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er verdammte Tag hatte mich an die Grenzen des Erträglichen gebracht. Trevor in einem Umkreis unter fünfhundert Meilen zu wissen, verursachte ein flaues Magengefühl. Die böse funkelnden Augen signalisierten mir, dass er sich weiterhin als den Gehörnten betrachtete.
Mir brummte der Kopf und ich brauchte Abstand von der Arbeit. Was lag näher, als mit Summer in der Lea Wine Bar
ein paar Drinks zu nehmen? Die Gehaltserhöhung erlaubte es mir, und es bedurfte erwartungsgemäß keiner Überredungskunst, Summer zu motivieren.
»Dass du mich fragst, damit habe ich nicht mehr gerechnet«, neckte sie mich, als wir uns auf den bequemen Barhockern niederließen.
»Tja, es geschehen noch Zeichen und Wunder.« Neugierig wanderte mein Blick durch die Location. Ein weiteres Mal wurde
mir die unfassbare Entwicklung bewusst, die ich innerhalb kurzer Zeit durchlaufen hatte. In einer Bar zu sitzen, in der sich die Topanwälte oder die CEOs der Lexington Avenue trafen, sich Drinks ohne schlechtes Gewissen zu gönnen und ein bisschen dazuzugehören, übertraf alle Erwartungen, die ich noch vor einigen Wochen gehegt hatte.
»Was hältst du von Tequila?« Summer nickte, und ich winkte einen der smarten Barkeeper heran, um zu bestellen.
»Wir machen einen Deal, okay?« Mein Gesicht verwandelte sich in ein Fragezeichen. »Kein Wort über den Job. Sondern nur private und am liebsten schmutzige Themen, ausgenommen Cameron.«
Die zwei Tequila standen vor uns. »Abgemacht.«
Zuerst bestreuten wir unsere Handballen mit Salz, leckten es ab, prosteten uns zu, kippten das Hochprozentige hinunter und bissen in den Zitronenschnitz.
»Bah.« Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte mich. »Aber lecker. Noch einen?«
»Zwei Shots zum Aufwärmen? Ich bin dabei.«
Wir bestellten und wiederholten den Prozess mit denselben zusammengekniffenen Gesichtern. Tatsächlich entspannte ich mich sofort, und abermals durchströmte mich ein Glücksgefühl. Wenig verwunderlich verfielen wir ins Tratschen, denn Themen, über die sich Freundinnen austauschten, gab es ausreichend.
Auf dem Smartphone zeigte sie mir ihren Lieblingsladen für Markenhandtaschen.
»Oh mein Gott, von der träume ich seit Ewigkeiten.« Lechzend hing sie über dem Display und zoomte jedes Detail der Luxuslabeltasche heran. »Eintausend Dollar … Ich brauche einen reichen Liebhaber.«
»Hier ist der perfekte Ort, oder ist Summer Baker etwa schüchtern?«
»Pah, in fünf Minuten habe ich zwei Kerle zum Flirten gefunden, die im Übrigen noch unsere Rechnung übernehmen.« Mit kokettem Gesichtsausdruck startete sie die Suche. Urplötzlich verschwand ihr Grinsen. »Nicht umdrehen.«
»Was?« Sofort hoffte ich auf Cameron. Da Summer sich jedoch in einer Art Ich-will-nicht-gesehen-werden-
Haltung duckte, schloss ich es aus.
»Scheiße, er hat uns entdeckt.«
Bevor ich die Frage nach dem Wer
stellte, drang eine Stimme an mein Ohr und ich schoss herum.
»Guten Abend, die Damen.« Ein Schreck fuhr mir durch die Glieder.
»Trevor, was willst du?«
Mein gestärktes Selbstwertgefühl erlaubte mir die distanzierte Reaktion. Ich betrachtete ihn und fragte mich, weshalb ich so lange nicht von ihm losgekommen war. Die dunklen Augen hatten mich einst fasziniert, heute spiegelten sie seinen widerwärtigen Charakter. Seit Ewigkeiten trug er die inzwischen grauen Haare extrem kurz, was sein kantiges Gesicht hervorhob. Viele Jahre schon lief er Marathon, seine Figur war hager und drahtig, dafür hatte er aber einen unfassbar großen Schwanz, der wie ein Fremdkörper an ihm hing. Das sah ich natürlich damals ganz anders. Sein mausgrauer Anzug saß nicht perfekt, was mir zu jener Zeit ebenfalls nicht aufgefallen wäre. Nein, unabhängig von seinem Verhalten entsprach er nicht mehr meinen Wunschvorstellungen eines Mannes, mit dem ich Sex haben wollte. Insbesondere keinen, die auf Vertrauen basierten.
»Ein bisschen plaudern, das werdet ihr mir doch nicht abschlagen.« War er früher ebenso unsympathisch?
»Mr King, wir sind nicht an einem Plauderstündchen mit Ihnen interessiert«, schoss Summer einen ersten Giftpfeil ab.
»Wir umgeben uns gern mit Menschen, die wir mögen, und soweit ich weiß, gehören Sie nicht dazu.«
Kurz schloss ich die Augen. Ich wusste, dass sie mir zur Seite stehen wollte, aber damit stach sie in ein Wespennest. Innerhalb von Sekunden war Schluss mit dem höflichen Grinsen. Da wir uns jedoch in der Öffentlichkeit aufhielten, hoffte ich, dass er nicht ausfallend wurde. Seine Wangenknochen malmten. Da ich ihn kannte, wusste ich, dass er um Fassung rang.
»Unabhängig davon ist es nicht optimal, wenn sich der Anwalt der Gegenseite …«, versuchte ich die Wogen ein wenig zu glätten.
Harsch unterbrach er mich. »Pearl, ich bin enttäuscht von dir. Und das bei unserer gemeinsamen Vergangenheit.« Den maßregelnden Ton hatte ich bestens in Erinnerung. Darauf folgten damals verbale Drohungen, mich zu verlassen. Einst eine unerträgliche Vorstellung.
»Wie du richtig erkannt hast, es ist Vergangenheit
«, betonte ich. Angewidert lehnte ich mich auf dem Hocker zurück, denn er überschritt meine persönliche Intimzone. Das bekannte Aftershave kitzelte mir unangenehm in der Nase. »Bitte, Trevor, respektiere das endlich.«
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er die Hände zu Fäusten ballte. »Die Damen, weiterhin einen angenehmen Abend.« Ohne ein weiteres Wort ließ er uns in Ruhe.
»Puhhh.« Geräuschvoll blies Summer die Luft aus. »War der schon immer so?«
»Vermutlich.« Die Begegnung kippte meine Stimmung. »Zwei doppelte Tequila«, rief ich dem Barkeeper zu. »Da hilft nur Alkohol.«
»Was war das damals zwischen euch?« Sie überschlug die Beine und legte ihren Unterarm auf den Tresen, ich hingegen rutschte vom Hocker und stützte mich mit den Ellenbogen ab.
»Machtspiele mit einer naiven und hoffnungslos verliebten jungen Frau, die durch ihn zunächst höchste sexuelle Erfüllung fand.« Ein Seufzer entwich mir. »Pragmatisch zusammengefasst.«
»Scheißkerl.«
»So, Ladys, zwei Doppelte.«
»Runter damit.« Auf das Ritual verzichtend leerte ich das Glas in einem Zug. »Hups, das haut rein.«
»Du bist nichts gewohnt.« Summer grinste, wirkte jedoch nach dem Doppelten ebenfalls angetrunken.
»Wir werden es morgen früh so sehr bereuen.« Tatsächlich liebäugelte ich mit einem weiteren. »Trevor King in New York, spaziert einfach bei Wilson, Chapman & Franklin
rein, und jetzt auch noch hier, das ist der Horror.« Ein langsames Gedankenkarussell startete seine erste Fahrt. »Ich hatte Schiss, ihm zu begegnen, aber der kann mir gar nichts mehr. So lächerlich, außerdem verliert er gegen Cameron, dem ziehen wir die Hosen runter.« Die Worte kamen etwas schleppend.
»Genau!« Sie kämpfte um eine gerade Haltung und hob den Zeigefinger in die Höhe.
»Ich gehe auf die Toilette. Du bestellst uns eine Flasche Wasser und …« Ich überlegte kurz. »Zwei von denen.« So, Konzentration, nicht wanken, lächeln, klappt doch.
Summer nickte und ich drängelte mich durch die immer noch gut besuchte Bar. Der Tequila vernebelte mir das Hirn.
Wo muss ich denn hin? … Fuck, die Tür, oder? Hier ist niemand, also bin ich falsch abgebogen …
Unvermittelt tauchte ein Schatten vor mir auf, eine kräftige Hand packte mich an den Schultern und stieß mich gegen die Wand. Sofort wurde mir der Mund zugehalten. Mein Angstschrei im Keim erstickt. Innerhalb von einer Sekunde verflog der Alkoholnebel und Panik brach aus. Der erste
Gedanke, der mir durch Kopf schoss: Gib ihm all dein Geld, deine Handtasche, wehre dich nicht.
»So, Pearl, jetzt reden wir ungestört.« Trevor! »Wehe, du wagst es, zu schreien.«
Mit aufgerissenen Augen nickte ich.
Er löste die Hand, packte sofort meinen Unterkiefer und drückte ihn zusammen. Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Ich wusste, dass wir uns wiedersehen.« Die Lichtverhältnisse erlaubten es geradeso, dass ich sein wutverzerrtes Gesicht erkannte. »Ich will dich nicht ficken, deine Fotze ist nicht mehr gut genug für meinen Schwanz … Aber du wirst mir wie damals einen Gefallen erweisen. Du weißt, ich habe dich in der Hand, und diese Tatsache kann dich Harvard kosten.« Ficken werde ich dich bestimmt nie, nie wieder …
Ich schloss die Augen, meine Atmung glich einem Hecheln. »Was?«, presste ich hervor.
»Du kleines Miststück verfügst über ein ausgesprochen ausgeprägtes Gedächtnis, und damit wirst du mir helfen, die Sammelklage gegen uns abzuschmettern.«
Endlich löste er die Hand.
»Du bist komplett wahnsinnig«, schnappte ich erbost. »Das ist Erpressung, und was du hier abziehst, ist Nötigung.« Vergeblich versuchte ich mich zu befreien.
»Vergiss deinen geleisteten Meineid nicht.«
»Du hast mich gezwungen, weil ich damals so dumm und naiv war …«
»Wieso, weshalb, warum, niemand fragt danach, und beweisen kannst du es nicht.« Ekelerregend, sein überhebliches Lachen.
»Dank deiner Aussage …«
»Sei ruhig.« Nein, ich wollte es nicht hören.
»Fakt ist, deine Integrität werden alle infrage stellen. Aus der Traum, du wirst niemals eine Anwältin.«
»Damit kommst du nicht durch.«
»Pass mal auf …« Drohend hielt er mir den Zeigefinger vors Gesicht. »Lass es nicht darauf ankommen. Ach, was ich noch gar nicht erwähnt habe …« Oh mein Gott, die Fotos und die Videos!
»So eine fotogene, gestopfte Pussy, und die Lustschreie … Ich schaue mir es bis heute gern an.«
»Warum quälst du mich so?« Die Augen füllten sich mit Tränen. Ja, er würde meine Existenz zerstören. Ihn an das Versprechen zu erinnern, die ohne mein Wissen entstandenen Aufnahmen zu löschen, sparte ich mir.
»Weil ich Namenspartner werde, und du wirst mir sämtliche Informationen besorgen, sodass ich auf alles vorbereitet bin, um dem großen Cameron Franklin die Strategie zu versauen.« Endlich ließ er mich los. »Ist das angekommen?«
»Ja.« Ich zitterte am ganzen Leib.
»Ja, was?«
»Ich helfe dir.« Das war der bislang zweitschlimmste Satz, der je über meine Lippen gekommen war. Der erste war der Meineid.
»Keine Spielchen!«
Ängstlich schüttelte ich den Kopf.
»Du warst schon immer ein schlaues Mädchen.«
Ohne mich noch einmal umzudrehen, stolperte ich aus der Tür. Du musst dich zusammenreißen. Summer darf nichts bemerken.
Ob es mir gelang? Auf dem Weg zu unserem Platz sammelte ich sämtliche Energie.
»Lady, ich soll Ihnen von Ihrer Freundin ausrichten, dass sie vorgefahren ist«, empfing mich der Barkeeper und grinste. »Das war wohl ein Shot zu viel.« Erleichtert atmete ich auf. »Ist alles in Ordnung?« Er sah mich prüfend an.
Ich schluckte und schüttelte den Kopf. »Nein, und da hilft kein Alkohol mehr.«
»Das klingt ernst.«
»Ja, so würde ich es bezeichnen.«