3.
M it gerunzelter Stirn klickte Benno sich durch die Fotos, die Dennis bei der Wohnungsbesichtigung gemacht und auf sein Laptop übertragen hatte. Sie saßen dabei an Bennos Küchentisch und aßen Pizza, direkt aus dem Karton.
„Und? Was sagst du?“
Dennis’ gespannter Blick ruhte auf Benno, nachdem der über die Hälfte der Bilder angesehen hatte.
„Gefällt mir gut“, erwiderte er, zugegebenermaßen etwas lahm und erntete dafür ein Schnauben. „Was denn?“
„Klingt ja wahnsinnig enthusiastisch. Noch etwas mehr Begeisterung und du landest mit dem Kopf im Pizzakarton, oder?“, meinte Dennis sarkastisch.
Er klang eindeutig angepisst, oder? Hä? Benno zog die Brauen zusammen.
„Was willst du denn jetzt von mir hören?“, fragte er. „Auf den Fotos sieht die Bude gut aus, die Miete ist erschwinglich, die Lage passt auch, also – ja, sie gefällt mir. Mehr kann ich dazu nicht sagen, schließlich hab’ ich sie nicht selbst gesehen!“
Fuck!
Er wusste, sobald die Worte draußen waren, dass er sie sich besser hätte verkneifen sollen und schloss für einen Moment die Augen, in Erwartung einer heftigen Reaktion seines Freundes. Die aber ausblieb.
„Das … Scheiße, das war total daneben, tut mir leid“, schob er rasch hinterher.
Dennis sah ihn an, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme, sagte jedoch zunächst nichts. Dafür sprach sein Gesichtsausdruck Bände.
„Horst hat mir übrigens seine Unterstützung angeboten, wenn wir … also, falls demnächst weitere Besichtigungen anstehen oder so. Er findet es wichtig, dass in einer Beziehung nicht einer allein sich mit allem befassen muss, was unangenehm oder anstrengend ist und …“
„Und wie siehst du das?“, unterbrach ihn Dennis.
„Was?“
„Ich hab’ gefragt, wie du dazu stehst. Ob du es auch wichtig findest, dass sich in einer Beziehung beide nach Kräften engagieren“, präzisierte Dennis.
„Natürlich“, antwortete Benno erstaunt. „Und eigentlich hatte ich geglaubt, das wäre klar? Ohne dass ich es bekräftigen muss.“
„Tja, das dachte ich bis jetzt auch.“ Dennis seufzte und klappte das Laptop mit einer entschlossenen Bewegung zu. „Ich hatte nur plötzlich das Gefühl, ich frage besser mal nach. Nicht dass du mir irgendwann vorwirfst, ich hätte schließlich von Anfang an gewusst, dass du ein Bulle bist und dein Privatleben deswegen immer mal wieder zurückstehen muss. Selbst wenn es dabei um so elementare Dinge geht, wie eine gemeinsame Wohnung.“
Nun endgültig verwirrt runzelte Benno die Stirn.
„Sag’ mal, hab ich irgendwas verpasst?“, wollte er wissen.
Dennis verzog den Mund.
„Ja. Wenn du schon so fragst. Die heutige Besichtigung“, erwiderte er bissig.
„Hey! Das ist jetzt unfair“, protestierte Benno. „Die wievielte Wohnung war das heute? Die achte? Wir sind jedes Mal zusammen da gewesen und ich hatte auch vor, heute dabei zu sein. Nur leider ist mir eine halb verweste Leiche dazwischen gekommen, okay? Wenn wir das nächste Mal einen Toten finden sollten, frage ich also vielleicht besser vorher nach, ob es terminlich in deinen Kalender passt, bevor ich meine Arbeit mache, oder wie stellst du dir das vor?“
Nun war es an Dennis, ihn konsterniert anzuschauen. Nach einem Moment schüttelte er jedoch den Kopf.
„Ich wäre schon vollauf zufrieden, wenn du wenigstens so tätest, als würde es dich wirklich interessieren“, sagte er.
„Wie bitte?“ Benno konnte kaum glauben, was er hörte. „Ist das jetzt wirklich dein Ernst?“ Er stieß den Atem aus. „Was soll das denn auf einmal? Was läuft hier, bitte, für ein Film? Machst du hier jetzt echt so ein Fass auf, bloß weil ich beim Anblick deiner Fotos nicht in stürmische Begeisterung ausgebrochen bin? Das glaub’ ich ja wohl nicht!“
Er strich sich über den Kopf und kämpfte seinen wachsenden Ärger nieder.
„Hör zu“, sagte er dann. „Es tut mir ehrlich leid, dass ich bei der Besichtigung nicht dabei war. Lass’ uns doch einfach Folgendes machen: Ich rufe die Maklerin noch mal an und wir vereinbaren einen zweiten Besichtigungstermin. Dann schauen wir uns die Wohnung noch einmal gemeinsam an und diesmal wird mich nichts davon abhalten, das schwöre ich! Okay?“
Dennis blickte ihn wortlos an, schien ihm mit einem Mal sehr distanziert und vor allem meilenweit entfernt. Plötzlich schien eine kalte Hand nach Bennos Herz zu greifen. Was passierte hier gerade? Wie hatte es zu diesem dämlichen Streit kommen können? Über einen doch eigentlich vollkommen nichtigen Anlass?
„Dennis? Schatz?“, fragte er beklommen. „Was sagst du dazu?“
Endlich löste sich sein Freund aus seiner Erstarrung. Er stand auf und griff nach seinem Laptop.
Verständnislos schaute Benno zu, wie Dennis das Gerät in die Tasche packte, in der er es für gewöhnlich transportierte und aus der er es vorhin genommen hatte.
„Was machst du da?“, hakte Benno nach und erhob sich ebenfalls.
„Ich denke, es ist besser, ich gehe nach Hause“, erwiderte Dennis, schloss den Reißverschluss der Tasche und packte sie am Tragegurt.
„Was? Du gehst? Wieso denn das jetzt auf einmal?“
„Es würde heute Abend zu nichts mehr führen, wenn ich bleibe. Ich will mich nicht mit dir streiten, weißt du?“
„Aber …“
Benno stand der Mund offen und er begriff überhaupt nichts mehr. Noch einmal versuchte er, seinen Freund umzustimmen.
„Dennis! Bitte! Geh’ jetzt nicht einfach! Lass’ uns drüber reden!“, bat er.
Doch der schüttelte den Kopf, beugte sich zu ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Wir reden morgen, okay? Ich … ich muss mir selbst erst mal über ein paar Dinge klar werden“, gab er zurück.
Wie betäubt sah Benno ihm nach, als er die Küche verließ. Einen Moment später klappte die Wohnungstür, und obwohl es nicht laut gewesen war, ließ ihn das Geräusch zusammenzucken.
Bennos Blick wanderte ziellos durch den Raum, streifte die Stühle, auf denen sie bis eben noch gesessen hatten, ihre Gläser, die Pizzakartons. Seiner war leer bis auf ein paar Krümel, in dem seines Freundes lag noch ein Viertel unangetastet, ein weiteres gerade mal angebissen.
Um irgendetwas zu tun, packte er die Reste und beförderte sie schwungvoll in den Mülleimer, faltete dann die Kartons zusammen und stopfte sie dazu. Anschließend stellte er die benutzten Gläser in die Spüle, wischte den Esstisch mit einem Lappen ab und holte sich ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank.
Mit der geöffneten Flasche ging er hinüber ins Wohnzimmer, ließ sich auf das Sofa fallen und nahm einen großzügigen Schluck, während er darüber nachdachte, was da eben eigentlich wirklich vorgefallen war. Und je länger er das tat, um so mehr war er davon überzeugt, dass es nicht bloß um einen verpassten Termin für eine gemeinsame Wohnungsbesichtigung gegangen war. Dafür war Dennis’ Reaktion nun doch zu heftig gewesen. So gut glaubte er seinen Freund inzwischen zu kennen. Aber was war dann der Auslöser gewesen?
Tja, das würde ihm wohl nur Dennis höchstselbst verraten können, erkannte er und nahm einen neuerlichen Schluck Bier. Als Nächstes holte er sein Handy aus der Tasche und starrte unschlüssig darauf. Sollte er anrufen und noch einmal nachfragen? Nicht lockerlassen, bis Dennis mit der Wahrheit herausrückte?
Besser nicht, entschied er schweren Herzens. Dennis war mit dem Wagen gekommen und saß jetzt bestimmt noch am Steuer. Da wollte er ihn nicht ablenken, das war schlicht zu gefährlich. Außerdem widerstrebte es Benno, ein solches Gespräch über das Telefon zu führen.
Nein, beschloss er seufzend. Vielleicht war es wirklich besser, wenn sie beide erst mal eine Nacht über allem schliefen. Oft half das ja schon, um scheinbar verfahrene Situationen mit ein wenig mehr Abstand betrachten und dann rationaler damit umgehen zu können.
Benno leerte sein Bier, trug die Flasche anschließend zurück in die Küche und machte sich bettfertig. Er war müde, denn der Tag hatte es in sich gehabt. Zuerst die Gerichtsverhandlung, dann der Leichenfund und am Ende noch die Auseinandersetzung mit Dennis.
Als er schließlich im Bett lag und mit weit offenen Augen ins Dunkel seines Schlafzimmers starrte, blitzten einzelne Bilder wie Streiflichter in seinem Kopf auf.
Meierling im Zeugenstand, arrogant wie eh und je, der unglückliche Haferkamp, dann die halb verweste Leiche von Roman Kuwilski auf dem Bett und schließlich Dennis’ Gesicht …
Er hatte bedrückt gewirkt, schon als er hier angekommen war, stellte Benno jetzt im Nachhinein fest. Als beschäftigte ihn irgendetwas. Nichts Erfreuliches, davon war er überzeugt. Wäre er selbst nicht so hungrig und vor allem noch so abgelenkt gewesen, von den Ereignissen des Tages, dem neuen Fall und allem, dann wäre es ihm vielleicht früher aufgefallen. Vielleicht hätte er nachgefragt und vielleicht hätte der Streit sich auf diese Weise vermeiden lassen. Eindeutig ein paar 'vielleicht' zu viel, fand er.
Seufzend drehte Benno sich auf die andere Seite. Es half nichts, sich jetzt schlaflos herumzuwälzen und zu grübeln über 'hätte', 'wäre' oder 'wenn'. Im Augenblick waren ihm nun mal die Hände gebunden und er tat sich keinen Gefallen, wenn er nicht so bald wie möglich zur Ruhe fand und einschlief. Schließlich lag morgen eine Menge Arbeit vor ihm.
Gerade hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, da ertönte ein elektronisches Signal vom Nachttisch her. Dort lag sein Handy, und der Ton signalisierte den Eingang einer Textnachricht. Verwundert hob er den Kopf und grabschte nach dem Telefon. Per Fingerabdruck entsperrte er das Display und entdeckte gleich darauf, dass Dennis ihm geschrieben hatte. Er las und ein kleines, erleichtertes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
Ich liebe dich. Schlaf gut “, stand dort.
Dito “, tippte er und drückte auf Senden. Dann legte er das Gerät zurück auf den Nachttisch und schloss die Lider.