I
n meinem Loft gab es zwei Räume, die ich speziell eingerichtet hatte. Ein Spielzimmer, in dem ich meine bizarren sexuellen Gelüste auslebte. Allerdings nutzte ich dieses seit Abigails Tod nicht mehr. In dem anderen powerte ich mich aus. Laufband, Spinningbike, eine Bank zum Gewichtheben und ein Boxsack. Daran ließ ich am heutigen Tag den aufgestauten Frust aus.
Mit nacktem Oberkörper und einer locker sitzenden Sporthose drosch ich auf den Boxsack ein, bis mir der Schweiß aus sämtlichen Poren strömte.
»Fuck … Nein, das wird nicht passieren …« In kurzen Abständen stieß ich wütende Schreie aus, schlug mit einer solchen Kraft zu, dass der lederne Sparringspartner hin- und herpendelte, und wechselte im schnellen Rhythmus zwischen Schlägen und Low Kicks. Die Muskelstränge pumpten sich auf und zeichneten sich unter der Haut ab. Puls- und Herzschlag beschleunigten sich grenzwertig, die Muskeln brannten, denn langsam setzte eine Übersäuerung ein. Wie ein Irrer versuchte ich, die unaufhörlich kreisenden Gedanken aus meinem Kopf zu prügeln.
»Verdammte Scheiße!« Hechelnd umfasste ich den schweren Boxsack, um ihn anzuhalten. Mit dem Unterarm wischte ich mir den Schweiß von der Stirn, der mir in die Augen tropfte. Körperlich ausgepowert riss ich die Boxhandschuhe herunter und donnerte sie mit Wucht auf den Boden.
In fast allen Räumen des Penthouse gab es einen fantastischen Blick über die Skyline der Stadt. Mit einem Handtuch um die Schultern und einer Flasche Wasser in der Hand, die ich ohne abzusetzen annähernd vollständig leerte, starrte ich in die Ferne.
In einer Metropole wie New York City, ach was, in den gesamten USA studierten Tausende Menschen Jura. Sie waren groß, klein, dick, dünn, hatten schwarze oder blonde Haare. Attraktive, Unattraktive, Hoffnungsträger, die, die es schafften oder nicht, eine bunte Mischung von College- und Universitätsabsolventen. Wer trug die Verantwortung, dass eine Frau wie Pearl Noris in unserer Kanzlei auftauchte? Ausgerechnet sie, die Abigail optisch und allem Anschein nach charakterlich ähnelte.
Wie ich mich über diesen schwachen Moment im Blue Velvet
ärgerte. Bei der Entscheidung hatten das Testosteron und ein lang vermisster Spieltrieb überwogen. Der Anblick ihres vor Lust bebenden Körpers faszinierte und geilte mich auf. Mit einem Seufzer kommentierte ich das erregende Gefühl bei der Erinnerung. Sie trieb mich an jenem Abend an, und einem inneren Drang folgend musste ich herausfinden, ob ich in ihr eine Grenzgängerin getroffen hatte. Mein Verstand wehrte sich dagegen, doch der Spieler in mir gab nach.
Die Zerrissenheit und das damit verbundene Geheimnis, von dem sie ein Teil geworden war, passten nicht zu meinen Lebensumständen.
Die üble verbale Attacke hatte sie weggesteckt, aber niemand, so bewiesen es all die gescheiterten Damen vor ihr,
ertrug solche Anfeindungen über einen längeren Zeitraum. Ich traute ihr Kampfgeist zu. Letztendlich würde ich dennoch dafür sorgen, dass sie heulend die Kanzlei verließ.
Am nächsten Morgen traf ich eine unterschwellig grinsende Summer vor dem Fahrstuhl an. Meinen Gewohnheiten treu, hatte ich einen Kaffeebecher in der Hand.
»Was?« Meine Augen verengten sich.
»Nichts.« Mit ihrem figurbetonten, sommerlich geblümten Kleid stand sie neben mir und grinste übertrieben breit.
»Na dann ist ja alles bestens.« Sie blieb die Einzige, mit der ich mich menschlich verbunden fühlte. Nach dem dramatischen Tod von Abigail fand ich in ihr eine hilfsbereite Freundin. Allerdings lehnte sie es ab, meine Assistentin zu werden. Was ich bis zum heutigen Tag bedauerte. Glücklicherweise sprang sie ein, wenn ich mich erneut von einer der unfähigen Sekretärinnen trennte, und hinterfragte keinerlei Einzelheiten.
Der Lift erreichte unsere Etage. Die Türen öffneten sich und wir traten hinaus. »Cameron, du bist heute ungewöhnlich früh.«
»Ja, ja …« Selbstverständlich lag sie mit ihrer Feststellung richtig. Selten betrat ich die Kanzlei vor acht Uhr, da ich lieber abends arbeitete. Mein zeitiges Erscheinen verfolgte nur einen einzigen Zweck: vor Pearl Noris anwesend zu sein und damit einen Grund für den nächsten Anschiss zu konstruieren.
»Ach so.« Summer langte nach meinem Kaffeebecher. Irritiert sah ich sie an. »Den brauchst du nicht.«
»Du verhältst dich manchmal seltsam. Aber wenn es dich glücklich macht, bitte schön.« Kopfschüttelnd gab ich ihr den Becher.
»Einen erfolgreichen Tag für dich.« Sie stellte sich hinter den Counter, legte die Tasche auf den Tisch und schaltete den PC an.
Ich hielt kurz inne. »Ich brauche später deine Hilfe. Plane dir das bitte ein.«
»Hast du nicht ab heute eine neue Assistentin?« Ohne mich anzusehen, erledigte sie ihre ersten morgendlichen Routinehandgriffe.
»Vergiss es, das ist eine Farce.« Der gesamte Ärger aufgrund Ives Entscheidung kroch in mir hoch. Mit grimmigem Gesicht marschierte ich zu meinem Büro. Priorität des heutigen Tages: Pearl Noris in die Wüste schicken.
Die Beleuchtung in meinem Office verursachte Stirnrunzeln. Gestern Abend beim Verlassen brannte das Licht definitiv nicht. Statt der erwarteten Stille empfingen mich das Geräusch des Druckers und ein eingeschalteter PC. Was zum Teufel war hier los?
»Guten Morgen, Mr Franklin«, hörte ich die Stimme, die ich nicht hatte hören wollen, und schoss herum. »Ich war so frei und habe etwas früher mit der Arbeit angefangen.«
»Ah.« Du Biest, da habe ich dich unterschätzt
. Mit einem Stapel Papier in den Händen stand sie vor mir. Sie trug ein freundlich distanziertes Lächeln wie eine Rüstung. »Schön.« Ohne einen weiteren Kommentar betrat ich mein Büro. Dort warteten neue Überraschungen auf mich.
Auf dem Besprechungstisch lagen akkurat angeordnete Akten, die alle einheitlich beschriftet worden waren. Ich überflog die Bezeichnungen und warf so unauffällig wie möglich einen Blick hinein.
»Hm.« Die Fallakten waren in dem von mir vorgegebenen System angelegt.
Neben dem Schreibtisch fiel mir ein Servierwagen auf. Ich räusperte mich. Eine Thermoskanne und eine Tasse, zwei Flaschen Wasser sowie ein mit Frischkäse, Tomaten, Gurke und Kräutern belegter Bagel, den es nur an einem einzigen Stand in der Nähe unseres Büros gab, erwarteten mich. Deswegen Summers Bemerkung, ich bräuchte den Kaffee nicht.
Aus den Augenwinkeln checkte ich, ob Pearl mich beobachtete, aber sie agierte geschäftig. Ich schraubte den Deckel der Kanne auf und ein angenehmer Duft meines Lieblingstees wehte mir entgegen. Ich hasste es, beim konzentrierten Arbeiten aufzustehen, und bevorzugte deshalb diese Lösung, die nach und nach in Vergessenheit geriet. Da hatte Summer sich weit aus dem Fenster gelehnt. Wie sonst kam Pearl an die Informationen?
Obwohl die Tür offen stand, klopfte Pearl an. Darauf legte ich ebenfalls großen Wert.
»Ja?« Meine Einsilbigkeit sollte ihr verdeutlichen, dass ich keine Luftsprünge vollzog, nur weil sie sich von Summer hatte instruieren lassen.
»Haben Sie Zeit, die Termine abzugleichen?«
»Meinetwegen.« Ein hervorragender Anwalt wie ich war in der Lage, keinerlei Mimik zu zeigen.
»Prima, da gibt es Unstimmigkeiten.«
Ich setzte mich und sie trat näher an den Schreibtisch. Unweigerlich musterte ich sie. Das hellblaue Etui-Kleid betonte ihre Figur, es war für das Büro angemessen elegant geschnitten, die Haare fielen in lockigen Wellen über ihre Schultern, und zum ersten Mal bemerkte ich ihre langen, geschwungenen Wimpern.
Um nicht wie ein vollkommener Idiot dazustehen, ließ ich mich auf die Inszenierung ein.
Bei meinem Terminplan unterbreitete sie mir Vorschläge, wie einiges effektiver gestaltet werden konnte.
»Dafür verschiebe ich das Treffen mit Mr Swan, also, sofern Sie damit einverstanden sind.«
»Wissen Sie, wie die Telefonanlage funktioniert?« Fragend hob ich eine Augenbraue.
»Ja, ich habe mir die Bedienungsanleitung durchgelesen, und somit sollte es funktionieren
.« Mir blieb ihre Betonung nicht verborgen. »Auf Seite drei können Sie im Detail nachlesen, ich zitiere …«
Abwehrend hob ich die Hände. »Hm.« Ein Lob von mir zu hören, darauf wartete sie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. »Für das Meeting um fünfzehn Uhr fehlen Unterlagen.«
»Ja, ich weiß, es stand in den internen Mails, ebenso was Sie an Material benötigen und in welchem Konferenzraum es stattfindet.«
»Danke«, rang ich mir ein
höfliches Wort ab. »Ich möchte die nächsten zwei Stunden von niemandem gestört werden.«
»Gibt es Ausnahmen?«
»Was ist an dem Wort niemand
nicht zu verstehen?« Es klang harscher als beabsichtigt. »Eine Assistentin ist dafür da, mir den Rücken freizuhalten.«
»Klar, was sonst?« Sie agierte wie ein effizienter Roboter und zeigte keine Unsicherheit.
»Dann sind wir uns einig.« Sie nickte und verließ das Büro.
Pearl Noris, du hast mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen.
Fachlich betrachtet erfüllte sie, soweit ich das einschätzte, die erwarteten Anforderungen und Ive hatte nicht übertrieben.
Ich beschloss, zunächst abzuwarten und mir in Ruhe eine Vorgehensweise zu überlegen, wie ich mit der Angelegenheit umging. Ein Taktiker wie ich fand stets einen Weg, angestrebte
Ziele zu erreichen. Das würde Ive letztendlich ebenfalls einsehen.