Nachdem Tanika das Sicherheitstor durchschritten hatte, kam sie an zwei glänzenden BMWs vorbei. An der Haustür erwartete sie Elliots Frau Daisy.

»Guten Morgen!«, sagte die Frau. »Ich bin Daisy Howard. Was kann ich für Sie tun?«

Tanika stellte sich vor, war aber überrascht, dass ein Mann wie Elliot mit einer so unmittelbar warmherzigen und freundlichen Frau verheiratet sein sollte.

»Könnte ich wohl mit Ihrem Mann sprechen?«, fragte Tanika.

»Natürlich. Kommen Sie herein.«

Daisy führte Tanika durch den lässigen Luxus ihres Hauses. Dicke cremefarbene Teppiche, Schnittblumen in Designervasen, alte Ölgemälde an den Wänden.

»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte Daisy. In der Küche dominierten Marmor und Chrom.

»Nein danke, nicht nötig.«

»Sind Sie sicher? Es ist so heiß heute.«

»Wenn ich einfach nur mit Ihrem Mann sprechen dürfte?«

»Warum wollen Sie ihn denn sprechen?«

»Tut mir leid, das ist eine polizeiliche Angelegenheit«, sagte Tanika so freundlich wie nur möglich.

Daisy zeigte auf die doppelte Glastür, die aus der Küche auf eine mit alten Steinplatten angelegte Terrasse hinausführte. Draußen sahen sie Elliot am Ende des Gartens neben einem kleinen Feuer stehen. Sie betrachteten ihn einen Augenblick schweigend.

»Wie haben Sie beide sich kennengelernt?«, fragte Tanika.

»In einer Galerie in London. Wir wollten beide das gleiche Gemälde kaufen.« Bei der Erinnerung musste Daisy lächeln. »Und er benahm sich typisch englisch. Viel Wind, doch bloß aufgesetzt. Ich habe jedoch gleich gesehen, dass er ein freundlicher Mensch ist. Beschädigt. Aber freundlich.«

»Sie glauben, er ist beschädigt?«

»Er ist eine Künstlerseele. Leicht zu verletzen. Egal, weshalb Sie ihn jetzt sprechen wollen, es ist nicht seine Schuld. Jemand wird ihn vom rechten Pfad abgebracht haben. Er ist nicht so stark, wie er aussieht.«

»Meinen Sie, er könnte in Schwierigkeiten stecken?«

»Die Polizei kommt nie, um sich bloß übers Wetter zu unterhalten.«

Tanika sah Daisy an, die zwar noch lächelte, aber darunter einen Hauch stählerner Härte verbarg.

Mit dankbarem Nicken betrat Tanika den Garten. Als sie sich Elliot näherte, erkannte sie, dass Judith und ihre Freundinnen recht gehabt hatten. Es sah aus, als bestünde das Feuer aus Holzrahmen und bunt bemalten Leinwänden.

Elliot wandte sich zu ihr um, als sie auf ihn zuging. Tanika

»Hallo?«, sagte sie.

Tanika stellte sich vor und sah, dass im Feuer ein halbes Dutzend Bilder brannten, wenn nicht mehr. Sie fing an, welche herauszuziehen, um sie zu retten. Dabei fiel ihr auf, dass sie alle ganz ähnlich aussahen wie das Bild in Stefans Haus, von dem der Rahmen entfernt worden war.

Elliot trat beiseite und beobachtete sie verwirrt.

»Was machen Sie da?«, fragte er.

»Eine Nachbarin hat gesehen, dass Sie im Garten Gemälde verbrennen, und uns angerufen.«

»Warum geht das die Polizei etwas an?«, fragte Elliot und drehte sich zu den Häusern um, von deren Fenstern man seinen Garten einsehen konnte. »Verdammte Schnüffler.«

»Das geht die Polizei etwas an, weil wir Grund zu der Annahme haben, dass Stefan Dunwoodys Ermordung mit einem Rothko-Gemälde zusammenhängt, dass Sie ihm im Jahr 1988 verkauft haben«, sagte Tanika, zog ein weiteres Bild aus dem Feuer und löschte die Flammen im Gras, bis es nur noch rauchte. Ein Drittel der Leinwand hatte noch nicht gebrannt, und Tanika erkannte, dass drei Farbstreifen daraufgemalt waren, in drei verschiedenen Orangetönen.

»Sie belieben wohl zu scherzen.« Die gewohnte Überlegenheit schlich sich wieder in Elliots Stimme, doch Tanika hielt das Selbstvertrauen eher für gespielt. »Sie wollen doch wohl nicht ernsthaft andeuten, dass ich gerade einen Haufen

Tanika untersuchte ein verkohltes Stück Leiste. Es war frisches Kiefernholz und konnte kaum aus dem Rahmen um den Rothko in Stefans Haus stammen. Stefans Rahmen waren alle alt, die meisten kunstvoll geschnitzt oder vergoldet. Als sie das letzte brennende Gemälde aus dem Feuer zog und die Flammen im Gras erstickte, erkannte sie, dass es billiges Holz war, wie man es für eine moderne Leinwand verwenden würde. An den Ecken sah sie Krampen aus einem modernen Tacker, mit denen die Leinwand am Rahmen befestigt war.

»Die Bilder sehen alle sehr nach Rothko aus.« Tanika wollte sich nicht so leicht abwimmeln lassen.

»Das ist ja sehr zufriedenstellend. Genau diese Wirkung wollte ich erzielen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich habe die alle gemalt.«

»Sie? Wann denn?«

»Im Lauf der letzten Monate. Das mache ich in meiner Freizeit. Malen.«

»Können Sie mir etwas über den Rothko sagen, den Stefan Dunwoody Ihnen nach dem Tod Ihres Vaters abgekauft hat?«

Elliot überlegte einen Augenblick, ehe er antwortete.

»Also gut, zu Stefan Dunwoody sollten Sie wissen, dass er ein Gauner war.«

»Ist das wahr?«

»Aber das wusste ich noch nicht, als mein Vater starb.

»Und warum haben Sie die Gemälde dann verbrannt?«

»Ich zerstöre meine Arbeiten immer. Nach einiger Zeit.«

»Warum?«

Anstelle einer Antwort starrte Elliot in die ersterbenden Flammen.

»Warum verbrennen Sie Ihre Bilder?«, fragte Tanika erneut.

»Weil ich nichts tauge«, sagte Elliot – anscheinend mehr zum Feuer als zu ihr.

»Wie bitte?«

»Meine Arbeiten sind wertlos.«

Das sagte er so leise, dass Tanika nicht sicher war, ob sie richtig gehört hatte.

»Sie haben an der Kunsthochschule studiert.«

»Jeder Trottel kann zur Kunsthochschule. Dafür braucht man bloß handwerkliches Können. Das hatte ich immer. Aber mir fehlte das gewisse ›Etwas‹. Echte Begabung. Die einen vom Rest abhebt. Zu etwas Besonderem macht. Zeigt, dass man etwas zu sagen hat.«

Tanika erinnerte sich, dass Judith ihr erzählt hatte,

»Und als Sie jünger waren? Als Sie das erste Mal an der Kunsthochschule angenommen wurden? Waren Ihre Arbeiten da etwas Besonderes?«

Endlich hob Elliot den Blick vom Feuer.

»Das werde ich wohl nie wissen.«

Zum ersten Mal hatte Tanika das Gefühl, mit dem »wahren« Elliot Howard zu sprechen. Er klang nicht hochtrabend, kein bisschen überheblich, eher wie ein verlorener kleiner Junge. Doch Tanika wusste, auch »verlorene kleine Jungen« waren des Mordes fähig. Und es war auf jeden Fall verdächtig, dass er Rothko-artige Bilder malte und dann verbrannte, nachdem es einen Diebstahl im Zusammenhang mit einem Rothko-Gemälde in Stefans Haus gegeben hatte – auch wenn nur der Rahmen entwendet worden war.

»Sind Sie nach dem Streit mit Stefan in Henley in sein Haus eingebrochen?«, fragte sie.

»Nein. Was reden Sie da?«

»Waren Sie es dann, der letzte Woche in sein Haus eingebrochen ist?«

»Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden. Was für ein Einbruch?«

Tanika merkte, dass Elliots Antworten offenbar aufrichtig waren. Aber wenn er nicht eingebrochen war und den Rahmen gestohlen hatte, wer war es dann gewesen? Und wieso war der Rahmen überhaupt so wichtig?

Daisy kam mit einem Telefon in der Hand auf sie zu.

»Was ist denn, Liebling?«, fragte Elliot.

»Ich habe unseren Anwalt am Telefon, und er sagt, wir müssen überhaupt keine Fragen beantworten. Nur in seiner Anwesenheit. Und die Polizei darf unser Grundstück gar nicht betreten, wenn sie keinen Durchsuchungsbeschluss hat.«

»Ich beantworte der Dame doch bloß ein paar Fragen.«

»Lass es einfach«, sagte Daisy entschieden und wandte sich dann an Tanika. »Wenn Sie meinem Mann keine Straftat vorzuwerfen und keinen Durchsuchungsbeschluss haben, dann müssen Sie jetzt sofort gehen.«

Tanika wusste, dass Daisy recht hatte. Ohne Erlaubnis der Eigentümer durfte sie nicht auf dem Grundstück bleiben.

Sie schaute Daisy an und sah in ihren Augen eine Entschlossenheit, die keinen Widerspruch duldete.

Tanika lächelte schmallippig, entschuldigte sich und ging, doch als sie ins Haus trat, blieb sie kurz an der Doppeltür stehen und schaute zurück zu Elliot und seiner Frau. Es sah sehr danach aus, als würde Daisy ihrem Mann gründlich die Leviten lesen.

Was hatte das wohl zu bedeuten?