Acht
Cameron
D er impulsive Ausbruch, der mit einem erneuten Rauswurf endete, bewies mir, wie sehr ich unter Strom stand. Ein paar Tippfehler eines unter höchstem Druck verfassten Schriftstücks reichten in dem Fall aus.
»Was ist das hier für ein dilettantischer Mist?« Wütend knallte ich Cathy die Blätter auf ihren Schreibtisch. »Hier, hier und hier!« Mit dem Zeigefinger tippte ich auf die rot markierten Fehler. »Ich jongliere mit den Millionen unserer Mandanten und habe keine Zeit, Ihre Arbeit zu kontrollieren.« Mein Ton sowie der düstere Blick ließen sie zusammenzucken. »Ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann.«
»Das lässt sich sofort korrigieren«, verteidigte sie sich tapfer. »Das Zeitfenster, in der Sie die Abschrift benötigten, war sehr eng bemessen.« Ihr mutiger Einwand änderte nichts an ihrer Verunsicherung. Ihre glühenden Wangen und ihre zitternden Hände verrieten sie.
»Früher hat es so etwas nicht gegeben.« Ihre Rechtfertigung steigerte bloß meinen Ärger. Das Telefon klingelte. »Soll ich das Gespräch selbst annehmen?«, blaffte ich, da sie nicht sofort reagierte.
»Wilson, Chapman und … und Partner, äh Franklin … Guten Tag, was kann ich für Sie tun?« Ihr Gesicht leuchtete inzwischen wie eine überreife Tomate.
Ich schloss kurz die Augen, atmete tief durch. Mit den Fingern trommelte ich auf der Oberfläche des Schreibtisches, der uns glücklicherweise voneinander trennte. Ohne die Distanz hätte ich ihr den Telefonhörer aus der Hand gerissen.
»Darf ich noch einmal nach Ihrem Namen fragen?« Der Blick, den ich ihr zuwarf, entsprach einem tödlichen Giftpfeil. »Es tut mir leid, im Hintergrund ist es sehr laut …« Ich feuerte den zweiten giftigen Pfeil ab. Fahrig suchte sie in einer ausgedruckten Liste den Namen des Anrufers, um ihn zuzuordnen. »Mr Hartman, natürlich, Sie sind von Miller Industries ?« Mit der Aussage setzte das Beben meiner Nasenflügel ein. Miller & Industries existierte seit einem Monat nicht mehr, und Hartman war einer derjenigen, der das Unternehmen übernommen hatte. Niemand war auf die Idee gekommen, die Daten zu korrigieren.
»Stellen Sie durch«, kürzte ich das inkompetente Gelaber ab.
Sie nickte, und ich stapfte ins Büro, um den Anruf entgegenzunehmen. Doch nichts passierte.
»Was ist nun schon wieder?« Meine Reizschwelle sank auf ein gefährliches Minimum. Selbstgespräche halfen mir oftmals, ein bisschen Dampf abzulassen. Oft, dennoch nicht immer.
»Mr Franklin.« Cathy stand verkrampft in der Tür und knetete ihre Hände.
»Was ist mit dem Telefongespräch?«
»Die Verbindung ist unterbrochen … Aber dafür trage ich keine Verantwortung.«
Cathy, eine von vielen, die es gewagt hatten, sich der Aufgabe zu stellen, benötigte genau in der Sekunde einen neuen Job.
»Raus!« Mein erbostes Brüllen blieb vermutlich niemandem verborgen. »Sie sind gefeuert! Packen Sie Ihre Sachen!«
»Sie sind so unfair.« Ihr stiegen die Tränen in die Augen. »Jeder hat mich gewarnt, dabei ist es in Wahrheit tausendfach schlimmer.«
»Bitte?« Ich stand neben dem Schreibtisch, in Reichweite des Telefons, mit dem ich das ursprünglich geplante Gespräch entgegennehmen wollte. Du bist so unfähig. Um nicht ausfallend zu werden, atmete ich tief durch. Mit düsterem Blick fixierte ich sie. »Sie sollten sich einen anderen Beruf aussuchen, für die umfangreichen Aufgaben einer Anwaltssekretärin wird es nirgendwo reichen.« Mit leisen Schluchzern drehte sie sich um. »Schließen Sie die Tür und stellen Sie das Telefon auf das von Summer um, sofern Sie dazu in der Lage sind.«
Urplötzlich umhüllte sie mich, diese nicht enden wollende Trauer, und schnürte mir die Kehle zu. Abigail, dich wird niemand je ersetzen. Weder beruflich noch auf irgendeine andere Weise.
»Ich benötige eine genaue Aufstellung der Zahlen«, hörte ich mich sagen.
»Boss, alles schon erledigt.« Mit ihrem bezaubernden Lächeln und einem Augenzwinkern überreichte sie mir die gewünschten Unterlagen.
Überrascht sah ich sie an. »Was würde ich nur ohne dich machen?«
»Im Chaos versinken.« Sie kam auf mich zu. »Darf ich den besten Anwalt der Stadt eigentlich im Büro küssen?«
»Ich bestehe darauf.« Wir näherten uns, sodass ich direkt in ihre wundervollen blauen Augen blickte. »Du bist mein neues Leben.«
»Seit wann so kitschig, Mr Franklin?«
Liebevoll legte ich meine Arme um ihre Hüften. »Tja, lassen Sie mich überlegen, Miss Abigail Brown … seit nunmehr einem Jahr.«
»Es hat lange genug gedauert, bis ich dich aus dem Panzer herausgezerrt habe.«
»Oh ja.« Dankbar küsste ich ihre zarten Lippen. »Ich schlafe üblicherweise nie mit meinen Assistentinnen …«
»Damals war ich nicht deine Assistentin«, belehrte sie mich mit einem Schmunzeln.
»Es hat so sein sollen, dass wir uns fünf Jahre nach dem College in einer Stadt wie New York zufällig wiedergetroffen haben.«
»Ja, das Schicksal meint es manchmal gut.« Sie drückte sich fest an mich, und ich fühlte, wie unsere Herzen im Gleichklang schlugen.
»Ich werde dich immer beschützen.«
»Cameron, der Löwe im Gerichtssaal und ein unverbesserlicher Romantiker außerhalb, sofern es gelingt, hinter die Fassade zu schauen.«
»Nein, wenn du hinter diese schaust.«
»Ich liebe dich, Cameron.«
Jede ihrer Liebeserklärungen blieb für mich einzigartig. Drei Worte, die ich nie hatte aussprechen können. Bei ihr kamen sie wie selbstverständlich über die Lippen.
»Ich liebe dich, deine strahlenden Augen, ach, einfach alles.« Vor der Zeit mit Abigail erlebte ich niemals ein derart intensives Glücksgefühl. »Manchmal ist es magic.«
Zwei Stunden später war das Leuchten in ihren Augen unwiederbringlich erloschen.
Für gewöhnlich gönnte ich mir einen Whiskey erst gegen Feierabend, heute jedoch verspürte ich das Bedürfnis etwas früher. Weiterhin in den Erinnerungen gefangen steuerte ich auf den Schrank zu, in dem ich die edlen Tropfen aufbewahrte. Unzählige Abende hatten Abigail und ich uns nach einem harten Arbeitstag zusammengesetzt, geredet, gelacht, geflirtet, Whiskey aus feinen Kristallgläsern getrunken und uns gegenseitig subtil aufgegeilt. Es gab eine stillschweigende Vereinbarung zwischen uns, die besagte, niemals im Büro zu vögeln. Die Frau, die für mich arbeitete und mit der ich liiert war, sollte nicht den Anschein einer Office-Romanze erwecken. Um all das zu vergessen, wäre es sinnvoll gewesen, sofort in ein anderes Büro umzuziehen. Bislang zog ich die Überlegung nicht in Betracht. Ich empfand es wie einen unwiederbringlichen Abschied, einen weiteren Schritt, mich von ihr zu lösen. Dazu war ich nicht bereit.
Meine Augen suchten in der großzügigen Auswahl der Spirituosen einen zwölf Jahre alten Single Malt. Ein milder Balvenie-Whisky, für den Abigail geschwärmt und von dem sie mich ebenfalls überzeugt hatte. Die Nostalgiewelle umspülte mich vollends. Mit ihrem Gespür für die feinen Details des Lebens besorgte sie wertvolle, handgeschliffene Kristallgläser, um den Whiskey entsprechend zu würdigen. Einen Moment starrte ich auf mein Glas, griff nach der Flasche und schenkte ein.
Ihres verstaubte seit drei Jahren im Schrank.
Erschöpft setzte ich mich auf das Sofa und schwenkte das Glas sanft hin und her. Ein angenehmer Duft kitzelte in meiner Nase. Um das volle Aroma auszukosten, nahm ich einen winzigen Schluck, hielt inne und erlebte mit geschlossenen Augen, wie sich der Geschmack auf der Zunge ausbreitete. Wann wird der Scheiß aufhören? Wenn nicht ein Wunder geschah, sah es eher düster aus.
Unerwartet flog die Tür meines Büros auf und Ive trat mit forschem Schritt herein. Blitzschnell kehrte ich in die Gegenwart zurück. Der Grund ihres Auftauchens erklärte sich von selbst.
Ihre Augen funkelten und sie baute sich vor mir auf. »Es reicht endgültig«, kam sie in einem gereizten Ton sofort auf den Punkt. »Das ist unprofessionell.«
»So?« Um ihr zu verdeutlichen, dass sie mich nicht wie einen x-beliebigen Partner zu behandeln hatte, lehnte ich mich zurück, schlug die Beine übereinander und legte den Arm auf die Lehne. »Was meinst du genau?« Bewusst wählte ich eine diplomatische Frage. »Es gibt so vieles, was dafür in Betracht käme.«
»Du kannst nicht jede Woche eine Assistentin verheizen.«
»Willst du dich nicht setzen, ich schaue nicht gern zu dir auf.« Aufmunternd nickte ich ihr zu.
Typisch Ive, sie ignorierte die Spitze. »Vielleicht hast du recht.« Grazil setzte sie sich an das andere Ende des Sofas und wandte sich zu mir.
»Auch einen?«
»Nein, das ist für mich zu früh.«
»Es gibt Tage, da lasse ich die Uhrzeit außer Acht.« Ich prostete ihr zu. »Ich bin ganz Ohr.«
Sie kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
»Falls du auf die Kündigung dieser Cathy sowieso, ihren Nachnamen habe ich mir erst gar nicht gemerkt, ansprichst …«
»Höre auf zu lamentieren«, unterbrach sie mich harsch. »Das hat jetzt ein Ende.« Ihr Tonfall gefiel mir nicht.
»Was beabsichtigst du, mir mitzuteilen?« Mit einem gespielt fragenden Blick legte ich kurz die Stirn in Falten.
»Ich habe eine passende Mitarbeiterin gefunden und sie für den Job eingestellt.«
»Woher willst du wissen, wer für mich passend ist?« Bewusst legte ich es auf eine Provokation an.
»Ich handele im Interesse der Kanzlei. Da du offensichtlich aus sentimentalen Gründen nicht in der Lage bist, den Arbeitsplatz langfristig zu besetzen, entscheide ich das jetzt. Darüber werde ich nicht mit dir diskutieren.«
»Ah ja … Es geht mir mächtig auf die Nerven, dass du deine Position der geschäftsführenden Partnerin herauskehrst.« In einem Zug leerte ich das Glas.
»Ich trage die Verantwortung, und es ist erforderlich, dir die Auswahl abzunehmen.« Sie neigte ihren Oberkörper vor und senkte ihre Stimme. »Wir alle vermissen sie, aber es sind drei Jahre vergangen und du benötigst eine dauerhafte Unterstützung.«
»Tja, meine Rede, allerdings fallen die qualifizierten Bewerberinnen nicht vom Himmel.«
»Weil du es nicht zulässt.«
»Unsinn.« Klarer Selbstbetrug.
»Ab morgen wird Pearl Noris die Aufgaben übernehmen«, knallte sie mir die Hiobsbotschaft an den Kopf.
»Nein!« Erzürnt sprang ich hoch und der Whisky schwappte über den Rand des Glases. »Scheiße …« Aufgebracht streckte ich den Arm aus und angelte nach einem Papiertaschentuch in der Hosentasche, um das Malheur zu beseitigen. »Und niemals.« Alle, nur nicht diese Person.
»Cameron, bitte setz dich wieder.« Sie blieb gelassen.
Widerwillig kam ich dem nach. Eine Katastrophe! »Sie ist nicht im Geringsten qualifiziert.«
»Doch, das ist sie.« Sie hielt kurz inne und suchte Blickkontakt. »Du wirst damit klarkommen müssen, dass sie dich an Abigail erinnert.«
»Das ist Blödsinn.« Es fiel mir schwer, eine lässige Sitzposition einzunehmen, und ich stellte sicherheitshalber das Glas auf den Tisch.
Sie hatte sich wieder zurückgelehnt und musterte mich eindringlich. »Du bist ein genialer Anwalt, der mir jedoch viel zu sehr in der Vergangenheit lebt.«
»Jetzt wird es mir zu bunt.« Erneut sprang ich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Willst du mir meine Leistungen absprechen?« Wenn ich eines hasste, war es unangemessene Kritik. Ja, da reagierte ich extrem empfindlich. »Außerdem, was hat das mit Pearl Dings …«
»Noris.«
»Ja meinetwegen … mit ihr zu tun?«
Ive erhob sich. »Sie ist die Richtige. Wie dem auch sei, sie fängt morgen an, und ich empfehle dir, sie mit Respekt zu behandeln.« Ives uneingeschränkte, nahezu euphorische Art, Pearl zu verteidigen, irritierte mich. »Was?«, reagierte sie auf meinen verkniffenen Gesichtsausdruck. »Sie wird dir, so wie ich sie kennengelernt habe, die nötige Paroli bieten.« Bei dem Argument blieb mir der Mund offen stehen. »Sie ist zudem sehr gewissenhaft beim Erledigen ihrer Aufgaben.«
»Ja, ja.« Unfreiwillig schwirrte mir das Bild ihrer vor Erregung glitzernden Pussy durch den Kopf.
»Ich freue mich, dass wir uns einig sind.« Sie strich ihren Rock glatt, klemmte eine Strähne hinter ihr Ohr und ein fast spitzbübisches Grinsen huschte über ihr Gesicht. »Sei pünktlich morgen früh.« Mit einem Augenzwinkern verließ sie mein Büro.
Tja, Pearl, du bist eine heiße, sexgierige Grenzgängerin. Doch die Grenzen, die ich dir hier aufzeige, werden dir nicht gefallen.