, die an uns vorbeigehen.
»Du bist ein Lüstling«, rufe ich entrüstet.
»Ohha, ein Lüstling«, zieht er mich wegen der unglücklichen Wortwahl auf und bringt mich endlich wieder zum Lachen. Wir lassen das ernste Thema bleiben und reden über unverfänglichere Themen. Er erzählt mir eine Geschichte über Maggie, als er urplötzlich stehen bleibt und nach meiner Hand greift. Ohne zu wissen, was sein Problem ist, werde ich in einen Shop gezogen.
»Nein!«, rufe ich, als ich erkenne, was für ein Shop das ist. Logan grinst breit und zieht mich zu einem Regal, an dem einige Höschen hängen, die hauptsächlich aus Schnüren bestehen. »Ich werde keine Unterwäsche mit dir kaufen! Nein! Nein! Nein!« Ich reiße mich mit feuerrotem Kopf von ihm los und stürme wieder aus dem Laden.
»Sei doch kein Spielverderber! Die Teile hätten dir sicher wahnsinnig gut gestanden! Ich als anerkannter Lüstling kann sowas gut beurteilen.«
»Schon vergessen, dass wir neuerdings sowas wie Geschwister sind? Ich muss dich jeden Tag sehen. Wenn ich mir da etwas kaufen sollte …« Seine Augen leuchten. »Sollte!«, betone ich. »Dann kaufe ich mir sowas alleine. Ic h will nicht, dass irgendwer, mit dem ich unter einem Dach lebe, mich in so einem Fummel sieht.« Wir laufen weiter und kommen an einem wildknutschenden Pärchen vorbei. Ich kann meinen Blick kaum abwenden, weil die beiden sich beinahe auffressen. Logan, der bisher hinter mir hergelaufen ist, taucht plötzlich neben mir auf. Sein Blick liegt ebenfalls auf dem Pärchen, als sein Mund meinem Ohr verdächtig nah kommt.
»Macht dich das an, du Spanner? Ob die auch Stiefgeschwister sind?« Ich spüre sein Grinsen an meinem Ohr.
»Du spinnst!«
»Ach komm! Wieso gibst du nicht zu, dass dich unsere Situation scharf macht? Sag bloß, du hast dir das als Teenie nicht immer vorgestellt«, raunt er und lässt mich erschaudern. Was ich mir allerdings nicht anmerken lasse. »Was? Wie kommst du darauf?«
»Also stimmt es!« Ich höre das Grinsen, noch bevor ich es sehe.
»Nein tut es nicht! Und selbst wenn! Ich bin keiner mehr«, gebe ich gelassen zurück, obwohl ich alles andere als gelassen bin. Mein Herz und mein Magen haben sich abgesprochen und ziehen sich gleichzeitig zusammen.
»Gott sei Dank! So können wir die Phantasien ein bisschen vertiefen. Ein wenig versauter sein, als wir es mit 15 hätten sein können.« Ich gehe schneller. Um Logan und der Hitze, die sich in meinem Unterleib ausbreitet, zu entkommen. Aber er ist schneller als ich. Klebt an meinen Fersen und wartet auf eine Antwort. Eine Antwort, die ich selbst nicht einmal kenne. »Wieso sagst du andauernd solche Sachen?«, flüstere ich und sehe mich um, ob jemand uns beobachtet.
»Soll ich damit aufhören?«
»Bitte«, sage ich bestimmt und Logan nickt artig.
Das Gespräch ist längst vergessen, als wir uns nach zwei Stunden entschließen, noch in einen letzten Laden zu gehen. Anscheinend ist es gar nicht so einfach, aus mir etwas Aufregendes zu machen. Alles, was Logan gefällt, finde ich beinahe schon lächerlich. Alles, was ich schön finde, findet er zum Gähnen. Vielleicht ist es nicht die beste Idee mit ihm einkaufen zu gehen, aber wir haben jede Menge Spaß. Niemals hätte ich gedacht, dass ich mit einem Kerl wie ihm so viel lachen könnte, obwohl wir kaum Gemeinsamkeiten haben. Genaugenommen könnten wir nicht unterschiedlicher sein. Und doch liebe ich es, mit ihm zu streiten und zu diskutieren.
»Dieses Mal probierst du die Sachen zumindest an!«, sagt er, als wir den Laden ansteuern, der von allen am Vielversprechendsten aussieht .
»Damit ich wie eine Nutte aussehe?«, kontere ich, weil er mir immer die knappsten Teile überhaupt aussucht.
Logan presst die Augen zu Schlitzen zusammen und fixiert mein Gesicht. »Willst du mir damit sagen, dass ich keinen Geschmack habe?«
»Könnte man sagen, aber ich will deine Gefühle nicht verletzen.«
»Ich habe keine Gefühle, Maya.« Obwohl er zwinkert, frage ich mich, ob etwas Wahres hinter seinen Worten steckt. Nebeneinander betreten wir den Laden, in dem die Musik schon draußen zu hören war. Sofort weiß ich, dass ich hier nichts finde, aber Logan zuliebe gehe ich weiter hinein.
Zielsicher steuert er die hinterste Reihe an und wühlt zwischen den Kleidern, als suche er das Teil. Das eine Kleidungsstück, das aus mir einen neuen Menschen macht.
»Zieh das an!«, sagt er zufrieden und hält ein Minikleid vor mich. Skeptisch sehe ich daran hinab und bin mir sicher, dass es gerade mal meinen Arsch bedecken wird.
»Was? Das passt mir nicht einmal!«
»Du redest Blödsinn! Das wird dir wie angegossen sitzen«, widerspricht Logan kopfschüttelnd und dirigiert mich in Richtung der Kabinen .
»Aber sowas tragen nur …« Ich beiße mir auf die Zunge, weil ich meinen Satz überhaupt nicht beenden will. Ich weiß genau, wie das klingt. Als warte ich auf Komplimente, die ich alles andere als haben will.
»Nur?«
»Nur Mädchen, die die passende Ausstrahlung dazu haben.«
Er fasst nach meiner Hand und dreht mich zu sich, bevor er mich weiterzieht und vor einer Spiegelwand platziert. »Schau in den Spiegel.« Ich lege den Kopf schief, weil ich keine Lust auf dieses Spielchen habe. »Tu es einfach.« Seufzend drehe ich mich so, dass ich mich betrachten kann. Logan steht hinter mir, berührt mich aber nicht. »Siehst du nicht, wie schön du bist? Du könntest alles tragen. Du siehst sogar in deinen Arbeitsklamotten super aus, aber sie werden dir nicht gerecht. Zeig der Welt doch, was du zu bieten hast.« Unsere Blicke kreuzen sich im Spiegel, aber ich schaue schnell weg, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, wenn er mich weiter so ansieht.
»Okay. Aber wehe du lachst, wenn es bescheuert aussieht!«
»Niemals«, versichert er mit Indianerehrenwort.
Wie erwartet ist das Kleid so knapp, dass es gerademal die wichtigsten Teile meines Körpers bedeckt. Ich fühle mich wie eine Presswurst und bin schon dabei, den Reißverschluss wieder umständlich zu öffnen, als ich Logans Stimme höre. »Soll ich dir dadrin helfen?«
»Ich komme so nicht raus! Ich sehe schrecklich aus.«
Er lacht. »Das kann gar nicht sein! Sei nicht so ein Schisser!«
Als ich stöhnend aus der Umkleidekabine trete und versuche, das Kleid – das diesen Namen eindeutig nicht verdient hat – hochzuziehen, steht Logan mit großen Augen von seinem Stuhl auf und kommt auf mich zu. »Das ist scharf, Maya!«
»Findest du? Ich habe das Gefühl, dass meine Brüste viel zu gequetscht sind! Es sieht aus, als hätte ich ein Kinderkleid an!« Ich zerre an dem engen Fetzen, weil ich befürchte, dass bald alles oben rausquillt. Logan kommt noch ein bisschen näher auf mich zu und lässt seinen prüfenden Blick über meinen Körper gleiten.
»Machst du Witze? Deine Brüste sollten immer so aussehen.« Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass Logan mir so nah gekommen ist, aber ich zucke zusammen, als seine Hände sich von hinten auf meine Hüften legen. Ich beobachte im Spiegel, wie sie meine Silhouette nachfahren. Den Blick hat er wie ich in den Spiegel geheftet. Er folgt ebenfalls seinen Händen, die immer weiter hochgleiten. Ich spüre seine Brust, die meinem Rücken immer näherkommt. Spüre die Wärme, die von ihr ausgeht. Als er die Nase an meinem Hals vergräbt, schließe ich die Augen und lege den Kopf leicht nach hinten. Unsere Wangen berühren sich. Sein Duft steigt mir in die Nase und ohne, dass ich es verhindern kann, spüre ich ein verlangendes Pochen in meinem Unterleib. Auch Logan ist nicht unbeeindruckt. Seine Härte drückt sich mir in den Rücken und will mir auch noch den letzten Funken Verstand nehmen. »Wir sollten das nicht machen, Logan«, wispere ich schnell.
»Wieso?«, raunt er ganz nah an meinem Ohr, während seine Hände weiter über meinen Körper streichen und eine unbändige Hitze darauf hinterlassen.
»Weil … du mein Stiefbruder bist?«
»Schwachsinn. Versuch es nochmal.« Ich höre ein Lächeln in seiner Stimme. Immer noch behalte ich die Augen geschlossen, obwohl es besser wäre, sie zu öffnen. Zu sehen, was er tut. Was ich zulasse. Was ich schnellstmöglich unterbinden sollte.
»Weil ich einen Freund habe und du mich …«, wispere ich, suche aber gleichzeitig noch nach den richtigen Worten. Im Moment allerdings kann ich nur an seine Erektion denken, die sich immer enger an mich presst .
»Das Wort, das du suchst, ist: scharfmachst«, haucht er und dreht mich so abrupt um, dass ich mich an seinen Oberarmen festhalten muss, um nicht umzufallen.
»… irritierst«, korrigiere ich flüsternd.
»Irritiert ist gut.« Sein Mund kommt näher. Mein Atem geht schwer. Schwerer. Stockend. Ich will es. Will es unterbinden. Zulassen. Meine Augen fliegen über sein Gesicht, bleiben an seinem Mund haften. Diesem verführerischen Mund. Ich spüre seinen Atem an meinem Mund, spüre sein Herz rasen.
»Nein, ist es nicht«, stoße ich atemlos hervor und drehe das Gesicht weg. »Ich … sollte jetzt gehen.«