Dienstag, 1 0. April, 9 : 57 Uhr,
Pkw Dr. Sabine Yao
M onti«, meldete sich die Leiterin der vierten Mordkommission des Berliner Landeskriminalamts bereits nach dem zweiten Klingelton.
»Ich bin’s, Sabine. Ich hoffe, mein Anruf kommt nicht ungelegen?«
»Nein, nein. Hier ist zwar viel los, aber ein paar Minuten sind drin. Falls es um den Mordfall Kracht geht, wovon ich ausgehe, kann ich dich kurz auf den neuesten Stand bringen. Ich war gerade bei meinem Dezernatsleiter zum Rapport, regelmäßiger Bericht von unserer Behörde an den Innensenator und so weiter. Hab ich dir ja gestern erzählt, dass da großes Interesse an dem Fall vonseiten der Chefetage besteht. Aber meinem Dezernatsleiter habe ich auch nur berichten können, was ich dir jetzt ebenfalls sage, dass wir unter Hochdruck an dem Fall arbeiten, jeder noch so kleinen Spur nachgehen. Wir sind sogar durch Kräfte der dritten und sechsten Mordkommission verstärkt worden, was ganz und gar unüblich ist. Na ja, Chefetage und so, aber ich wiederhole mich … Bisher ist jedenfalls nichts dabei, was so aussieht, dass es die Ermittlungen in die richtige Richtung lenken könnte. Ich habe zwar noch nicht alle Berichte von heute Nacht vorliegen, aber wenn jemand aus meinem Team eine heiße Spur hätte, wüsste ich das. Das in aller Kürze. Ich melde mich, wenn es was Neues gibt. Ich muss jetzt …«
»Ganz kurz noch, Monica«, unterbrach Yao die Deutschitalienerin. »Ich war gerade bei Jörgensen im Landesinstitut, und wir sind noch mal unsere Berechnungen zur Todeszeit durchgegangen. Es gibt einen Punkt im Zusammenhang mit der Totenstarre von Melanie Kracht, den wir nicht ganz einordnen können, oder sagen wir mal so: für den wir bisher keine plausible Erklärung haben.«
Und dann schilderte Yao in knappen Sätzen die Diskrepanz zwischen der am Vorabend von Jörgensen gemachten Beobachtung der nicht wieder eingetretenen Totenstarre und ihren nochmals überprüften Berechnungen zur Todeszeit.
»Wir sind ratlos. Es ist nicht so, dass wir die euch mitgeteilte Todeszeit von Frau Kracht infrage stellen würden, wir bleiben dabei. Aber wir haben schlichtweg keine plausible Erklärung … Wie auch immer, Monica. Ich wollte dich nur darüber informieren.«
Die Erste Kriminalhauptkommissarin hatte wortlos zugehört, und als ein kurzes Schnarren in der Freisprechanlage ertönte, befürchtete Yao schon, dass die Verbindung abgebrochen sei. »Monica?«
»Ja, ich bin noch dran. Ich überlege«, ertönte die Antwort klar und deutlich aus dem Pkw-Lautsprecher. »Aber was soll ich sagen? Die Experten dafür seid schließlich ihr …«
Yao fluchte innerlich.
Schöne Experten sind wir. Wenn ich bloß wüsste, was …
Ihr kam eine Idee. »Der Notarzt, Monica. Vielleicht kann er etwas dazu sagen, wie weit Leichenflecke und Leichenstarre bereits fortgeschritten waren, als er dort eingetroffen ist. Er war immerhin als einer der Ersten vor Ort und an der Leiche. Wenn ich mich recht erinnere, hast du gesagt, das war um 13 :47 Uhr. Also etwa zwei Stunden vor Jörgensen und knapp drei Stunden vor mir. Wir könnten seine Beobachtungen zu den sicheren Todeszeichen mit unseren Befunden abgleichen. Oder vielleicht gibt es sogar ein Einsatzprotokoll des Notarztes?«
»Leider nein, wir haben nur den Totenschein mit den Personalien der Toten, dem Datum und der Uhrzeit seines Eintreffens. Außer den Kreuzchen bei Leichenstarre und Leichenflecken und nicht natürlicher Tod ist da nichts drauf. Aber ich werde versuchen, ihn zu erreichen, und hören, was er dazu sagt. Ich melde mich.«
In diesem Moment zeigte das Display auf dem Armaturenbrett einen neu eingehenden Anruf von Sara Wittstock.
»Danke, Monica«, sagte Yao, verabschiedete sich von der Ermittlerin und nahm den eingehenden Anruf an.
»Die Lücke von zwei Jahren im Lebenslauf deines Schönheitschirurgen kann ich schließen«, kam die IT -Expertin direkt zur Sache. »Herr Professor Doktor Roderich Kracht ist ein Kollege von dir.«
»Das weiß ich auch …«
»Nein, ein echter Kollege.«
»Was?«
»Er hat selbst mal als Rechtsmediziner gearbeitet.«
»Wie bitte?«, entfuhr es Yao. »Du willst mich auf den Arm nehmen, Sara, oder?«
»Nein, keineswegs.«
»Klartext, Sara! Wovon redest du?«
»Okay, Schätzchen. Zu den Jahren 1993 bis 1995 war tatsächlich nichts über den guten Mann im Netz zu finden. Auch nichts in meinen Datenbanken. Der von dir gestern Abend angesprochene ›weiße Fleck‹ in seinem Lebenslauf. Dann habe ich meine Suche ausgeweitet. Ich bin über die Namen der Versicherten aller möglichen Rentenversicherungen gegangen und habe schließlich meine Suche auf die Datenbanken berufsständischer Versorgungswerke ausgedehnt und auch dort nach Kracht gesucht. Und siehe da, beim Versorgungswerk der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern habe ich ihn gefunden. Zwischen 1993 und 1995 wurden vom Universitätsklinikum Greifswald für Roderich Kracht die Beiträge für seine Altersvorsorge beim Versorgungswerk der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern eingezahlt. Und weißt du, wo er an der Uni Greifswald gearbeitet hat? Im Institut für Rechtsmedizin! Also seid ihr Kollegen, wenn mich nicht alles täuscht!«