Prolog
Wenn er eine Falle vorbereitete, nahm er sich viel Zeit, um jedes Detail zu studieren. Es begann mit der Umgebung. Die Wohngegend gehörte nicht zu den feinsten Adressen in Berlin. Nirgends gab es eine Überwachungskamera, die Bewohner interessierten sich nicht für ihre Nachbarn und kein naher Kinderspielplatz barg die Gefahr zufälliger Zeugen. Der Ort war nicht so geeignet wie ein abgelegenes Industriegebiet, aber für seine Zwecke würde es genügen.
Die Autoabgase der nahen Umgehungsstraße hatten der weißen Fassade einen schmutzigen Grauschleier verpasst, und neben dem Fenster im ersten Stock bröckelte der Putz ab, aber das Haus war nicht schäbig genug, um einen Besucher misstrauisch werden zu lassen. Links und rechts führte ein jeweils zwei Meter breiter Grasstreifen am Gebäude entlang zu einem unkrautüberwucherten kleinen Garten mit einer Holzlaube. Die Tür des Verschlags ließ sich schwer öffnen. Darin waren nur ein alter Benzinrasenmäher, ein offener Sack mit Dünger und eine rostige Schaufel. Ansonsten war die fensterlose Laube groß genug, dass man sich darin verstecken konnte, was für seine Pläne von Vorteil war.
Auf der kleinen Terrasse standen ein abgedeckter
Gasgrill und ein Plastiktisch mit zwei Stühlen. Die Terrassentür war minderwertig, ohne Einbruchsschutz und nur mit doppelter Verglasung, also würde er hier den Rollladen herunterlassen müssen, damit die Vordertür der einzige Eingang in das Haus wäre. Die Kunst, eine Falle zu stellen, lag darin, das Opfer den gewünschten Weg gehen zu lassen, ohne ihm das Gefühl zu geben, dass es gelenkt wurde.
Er ging wieder nach vorne und betrachtete die Haustür. Sie war aus stabilem Holz, mit Aushebelschutz und mäßiger Verrieglung, aber trotzdem zu massiv, um sie eintreten zu können, also würde er sie anlehnen, damit sein Ziel keine Zeit verschwenden musste.
Er machte sich eine Notiz auf seinem kleinen Schreibblock, während er in das Haus hineinging. Ein Gang führte nach rechts in die Küche und geradeaus ins Wohnzimmer. Beide Räume waren zu klein oder zu verwinkelt für einen Hinterhalt, daher musste er das Ziel nach oben locken. Eine Blutspur die Treppe hinauf würde ihren Zweck erfüllen. Auf dem braunen Laminat würde das Blut nur schwer zu sehen sein, daher musste er noch einen ausgetretenen hellen Teppich besorgen und ihn auf die Stufen legen. Das Poltern von Möbeln oder das Schlagen auf ein Rohr würde das Ziel schließlich auf den richtigen Weg führen.
Zufrieden bemerkte er, dass die Stufen knarrten, als er in den ersten Stock ging. Zusammen mit zwei versteckten Kameras wäre die Überwachung des Opfers problemlos. Oben waren ein großes Schlafzimmer, ein fensterloser Abstellraum und ein Badezimmer. Wenn er die Tür des Schlafzimmers offen ließ und die Blutspur dort hineinführte, würde ihr das Ziel direkt folgen und dabei den Abstellraum sowie das Bad ignorieren.
Der Mann drehte sich einmal um die eigene Achse und nahm jedes Element des Schlafzimmers in sich auf, das schmale Bett, die Fenster und den großen Kleiderschrank. Das Kopfkissen war schweißdurchtränkt und verströmte einen ranzigen
Geruch. Die Bettwäsche war verblichen und Kleidung lag überall verstreut. Auf einem kleinen Nachttisch standen eine Flasche Bier und ein Teller mit einem angebissenen Donut.
»Perfekt«, flüsterte er und lächelte. Er richtete seine Lederhandschuhe, steckte seinen Notizblock in die Manteltasche und ging nach unten ins Wohnzimmer.
Neben dem Fernseher saß ein Mann um die vierzig auf einem Stuhl, die Hände hinter dem Rücken gefesselt und die Beine mit Industrieband fixiert. Seine schütteren schwarzen Haare waren schweißverklebt, das weiße T-Shirt am Ausschnitt zerrissen und seine graue Jogginghose hatte er vor Angst eingenässt. Sein Mund war geknebelt und seine Augen waren in Angst weit geöffnet.
Ohne seinen Gefangenen weiter zu beachten, setzte sich der Mann auf die Couch, nahm sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer. »Der Ort ist geeignet«, begann er ohne Begrüßung. »Ich brauche noch etwas Zeit für Vorbereitungen, aber bis dahin lasse ich den Hausbewohner am Leben.« Er zwinkerte dem Mann neben ihm zu. »Haben Sie die Munition besorgt und den Sender platziert?«
Sein Gesprächspartner bejahte.
»Gut«, sagte der Mann. »Dann hat unser Ziel keine Chance.«